TE Lvwg Erkenntnis 2022/10/4 VGW-123/072/10039/2022

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Veröffentlicht am 04.10.2022
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Entscheidungsdatum

04.10.2022

Index

97 Öffentliches Auftragswesen
L72009 Beschaffung Vergabe Wien

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seine Richterin Mag.a Mandl als Vorsitzende, die Richterin Dr.in Lettner und den Richter Dr. Oppel über den Antrag der A. GmbH, vertreten durch Rechtsanwälte OG, auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung betreffend das Vergabeverfahren "B." (Zl. …) der Stadt Wien, Wiener Gewässer (MA45), vertreten durch Rechtsanwälte GmbH,

zu Recht e r k a n n t:

I.       Dem Antrag auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung vom 5.8.2022 wird stattgegeben und die Zuschlagsentscheidung nichtig erklärt.

II.      Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die von dieser entrichteten Pauschalgebühren in der Höhe von 1.620,-- binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

III.    Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Die Stadt Wien, Wiener Gewässer, MA 45 (in der Folge: Auftraggeberin) führt ein Vergabeverfahren unter der Bezeichnung „B.“ (Zl. …). Es handelt sich dabei um ein nicht offenes Verfahren ohne vorheriger Bekanntmachung zur Vergabe eines Bauauftrags im Unterschwellenbereich. Ausschreibungsgegenständlich ist die Errichtung von C..

Die A. GmbH (in der Folge: Antragstellerin) hat ein Angebot abgegeben. Mit Zuschlagsentscheidung vom 5.8.2022 wurde mitgeteilt, dass die D. GmbH & Co KG (in der Folge: Teilnahmeberechtigte) als Zuschlagsempfängerin in Aussicht genommen wurde. Dagegen richtet sich der gegenständliche Nachprüfungsantrag. Der Nachprüfungsantrag ist rechtzeitig.

Die Antragstellerin bringt darin vor, dass die Angebote zwingend elektronisch abzugeben gewesen seien (siehe Seite 1 MD BD – SR 75). In Beilage 13.09 (Informationen zur Abgabe eines elektronischen Angebotes) sei festgelegt, dass das Formblatt „MD BD - SR 75“ notwendige Erklärungen der Bieter beinhalte und daher mit dem Angebotspaket abzugeben sei. Außerdem sei dort festgelegt, dass dem Angebot die in Punkt 13 des „MD BD – SR 75“ geforderten Unterlagen, wie z.B. K3 und K4-Blätter anzuschließen seien. Korrespondierend dazu seien auch in Punkt 13 des „MD BD - SR 75“ unter anderem folgende dem Angebot beizuschließende Unterlagen aufgelistet:

„13.04 Kalkulationsangaben

13.04.1 K3 (Kalkulationsformblatt gemäß ÖNORM B 2061)

13.04.2 K4 (Kalkulationsformblatt gemäß ÖNORM B 2061)“

In den Besonderen Vertragsbestimmungen sei zudem festgelegt, dass die allgemeinen Vertragsbestimmungen der Stadt Wien für Bauleistungen (WD 314) gelten sowie unter welcher Adresse diese abrufbar seien.

Punkt 3 der WD 314 regle mögliche Änderungen der Leistungen (z.B. Änderung des Leistungsumfangs, Störungen der Leistungserbringung) und deren Folgen, nämlich insbesondere auch eine Anpassung des Entgelts.

Laut Punkt 3.4.2 WD 314 erfolge die Ermittlung neuer Preise ausdrücklich nach den „Preisgrundlagen des Angebotes“.

Die Angebotsöffnung am 11.7.2022 habe ergeben, dass von folgenden drei Bietern ein Angebot gelegt worden sei:

Grafik – nicht anonymisierbar

Demnach sei das Angebot der Antragstellerin preislich an zweiter Stelle gereiht. Hinsichtlich des preislich an erster Stelle gereihten Angebotes der Teilnahmeberechtigten sei allerdings dem Protokoll über die Angebotsöffnung zu entnehmen, dass lediglich ein Deckblatt und das Leistungsverzeichnis (nur pdf-Format ohne Datenbestand nach ÖNORM) abgegeben worden sei. Es hätten bei diesem Angebot insbesondere das Angebotsformblatt SR 75 und auch die in der Ausschreibung geforderten Kalkulationsblätter K3 und K4 gefehlt.

Dieses Angebot sei daher auszuscheiden und es sei dem zweitgereihten Angebot der Antragstellerin der Zuschlag zu erteilen.

In der Folge macht die Antragstellerin Ausführungen zur Rechtzeitigkeit des Antrags, zur Entrichtung der Pauschalgebühren für den Nachprüfungsantrag und zum Antrag auf Erlassung einer Einstweiligen Verfügung sowie zum Vorliegen ihres Interesses am Vertragsabschluss und zu dem ihr durch die angefochtene Entscheidung der Auftraggeberin entstandenen bzw. drohenden Schaden. Die Antragstellerin stellt weiters dar, in welchen Rechten sie sich durch die angefochtene Entscheidung als verletzt erachtet.

Es handle sich beim Fehlen des Formblattes SR 75 und der Kalkulationsblätter K3 und K4 nicht um einen behebbaren Mangel. Der Verwaltungsgerichtshof habe zwar erkannt, dass beim Fehlen des Formblattes SR 75 lediglich ein behebbarer Mangel vorliege. Die zentrale Erwägung des Verwaltungsgerichtshofs habe allerdings darin bestanden, dass das „Formblatt keine vom Bieter änderbaren Bestandteile enthält“, weshalb dessen Nachreichung „zu keiner materiellen Verbesserung der Wettbewerbsstellung“ des Bieters führt (VwGH 29.6.2005, 2005/04/0024). Genau diese wesentliche Überlegung des Verwaltungsgerichtshofs treffe im vorliegenden Fall nur auf das fehlende Angebotsformblatt SR 75 zu, nicht aber auf die ebenso fehlenden Kalkulationsblätter K3 und K4, welche von den Bietern nach den Vorgaben der ÖNORM B 2061 zu erstellen und ebenfalls bereits mit dem Angebot abzugeben gewesen seien. Somit lasse sich bereits aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs ableiten, dass zwar nicht das Fehlen des unveränderbaren Angebotsformblattes (SR 75), sehr wohl aber das Fehlen der Kalkulationsblätter K3 und K4 einen unbehebbaren Mangel darstelle, weil diese Kalkulationsblätter vom Bieter erst erstellt werden müssten und somit veränderbar seien.

