TE Vwgh Erkenntnis 2022/12/21 Ra 2020/21/0248

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Veröffentlicht am 21.12.2022
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §18 Abs2 Z1
FrPolG 2005 §52 Abs4 Z4
FrPolG 2005 §53 Abs1
FrPolG 2005 §53 Abs3
FrPolG 2005 §53 Abs3 Z1
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
  1. VwGG § 42 heute
  2. VwGG § 42 gültig ab 01.01.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  3. VwGG § 42 gültig von 01.07.2012 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  4. VwGG § 42 gültig von 01.07.2008 bis 30.06.2012 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  5. VwGG § 42 gültig von 01.01.1991 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 330/1990
  6. VwGG § 42 gültig von 05.01.1985 bis 31.12.1990
  1. VwGG § 42 heute
  2. VwGG § 42 gültig ab 01.01.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  3. VwGG § 42 gültig von 01.07.2012 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  4. VwGG § 42 gültig von 01.07.2008 bis 30.06.2012 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  5. VwGG § 42 gültig von 01.01.1991 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 330/1990
  6. VwGG § 42 gültig von 05.01.1985 bis 31.12.1990

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher und den Hofrat Dr. Pfiel, die Hofrätinnen Dr. Julcher und Dr. Wiesinger sowie den Hofrat Dr. Chvosta als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des I G I, vertreten durch Dr. Markus Bernhauser, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schmerlingplatz 3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17. Dezember 2019, I406 2199089-1/24E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 977,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der 1982 geborene Revisionswerber, ein nigerianischer Staatsangehöriger, hält sich seit Beginn des Jahres 2012 durchgehend in Österreich auf. Aufgrund der (im Februar 2014 wieder geschiedenen) Ehe mit einer nigerianischen Staatsangehörigen, die über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“ verfügte, wurde ihm ab Dezember 2011 wiederholt der Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“, zuletzt gültig bis 5. Mai 2016, erteilt. Diesbezüglich stellte er rechtzeitig einen Verlängerungsantrag.

2        Das gemäß § 25 NAG befasste Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) erließ im Hinblick auf eine mittlerweile erfolgte strafgerichtliche Verurteilung mit Bescheid vom 8. Mai 2018 gegen den Revisionswerber gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von vier Jahren befristetes Einreiseverbot. Außerdem stellte es gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Nigeria zulässig sei, und sprach aus, dass gemäß § 55 Abs. 4 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt werde.

3        Das die Beschwerde gegen diesen Bescheid abweisende Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 30. August 2018 hob der Verwaltungsgerichtshof mit dem Erkenntnis VwGH 20.12.2018, Ra 2018/21/0198, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf. Auf die Begründung dieses Erkenntnisses wird verwiesen.

4        Im fortgesetzten Verfahren führte das BVwG am 15. Mai 2019 eine mündliche Verhandlung durch und wies die Beschwerde dann mit Erkenntnis vom 17. Dezember 2019 neuerlich als unbegründet ab. Ferner sprach es gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5        In der Begründung stellte das BVwG unter anderem ein seit Juli 2017 bestehendes unbefristetes Arbeitsverhältnis des Revisionswerbers in einem Gastronomiebetrieb mit einem Bruttomonatslohn von etwa € 1.500,-- und seine daraus folgende Selbsterhaltungsfähigkeit, Deutschkenntnisse auf dem Niveau A 2, seine Mitgliedschaft in einer freien Kirchengemeinde und das Bestehen einer Wohnrechtsvereinbarung fest. Weiters stellte das BVwG die rechtskräftige Verurteilung des Revisionswerbers mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 6. März 2017 wegen des Verbrechens der Hehlerei nach § 164 Abs. 4 erster Satz zweiter Fall StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten und zu einer Geldstrafe in der Höhe von 180 Tagessätzen fest. Dem Schuldspruch habe zugrunde gelegen, dass der Revisionswerber und seine geschiedene Ehefrau im Zeitraum von August 2015 bis April 2016 einen wegen gewerbsmäßigen schweren Betruges abgesondert verfolgten Dritten mehrfach nach der Tat dabei gewerbsmäßig unterstützt hätten, durch Straftaten erlangte Sachen, wie Bekleidung oder Elektrogeräte, zu verheimlichen, indem sie Postsendungen mit den genannten Sachen als Inhalt - teilweise unter Vorlage von gefälschten Asylkarten - abgeholt bzw. entgegengenommen, sie in weiterer Folge gelagert und an sich gebracht hätten. Nach den Feststellungen des BVwG konnten dem Revisionswerber jedenfalls Waren in einem Gesamtwert von etwa € 3.300,-- zugeordnet werden.

