TE Lvwg Erkenntnis 2022/9/26 LVwG-652446/15/SB

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Veröffentlicht am 26.09.2022
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Entscheidungsdatum

26.09.2022

Norm

FSG §8
FSG §17a
FSG-GV §11
  1. FSG § 8 heute
  2. FSG § 8 gültig ab 01.08.2022 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 121/2022
  3. FSG § 8 gültig von 01.10.2015 bis 31.07.2022 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 74/2015
  4. FSG § 8 gültig von 02.08.2014 bis 30.09.2015 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 52/2014
  5. FSG § 8 gültig von 19.01.2013 bis 01.08.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 61/2011
  6. FSG § 8 gültig von 30.07.2011 bis 18.01.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 61/2011
  7. FSG § 8 gültig von 11.01.2008 bis 29.07.2011 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 31/2008
  8. FSG § 8 gültig von 01.10.2006 bis 10.01.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 152/2005
  9. FSG § 8 gültig von 01.10.2002 bis 30.09.2006 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 81/2002
  10. FSG § 8 gültig von 01.11.1997 bis 30.09.2002
  1. FSG § 17a heute
  2. FSG § 17a gültig ab 01.10.2015 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 74/2015
  3. FSG § 17a gültig von 19.01.2013 bis 30.09.2015 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 61/2011
  1. FSG-GV § 11 heute
  2. FSG-GV § 11 gültig ab 01.03.2018 zuletzt geändert durch BGBl. II Nr. 64/2018
  3. FSG-GV § 11 gültig von 01.10.2011 bis 28.02.2018 zuletzt geändert durch BGBl. II Nr. 280/2011
  4. FSG-GV § 11 gültig von 20.11.2002 bis 30.09.2011 zuletzt geändert durch BGBl. II Nr. 427/2002
  5. FSG-GV § 11 gültig von 01.11.1997 bis 19.11.2002

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich erkennt durch seine Richterin Mag. Buchinger über die Beschwerde des J R, vertreten durch A & A Anwaltskanzlei, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Steyr-Land vom 02.05.2022, GZ: BHSEBSS-2022-503105/2-GNE, betreffend Einschränkung der Lenkberechtigung nach dem Führerscheingesetz 1997 (FSG) nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung

zu Recht:

I.     Der Beschwerde wird stattgegeben. Die Befristung und die Auflage für die Lenkberechtigung der Gruppe 1 (Klasse AM, A1, A2, A, B, BE und F) entfällt zur Gänze. Die Lenkberechtigung der Gruppe 2 (Klasse C1 und CE) wird befristet bis 26.09.2027 erteilt.

II.    Gegen diese Entscheidung ist eine Revision zulässig.

Entscheidungsgründe

I.         Verfahrensgang:

I.1.      Mit Bescheid der Bezirkshautmannschaft Steyr-Land (im Folgenden: bB [belangte Behörde]) vom 02.05.2022, GZ: BHSEBSS-2022-503105/2-GNE, wurde dem Bf die Lenkberechtigung für die Gruppe 1 (Klasse AM, A1, A2, A, B, BE und F) eingeschränkt in der zeitlichen Gültigkeit durch Befristung bis 29.04.2027 sowie die Gruppe 2 (Klasse C1 und CE) bis 29.04.2025 erteilt. Zum Ablauf der Befristung habe der Bf sich einer amtsärztlichen Nachuntersuchung unter Vorlage einer fachärztlichen Stellungnahme Innere Medizin und Augenheilkunde zu unterziehen. Weiters wurden vorgeschrieben: Amtsärztliche Kontrolluntersuchung (Code 104) – jährlich Kontrollbefund Innere Medizin inklusive HbA1c bis spätestens 29.04.2023, 29.04.2024, 29.04.2025, 29.07.2026. Einer Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Begründend führte die Behörde aus, dass anlässlich der beantragten Verlängerung der Lenkberechtigung der Gruppe 2 (Befristung bis 04.04.2022) der Umstand der Einnahme von Medikamenten gegen Diabetes Typ 2 bekannt geworden sei. Gestützt auf das Gutachten der Amtsärztin sei auf Basis des § 11 Abs 2 und 3 FSG-GV die Lenkberechtigung der Gruppe 1 für die Dauer von 5 Jahren und die Lenkberechtigung der Gruppe 2 für die Dauer von 3 Jahren bei zwingend vorzuschreibenden jährlichen ärztlichen Untersuchungen zu befristen. Die Vorschreibung der augenfachärztlichen Stellungnahme sei aufgrund von möglichen Langzeitkomplikationen am Auge, insbesondere die diabetische Retinopathie, erforderlich. Das amtsärztliche Gutachten stützte sich dabei auf die fachärztliche Stellungnahme des Dr. S vom 31.03.2022. Nach Darstellung der rechtlichen Bestimmung sei aufgrund des Sachverhalts die Lenkberechtigung zu befristen sowie die im Spruch angeführten Auflagen vorzuschreiben gewesen.