Zu beachten sei auch, dass gemäß den Besonderen Vertragsbestimmungen auch die allgemeinen Vertragsbestimmungen der Stadt Wien für Bauleistungen (WD 314) anzuwenden seien. In Punkt 3 der WD 314 seien mögliche Änderungen der Leistungen (zB Änderung des Leistungsumfangs, Störungen der Leistungserbringung) und deren Folgen, nämlich insbesondere auch eine Anpassung des Entgelts geregelt. Dabei habe gemäß Punkt 3.4.2 WD 314 die Ermittlung neuer Preise ausdrücklich nach den „Preisgrundlagen des Angebotes“ zu erfolgen. Die dem Angebot beizuschließenden Kalkulationsblätter seien solche Preisgrundlagen und daher von entscheidender Bedeutung, um im Fall von Leistungsabweichungen neue Preise zu ermitteln.

Wenn ein Bieter die geforderten Kalkulationsblätter nicht bereits mit dem Angebot vorlege, könne er daher die für die Ermittlung neuer Preise erforderlichen Preisgrundlagen beliebig noch nach Ende der Angebotsfrist ändern.

Es sei unmöglich, allein aus den im Leistungsverzeichnis angegebenen Einheitspreisen bzw. deren Anteilen für Lohn und Sonstiges auf die zu Grunde liegende Kalkulation zu schließen. Um Rückschlüsse auf den kalkulierten Zeitaufwand und die Partienzusammensetzung zu ziehen, müssten daher zumindest die im K3-Blatt auszuweisenden Lohnkosten bzw. Lohnpreise und der Gesamtzuschlag sowie die Zusammensetzung der Partie bekannt sein. Gleiches gelte für die im K4-Blatt zu kalkulierenden Materialpreise.

Die entscheidenden zur Ermittlung neuer Preise notwendigen Preisgrundlagen (insbesondere Lohnkosten, Materialkosten, Gesamtzuschlag) seien aus dem Leistungsverzeichnis nicht ableitbar und könnten daher vom Bieter noch nach Ende der Angebotsfrist beliebig geändert werden. Schon aus diesem Grund müsse daher das Fehlen von geforderten Kalkulationsblättern als unbehebbarer Mangel qualifiziert werden, weil andernfalls der Bieter noch nachträglich Preise bzw. die Grundlage für deren Ermittlung ändern und damit die Wettbewerbsstellung materiell verbessern könnte.

Dazu komme auch noch eine zeitliche Komponente, die eindeutig gegen die Behebbarkeit des Mangels fehlender Kalkulationsformblätter spreche. In der Praxis würden häufig auch im Baubereich Angebote gelegt, ohne die dafür laut ÖNORM B 2061 vorgesehenen Kalkulationsblätter zu erstellen. Hintergrund dafür sei, dass die Erstellung von Kalkulationsblättern gemäß ÖNORM B 2061 einen erheblichen Aufwand erfordere und mitunter auch Angebotsfristen sehr kurz bemessen seien, was die zeitgerechte Erstellung der Kalkulationsblätter erschwere. Der mit der Erstellung von Kalkulationsblättern verbundene erhebliche Aufwand sei auch schon in der Rechtsprechung hervorgehoben worden.

Damit sei evident, dass sich ein Bieter, der die in der Ausschreibung geforderten Kalkulationsblätter nicht bereits mit dem Angebot vorlegt, einen wesentlichen Aufwand für die Angebotserstellung erspare. Einem solchen Bieter – würde man ihm die Möglichkeit zur Nachreichung von fehlenden Kalkulationsblättern einräumen – stünde im Ergebnis mehr Zeit für die Ausarbeitungen des Angebotes zur Verfügung. Nach der Rechtsprechung liege ein unbehebbarer Mangel aber insbesondere auch dann vor, wenn der Bieter durch die Behebung des Mangels über einen längeren Zeitraum für die Ausarbeitung des Angebotes verfügen würde (VwGH 25.2.2004, 2003/04/0186). Das habe daher auch bei der gegenständlichen Ausschreibung zu gelten, zumal weit mehr als 100 verschiedene Materialen zu kalkulieren waren, weshalb damit auch ein erheblicher Aufwand verbunden gewesen sei.

Schließlich lasse sich der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs entnehmen, dass es unzulässig sei, die im Zuge der Angebotsprüfung vorgelegten Kalkulationsblätter zu ändern oder neue Kalkulationsblätter zu fordern, weil dies dem Bieter die Möglichkeit eröffnen würde, „einen ursprünglich möglicherweise unplausiblen Preis zu einem plausiblen zu machen, was dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter und der Transparenz des Verfahrens widerspräche“ (VwGH 28.2.2012, 2007/04/0218).

Die dahinterstehenden Überlegungen seien bei einem Mangel der von vornherein fehlenden Kalkulationsblätter umso mehr beachtlich und übertragbar. Würde man es nämlich einem Bieter erlauben, die eigentlich bereits mit dem Angebot vorzulegenden Kalkulationsblätter erstmals nach Ende der Angebotsfrist vorzulegen, hätte es der Bieter umso mehr in der Hand, einen ursprünglich möglicherweise unplausiblen Preis zu einem plausiblen Preis zu machen, indem er die Kalkulationsblätter erstmals nach Ende der Angebotsfrist erstellt oder allenfalls bereits erstellte Kalkulationsblätter in Kenntnis des Ergebnisses der Angebotsöffnung modifiziert.

Das Angebot der mitbeteiligten Partei leide damit jedenfalls im Hinblick auf die fehlenden Kalkulationsblätter K3 und K4 an einem unbehebbaren Mangel, weshalb es gemäß § 141 Abs. 1 Z 7 BVergG 2018 zwingend ausgeschieden hätte werden müssen.

Beantragt werde zur Prüfung der behaupteten Rechtswidrigkeiten ein Nachprüfungsverfahren einzuleiten, eine mündliche Verhandlung durchzuführen und die angefochtene Entscheidung der Antragsgegnerin, nämlich die von ihr am 5.8.2022 mitgeteilte Zuschlagsentscheidung, für nichtig zu erklären. Beantragt werde weiters die Erlassung einer einstweiligen Verfügung für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens, mit welcher der Antragsgegnerin im gegenständlichen Vergabeverfahren die Erteilung des Zuschlags untersagt wird. Schließlich werde beantragt, die Antragsgegnerin zum Ersatz der von der Antragstellerin entrichteten Pauschalgebühren binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu Handen des ausgewiesenen Rechtsbeistandes zu verpflichten.

