TE Vwgh Beschluss 2022/12/15 Ra 2020/08/0116

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Veröffentlicht am 15.12.2022
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision der B S in K, vertreten durch Mag. Richard Salzburger, Rechtsanwalt in 6330 Kufstein, Georg-Pirmoser-Straße 13, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Juni 2020, I413 2230996-1/2E, betreffend Mitversicherung als Angehörige nach § 123 ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Gesundheitskasse Landesstelle Tirol; weitere Partei: Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit dem angefochtenen, in Bestätigung eines entsprechenden Bescheides der Österreichischen Gesundheitskasse vom 24. März 2020 ergangenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht den Antrag der Revisionswerberin vom 19. November 2019 auf Feststellung der Mitversicherung als Angehörige ihrer Mutter gemäß § 123 ASVG ab. Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

2        Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, die Revisionswerberin habe zunächst in Ungarn gelebt und wohne seit 11. Jänner 2018 in Österreich bei ihrer hier beschäftigten Mutter, die auch ihre Erwachsenenvertreterin sei. Die Revisionswerberin sei bis zum 31. August 2018 in Ungarn krankenversichert gewesen bzw. habe Anspruch auf Sachleistungen bei Krankheit gehabt. Ihre Mutter habe sie jedoch von der ungarischen Krankenversicherung mit Wirksamkeit ab 31. August 2018 abgemeldet. Die Revisionswerberin habe von 1. November 2007 bis zum 30. September 2018 eine Invalidenrente erhalten; mit einer am 6. September 2018 bei der zuständigen Direktion der Pensionsversicherung in Ungarn eingebrachten Eingabe habe sie (vertreten durch ihre Mutter) die Einstellung der Überweisung der Invalidenrente beantragt, was die Abteilung für Familienleistungen einer Regierungsstelle in Budapest mit Gültigkeit ab 30. September 2018 dann auch ausgesprochen habe.

3        Bereits am 14. September 2018 habe die Revisionswerberin (vertreten durch ihre Mutter) einen ersten Antrag auf Prüfung der Anspruchsberechtigung für Angehörige gemäß § 123 ASVG gestellt, den die Tiroler Gebietskrankenkasse „abgelehnt“ habe, weil die Revisionswerberin in Ungarn krankenversichert sei.

4        Am 19. November 2019 habe die Revisionswerberin einen weiteren solchen (den nunmehr maßgeblichen) Antrag gestellt. Mit Schreiben der Tiroler Gebietskrankenkasse vom 21. November 2019, das nicht als Bescheid bezeichnet gewesen sei, sei die Mutter der Revisionswerberin darüber informiert worden, dass sie für die Revisionswerberin als ihre „mitversicherte Angehörige Leistungen aus der Krankenversicherung beanspruchen kann, solange sie selbst gesetzlich krankenversichert ist und ihre Angehörige den gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und nicht selbst gesetzlich krankenversichert ist.“ Dieses Schreiben sei als schlichte Mitteilung und nicht als Bescheid zu qualifizieren, da aufgrund des fehlenden Spruchs nicht normativ über den Antrag vom 19. November 2019 abgesprochen worden sei.

5        Die Österreichische Gesundheitskasse habe somit (erst) mit dem vor dem Bundesverwaltungsgericht bekämpften Bescheid vom 24. März 2020 über den Antrag der Revisionswerberin vom 19. November 2019 entschieden und diesen zu Recht abgewiesen:

6        Die Revisionswerberin habe nach ihrem Umzug aus Ungarn nach Österreich durch Vorlage eines entsprechenden, vom ungarischen Träger ausgestellten Dokuments selbst bescheinigt, dass sie Anspruch auf Leistungen der ungarischen Krankenversicherung gehabt hätte. Gemäß Art. 17 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 habe sie als eine Versicherte, die in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat wohnt, im Wohnmitgliedstaat Sachleistungen zu erhalten gehabt, die vom Träger des Wohnortes nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften für Rechnung des zuständigen Trägers erbracht würden. Dementsprechend sei sie von der Österreichischen Gesundheitskasse bis zum 30. September 2019 „betreut“ worden. Durch die von ihr selbst beantragte Einstellung der Invaliditätsrente und Abmeldung von der ungarischen Krankenversicherung habe sich die Revisionswerberin „von der Krankenversicherungspflicht freigestellt“. Im Falle einer Mitversicherung der Revisionswerberin nach § 123 ASVG müsste der österreichische Versicherungsträger die Kosten hinsichtlich der zu gewährenden Sach- oder Geldleistungen nunmehr selbst tragen und könnte die Leistungen nicht mehr im Sinne des Art. 17 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 auf Rechnung des ungarischen Trägers erbringen. Gemäß Art. 32 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 könne in einem solchen Fall der österreichische Träger gerade nicht zur Übernahme der Kosten, die mit einer Mitversicherung der Revisionswerberin einhergehen würden, verpflichtet werden.