I.2.      Gegen diesen Bescheid richtet sich die gegenständliche Beschwerde vom 25.05.2022, in der im Wesentlichen vorgebracht wird, aus der fachärztlichen Stellungnahme vom 31.03.2022 gehe kein Erfordernis einer Beschränkung der Lenkberechtigung hervor; der Bf habe eine sehr gut geeignete Therapie und schöne HbA1c-Werte. Eine Hypo-Gefahr bestehe nicht. Aus den Leitlinien für die gesundheitliche Eignung von Kraftfahrzeuglenkern gehe hervor, dass bei der Krankheit Diabetes Mellitus ohne Unterscheidung Typ 1 oder Typ 2 eine Lenkberechtigung grundsätzlich ohne Befristung zu erteilen sei, wenn keine Hypoglykämiegefahr besteht. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs sei eine Befristung nur dann rechtmäßig, wenn damit gerechnet werden muss, dass es im konkreten Fall zu einer die Eignung zum Lenken von KFZ ausschließenden oder einschränkenden Verschlechterung des Gesundheitszustands kommen wird. Eine automatische Befristung der Lenkberechtigung wegen Diabetes Mellitus habe der Gesetzgeber nicht vorgesehen. Der Bf werde weder mit Insulin noch mit „bestimmten Tabletten“ iSd der FSG-GV behandelt. Unter „bestimmte Tabletten“ verstehe die FSG-GV u.a. Sulfonylharnstoffe und Glinide, nicht jedoch das vom Bf verwendete Medikament Velmetia. Eine Befristung sei daher entgegen der Ansicht der bB von Gesetzes wegen nicht zwingend vorzuschreiben.

I.3.      Mit Schreiben vom 18.06.2022 legte die bB die Beschwerde unter An-schluss des Verwaltungsakts dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich vor.

I.4.      In Beantwortung konkreter Fragen erstattete die Amtsärztin mit Schreiben vom 22.07.2022 eine ergänzende Stellungnahme.

I.5.      Im Rahmen des Parteiengehörs erstattete der Bf dazu eine Stellungnahme vom 11.08.2022 unter Vorlage der Fachinformation zu Velmetia, des aktuellen Laborbefunds und einer fachärztlichen Stellungnahme betreffend eines anderen Diabetes-Patienten. Mit Schreiben vom 16.09.2022 wurde eine weitere Stellungnahme unter Vorlage ergänzender Fachinformationen und einer aktuellen fachärztlichen Stellungnahme vom 15.09.2022 übermittelt.

I.6.      Vom Landesverwaltungsgericht Oberösterreich wurde am 21.09.2022 eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, an welcher der Bf im Beisein seines rechtsfreundlichen Vertreters teilnahm. Im Rahmen dieser mündlichen Verhandlung erörterte die Amtsärztin Dr. A-B ihre gutachterlichen Stellungnahmen und erstattete ihr abschließendes Gutachten.

II.       Sachverhalt, Beweiswürdigung:

II.1.     Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den von der bB vorgelegten Verwaltungsakt, die Vorlage weiterer Stellungnahmen und Unterlagen, die Einholung eines amtsärztlichen Gutachtens sowie die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 21.09.2022.