Mit Beschluss vom 22.8.2022, Zahl VGW-124/072/10040/2022-1, wurde eine Einstweilige Verfügung erlassen, mit der der Auftraggeberin für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens die Erteilung des Zuschlags im gegenständlichen Vergabeverfahren untersagt wurde.

Der Nachprüfungsantrag wurde der Auftraggeberin und der Teilnahmeberechtigten zur Kenntnis gebracht. Mit Schriftsatz vom 29.8.2022 gab die Auftraggeberin eine Stellungnahme ab, in der sie zunächst ausführt, dass das gegenständliche Vergabeverfahren aufgrund des geschätzten Auftragswertes im Unterschwellenbereich in einem nicht offenen Verfahren ohne vorherige Bekanntmachung ausgeschrieben worden sei. Es handle sich um einen Bauauftrag.

Ausschreibungsgegenständlich sei die Errichtung von C. ….

Die Auftraggeberin habe folgende Ausschreibungsunterlagen verwendet:

Angebotsformblatt MD BD – SR 75 (2018)

Beilage 13.09 (Informationen zur Abgabe eines elektronischen Angebotes)

Leistungsverzeichnis

Besondere Vertragsbestimmungen

In Beilage 13.09 sei festgelegt, dass mit dem Angebot das Angebotsformblatt MD BD – SR 75 (2018) abzugeben sei; zusätzlich seien dem Angebot die Kalkulationsblätter K3 und K4 anzuschließen gewesen. Die Ausschreibung habe keine Festlegung enthalten, wonach diese Unterlagen zwingend bzw. bei sonstigem Ausscheiden bereits mit dem Angebot abzugeben gewesen wären.

Die Angebotsfrist sei mit 11.7.2022, 10 Uhr, festgesetzt gewesen. Unmittelbar daran anschließend habe die nicht-öffentliche Angebotsöffnung stattgefunden. Die von den Bietern jeweils abgegebenen Angebotsbestandteile seien im Protokoll über die Angebotsöffnung dokumentiert worden. Dieses Protokoll sei den Bietern auf der Vergabeplattform zur Verfügung gestellt worden.

Im Rahmen der Angebotsprüfung seien zwei Aufklärungsersuchen an die Teilnahmeberechtigte erfolgt, die jeweils von dieser fristgerecht beantwortet worden seien. Die geforderten Nachweise seien fristgerecht nachgereicht worden. Diese Vorgangsweise sei in einer Niederschrift zur Angebotsprüfung festgehalten worden. Auf der Basis dieser Angebotsprüfung sei der Vergabevorschlag zu Gunsten der Teilnahmeberechtigten erfolgt.

In der Folge sei den Bietern die verfahrensgegenständliche Zuschlagsentscheidung vom 5.8.2022 auf der Vergabeplattform mitgeteilt worden.

Die angefochtene Zuschlagsentscheidung sei jedenfalls vergaberechtskonform, da für das Angebot der Teilnahmeberechtigten keine Ausscheidensgründe vorlägen. Insbesondere seien in den Ausschreibungsunterlagen keinerlei Festlegungen dahingehend enthalten, dass das SR 75 und die Kalkulationsblätter zwingend bereits mit dem Angebot abzugeben seien; dies sei von der Antragstellerin auch nicht behauptet worden.

In den Ausschreibungsunterlagen werde vielmehr in Ziffer 1 des SR 75 auf die Allgemeinen Teilnahmebestimmungen der Stadt Wien für Vergabeverfahren (WD 307) verwiesen. Dort sei in Punkt 6.3 ausdrücklich festgehalten, dass die Kalkulationsblätter auch noch nach Angebotsabgabe nachgereicht werden dürften.

Aus dieser Festlegung ergebe sich unmissverständlich, dass die Kalkulationsblätter nach einer entsprechenden Aufforderung durch die Auftraggeberin jedenfalls auch noch nach Angebotsabgabe nachgereicht werden dürften. Diese Festlegung sei bestandsfest. Es gebe keinen Zweifel daran, dass das Fehlen der Kalkulationsblätter und des SR 75 keine unbehebbaren Angebotsmängel begründen könnten.

In der Folge verweist die Auftraggeberin auf die Judikatur der Vergabekontrollinstanzen dazu, dass Kalkulationsblätter, die nicht bereits mit dem Angebot abgegeben wurden, im Rahmen der Angebotsprüfung nachgereicht werden dürften.

Hinsichtlich des Fehlens der SR 75 im Angebot der Teilnahmeberechtigten verweise die Antragstellerin selbst auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs, wonach dies einen behebbaren Mangel darstelle (VwGH 2005/04/0024). Die Antragstellerin beziehe sich in der Folge daher nur mehr auf das Fehlen der Kalkulationsblätter.

Es treffe hinsichtlich der Kalkulationsblätter jedenfalls nicht zu, dass diese beliebig geändert werden könnten. Die angebotenen Preise seien bereits durch Abgabe des Leistungsverzeichnisses mit dem Angebot verbindlich und könnten daher vom jeweiligen Bieter im Nachhinein nicht geändert werden.

Die Nachreichung der Kalkulationsblätter hätte auch nicht zu einem materiellen Wettbewerbsvorteil der Teilnahmeberechtigten geführt, da sie auch nach Angebotsabgabe keine Kenntnis über die Preisgrundlagen der übrigen Bieter gehabt hätte, um im Hinblick darauf ihre Kalkulation zu ändern.

Das von der Antragstellerin als Untermauerung ihrer Argumentation herangezogene Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien zur Zahl VGW-123/046/12522/2021 sei nicht einschlägig, da es dort um eine Ausscheidensentscheidung gegangen sei, weil ein Bieter statt des elektronisch zur Verfügung gestellten Angebotsformulares ein anderes Angebotsformular verwendet hätte.

