TE Vwgh Beschluss 2022/12/15 Ra 2022/20/0373

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Veröffentlicht am 15.12.2022
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §37
VwGVG 2014 §17

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2022/20/0374 B 15.12.2022
Ra 2022/20/0375 B 15.12.2022

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann-Preschnofsky, in den Rechtssachen der Revisionen 1. der F T, 2. des A K, und 3. der A K, alle in L, alle vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Ringstraße 9, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts je vom 2. Oktober 2022, 1. W142 2258944-1/5E, 2. W142 2258943-1/5E und 3. W142 2258941-1/5E, jeweils betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

1        Die Erstrevisionswerberin und der Zweitrevisionswerber sind miteinander verheiratet. Sie sind die Eltern der im Mai 2021 in Österreich geborenen Drittrevisionswerberin. Alle sind Staatsangehörige von Bangladesch.

2        Dem Zweitrevisionswerber, der im Jahr 2013 in das Bundesgebiet eingereist war, wurden ab dem Jahr 2014 Aufenthaltsbewilligungen als Student nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) und im Jahr 2017 eine bis zum 11. September 2018 gültige Aufenthaltsbewilligung als Schüler nach dem NAG erteilt. Am 10. September 2018 brachte der Zweitrevisionswerber, der zwischenzeitig am 25. Juli 2018 in Bangladesch die Erstrevisionswerberin geheiratet und sich danach wieder im Bundesgebiet aufgehalten hatte, einen (weiteren) Verlängerungsantrag ein, der von der Niederlassungsbehörde abgewiesen wurde.

3        Der Zweitrevisionswerber kehrte, nachdem im August 2019 ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eingeleitet worden war, am 5. September 2019 aus freien Stücken nach Bangladesch zurück.

4        Am 5. November 2019 reisten die Erstrevisionswerberin und der Zweitrevisionswerber nach Indien. Sie brachten am 7. November 2019 bei der Österreichischen Botschaft Neu-Delhi Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln als Student ein. Am 15. November 2019 reisten sie wieder in ihr Heimatland zurück.

5        In der Folge wurden am 11. Jänner 2020 von der Österreichischen Botschaft Neu-Delhi für die Erstrevisionswerberin und den Zweitrevisionswerber bis zum 24. Mai 2020 gültige Visa D ausgestellt, mit denen sie am 28. Februar 2020 in das Bundesgebiet einreisten.

6        Die Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln wurden letztlich im Instanzenzug vom Landesverwaltungsgericht Oberösterreich im September 2020 (Zweitrevisionswerber) und November 2020 (Erstrevisionswerberin) abgewiesen.

7        Am 14. Oktober 2020 stellten der Zweitrevisionswerber und am 13. November 2020 die Erstrevisionswerberin jeweils einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK nach § 55 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

8        Diese Anträge wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit den Bescheiden je vom 22. Februar 2021 abgewiesen. Unter einem wurden gegen die Erstrevisionswerberin und den Zweitrevisionswerber Rückkehrentscheidungen erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Bangladesch zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde jeweils mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt. Dass gegen diese Bescheide Beschwerde erhoben worden wäre, ist den vorgelegten Akten nicht zu entnehmen.

9        Von der Erstrevisionswerberin und dem Zweitrevisionswerber, die im Bundesgebiet blieben, wurden am 23. März 2021 die hier gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005 gestellt.

10       Am 9. Mai 2021 wurde die Drittrevisionswerberin in Österreich geboren. Davon erlangte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 13. Juli 2021 im Sinn des § 17a Abs. 3 AsylG 2005 Kenntnis, weshalb mit diesem Tag auch für die Drittrevisionswerberin ein Antrag auf internationalen Schutz als gestellt und eingebracht galt.

11       Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies sämtliche Anträge auf internationalen Schutz mit den Bescheiden je vom 29. Juli 2022 ab, erteilte den revisionswerbenden Parteien keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte jeweils fest, dass die Abschiebung nach Bangladesch zulässig sei, und gewährte jeweils keine Frist für die freiwillige Ausreise. Weiters erließ die Behörde gegen die Erstrevisionswerberin und den Zweitrevisionswerber jeweils ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot. Unter einem sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in allen Verfahren aus, dass Beschwerden gegen die Bescheide die aufschiebende Wirkung aberkannt werde.

12       Die revisionswerbenden Parteien erhoben gegen diese Bescheide Beschwerden, denen vom Bundesverwaltungsgericht mit den „Beschlüssen“ vom 5. September 2022 die aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde (richtig: aufgrund der Beschwerden wurde mit Erkenntnissen die behördlichen Aussprüche über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung behoben).