II.2.     Es steht folgender entscheidungsrelevanter Sachverhalt fest:

II.2.1.   Der Bf war zum Zeitpunkt des Antrags auf Verlängerung seiner Lenkberechtigung am 22.03.2022 im Besitz einer unbefristeten Lenkberechtigung der Gruppe 1 (Klasse AM, A1, A2, A, B, BE und F) sowie einer bis 04.04.2022 befristeten Lenkberechtigung der Gruppe 2 (Klasse C1 und CE) (Behördenakt; Auszug aus dem ZFR).

II.2.2.   Beim Bf wurde Diabetes Mellitus Typ 2 diagnostiziert, welche seit rund vier Jahren mit dem Medikament Velmetia behandelt wird. Der Bf hat seit 2019 gleichbleibende und gute HbA1c-Werte. Er hat eine dreitätige Diabetes-Schulung absolviert. Zusätzlich nimmt er das Medikament Ezerosu (gegen Blutfette) ein. Eine Hypoglykämie ist beim Bf bis dato nicht aufgetreten (Laborbefunde; fachärztliche Stellungnahme vom 31.03.2022; Niederschrift, ON14 verwaltungsgerichtlicher Akt).

II.2.3    Beim Medikament Velmetia handelt es sich um ein Kombinationspräparat aus Metformin und Sitagliptin. Diese Wirkstoffe beinhalten ein geringes Risiko für eine Hypoglykämie. Bei der Einnahme von Insulin besteht eine hohe Gefahr für eine Hypoglykämie. Tabletten mit den Wirkstoffen Sulfonylharnstoff und Glinide bergen ein ähnlich hohes Hypoglykämie-Risiko. Bei der Einnahme des Medikaments Velmetia ohne gleichzeitige Einnahme von Sulfonylharnstoffen, Gliniden oder Insulin besteht ein sehr geringes Risiko für eine Hypoglykämie (Niederschrift, ON14 verwaltungsgerichtlicher Akt).

II.2.4.   Der Bf nimmt zur Behandlung seiner Diabetes Mellitus Typ 2 nur Velmetia ein. Das daneben eingenommene Präparat Ezerosu erzeugt keine Wechsel- bzw Nebenwirkungen. Der Bf nimmt keine Tabletten mit den Wirkstoffen Sulfonylharnstoff, Glinide oder Insulin ein (Niederschrift, ON14 verwaltungsgerichtlicher Akt; fachärztliche Stellungnahme vom 31.03.2022 und 15.09.2022).

II.2.5.   Bei Diabetes Mellitus Typ 2 handelt es sich um eine fortschreitende Erkrankung. Aus fachärztlicher internistischer Sicht besteht für die weitere Erteilung der Lenkberechtigung der Gruppe 1 und 2 keine relevante Kontraindikation. Eine entsprechende Schulung wurde durch den Bf durchgeführt, weitere HbA1c-Kontrollen erfolgen (grundsätzlich in dreimonatigen Abständen). Aktuell gibt es beim Bf keine Hinweise auf eine Verschlechterung des Gesundheitszustands in nächster Zeit. Es ist davon auszugehen, dass er die Compliance einhält. Der Bf ist gesundheitlich geeignet, Fahrzeuge der Gruppen 1 und 2 zu lenken (Niederschrift, ON14 verwaltungsgerichtlicher Akt).

II.3.     Dieser Sachverhalt ergibt sich aus den vom Bf vorgelegten Unterlagen sowie den gutachterlichen Ausführungen der Amtsärztin insbesondere im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung. Die Medikamentation ist auch aus den fachärztlichen Stellungnahmen vom 31.03.2022 und 15.09.2022 ersichtlich und wurde vom Bf im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung bestätigt.