Auch das von der Antragstellerin zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs zur Zahl 2007/04/0218 sei nicht entscheidungsrelevant, da es dort um die rechtlichen Rahmenbedingungen einer vertieften Angebotsprüfung gegangen sei. Der Auftraggeber habe den Bieter zur „Neukalkulation“ seines Angebotes und Nachreichung der Kalkulationsformblätter aufgefordert. Eine solche Vorgangsweise sei jedenfalls unzulässig, liege aber gegenständlich nicht vor. Allerdings habe der Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis implizit zum Ausdruck gebracht, dass Kalkulationsblätter nachgereicht werden dürften, wenn keine Neukalkulation vorgenommen werde.

Beantragt werde die Zurück- bzw. Abweisung des Nachprüfungsantrages samt allen Anträgen.

Mit dem Schriftsatz der Antragstellerin vom 21.9.2022 und Replik der Auftraggeberin vom 26.9.2022 wurde die u.a. auf die Judikatur zur Behebbarkeit von Mängeln gestützte Argumentation der Antragstellerin und der Auftraggeberin weiter vertieft.

Die Teilnahmeberechtigte erstattete keine Schriftsätze.

Aufgrund des Nachprüfungsantrags wurde am 28.9.2022 vor dem Verwaltungsgericht Wien eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Die Verhandlung hatte folgenden Verlauf:

Die Teilnahmeberechtigte ist trotz ausgewiesener Verständigung gemäß § 21 Abs. 7 WVRG 2020 zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen.

„Auf Befragen der Berichterin gibt der ASTV an, dass, wie bereits in den Schriftsätzen ausgeführt, die Nichtvorlage des SR 75 mit dem Angebot der TNB nach der Judikatur des VWGH keinen unbehebbaren Mangel des Angebotes darstellt. Dieses Thema muss daher nicht näher erörtert werden.

Erörtert wird, dass in den Ausschreibungsunterlagen SR 75 und Beilage 13.09 festgelegt war, dass mit dem Angebot unter anderem das K3 und das K4 Blatt vorzulegen sind. Die TNB hat ihrem Angebot diese Kalkulationsblätter nicht angeschlossen. Sie wurde daher von der AG aufgefordert, diese Unterlagen nachzureichen und hat dies fristgerecht getan.

Aus dem Vergabeakt ist ersichtlich, dass eine vertiefte Angebotsprüfung des Angebots der TNB erfolgt ist. Im Akt befinden sich zum K3 und K4 Blatt Vermerke, wonach die dort ausgewiesenen Daten plausibel seien. Die eigentliche Angebotsprüfung hat anhand des K7 Blattes hinsichtlich einzelner Positionen dieses Angebotes stattgefunden. Auch dort wurde hinsichtlich der geprüften Positionen vermerkt, dass die angebotenen Preise plausibel seien.

Der AGV bringt vor, dass diese vertiefte Angebotsprüfung freiwillig erfolgt sei, da die von der TNB angebotenen Preise unverdächtig gewesen seien.

Festgehalten wird, dass die nachgereichten K-Blätter der TNB den Vermerk „erstellt am 25.07.2022“ enthalten. Das Ende der Angebotsfrist war am 11.07.2022.

Der ASTV bringt dazu vor, dass sich daraus die Vermutung ergebe, dass die K-Blätter erst nachträglich erstellt worden seien. Da das K3 und das K4 Blatt Grundlage des K7-Blattes seien, stehe auch nicht fest, dass hinsichtlich der dort ausgewiesenen Daten keine nachträgliche Änderung erfolgt sei. Es sei daher nicht nachvollziehbar, ob die TNB ihr Angebot entsprechend der einschlägigen Normen kalkuliert habe.

Der AGV bringt vor, dass nicht ersichtlich sei, in wie fern eine nachträgliche Änderung der nachgereichten K-Blätter erfolgt sei. Eine Änderung sei schon im Hinblick darauf nicht möglich, dass das Leistungsverzeichnis vollständig ausgefüllt dem Angebot beigelegen sei und damit der Preis festgestanden sei.

Sollten die K-Blätter nachträglich ausgefüllt worden seien, hätte dies zu einem zeitlichen Vorteil für die TNB von wenigen Tagen führen können. Diesbezüglich werde aber auf die bereits in den Schriftsätzen dargelegte Rechtsprechung verwiesen. Dort komme zum Ausdruck, dass eine rein zeitliche Komponente keinen relevanten Wettbewerbsvorteil darstelle, da ansonsten ein solcher Vorteil in jedem Fall vorliegen würde, in dem Unterlagen nachgereicht würden.

Der AGV ergänzt, dass es bei Bauausschreibungen üblich sei, dass K-Blätter nachgereicht werden.

Der ASTV entgegnet, dass nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ein unbehebbarer Mangel vorliege, wenn die betreffende mit dem Angebot vorzulegende Unterlage zum maßgeblichen Zeitpunkt, das sei hier das Ende der Angebotsfrist, nicht vorliege. Das Nichtvorliegen von Unterlagen würde selten einen Einfluss auf den Preis haben. Trotzdem würden Angeboten ausgeschieden, wenn Unterlagen, die mit dem Angebot vorzulegen sei, zum Zeitpunkt des Endes der Angebotsfrist nicht vorhanden seien. Dies sei darin begründet, dass das Beischaffen dieser Unterlagen für den Bieter einen zeitlichen Aufwand bedeute. Es könne nicht sein, dass ein Bieter abwarte, wie die anderen Angebote sich gestalten würden, und dann entscheiden würde, ob sich der Aufwand betreffend das Beischaffen bzw. die Vorlage der Unterlagen auszahlen würde.

Im vorliegenden Fall komme dazu, dass die K-Blätter offenbar deswegen mit dem Angebot vorzulegen waren, damit eine Offenlegung der Kalkulation erfolge. Die Kalkulation des angebotenen Preises sei insbesondere im Zusammenhang mit nachträglichen Preisänderungen oder Mehrforderungen von Bedeutung.

Ein Bieter, der seine Kalkulationsblätter nicht mit dem Angebot vorlege, habe die Möglichkeit, nachträgliche Entwicklungen bis zur Nachreichung der Kalkulationsblätter zu berücksichtigen. Dies stelle einen Wettbewerbsvorteil dar. Hingewiesen werde darauf, dass dieser Zeitraum im vorliegenden Fall 14 Tage betragen habe.

Auf Frage aus dem Senat erläutert der (informierte Vertreter der) AST die Vorgangsweise der Kalkulation wie folgt:

Ich kalkuliere seit etwa 25 Jahren Angebote. Am Anfang war es so, dass die Angebote händisch kalkuliert wurden. Die K-Blätter sind damals am Ende erstellt worden und waren eine sehr zeitaufwendige Angelegenheit.

