TE Vwgh Erkenntnis 2022/11/29 Ra 2022/14/0247

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Veröffentlicht am 29.11.2022
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z17
AsylG 2005 §3 Abs1
AVG §58 Abs2
AVG §60
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §29 Abs1
  1. AsylG 2005 § 2 heute
  2. AsylG 2005 § 2 gültig von 01.07.2021 bis 23.12.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 69/2020
  3. AsylG 2005 § 2 gültig ab 24.12.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 145/2020
  4. AsylG 2005 § 2 gültig von 01.09.2018 bis 23.12.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 56/2018
  5. AsylG 2005 § 2 gültig von 01.11.2017 bis 31.08.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 145/2017
  6. AsylG 2005 § 2 gültig von 01.11.2017 bis 31.10.2017 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 84/2017
  7. AsylG 2005 § 2 gültig von 01.06.2016 bis 31.10.2017 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 24/2016
  8. AsylG 2005 § 2 gültig von 20.07.2015 bis 31.05.2016 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 70/2015
  9. AsylG 2005 § 2 gültig von 01.01.2014 bis 19.07.2015 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 144/2013
  10. AsylG 2005 § 2 gültig von 01.01.2014 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 87/2012
  11. AsylG 2005 § 2 gültig von 01.01.2014 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 68/2013
  12. AsylG 2005 § 2 gültig von 01.01.2010 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 135/2009
  13. AsylG 2005 § 2 gültig von 01.01.2010 bis 31.12.2009 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 122/2009
  14. AsylG 2005 § 2 gültig von 01.07.2008 bis 31.12.2009 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  15. AsylG 2005 § 2 gültig von 01.01.2006 bis 30.06.2008

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2022/14/0248 E 29.11.2022
Ra 2022/14/0249 E 29.11.2022
Ra 2022/14/0250 E 29.11.2022

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, über die Revisionen 1. des H A, 2. der S A, 3. des S A, und 4. des R A, alle vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts jeweils vom 15. Oktober 2020, 1. G305 2189084-1/16E, 2. G305 2189073-1/16E, 3. G305 2189088-1/15E und 4. G305 2189086-1/18E, betreffend Anerkennung als Flüchtling nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das den Erstrevisionswerber betreffende Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die übrigen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat den Revisionswerbern Aufwendungen in der Höhe von jeweils € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Die Revisionswerber sind Mitglieder einer Familie mit unterschiedlicher Staatsangehörigkeit. Der Erstrevisionswerber, ein iranischer Staatsangehöriger, ist mit der Zweitrevisionswerberin, einer irakischen Staatsangehörigen, verheiratet. Sie sind die Eltern der minderjährigen staatenlosen Dritt- und Viertrevisionswerber. Gemeinsam stellten sie, aus dem Irak kommend, am 3. August 2016 Anträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2        Mit Bescheiden jeweils vom 7. Februar 2018 (Anmerkung: Datum des Bescheides hinsichtlich der Zweitrevisionswerberin 7. „Jänner“ 2018 offenkundig irrtümlich) wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diese Anträge sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten (I.) als auch des Status von subsidiär Schutzberechtigten ab (II.), erteilte den Revisionswerbern keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (III.), erließ gegen sie jeweils eine Rückkehrentscheidung (IV.), stellte jeweils fest, dass ihre Abschiebung in den jeweiligen Herkunftsstaat zulässig sei (V.) und legte jeweils eine Frist für die freiwillige Ausreise fest (VI.).

3        Mit den nun angefochtenen Erkenntnissen wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobenen Beschwerden der Revisionswerber nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten als unbegründet ab, erkannte ihnen jedoch den Status von subsidiär Schutzberechtigten „in Bezug auf den Ausreisestaat Irak“ zu, erteilte den Revisionswerbern jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung, behob in Erledigung der Beschwerden jeweils die Spruchpunkte III. und IV. (gemeint wohl: Spruchpunkte III. bis VI.) ersatzlos und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG jeweils nicht zulässig sei.

4        Begründend führte es - soweit hier relevant - aus, es sei den Revisionswerbern nicht gelungen darzutun, dass ihnen „in ihrem Herkunftsstaat“ bzw. „im Herkunftsstaat Irak“ eine asylrelevante Verfolgung drohe.

5        Gegen diese Erkenntnisse erhoben die Revisionswerber Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 18. März 2022, E 3922-3925/2020-7, die Behandlung derselben ablehnte und sie aufgrund des nachträglichen Antrages mit Beschluss vom 11. Juli 2022, E 3922-3925/2020-9, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

6        In der Folge wurden die gegenständlichen außerordentlichen Revisionen eingebracht, die zu ihrer Zulässigkeit unter anderem vorbringen, das Bundesverwaltungsgericht habe keine Länderfeststellungen zum Iran als Herkunftsstaat des Erstrevisionswerbers getroffen und sei deshalb von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht abgewichen.

7        Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8        Die Revisionen sind zulässig und auch begründet.