7        Ein Anspruch der Revisionswerberin auf Mitversicherung bestehe auch aufgrund Art. 32 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 nicht zu Recht. Nach dieser Bestimmung gehe ein eigenständiger Sachleistungsanspruch auf Grund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats oder unmittelbar aufgrund der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 einem abgeleiteten Anspruch auf Leistungen für Familienangehörige vor. Für die Revisionswerberin bedeute das, dass ihr nach wie vor bestehender Anspruch auf Leistungen der ungarischen Krankenversicherung, die ihr gemäß Art. 17 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 nach Maßgabe der österreichischen Rechtsvorschriften, aber auf Rechnung des ungarischen Trägers zu gewähren wären, dem von der Mutter abgeleiteten Anspruch vorgehe.

8        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

10       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11       In der gesonderten Zulassungsbegründung ist konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht bzw. konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat. Lediglich pauschale Behauptungen erfüllen diese Voraussetzungen nicht (vgl. etwa VwGH 4.10.2022, Ra 2022/08/0130, mwN).

12       Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit einerseits vor, der Rechtsfrage, ob das Schreiben der Tiroler Gebietskrankenkasse vom 21. November 2019 als Bescheid zu werten sei, komme über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu; tatsächlich sei dieses Schreiben unmissverständlich als „Antragsgenehmigung“ zu verstehen.

13       Dem ist - ungeachtet der mangelnden Darlegung in der Revision, von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Bundesverwaltungsgericht mit seinen Erwägungen zur Frage der Bescheidqualität des genannten Schreibens abgewichen sei - zu entgegnen, dass es nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bei der Beurteilung, ob eine behördliche Enunziation einen Bescheid darstellt, zunächst auf die objektiven Merkmale eines Bescheides ankommt. Das Fehlen der ausdrücklichen Bezeichnung einer behördlichen Erledigung als Bescheid allein schließt noch nicht das Vorliegen eines rechtsverbindlichen Abspruches mit Bescheidcharakter aus. An eine nicht als Bescheid bezeichnete behördliche Erledigung muss aber hinsichtlich ihrer Wertung als Bescheid nach ihrem Inhalt ein strenger Maßstab angelegt werden. Die Annahme des Bescheidcharakters einer solchen Erledigung erfordert, dass nach ihrem Inhalt der normative Charakter und die Absicht der Behörde, in der Sache verbindlich abzusprechen, eindeutig und für jedermann erkennbar sind. Bringt die sprachliche Gestaltung einen normativen Inhalt nicht zweifelsfrei zum Ausdruck, liegt kein Bescheid vor. Die Wiedergabe einer Rechtsansicht, von Tatsachen, der Hinweis auf Vorgänge des Verfahrens, Rechtsbelehrungen udgl. können nicht als verbindliche Erledigung, also nicht als Spruch im Sinne des § 58 Abs. 1 AVG gewertet werden (vgl. etwa VwGH 14.1.2013, 2012/08/0299, mwN).

14       Vor diesem Hintergrund ist die Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichts, das nicht als Bescheid bezeichnete Schreiben sei auch seinem Inhalt nach - nämlich mangels normativen Abspruches über den Feststellungsantrag der Revisionswerberin - nicht als Bescheid zu werten, sondern als schlichte Mitteilung an die Mutter der Revisionswerberin über allgemeine Voraussetzungen einer Mitversicherung gemäß § 123 ASVG, im Einklang mit der höchstgerichtlichen Rechtsprechung.

15       Darüber hinaus bringt die Revision vor, es fehle an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur „Rechtsfrage, ob Familienangehörige von EU-Bürgern, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, gemäß VO (EG) Nr. 987/2009 einen Anspruch auf Mitversicherung haben“.

16       Mit dieser pauschalen Umschreibung wirft die Revision keine konkrete Rechtsfrage auf, von der die Entscheidung über die Revision abhängt, nicht zuletzt deshalb, weil das Bundesverwaltungsgericht die Verneinung einer Mitversicherung der Revisionswerberin mit ihrer Mutter nicht bloß auf Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 987/2009, sondern - tragend - auch auf Art. 17 und 32 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 gestützt hat (dazu, dass eine Revision nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, wenn das angefochtene Erkenntnis auf einer tragfähigen Alternativbegründung beruht, vgl. etwa VwGH 27.06.2019, Ra 2019/15/0023, mwN).

17       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem die Österreichische Gesundheitskasse eine Revisionsbeantwortung erstattet hat, gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 15. Dezember 2022

Schlagworte

Bescheidcharakter Bescheidbegriff Inhaltliche Erfordernisse Einhaltung der Formvorschriften

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020080116.L00

Im RIS seit

30.01.2023

Zuletzt aktualisiert am

30.01.2023
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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