Mittlerweile wird mit einer EDV-Applikation kalkuliert. Die Erstellung der K3- und K4 Blätter stellt dabei einen Zwischenschritt dar, bevor man über die K7-Blätter in die Detailkalkulation einsteigt. Am Ende des Vorganges werden die Preise erstellt.

Die Applikation bietet auch die Möglichkeit, lediglich Preise einzusetzen, ohne vorher die Schritte der Kalkulation im beschriebenen Sinn zu durchlaufen.

Wenn die K3 und K4 Blätter nicht ausgedruckt und mit dem Angebot abgegeben werden, dann ist es möglich, nachträglich die Kalkulation der K3 und K4 Blätter zu ändern oder diese nachträglich so vorzunehmen, dass sie mit dem ausgepreisten Leistungsverzeichnis übereinstimmen.

Ein dokumentierter Nachweis des Zeitpunkts der Kalkulation ist nur dann möglich, wenn diese ausgedruckt wurde, zumal als Zeitpunkt der Zeitpunkt des Ausdruckes aufscheint. Das Erstelldatum kann händisch eingegeben werden und bis zum Ausdruck kann die Kalkulation geändert werden, ohne dass dies aufscheint.

Auf ergänzende Frage aus dem Senat erläutert der AST, dass das Programm den Zeitpunkt der jeweiligen Bearbeitung und den Zeitpunkt der jeweiligen Änderungen nicht speichere. Wenn also beispielsweise heute ein Angebot kalkuliert und einen Monat später ausgedruckt werde, würden außer dem Datum des Ausdruckes keine Zeitpunkte der vorangegangenen Bearbeitung aufscheinen.

Der AGV entgegnet, dass die vom ASTV zitierte Rechtsprechung des VWGH gegenständlich nicht einschlägig sei, da es dort um Eignungsnachweise gehe. Für diese bestehe im § 79 BVergG eine ausdrückliche Regelung, wann sie vorliegen müssten. Für sonstige Angebotsbestandteile gebe es eine solche ausdrückliche gesetzliche Regelung nicht.

Wolle man der Argumentation der AST folgen, so würde es keine behebbaren Angebotsmängel mehr geben, da jede Nachreichung mit einem zeitlichen Vorteil für den betreffenden Bieter verbunden sei.

Wenn in den Raum gestellt würde, dass die Kalkulation der TNB erst nachträglich erfolgt sei, so sei dies unrichtig. Die TNB habe ein verbindliches Angebot mit einem unverdächtigen Preis abgegeben. Auch die AST habe die Höhe des Preises des Angebots der TNB nicht in Zweifel gezogen.

Die TNB habe ihr Angebot auf einen elektronischen Datenträger abgegeben. Es hätte keinen Sinn gehabt, wenn sie bei der Angebotskalkulation nicht so vorgegangen wäre, wie von der AST oben ausgeführt. Es hätte einen unglaublichen und sinnlosen Aufwand bedeutet, wenn diese Kalkulation zunächst mit beliebigen Zahlen durchgeführt worden wäre und erst nachträglich die Kalkulationsblätter so erstellt worden wären, dass sie zu diesen Zahlen passen.

Zu den Andeutungen, dass insbesondere eine Manipulation hinsichtlich der Personalkosten erfolgt sein könne, sei festzuhalten, dass diese Kalkulation anhand des jeweils anzuwendenden Kollektivvertrages zu erfolgen habe. Dies sei auch gegenständlich so erfolgt. Es sei daher zwar eine theoretische Manipulationsmöglichkeit gegeben, in der Praxis sei dies jedoch sehr unwahrscheinlich.

Im Übrigen seien keinerlei Informationen hervorgekommen, die im Zeitraum zwischen Angebotsabgabe und Vorlage der K-Blätter für die TNB eine Änderung oder Manipulation von Daten in den K-Blättern nahegelegt hätte. Dies hätte z.B. eine massive Preissteigerung bei Materialien sein können, die Mehrkostenforderungen bedeutet hätte.

(…)

Der ASTV entgegnet, dass völlig klar sei, dass ein Leistungsverzeichnis auch ohne Verwendung von K-Blättern erstellt werde könne bzw. auch eine umgekehrte Kalkulation ausgehend vom Endpreis möglich bzw. üblich sei. Dies sei insbesondere bei Subunternehmen der Fall. Diese würden die Preise laut Leistungsverzeichnis als Vorgabe bekommen und kalkulieren, ob sich die Preise für sie ausgehen.

Zum Vorbringen der AG betreffend den behebbaren Mangel sei darauf hinzuweisen, dass es darauf ankomme ob Unterlagen, die mit dem Angebot vorzulegen seien, zum relevanten Zeitpunkt bereits vorhanden seien und nur nachgereicht würden, oder zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht erstellt seien.

Die vom AGV angesprochenen relevanten Informationen zwischen Ende der Angebotsfrist und Nachreichung der fehlenden Unterlagen bestünde in der Kenntnis der Angebotsreihung bzw. der Stelle, an der das Angebot des jeweiligen Bieters gereiht sei. Es könne nicht sein, dass der Bieter in Kenntnis seiner Chancen für den Zuschlag entscheiden könne, ob ein Aufwand für die Beschaffung bzw. Vorlage von Unterlagen auf sich nehme oder nicht.

Der AGV bringt abschließend vor, dass das Argument „Angebotsreihung“ nicht schlagend sei, da man mit den Kalkulationsblättern anstelle könne, was man wolle, die Bieterreihung würde sich nicht ändern. Diese hänge nämlich vom Gesamtpreis ab.

Was die Kalkulation von Subunternehmen betreffe, sei darauf hinzuweisen, dass im Fall der Beiziehung von Subunternehmen der Bieter sein Angebot bereits ordnungsgemäß kalkuliert habe und dann Subunternehmen suche, die einzelne Leistungen übernehmen würden. Dieser Vorgang sei daher mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. (…)“

Aufgrund der Schriftsätze, die jeweils den anderen Parteien zur Kenntnis gebracht wurden, des von der Auftraggeberin vorgelegten Vergabeaktes und des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung steht, über die bereits oben dargestellten Tatsachen hinaus, folgender Sachverhalt als erwiesen fest:

Die Auftraggeberin führt ein Vergabeverfahren unter der Bezeichnung „B.“ (Zl. …). Es handelt sich dabei um ein nicht offenes Verfahren ohne vorheriger Bekanntmachung zur Vergabe eines Bauauftrags im Unterschwellenbereich. Ausschreibungs- gegenständlich ist die Errichtung von C..