III.      In rechtlicher Hinsicht ist Folgendes auszuführen:

III.1.1. Gemäß § 3 Abs 1 Z 3 Führerscheingesetz 1997 (FSG), BGBl I 120/1997 idF BGBl I 121/2022, darf die Lenkberechtigung nur Personen erteilt werden, die gesundheitlich geeignet sind, ein Kraftfahrzeug zu lenken (§§ 8 und 9).

Gemäß § 8 Abs 1 FSG hat der Antragsteller vor der Erteilung einer Lenkberechtigung der Behörde ein ärztliches Gutachten vorzulegen, dass er zum Lenken von Kraftfahrzeugen gesundheitlich geeignet ist. Das ärztliche Gutachten hat auszusprechen, für welche Gruppe(n) von Lenkberechtigungen der Antragsteller gesundheitlich geeignet ist, darf im Zeitpunkt der Entscheidung nicht älter als 18 Monate sein und ist von einem in die Ärzteliste eingetragenen sachverständigen Arzt gemäß § 34 zu erstellen.

Gemäß § 8 Abs 2 FSG ist, wenn zur Erstattung des ärztlichen Gutachtens besondere Befunde oder im Hinblick auf ein verkehrspsychologisch auffälliges Verhalten eine Stellungnahme einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle erforderlich ist, das ärztliche Gutachten von einem Amtsarzt zu erstellen; der Antragsteller hat diese Befunde oder Stellungnahmen zu erbringen. Wenn im Rahmen der amtsärztlichen Untersuchung eine sichere Entscheidung im Hinblick auf die gesundheitliche Eignung nicht getroffen werden kann, so ist erforderlichenfalls eine Beobachtungsfahrt anzuordnen.

Gemäß § 8 Abs 3 Z 2 FSG hat das ärztliche Gutachten abschließend auszusprechen: „geeignet“, „bedingt geeignet“, „beschränkt geeignet“ oder „nicht geeignet“. Ist der Begutachtete nach dem ärztlichen Befund zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer oder mehrerer Klassen nur unter der Voraussetzung geeignet, dass er sich ärztlichen Kontrolluntersuchungen unterzieht, so hat das Gutachten „bedingt geeignet“ für die entsprechenden Klassen zu lauten und Befristungen, Auflagen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen der Gültigkeit anzuführen, unter denen eine Lenkberechtigung ohne Gefährdung der Verkehrssicherheit erteilt werden kann; dies gilt auch für Personen, deren Eignung nur für eine bestimmte Zeit angenommen werden kann und bei denen amtsärztliche Nachuntersuchungen erforderlich sind.

Gemäß § 17a Abs 2 FSG darf die Lenkberechtigung für die Klassen C(C1), CE(C1E), D(D1) und DE(D1E) nur für fünf Jahre, ab dem vollendeten 60. Lebensjahr nur mehr für zwei Jahre erteilt werden. Für jede Verlängerung dieser Lenkberechtigungsklassen ist ein ärztliches Gutachten gemäß § 8 erforderlich.

III.1.2. § 11 Führerscheingesetz-Gesundheitsverordnung, BGBl II 322/1997 idF BGBl II 267/2021, (FSG-GV) lautet:

„Zuckerkrankheit

§ 11. (1) Zuckerkranken darf eine Lenkberechtigung nur nach einer befürwortenden fachärztlichen Stellungnahme erteilt oder belassen werden, aus der insbesondere auch hervorgeht, dass der Zuckerkranke die mit Hypoglykämie verbundenen Risiken versteht und seinen Zustand angemessen beherrscht.

(2) Zuckerkranken, die mit Insulin oder bestimmten Tabletten behandelt werden müssen, darf eine Lenkberechtigung der Gruppe 1 nur für einen Zeitraum von höchstens fünf Jahren unter der Auflage ärztlicher Kontrolluntersuchungen und amtsärztlicher Nachuntersuchungen erteilt oder belassen werden.