9        Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

10       Gemäß § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG 2005 ist der Herkunftsstaat jener Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt, oder - im Falle der Staatenlosigkeit - der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthaltes. Dementsprechend erkennt der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass „Herkunftsstaat“ jener Staat ist, zu dem ein formelles Band der Staatsbürgerschaft besteht; nur wenn ein solcher Staat nicht existiert, wird subsidiär auf sonstige feste Bindungen zu einem Staat in Form eines dauernden (gewöhnlichen) Aufenthalts zurückgegriffen (vgl. VwGH 18.12.2020, Ra 2020/19/0030 bis 0031, mwN).

11       Es entspricht daher der österreichischen Rechtslage, dass die Verfolgungsgefahr für die Revisionswerber jeweils bezogen auf ihre Herkunftsstaaten geprüft werden muss und als Herkunftsstaaten jeweils jene heranzuziehen sind, deren Staatsangehörigkeit die Revisionswerber besitzen (vgl. dazu aus der Rechtsprechung etwa VwGH 3.5.2016, Ra 2016/18/0062 bis 0064, mwN).

12       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist von den Asylbehörden und Gerichten zu erwarten, dass sie insoweit, als es um Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat als Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens von Asylwerbern geht, von den zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten Gebrauch machen und insbesondere Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten Organisationen in die Entscheidung einbeziehen, weshalb auch das Bundesverwaltungsgericht seiner Entscheidung die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen hat (vgl. dazu VwGH 25.1.2022, Ra 2021/19/0109, mwN).

13       Im vorliegenden Fall hat das Bundesverwaltungsgericht unter anderem festgestellt, dass der Erstrevisionswerber iranischer Staatsangehöriger, die Zweitrevisionswerberin hingegen irakische Staatsangehörige ist. Ausgehend davon war in Bezug auf die angestrebte Asylgewährung in Bezug auf den Erstrevisionswerber zu prüfen, ob ihm bei Rückkehr in seinen Herkunftsstaat, den Iran, asylrelevante Verfolgung drohe.

14       Die Revisionen bringen in diesem Zusammenhang zusammengefasst vor, das Bundesverwaltungsgericht habe keine Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat des Erstrevisionswerbers getroffen. Dies sei insoweit relevant, als das Bundesverwaltungsgericht selbst festgestellt habe, dass der Erstrevisionswerber Mitglied der Kurdistan Democratic Party Iran (KDP-I) sei und er im Verfahren (auch) die Furcht vor Verfolgung durch iranische Behörden im Iran vorgebracht habe.

15       Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. VwGH 3.9.2021, Ra 2021/14/0108, mwN).

16       Der Verwaltungsgerichtshof hat überdies ausgesprochen, dass in einem Fall, in dem das Verwaltungsgericht die der Entscheidung zu Grunde gelegten maßgeblichen Länderfeststellungen in den wesentlichen Punkten wiedergegeben und lediglich darüber hinaus auf die getroffenen Feststellungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid verwiesen hat, die Entscheidung solcherart einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich und aus diesem Grund nicht als rechtswidrig zu erkennen ist. Hingegen hat der Verwaltungsgerichtshof in Fällen, in denen für die rechtliche Beurteilung maßgebliche Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat zur Gänze fehlten, eine Verletzung der Begründungspflicht angenommen (vgl. VwGH 23.1.2019, Ra 2018/19/0391, mwN).

17       Im vorliegenden Fall hat das Bundesverwaltungsgericht lediglich Länderfeststellungen zum Irak getroffen, es jedoch unterlassen, eigene Feststellungen zum Herkunftsstaat des Erstrevisionswerbers, dem Iran, zu treffen. Angesichts der gänzlich fehlenden Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat des Erstrevisionswerbers wird von der Anforderung, dass jedenfalls die wesentlichen Punkte der diesbezüglichen Feststellungen in der Begründung der Entscheidung eines Verwaltungsgerichts selbst enthalten sein müssen, nicht entsprochen und maßgeblich gegen die die Verwaltungsgerichte treffende Begründungspflicht verstoßen. Damit ist es dem Verwaltungsgerichtshof nicht möglich, die Erwägung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach den Revisionswerbern „in ihrem Herkunftsstaat“ bzw. „im Herkunftsstaat Irak“ keine asylrelevante Verfolgung drohe, in Bezug auf die angestrebte Asylgewährung des Erstrevisionswerbers aufgrund der unter anderem vorgebrachten Furcht vor Verfolgung durch iranische Behörden im Iran, in der vom Gesetz geforderten Weise einer nachprüfenden Kontrolle zu unterziehen (vgl. VwGH 23.9.2020, Ra 2020/01/0170, mwN).

18       Da das Bundesverwaltungsgericht im Fall eines mängelfreien Verfahrens zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war das angefochtene Erkenntnis daher in Bezug auf den Erstrevisionswerber wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

19       Dieser Umstand schlägt im Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 auch auf die übrigen Revisionswerber als Familienmitglieder durch und führt zur inhaltlichen Rechtswidrigkeit der sie betreffenden Erkenntnisse (vgl. etwa VwGH 3.12.2020, Ra 2020/20/0094 bis 0096, mwN). Die die Zweit- bis Viertrevisionswerber betreffenden Erkenntnisse waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhalts aufzuheben.

20       Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 29. November 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022140247.L00

Im RIS seit

24.01.2023

Zuletzt aktualisiert am

24.01.2023
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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