TE Vwgh Erkenntnis 1995/11/28 94/20/0773

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Veröffentlicht am 28.11.1995
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Baur und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des M in L, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 18. Oktober 1994, Zl. 4.344.797/1-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Afghanistans, der am 2. Juli 1994 in das Bundesgebiet eingereist ist, stellte am 7. Juli 1994 einen Asylantrag, den er am selben Tag bei seiner Einvernahme beim Bundesasylamt damit begründete, er sei seit 1987 Mitglied der demokratischen Kalgh-Partei. Er sei gemeinsam mit seinem Bruder, einem ehemaligen Piloten der afghanischen Luftwaffe, von den Mujahedin der Jamiat-Islami verhaftet und in ein Arbeitslager in der Nähe Kabuls gebracht worden. Der Beschwerdeführer habe bei der Verhaftung seinen Parteiausweis nicht bei sich gehabt, weshalb die Mujahedin nicht mit Sicherheit gewußt hätten, daß er einer ihrer Gegner gewesen sei. Der Beschwerdeführer sei auf dem Weg in das Arbeitslager mit Gewehrkolben geschlagen und im Lager ohnmächtig geworden. In der Folge sei es zweimal monatlich zu Verhören gekommen, bei denen er immer geschlagen worden sei. Einmal habe ihn der Kommandant selbst mit der Faust ins Gesicht geschlagen, was eine Verfärbung eines Vorderzahnes zur Folge gehabt habe. Er sei nie ärztlich versorgt worden, doch habe ihm einmal ein Mujahedin eine ihm bei einem Verhör zugefügte Wunde an der Augenbraue notdürftig zugenäht. Bei der Arbeit sei er einmal von einem Aufseher mit einem Gewehrkolben auf das linke Knie geschlagen worden, welches sich seither verformt habe. Der Beschwerdeführer und sein Bruder hätten Barrikaden errichten müssen und sie seien aufgefordert worden, acht Millionen Afghani zu bezahlen. Eines Tages habe ein Aufseher den Bruder des Beschwerdeführers angeschrieen, warum er nicht zahle und warum er so langsam arbeite, und ihn mit mehreren Schüssen in den Kopf getötet. Der Beschwerdeführer, der gefürchtet habe, ebenfalls getötet zu werden, sei am 5. Mai 1994, als er bemerkt habe, daß sich die Bewacher im Haschischrausch befunden hätten, von der Arbeit über den Berg geflüchtet und in der Folge mit dem Autobus nach Kabul gelangt, wo er sich nicht mehr nach Hause gewagt habe und zunächst bei einem Bekannten geblieben sei. Er sei dann nach Pakistan geflüchtet, weil er als Parteimitglied an keinem Ort in Afghanistan sicher gewesen wäre. Über Befragen führte der Beschwerdeführer aus, er sei, weil er während seiner Militärdienstzeit Leibwächter eines hohen Offiziers gewesen und mit diesem im ganzen Land herumgereist sei, überall bekannt.

Den Bescheid des Bundesasylamtes vom 26. Juli 1994, mit dem sein Asylantrag abgewiesen wurde, bekämpfte der Beschwerdeführer mit Berufung, in der er im wesentlichen seine bisherigen Angaben bekräftigte.