(3) Zuckerkranken, die mit Insulin oder bestimmten Tabletten behandelt werden müssen, darf eine Lenkberechtigung der Gruppe 2 nur für einen Zeitraum von höchstens drei Jahren unter der Auflage ärztlicher Kontrolluntersuchungen und amtsärztlicher Nachuntersuchungen und unter Einhaltung folgender Voraussetzungen erteilt oder belassen werden:

1.     der Lenker gibt eine Erklärung ab, dass in den letzten 12 Monaten keine Hypoglykämie aufgetreten ist, die eine Hilfe durch eine andere Person erforderlich macht (schwere Hypoglykämie);

2.     es besteht keine Hypoglykämie-Wahrnehmungsstörung;

3.     der Lenker weist eine angemessene Überwachung der Krankheit durch regelmäßige Blutzuckertests nach, die mindestens zweimal täglich sowie zu jenen Zeiten vorgenommen werden, zu denen die Person üblicherweise Kraftfahrzeuge lenkt;

4.     der Lenker zeigt, dass er die mit Hypoglykämie verbundenen Risiken versteht;

5.     es liegen keine anderen Komplikationen der Zuckerkrankheit vor, die das Lenken von Fahrzeugen ausschließen.

(4) Zuckerkranken, bei denen innerhalb von 12 Monaten zwei Mal eine Hypoglykämie aufgetreten ist, die eine Hilfe durch eine andere Person erforderlich macht (wiederholte schwere Hypoglykämie) sowie Zuckerkranken, die an Hypoglykämie-Wahrnehmungsstörung leiden, darf eine Lenkberechtigung nur nach einer befürwortenden fachärztlichen Stellungnahme sowie unter der Auflage von Kontrolluntersuchungen und Nachuntersuchungen erteilt oder belassen werden. Bei wiederholten schweren Hypoglykämien im Wachzustand darf eine Lenkberechtigung erst drei Monate nach der letzten Episode erteilt oder verlängert werden.“

III.2.    Aufgrund der beim Bf diagnostizierten Zuckerkrankheit (Diabetes Mellitus Typ 2) wurde von der bB in Anwendung des § 11 Abs 2 und 3 FSG-GV dessen Lenkberechtigung der Gruppe 1 und Gruppe 2 eingeschränkt.

III.2.1. Entgegen der Ansicht der bB ist die Einnahme von Velmetia aus nachstehend angeführten Gründen nicht als Einnahme „bestimmter Tabletten“ iSd § 11 FSG-GV anzusehen:

§ 11 Abs 2 und Abs 3 FSG-GV sehen Einschränkungen der Lenkberechtigung für Zuckerkranke vor, die „Insulin oder bestimmte Tabletten“ einnehmen. Der Ausdruck „bestimmte Tabletten“ ist in weiterer Folge nicht näher definiert, schränkt aufgrund seiner Formulierung jedoch den Umfang der oralen Antidiabetika ein (Arg: „bestimmte“). Zur Auslegung dient die mit Insulin in Zusammenhang stehende Formulierung (Arg: „oder“), woraus der Schluss zu ziehen ist, es handelt sich um „bestimmte Tabletten“ mit einer die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen potentiell beeinträchtigenden Wirkungsweise ähnlich dem Insulin. Insulin birgt insbesondere aufgrund der hohen Hypoglykämie-Gefahr einen beim Lenken von Kraftfahrzeugen zu berücksichtigenden Faktor, weshalb die Einschränkung der Lenkberechtigung erforderlich ist. Davon ausgehend ist bei „bestimmten Tabletten“ ebenso zu hinterfragen, wie hoch das Risiko einer Hypoglykämie ist und ob dieses dem bei Einnahme von Insulin gleichzusetzen ist.

Wie festgestellt, erzeugen Tabletten mit den Wirkstoffen Sulfonylharnstoff und Glinide eine dem Insulin vergleichbare Wirkung und damit ein ähnlich hohes Risiko für eine Hypoglykämie. Das Medikament Velmetia beinhaltet die Wirkstoffe Metformin und Sitagliptin und birgt ein sehr geringes Risiko für eine Hypogklykämie. Nur in Kombination mit den Wirkstoffen Insulin, Sulfonylharnstoff und Glinide besteht ein hohes Risiko einer Hypoglykämie. Diese Wirkstoffe werden vom Bf jedoch nicht eingenommen.

