TE Vwgh Erkenntnis 1995/11/28 95/20/0094

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Veröffentlicht am 28.11.1995
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AVG §45 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Baur und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des A in W, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. Dezember 1994, Zl. 4.343.724/1-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger kurdischer Nationalität, ist am 21. August 1993 in das Bundesgebiet eingereist und hat am 7. September 1993, bereits rechtsanwaltlich vertreten, einen schriftlichen Asylantrag gestellt, den er im wesentlichen damit begründete, er sei in seiner Heimat Mitglied der Demokratischen Kurdischen Partei und als Sänger politischer kurdischer Lieder bekannt gewesen. Seit dem Jahr 1985 nach Ableistung des Militärdienstes sei er unter permanenter Polizeiaufsicht gestanden und regelmäßig alle drei oder vier Monate verhaftet und ohne Anklage oder Gerichtsverhandlung jeweils für 2 Monate inhaftiert worden. Am 21. März 1992 sei er anläßlich eines Auftrittes mit politischen Liedern zum kurdischen Neujahrsfest erneut verhaftet und ins Gefängnis von Hasaka gebracht und dort vom Exekutivpersonal am ganzen Körper geschlagen und schwer mißhandelt worden. Nach dieser Verhaftung sei sein Schneidergeschäft von der Polizei gesperrt worden. Sein Vater und sein Bruder hätten mehrjährige Haft lediglich aus dem Grund der ethnischen Zugehörigkeit zum kurdischen Volk erleiden müssen. Zunächst sei er in die Türkei gereist und nach Beschaffung eines Reisedokumentes Anfang Juli 1993 nach Rumänien gelangt, wo er sich etwa 20 Tage aufgehalten habe. Von dort sei er via Ungarn nach Österreich eingereist. Eine Rückkehr in sein Heimatland sei für ihn lebensgefährlich.

Anläßlich seiner vor dem Bundesasylamt am 27. September 1993 erfolgten niederschriftlichen Befragung schilderte der Beschwerdeführer detailliert die bereits im schriftlichen Asylantrag zur Begründung seines Asylansuchens erwähnten mehrfachen Verhaftungen und Inhaftierungen, wobei er anläßlich einzelner genannter Haftaufenthalte auch mißhandelt worden sei. Zuletzt sei er anläßlich des Neujahrsfestes am 21. März 1992 in Haft genommen und für 2 Tage festgehalten, während dieser Zeit überdies mit Elektroschocks und Kabelschlägen mißhandelt und verhört worden. Danach sei er in das Gefängnis Ghueran in Hasaka verlegt und bis zum 25. Mai 1993 dort festgehalten worden. Während dieser Zeit sei er weder verhört noch geschlagen oder mißhandelt worden. In der Nacht vom 25. Mai 1993 sei ihm die Flucht aus dem Gefängnis gelungen. Bis zum 25. Juni 1993 habe er sich im Haus eines Parteikollegen in Al-Hamduna versteckt, an welchem Tag er schlußendlich seine Heimat verlassen habe. Sein Fluchtweg habe ihn über die Türkei, sowie nach Bulgarien und Rumänien und Ungarn geführt. In diesen Ländern habe er jeweils keine Asylanträge gestellt.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 23. November 1993 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers abgewiesen.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die gegen diesen Bescheid gerichtete Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG im wesentlichen aus dem Grund ab, dem Beschwerdeführer sei es nicht gelungen, begründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft zu machen. Sie verneinte seine Flüchtlingseigenschaft im Sinn des § 1 Z. 1 AsylG 1991 aufgrund seiner von ihr im Rahmen der Beweiswürdigung als unglaubwürdig eingestuften Angaben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides ging die belangte Behörde auf Grund der Ermittlungsergebnisse des Verfahrens erster Instanz davon aus, daß die Glaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers nicht gegeben sei, stellte sich aber darüber hinaus auf den Standpunkt, die geltend gemachten Verhaftungen stünden in keinem zeitlichen Konnex mehr zu seiner Ausreise, andererseits bilde die "bloße Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe allein" noch keinen Grund für die Anerkennung als Flüchtling.