Mit ihrem Bescheid vom 18. Oktober 1994 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. In der Begründung dieses Bescheides ging die belangte Behörde nach Darstellung der Rechtslage davon aus, daß es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, Umstände glaubhaft zu machen, die die Annahme rechtfertigen würden, er befinde sich aus objektiv wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 (übereinstimmend mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) außerhalb seines Heimatlandes und sei daher nicht gewillt, sich wieder unter dessen Schutz zu stellen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde hat den Angaben des Beschwerdeführers, er sei infolge seines Dienstes als Leibwächter eines hohen Offiziers überall bekannt gewesen, deshalb keinen Glauben geschenkt, weil diese Ausführungen im Widerspruch zu seinem Vorbringen stünden, er habe bei seiner Verhaftung keinen Ausweis betreffend seine Parteimitgliedschaft bei sich gehabt, sodaß die Mujahedin nicht mit Sicherheit gewußt hätten, daß er ihr politischer Gegner gewesen sei. Auch habe der Beschwerdeführer keinerlei Aktivitäten gesetzt, die ein Interesse an seiner Verfolgung erklären könnten. Diese Auffassung der belangten Behörde erscheint durch das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens nicht gedeckt, weil die Behauptung des Beschwerdeführers, überall bekannt zu sein, ohne weitere Anhaltspunkte nicht dahin ausgelegt werden kann, er habe damit zum Ausdruck bringen wollen, jeder in Afghanistan Lebende müsse ihn kennen. Vielmehr ist nicht auszuschließen, daß der Beschwerdeführer - wofür der Zusammenhang der Einvernahme spricht - mit dieser Aussage dartun wollte, es bestehe für ihn, obwohl den ihn gefangen haltenden Mujahedin seine Parteimitgliedschaft nicht bekannt gewesen sei, die Gefahr, an jedem beliebigen Ort Afghanistans als Sympathisant des ehemaligen Regimes und damit der Kalgh-Partei erkannt zu werden, weshalb für ihn keine inländische Fluchtalternative bestanden habe. Ein Widerspruch zum sonstigen Vorbringen des Beschwerdeführers kann sohin in diesen Darlegungen nicht erblickt werden.

Die belangte Behörde hat auch die Auffassung vertreten, die Position des Leibwächters eines Offiziers im ehemaligen kommunistischen Regime stelle keine derart exponierte Stelle dar, daß der Beschwerdeführer aus diesem Grund hätte Verfolgung befürchten müssen. Vielmehr habe die neue Regierung gleich nach ihrem Amtsantritt eine Generalamnestie für ihre ehemaligen Feinde erlassen, von der nur der ehemalige Präsident ausgenommen worden sei. Dem hat der Beschwerdeführer in der Beschwerde entgegengehalten, es habe sich bei der erlassenen Amnestie lediglich um eine politische Geste gehandelt, während in Wahrheit die Anhänger des alten Regimes schwerster Verfolgung ausgesetzt und mit dem Tode bedroht seien. Dies sei schon daraus ersichtlich, daß der Beschwerdeführer, obwohl er keinen Ausweis bei sich gehabt habe, schon als Verdächtiger in ein Gefangenenlager verschleppt und dort mißhandelt worden sei. Diese erstmals im angefochtenen Bescheid verwendete Argumentation der belangten Behörde, die sich nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten nicht auf die Ergebnisse eines diesbezüglich durchgeführten Ermittlungsverfahrens stützen kann, vermag angesichts des ihr entgegenstehenden, weitgehend auch schon in der Berufung enthaltenen und nicht schon von vornherein als unschlüssig zu erachtenden Vorbringens des Beschwerdeführers, welches unwiderlegt geblieben ist, der dem Verwaltungsgerichtshof aufgegebenen Schlüssigkeitsprüfung nicht standzuhalten.

Soweit die belangte Behörde schließlich die vom Beschwerdeführer angeführten, gegen seine Person gerichteten Aktivitäten als Benachteiligungen gewertet hat, denen infolge des bürgerkriegsähnlichen Zustandes in seinem Heimatland alle Bürger in ähnlichem Ausmaß ausgesetzt seien, hat sie es unterlassen darauf einzugehen, daß der Beschwerdeführer angegeben hat, während seines Lageraufenthaltes verdächtigt worden zu sein, gegen die Mujahedin gekämpft zu haben. Auf Grund dieser Angaben kann aber nicht von vornherein ausgeschlossen werden, daß es sich bei den gegen den Beschwerdeführer gerichteten Maßnahmen um gezieltes Vorgehen gegen einen mutmaßlichen Regimegegner gehandelt hat.

Zusammenfassend ergibt sich, daß die belangte Behörde nähere Ermittlungen zu den von ihr für die Abweisung der Berufung des Beschwerdeführers als maßgeblich erachteten Gründen unterlassen und auch das Parteiengehör nicht gewahrt hat. Die sohin dem angefochtenen Bescheid anhaftenden Verfahrensmängel erweisen sich angesichts der Angaben des Beschwerdeführers, mit denen er Umstände für begründete Furcht vor Verfolgung aus politischen Gründen geltend gemacht hat, als wesentlich, weil die belangte Behörde bei Vermeidung dieser Mängel zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.

Der angefochtene Bescheid mußte sohin gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des erhobenen Begehrens auf die §§ 47 ff insbesondere § 59 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994200773.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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