III.2.2. Der Begriff „bestimmte Tabletten“ in § 11 Abs 2 und 3 FSG-GV lässt sich unter Zugrundelegung dieser Ausführungen, insbesondere der schlüssigen Darstellung der Wirkungsweise der verschiedenen Wirkstoffe durch die Amtsärztin, nur dahingehend auslegen, als damit Tabletten gemeint sind, die eine vergleichbare Wirkung wie Insulin und ein vergleichbar hohes Risiko einer Hypoglykämie auslösen. Somit sind Tabletten, die kein vergleichbares Risiko für eine Hypoglykämie erzeugen nicht als „bestimmte Tabletten“ zu qualifizieren und nicht vom § 11 Abs 2 und 3 FSG-GV erfasst.

Fallbezogen bedeutet dies, dass die Einnahme von Velmetia nicht als Einnahme von „bestimmten Tabletten“ iSd § 11 Abs 2 und 3 FSG-GV gilt, weshalb diese Bestimmungen gegenständlich nicht zur Anwendung gelangen.

III.3.    Da die Krankheit Diabetes Mellitus Typ 2 beim Bf diagnostiziert wurde, sind die Tatbestandsmerkmale des § 11 Abs 1 FSG-GV zu prüfen, welcher eine befürwortende fachliche Stellungnahme voraussetzt.

Die befürwortende fachliche Stellungnahme vom 31.03.2022 belegt eine sehr gut geeignete Therapie und „sehr schöne HbA1c-Werte“ beim Bf; eine entsprechende Schulung wurde durchgeführt.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs besteht keine allgemeine Erfahrung dahingehend, dass bei jeder Art der Zuckererkrankung mit einer Verschlechterung des Gesundheitszustands in einer die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen ausschließenden oder in relevantem Ausmaß einschränkenden Weise gerechnet werden muss (vgl zuletzt etwa VwGH 27.06.2022, Ra 2022/11/0104).

Beim Bf ist aktuell nicht mit einer relevanten Verschlechterung des Gesundheitszustands zu rechnen, zumal die HbA1c-Werte seit 2019 konstant geblieben sind und der Bf eine Bereitschaft zur aktiven Mitwirkung an therapeutischen Maßnahmen („Compliance“) erkennen lässt.

Aus genannten Gründen liegen die Voraussetzungen für eine Befristung der Lenkberechtigung nicht vor (vgl zB VwGH wie oben). Zumal die Auflagen hinsichtlich der amtsärztlichen jährlichen Kontrolluntersuchungen (29.04.2023, 29.04.2024, 29.04.2025, 20.07.2026) und der fachärztlichen Stellungnahme Innere Medizin und Augenheilkunde auf dem Umstand der Einnahme von Velmetia auf Basis des § 11 Abs 2 und 3 FSG-GV gründeten, haben diese zu entfallen.

III.4.    Die Lenkberechtigung der Gruppe 2 (Klasse C1 und CE) war aufgrund der gesetzlichen Anordnung des § 17a Abs 2 FSG für fünf Jahre zu befristen.

III.5.    Im Ergebnis waren die Einschränkung der Lenkberechtigung der Gruppe 1 und die Auflagen zur Gänze zu beheben. Die Befristung der Lenkberechtigung der Gruppe 2 war entsprechend anzupassen.

IV.       Zulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist zulässig, da – soweit ersichtlich – keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu dem nicht legaldefinierten Tatbestandselement der „bestimmten Tabletten“ in § 11 Abs 2 und 3 FSG-GV existiert und der Lösung dieser Rechtsfrage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt.

Schlagworte

Stattgabe; Lenkberechtigung; Zuckerkrankheit; Tabletten, bestimmte

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGOB:2022:LVwG.652446.15.SB

Zuletzt aktualisiert am

24.01.2023
Quelle: Landesverwaltungsgericht Oberösterreich LVwg Oberösterreich, http://www.lvwg-ooe.gv.at
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