Die von der belangten Behörde für die mangelnde Glaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers herangezogene Begründung erscheint jedoch nicht schlüssig. Insoweit sie die Behauptung des Beschwerdeführers, in der Zeit von 1985 bis 1989 von syrischen Behörden in regelmäßigen Abständen bis zu 8 Monaten ohne Gerichtsverfahren in Haft gehalten worden zu sein, als unglaubwürdig aus dem Grunde ansieht, weil "eher anzunehmen" gewesen wäre, daß man dann auch seine Schneiderwerkstätte geschlossen hätte, so vermag diese Argumentation nicht zu überzeugen. Schließlich ist denkbar, daß durch mehrfache, auch längere Haft lediglich in die psychische Integrität des Betreffenden, nicht aber unbedingt auch in dessen wirtschaftliche Existenz eingegriffen werden sollte. Insoweit die belangte Behörde rechtlich davon ausgeht, die in diesen Zeiträumen gelegenen Inhaftierungen ermangelten schon eines zeitlichen Zuammenhanges zu der erst im Jahr 1993 erfolgten Flucht, so ist ihr zu entgegnen, daß auch länger zurückliegende Umstände im Zusammenhang mit der behaupteten aktuellen Verfolgungsgefahr in die Betrachtungen miteinzubeziehen sind, sofern sich daraus ein für die Entscheidung über die Gewährung von Asyl relevantes Gesamtbild ergibt. Insoweit die belangte Behörde die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Mißhandlungen und Folterungen lediglich mit der Begründung als unglaubwürdig abtut, er habe keinerlei sichtbare Verletzungsfolgen davongetragen, erweist sich dieses Argument als nicht stichhältig. Die konkret vom Beschwerdeführer genannten Foltermethoden können - müssen aber nicht - sichtbare Spuren hinterlassen. Eine gegenteilige "Lebenserfahrung" gibt es nicht.

Im übrigen ist der Hinweis der belangten Behörde, die Mitgliedschaft zur kurdischen Volksgruppe allein sei noch kein Grund für die Anerkennung als Flüchtling, irreführend, weil der Beschwerdeführer ganz konkrete Verfolgungsgründe, nicht aber lediglich den Hinweis auf die Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe als Fluchtgrund angegeben hatte.

Als weiteres Indiz für die Unglaubwürdigkeit des Gesamtvorbringens des Beschwerdeführers wertete die belangte Behörde darüber hinaus auch den Umstand, daß der Beschwerdeführer seinen Rumänien-Aufenthalt trotz Vorhaltes einer Zeugenaussage erst abgestritten, in der Folge aber zugegeben habe. Dazu ist zunächst einmal grundsätzlich festzuhalten, daß sich aus einer Divergenz der Aussagen über den Fluchtweg allein der Wahrheitsgehalt der Angaben des Beschwerdeführers über seine Fluchtgründe, die darüber hinaus lediglich "glaubhaft" zu machen waren, nicht ableiten läßt; besteht doch auch die Möglichkeit, daß der Beschwerdeführer in Kenntnis der Vorschrift des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 lediglich versuchte, der sogenannten "Drittlandklausel" als Asylverweigerungsgrund vorzubeugen. Aber der Vorwurf der belangten Behörde geht auch substantiell ins Leere, da der Beschwerdeführer bereits in seinem schriftlichen Asylantrag davon gesprochen hat, "von Bukarest" mit dem Zug via Ungarn nach Österreich gefahren zu sein. Der - wenn auch kurzfristige - Aufenthalt in Rumänien war daher bereits im schriftlichen Asylantrag enthalten. Daß selbst ein kurzfristiger Aufenthalt in einem Drittland ausreicht, um Verfolgungssicherheit zu erlangen, wurde vom Verwaltungsgerichtshof bereits in zahlreichen Erkenntnissen ausgesprochen (vgl. hg. Erkenntnis vom 24. November 1993, Zl. 93/01/0357). Auch in seiner schriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 27. September 1993 gab der Beschwerdeführer an, sich in der Zeit vom 28. oder 29. Juli bis 20. August 1993 in Bukarest aufgehalten zu haben. Da er sich in Rumänien mit einem gefälschten Dokument aufgehalten habe, habe er gefürchtet abgeschoben zu werden. Im übrigen ist nicht ersichtlich, aus welchem Grunde dem Beschwerdeführer ein angeblicher Widerspruch anläßlich seiner ergänzenden Befragung am 18. Oktober 1993 vorgehalten wurde, der für die Frage der Asylgewährung völlig irrelevant gewesen wäre (dieser vernehmungsgegenständliche Rumänienaufenthalt ereignete sich im Jahre 1989). Letztlich zog die belangte Behörde den Ausschlußgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 ohnedies nicht als rechtliche Begründung für die Abweisung der Berufung des Beschwerdeführers heran.

Insgesamt erweisen sich die der abweislichen Entscheidung zugrundeliegenden Schlußfolgerungen der belangten Behörde als unschlüssig, sodaß sie aus diesem Grunde bereits ihren Bescheid mit einem Verfahrensmangel im Sinn des § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG belastete, der auch wesentlich ist, weil die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Verhaftungen und Mißhandlungen konkrete Verfolgungshandlungen darstellen können und damit eine Furcht vor Verfolgung möglich erscheinen lassen und bei Zutreffen der Angaben des Beschwerdeführers eine asylrelevante Verfolgung vorläge (vgl. hiezu hg. Erkenntnis vom 17. Oktober 1990, Zl. 90/01/0156, und vom 6. Juli 1994, Zl. 94/20/0209).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1995200094.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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