13       Hinsichtlich der sonstigen Spruchpunkte wies das Bundesverwaltungsgericht, das von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen hatte, die Beschwerden mit den angefochtenen Erkenntnissen im Wesentlichen als unbegründet ab. Die Dauer der gegen die Erstrevisionswerberin und den Zweitrevisionswerber erlassenen Einreiseverbote wurde mit 18 Monaten festgesetzt. Weiters legte das Bundesverwaltungsgericht jeweils eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht jeweils aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

14       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

15       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

16       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

17       Die revisionswerbenden Parteien wenden sich in der Begründung für die Zulässigkeit ihrer Revisionen gegen den Entfall der Verhandlung. Sie machen dazu geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe - zu den in der Zulässigkeitsbegründung angeführten Themen - eine „umfangreiche eigene Beweiswürdigung“ vorgenommen.

18       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob im Sinn des - hier maßgeblichen - § 21 Abs. 7 erster Satz BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) „der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“ und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach dieser Bestimmung unterbleiben kann, folgende Kriterien beachtlich:

19       Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. dazu ausführlich VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018; sowie aus der weiteren Rechtsprechung etwa VwGH 26.7.2022, Ra 2022/20/0039, mwN).

20       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes löst das Aufzeigen weiterer, von der Verwaltungsbehörde nicht aufgegriffener und somit erstmals thematisierter Aspekte die Verhandlungspflicht nur dann aus, wenn damit die tragenden verwaltungsbehördlichen Erwägungen nicht bloß unwesentlich ergänzt werden (vgl. VwGH 18.12.2019, Ra 2019/14/0452, mwN).

21       Weiters ist darauf hinzuweisen, dass es immer dann, wenn selbst im Fall der hypothetischen Richtigkeit des Vorbringens zum Sachverhalt aus den geltend gemachten Tatsachen - allenfalls in Verbindung mit bereits feststehenden Sachverhaltselementen - der behauptete Rechtsanspruch nicht begründet werden kann, keiner Ermittlungen und Feststellungen zur Richtigkeit des - allenfalls: übrigen, noch keinen Feststellungen unterworfenen - sachverhaltsbezogenen Vorbringens bedarf, weil sich die behaupteten tatsächlichen Vorgänge aus rechtlichen Gründen nicht (mehr) als im Sinn des § 37 AVG maßgeblich darstellen (vgl. VwGH 25.4.2022, Ra 2022/20/0088; weiters dazu - unter anderem auch unter dem Aspekt der Zulässigkeit des Entfalls einer Verhandlung - ausführlich VwGH 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Somit sind dann aber auch weitergehende beweiswürdigende Erwägungen zu solchen Themen - auch in Bezug auf die Frage, ob es der Durchführung einer Verhandlung bedurft hätte - als nicht weiter wesentlich anzusehen.

22       Es gelingt den revisionswerbenden Parteien nicht darzutun, dass das Bundesverwaltungsgericht mit seinen die Beweiswürdigung betreffenden Erwägungen jenes Maß überschritten hätte, sodass fallbezogen nicht mehr von einer bloß unwesentlichen Ergänzung hätte gesprochen werden können. Zudem stellen sich manche von den revisionswerbenden Parteien angesprochenen Themen als nicht weiter entscheidungserheblich dar. Das wird von ihnen auch erkannt, weil in den Revisionen - zumindest zu einem Thema ausdrücklich - von einer „Nebensächlichkeit“ die Rede ist. Im Besonderen ist in Bezug auf die Bewertung der in der Revision erwähnten Unterlagen darauf hinzuweisen, dass sich das Bundesverwaltungsgericht für seine Beurteilung - ebenso wie zuvor das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - auf eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation gestützt hat. Einzuräumen ist, dass insoweit die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Beweiswürdigung umfangreicher als jene der Behörde ausgefallen sind. Dass aber damit die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung nicht geteilt oder diese Erwägungen in einer Weise ergänzt worden wären, die mit dem Gesetz nicht in Einklang zu bringen wäre, wird von den revisionswerbenden Parteien mit ihrem Vorbringen nicht aufgezeigt.

23       Sohin werden von den revisionswerbenden Parteien keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 15. Dezember 2022

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022200373.L00

Im RIS seit

24.01.2023

Zuletzt aktualisiert am

24.01.2023
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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