6        Im Rahmen seiner Gefährdungsprognose verwies das BVwG auf die Gewerbsmäßigkeit, den langen Tatzeitraum und darauf, dass der Revisionswerber in der mündlichen Verhandlung weder Schuld- noch Tateinsicht habe erkennen lassen. Auch der Umstand, dass er mittlerweile einer geregelten Arbeit nachgehe, lasse keine positive Zukunftsprognose zu, weil das aktuelle Einkommen niedriger als jenes sei, das der Revisionswerber im Tatbegehungszeitraum insgesamt erzielt habe. Die seit der strafgerichtlichen Verurteilung verstrichene Zeit sei zu kurz, um auf einen positiven Gesinnungswandel schließen zu lassen. Daher widerstreite der weitere Aufenthalt des Revisionswerbers öffentlichen Interessen und er stelle iSd § 53 Abs. 3 FPG eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit dar. Davon ausgehend gelangte das BVwG dann bei der Interessenabwägung trotz der in der Rn. 5 eingangs wiedergegebenen, vom BVwG zu Gunsten des Revisionswerbers veranschlagten Umstände zu einem für den Revisionswerber nachteiligen Ergebnis.

7        Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene - nach Ablehnung der Behandlung der an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde (VfGH 5.3.2020, E 371/2020-8) und ihrer Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof (VfGH 14.5.2020, E 371/2020-10) - fristgerecht ausgeführte außerordentliche Revision hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

8        Die Revision ist entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG - wie sich aus den nachstehenden Ausführungen ergibt - unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig und auch berechtigt.

9        Das BVwG stützte die Rückehrentscheidung auf § 52 Abs. 4 Z 4 FPG iVm § 11 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 4 Z 1 NAG und das Einreiseverbot auf § 53 Abs. 3 Z 1 FPG. Es ging dabei davon aus, dass der Aufenthalt des Revisionswerbers iSd § 53 Abs. 3 FPG eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstelle. Der Tatbestand des § 53 Abs. 3 Z 1 FPG ist unter anderem dann erfüllt, wenn ein Drittstaatsangehöriger zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten rechtskräftig verurteilt worden ist, was zwar die Annahme einer solchen Gefährdung indiziert (vgl. etwa VwGH 18.1.2021, Ra 2020/21/0306, Rn. 17, mwN). Diese Grenze wurde durch die Dauer der gegen den Revisionswerber verhängten bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sieben Monaten jedoch nur knapp überschritten. Hinzu kommt, dass es sich nur um eine einzige Verurteilung handelte und der Revisionswerber bis dahin unbescholten war, worauf die Revision zu Recht hinweist.

10       Die vom BVwG demgegenüber in den Vordergrund gerückte gewerbsmäßige Begehung der Straftat und der lange Tatzeitraum werden - worauf der Verwaltungsgerichtshof bereits im vorangegangenen Erkenntnis vom 20. Dezember 2018 in Rn. 10 hingewiesen hatte - dadurch relativiert, dass sich die Hehlerei auf Sachen in einem € 5.000,-- nicht erreichenden Ausmaß beschränkte.