Das Ende der Angebotsfrist im gegenständlichen Vergabeverfahren war am 11.7.2022, 10 Uhr. Die Antragstellerin und die Teilnahmeberechtigte haben jeweils ein Angebot abgegeben.

Nach der bestandsfest gewordenen Ausschreibung (Beilage 13.09 - Informationen zur Abgabe eines elektronischen Angebotes) waren dem Angebot im vorliegenden Vergabeverfahren u.a. die Kalkulationsformblätter gemäß ÖNORM B 2061, K3 und K4, anzuschließen. Die Teilnahmeberechtigte, deren Angebot laut Angebotsöffnungsprotokoll vom 11.7.2022 an erster Stelle gereiht wurde, hat ihrem Angebot diese Kalkulationsblätter nicht angeschlossen, was aus dem Angebotsöffnungsprotokoll hervorgeht und unbestritten blieb. Die Teilnahmeberechtigte legte ein vollständig ausgefülltes Leistungsverzeichnis vor, aus dem der Gesamtpreis für die angebotenen Leistungen ersichtlich war.

Die Auftraggeberin forderte die Teilnahmeberechtigte am 21.7.2022 auf, u.a. das Kalkulationsformblatt 3 Mittellohnpreis und das Kalkulationsformblatt 4 bis 26.07.2022 nachzureichen. Diese Nachreichung erfolgte fristgerecht. In der Folge wurde weiters die Vorlage des K 7-Blattes hinsichtlich bestimmter Positionen gefordert. Auch diese Vorlage erfolgte fristgerecht.

Die nachgereichten K3- Blätter und K4-Blätter weisen auf Seite 1 rechts oben ein Feld auf, in dem vermerkt ist: „Erstellt am: 25.7.2022“ (das ist das Datum der Nachreichung).

Die Auftraggeberin führte hinsichtlich des Angebotes der Teilnahmeberechtigten in der Folge eine vertiefte Angebotsprüfung durch, da die Preisdifferenz zwischen erst- und zweigereihtem Angebot 9,7% betrug. Die Überprüfung des K3-Blattes und des K4-Blattes ergab, dass diese unproblematisch waren. Die Überprüfung diverser Positionen anhand des K7-Blattes ergab, dass die angebotenen Preise nach Ansicht der Auftraggeberin plausibel waren.

In der WD 314 (Allgemeine Vertragsbestimmungen für Bauleistungen), Punkt 3.4.2, wird hinsichtlich der Anpassung des Entgelts bei Leistungsabweichungen Folgendes festgehalten:

„Die Ermittlung der neuen Preise hat auf Preisbasis des Vertrages und - soweit möglich - unter sachgerechter Herleitung von Preiskomponenten (Preisgrundlagen des Angebotes) sowie Mengen- und Leistungsansätzen vergleichbarer Positionen des Vertrages zu erfolgen.“

Im gegenständlichen Vergabeverfahren war ein Festpreis anzubieten.

In rechtlicher Hinsicht ist Folgendes festzuhalten:

Gemäß § 8 Abs. 1 und 2 WVRG 2020 entscheidet das Verwaltungsgericht Wien nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Hauptstückes über Anträge zur Durchführung von Nichtigerklärungsverfahren (2. Abschnitt), zur Erlassung einstweiliger Verfügungen (3. Abschnitt) und zur Durchführung von Feststellungsverfahren (4. Abschnitt). Derartige Anträge sind unmittelbar beim Verwaltungsgericht Wien einzubringen.

(2) Bis zur Zuschlagserteilung bzw. bis zur Widerrufserklärung eines Vergabeverfahrens ist das Verwaltungsgericht Wien zum Zwecke der Beseitigung von Verstößen gegen das BVergG 2018, das BVergGKonz 2018, das BVergGVS 2012 oder die hierzu ergangenen Verordnungen oder wegen eines Verstoßes gegen unmittelbar anwendbares Unionsrecht zuständig

1. zur Erlassung einstweiliger Verfügungen sowie

2. zur Nichtigerklärung gesondert anfechtbarer Entscheidungen der Auftraggeberin oder des Auftraggebers im Rahmen der von der Antragstellerin oder vom Antragsteller geltend gemachten Beschwerdepunkte.

Gemäß § 18 Abs. 1 WVRG 2020 kann eine Unternehmerin oder ein Unternehmer bis zur Zuschlagserteilung bzw. bis zur Widerrufserklärung die Nichtigerklärung einer gesondert anfechtbaren Entscheidung der Auftraggeberin oder des Auftraggebers im Vergabeverfahren wegen Rechtswidrigkeit beantragen, sofern

1. sie oder er ein Interesse am Abschluss eines Vertrages behauptet, dessen Nachprüfung gemäß § 1 dieses Landesgesetzes in den Vollziehungsbereich des Landes Wien fällt, und

2. ihr oder ihm durch die behauptete Rechtswidrigkeit ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht.

Gemäß § 20 Abs. 1 BVergG 2018 sind Vergabeverfahren nach einem in diesem Bundesgesetz vorgesehenen Verfahren, unter Beachtung der unionsrechtlichen Grundsätze wie insbesondere der Gleichbehandlung aller Bewerber und Bieter, der Nichtdiskriminierung, der Verhältnismäßigkeit, der Transparenz sowie des freien und lauteren Wettbewerbes und unter Wahrung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit durchzuführen. Die Vergabe hat an befugte, leistungsfähige und zuverlässige (geeignete) Unternehmer zu angemessenen Preisen zu erfolgen.

Gemäß § 138 Abs. 1 BVergG 2018 ist vom Bieter eine verbindliche Aufklärung zu verlangen, wenn sich bei der Prüfung der Angebote Unklarheiten über das Angebot oder über die geplante Art der Durchführung der Leistung ergeben oder Mängel festgestellt werden, sofern die Unklarheiten für die Beurteilung der Angebote von Bedeutung sind. Die vom Bieter übermittelten Auskünfte bzw. die vom Bieter allenfalls vorgelegten Nachweise sind der Dokumentation über die Prüfung der Angebote beizuschließen.