11       Ferner macht der Revisionswerber zu Recht geltend, dass seit der Beendigung der Tathandlungen im April 2016 bis zum Entscheidungszeitpunkt des BVwG im Dezember 2019 mehr als dreieinhalb Jahre und seit der diesbezüglichen Verurteilung im März 2017 mehr als zwei Jahre und neun Monate vergingen. Diesem Wohlverhalten hätte das BVwG - entgegen seiner diesbezüglichen Meinung - maßgebliche Bedeutung zubilligen müssen.

12       Soweit das BVwG überdies noch zu Lasten des Revisionswerbers auch von mangelnder Schuldeinsicht ausging, weil der Revisionswerber in der mündlichen Verhandlung die Beteiligung an den Straftaten bestritt und behauptete, aus seiner Sicht zu Unrecht verurteilt worden zu sein, ist nicht nachvollziehbar, weshalb daraus auf eine erhöhte Wiederholungsgefahr zu schließen sein soll. Die in diesem Zusammenhang noch vorgenommene Unterstellung, dass der Revisionswerber die strafbaren Handlungen „nicht als Unrecht ansieht“, hat jedoch keine Grundlage in dessen protokollierten Angaben.

13       Im Übrigen ist die Begründung auch insofern mangelhaft, als das BVwG im Rahmen der Interessenabwägung von einem nur sechsjährigen Aufenthalt des Revisionswerbers im Bundesgebiet ausging (siehe Erkenntnis, Seite 14), obwohl sich der Revisionswerber im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt bereits fast acht Jahre in Österreich befand, wobei dieser Aufenthalt überdies stets rechtmäßig war.

14       Insgesamt ist daher nicht auszuschließen, dass das BVwG bei Vermeidung der aufgezeigten Begründungsmängel zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können.

15       Außerdem ist die Entscheidung des BVwG in Bezug auf die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde nach § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG unzureichend:

16       Das BVwG berücksichtigte dabei nämlich nicht die zu dieser Bestimmung ergangene ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wonach es für die Begründung der Annahme, die sofortige Ausreise des Drittstaatsangehörigen sei im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, nicht genügt, auf eine - die Aufenthaltsbeendigung als solche rechtfertigende - Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Fremden zu verweisen, sondern dass darüber hinaus darzutun ist, warum die Aufenthaltsbeendigung sofort - ohne Aufschub und unabhängig vom Ergebnis des Beschwerdeverfahrens - zu erfolgen hat. Dafür ist es nicht ausreichend, jene Überlegungen ins Treffen zu führen, die schon bei der Entscheidung über die Verhängung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme selbst maßgeblich waren (siehe zuletzt etwa VwGH 10.11.2022, Ra 2022/21/0094, Rn. 15, mit dem Hinweis auf VwGH 27.8.2020, Ra 2020/21/0172, Rn. 14, mwN).

17       Das BVwG beschränkte sich im vorliegenden Fall aber überhaupt nur auf eine den Wortlaut des § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG wiederholende Begründung, wobei sich schon von vornherein fallbezogen die Frage stellt, weshalb es nach einem rechtmäßigen Aufenthalt des Revisionswerbers im Bundesgebiet von fast acht Jahren in Anbetracht einer Straftat, deren Begehung bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses bereits vor mehr als dreieinhalb Jahren beendet wurde, der sofortigen Effektuierung des Einreiseverbotes bedürfen soll.

18       Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

19       Die Kostenentscheidung, die der Höhe nach sowohl die Eingabegebühr von € 240,-- als auch den Schriftsatzaufwand im ziffernmäßig ausdrücklich mit € 737,60 verzeichneten Umfang umfasst (siehe zu Letzterem etwa VwGH 22.1.2021, Ra 2019/03/0081, Rn. 25, mwN), beruht dem Grunde nach auf den §§ 47ff VwGG.

Wien, am 21. Dezember 2022

Schlagworte

Begründung Begründungsmangel Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020210248.L00

Im RIS seit

30.01.2023

Zuletzt aktualisiert am

30.01.2023
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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