Gemäß § 141 Abs. 1 BVergG 2018 hat der öffentliche Auftraggeber vor der Wahl des Angebotes für die Zuschlagsentscheidung aufgrund des Ergebnisses der Prüfung u.a. folgende Angebote auszuscheiden: (…)

7. (…) sowie fehlerhafte oder unvollständige Angebote, wenn deren Mängel nicht behoben wurden oder nicht behebbar sind;

Von den Angeboten, die nach dem Ausscheiden übrigbleiben, ist der Zuschlag nach § 142 Abs. 1 BVergG 2018 gemäß den Angaben in der Ausschreibung dem technisch und wirtschaftlich günstigsten Angebot oder dem Angebot mit dem niedrigsten Preis zu erteilen.

Gemäß § 15 Abs. 1 und 2 WVRG 2020 hat die oder der vor dem Verwaltungsgericht Wien, wenn auch nur teilweise, obsiegende Antragstellerin oder Antragsteller Anspruch auf Ersatz ihrer oder seiner gemäß § 14 entrichteten Gebühren durch die Auftraggeberin oder den Auftraggeber. Die Antragstellerin oder der Antragsteller hat ferner Anspruch auf Ersatz ihrer oder seiner gemäß § 14 entrichteten Gebühren durch die Auftraggeberin oder den Auftraggeber, wenn sie oder er während des anhängigen Verfahrens klaglos gestellt wird.

(2) Ein Anspruch auf Ersatz der Gebühren für einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung besteht nur dann, wenn

1. dem Nichtigerklärungsantrag (Hauptantrag) stattgegeben wird oder wenn die Antragstellerin oder der Antragsteller während des anhängigen Verfahrens klaglos gestellt wird und

2. dem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung stattgegeben wurde bzw. im Falle der Klaglosstellung stattzugeben gewesen wäre oder der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nur wegen einer Interessenabwägung abgewiesen wurde oder im Falle der Klaglosstellung abzuweisen gewesen wäre.

Im vorliegenden Fall wurde Folgendes erwogen:

In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien wurde festgehalten, dass das Fehlen des Formblattes SR 75 nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs nur einen behebbaren Mangel darstellt, da dieses keine vom Bieter veränderbaren Bestandteile enthält (VwGH 29.6.2005, 2005/04/0024). Da diese Unterlage von der Teilnahmeberechtigten, wie sich aus dem Vergabeakt ergibt, rechtzeitig nachgereicht wurde, stellt deren Fehlen keinen Grund für die Rechtswidrigkeit der Zuschlagsentscheidung dar. In der Folge wird daher nur auf das Fehlen der Kalkulationsblätter K3 und K4 eingegangen.

Im vorliegenden Vergabeverfahren waren mit dem Angebot u.a. das K3-Blatt und das K4-Blatt vorzulegen. Dies ist bestandsfest in der Ausschreibung festgelegt. Dem Angebot der Teilnahmeberechtigten waren diese Unterlagen nicht angeschlossen. Es war daher unvollständig bzw. mangelhaft. Die Unterlagen wurden über Aufforderung der Auftraggeberin fristgerecht nachgereicht.

Fraglich ist, ob das Fehlen dieser Kalkulationsblätter bei der Angebotsabgabe einen behebbaren oder einen unbehebbaren Mangel darstellt. Kommt man zu dem Ergebnis, dass es sich um einen behebbaren Mangel handelt, wie dies von der Auftraggeberin argumentiert wird, folgt, dass die Nachreichung der Kalkulationsblätter eine zulässige Mängelbehebung darstellt. Der Zuschlag auf das Angebot wäre daher, soweit sonst keine Ausscheidensgründe vorliegen, zu Recht erfolgt. Stellt die Nichtvorlage der Kalkulationsblätter allerdings, wie von der Antragstellerin vorgebracht, einen unbehebbaren Mangel dar, wäre das Angebot der Teilnahmeberechtigten auszuscheiden gewesen und die angefochtene Zuschlagsentscheidung wäre nichtig zu erklären.

Zur Argumentation der Auftraggeberin, aus Pkt. 6.3 der allgemeinen Teilnahmebestimmungen (WD 307) würde sich ergeben, dass Kalkulationsblätter jedenfalls auch noch nach Angebotsabgabe nachgereicht werden dürften, weshalb Kalkulationsblätter, die im Angebot gefehlt haben, keinen unbehebbaren Angebotsmangel begründen könnten, ist auf den Wortlaut dieser Festlegung zu verweisen. Eine Nachforderung ist dort nur für den Fall vorgesehen, dass deren Vorlage nicht bereits in der Ausschreibung bedungen war.

Eine Aussage dahingehend, dass das Fehlen von Kalkulationsblättern bei der Angebotsabgabe, obwohl in der Ausschreibung bestandsfest festgelegt ist, dass diese bereits dem Angebot anzuschließen sind, generell einen behebbaren oder einen unbehebbaren Mangel darstellt, ist insofern nicht möglich, als nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs beim Vorliegen von Mängeln für den Einzelfall zu prüfen ist, ob die Wettbewerbsstellung des Bieters, dessen Angebot die Unterlagen nicht angeschlossen waren, gegenüber seinen Mitbietern durch die Behebung des Mangels (nachträglich) materiell verbessert werden könnte und damit der Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt würde.

Die Vorlage der Kalkulationsblätter K3 und K4 mit dem Angebot laut bestandsfester Ausschreibung sollte offenbar dazu dienen, dass die Plausibilität des vom jeweiligen Bieter angebotenen Preises bereits unmittelbar nach Angebotsabgabe für die Auftraggeberin nachvollziehbar gemacht wird. Sie hat aber auch den Vorteil, dass damit nachweisbar ist, dass diese Kalkulationsblätter vor der Angebotsabgabe erstellt wurden und eine nachträgliche Manipulation ausgeschlossen wird.

Es ist der Auftraggeberin darin zuzustimmen, dass durch die Abgabe des vollständig ausgefüllten Leistungsverzeichnisses der Gesamtpreis für die angebotenen Leistungen feststeht. Aus dem Leistungsverzeichnis sind jedoch nicht die Kalkulationsgrundlagen ersichtlich, die diesem Preis zu Grunde liegen. Diese ergeben sich erst aus den Kalkulationsblättern. Für das K3-Blatt ist dazu festzuhalten, dass auch für den Fall, dass ein bestimmter Kollektivvertrag anzuwenden ist, bei der Kalkulation der Personalkosten eine gewisse Wahlmöglichkeit betreffend die Anzahl und die Qualifikation der verwendeten Arbeitskräfte und Partiezusammensetzung, der kalkulierten Arbeitsstunden bzw. von Tag- und Nachtarbeiten besteht.

Aus den nachvollziehbaren Ausführungen des informierten Vertreters der Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien ergibt sich, dass in seinem Unternehmen aktuell die Kalkulation unter Verwendung einer EDV-Applikation erfolgt und händische Berechnungen damit obsolet geworden sind. Die K-Blätter stellen dabei einen Zwischenschritt dar, der im Zuge der Berechnung des Gesamtpreises notwendigerweise erfolgt. Wenn der Gesamtpreis kalkuliert wird, stehen dem Bieter daher automatisch auch die dieser Kalkulation zu Grunde liegenden K-Blätter zur Verfügung. Aus der Aussage des informierten Vertreters der Antragstellerin geht aber auch hervor, dass eine nachträgliche Änderung der K-Blätter möglich ist, ohne dass eine völlige Neukalkulation vorgenommen werden muss. Ein Nachweis dafür, wann allfällige Änderungen vorgenommen wurden, besteht vor allem im Ausdruck der Kalkulationsblätter zu diesem Zeitpunkt. So ist klar, dass Kalkulationsblätter, die dem Angebot beigelegt sind, vor Angebotsabgabe angefertigt wurden.

Diese Angaben blieben von der Auftraggeberin unwidersprochen.

Es trifft weiters zu, dass die Bieterreihung im vorliegenden Vergabeverfahren anhand des Gesamtpreises erfolgt und daher aufgrund der mit den Angeboten bekannt gegebenen Gesamtpreisen feststeht, unabhängig davon, ob die K-Blätter mit dem Angebot vorgelegt wurden, oder nicht. Sollte allerdings eine vertiefte Angebotsprüfung erfolgen, so wäre die Beurteilung der Plausibilität des angebotenen Preises anhand der K-Blätter vorzunehmen. Für die Frage, ob der angebotene Preis betriebswirtschaftlich nachvollziehbar ist, sind die K-Blätter somit durchaus von Bedeutung.

Eine solche vertiefte Angebotsprüfung wurde im vorliegenden Vergabeverfahren von der Auftraggeberin durchgeführt und es wurden u.a. das nachgereichte K3- Blatt und das nachgereichte K4-Blatt dazu herangezogen. Wenn die Auftraggeberin vorbringt, dass die Prüfung freiwillig erfolgt sei, da die von der Teilnahmeberechtigten angebotenen Preise unverdächtig gewesen seien, so ist dem entgegen zu halten, dass die Auftraggeberin offenbar einen Anlass für diese Prüfung gesehen hat, ansonsten sie nicht erfolgt wäre.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die von der Teilnahmeberechtigten nachgereichten K3- und K4-Blätter den Vermerk „Erstellt am: 25.7.2022“ aufweisen. Dieses Datum liegt 14 Tage nach dem Ende der Angebotsfrist. Es stellt sich daher die Frage, ob diese Kalkulationsblätter am 25.7.2022 unverändert zur Kalkulation des mit dem Angebot abgegebenen Gesamtpreises nur neu ausgedruckt wurden oder ob sie an diesem Datum erst angefertigt wurden.

Es ist der Antragstellerin darin zuzustimmen, dass eine potentielle Neuerstellung des K3- und des K4-Blattes 14 Tage nach der Angebotsabgabe im Hinblick auf mögliche zwischenzeitliche Änderungen kalkulationsrelevanter Daten (z.B. Materialkosten, Materialverfügbarkeit, etc.) und die Kenntnis der in den anderen Angeboten enthaltenen Preise Manipulationsmöglichkeiten betreffend den Nachweis der Plausibilität des angebotenen Preises eröffnet.

Relevant kann der Zeitpunkt der Anfertigung der Kalkulationsblätter im Hinblick auf allenfalls zur Verfügung stehende zusätzliche Informationen auch im Falle von Leistungsänderungen bzw. Nachforderungen sein.

Wie die Teilnahmeberechtigte ihr Angebot im vorliegenden Vergabeverfahren kalkuliert hat und ob insbesondere die von ihr nachgereichten und von der Auftraggeberin im Zuge der vertieften Angebotsprüfung herangezogenen Kalkulationsblätter bereits vor der Angebotsabgabe angefertigt wurden bzw. aus welchem Grund auf diesen für ihre „Erstellung“ ein Datum angegeben ist, das nach der Angebotsöffnung liegt, konnte nicht abschließend geklärt werden, da sich die Teilnahmeberechtigte nicht am Nachprüfungsverfahren beteiligt hat.

Aus den dargelegten Erwägungen kann nicht ausgeschlossen werden, dass im vorliegenden Vergabeverfahren die Wettbewerbsstellung der Teilnahme- berechtigten gegenüber den anderen Bietern durch die Nachreichung der o.a. Kalkulationsblätter materiell verbessert und damit der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Bieter verletzt wurden.

Dem Nachprüfungsantrag war daher Folge zu geben und die angefochtene Zuschlagsentscheidung nichtig zu erklären.

Abschließend ist festzuhalten, dass sich selbst für den Fall, dass die Nachreichung von Kalkulationsblättern trotz Festlegung in der Ausschreibung, wonach diese dem Angebot anzuschließen seien, in der Praxis üblich wäre, daraus keine Folgen für die Rechtmäßigkeit einer solchen Vorgangsweise ergeben.

Da die Antragstellerin mit ihrem Nachprüfungsantrag obsiegt hat, hat ihr die Auftraggeberin gemäß § 15 WVRG 2020 die von ihr entrichteten Pauschalgebühren in der Höhe von 540,-- Euro für die Einstweilige Verfügung und 1.080,-- Euro für den Nachprüfungsantrag (Bauauftrag im Unterschwellenbereich, nicht offenes Verfahren ohne vorherige Bekanntmachung), insgesamt 1.620,-- Euro, binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Vergabeverfahren; Antrag auf Nichtigerklärung; Nachreichung von Kalkulationsblätter; Mängelbehebung; vertiefte Angebotsprüfung; Manipulationsmöglichkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2022:VGW.123.072.10039.2022

Zuletzt aktualisiert am

09.02.2023
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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