TE Vfgh Erkenntnis 2022/11/28 V181/2022 (V181/2022-8)

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Veröffentlicht am 28.11.2022
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Index

10/07 Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit

Norm

B-VG

Leitsatz

Auswertung in Arbeit

Spruch

I. Die Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Kramsach vom 23. September 2019 über die Höhe der Freizeitwohnsitzabgabe wird als gesetzwidrig aufgehoben.

II. Die Tiroler Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Landesgesetzblatt für Tirol verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B-VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Tirol, "der Verfassungsgerichtshof möge ein Verordnungsprüfungsverfahren in Bezug auf die in der Sitzung des Gemeinderates der Gemeinde Kramsach vom 23.09.2019 beschlossene Verordnung, mit welcher auf Grund des §4 Abs3 des Tiroler Freizeitwohnsitzabgabegesetzes, LBGl Nr 79/2019, die Abgabenhöhe der jährlichen Freizeitwohnsitzabgabe für das gesamte Gemeindegebiet festgelegt wurde, gemäß Art139 Abs3 iVm Abs4 B-VG einleiten und feststellen, dass die gesamte Verordnung gesetzwidrig ist."

II. Rechtslage

Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar (die angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben):

1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Gesetzes vom 8. Mai 2019 über die Erhebung einer Freizeitwohnsitzabgabe (Tiroler Freizeitwohnsitzabgabegesetz – TFWAG) idF LGBl 79/2019 lauten:

"§1

Abgabengegenstand

(1) Für die Verwendung eines Wohnsitzes als Freizeitwohnsitz ist eine Freizeitwohnsitzabgabe zu erheben.

(2) Freizeitwohnsitze sind Gebäude, Wohnungen oder sonstige Teile von Gebäuden, die nicht der Befriedigung eines ganzjährigen, mit dem Mittelpunkt der Lebensbeziehungen verbundenen Wohnbedürfnisses dienen, sondern zum Aufenthalt während des Urlaubs, der Ferien, des Wochenendes oder sonst nur zeitweilig zu Erholungszwecken verwendet werden.

(3) Die Freizeitwohnsitzabgabe ist eine ausschließliche Gemeindeabgabe.

[…]

§4

Bemessungsgrundlage und Höhe der Abgabe

(1) Die Freizeitwohnsitzabgabe ist nach der Nutzfläche des Freizeitwohnsitzes zu bemessen.

(2) Die Nutzfläche ist die gesamte Bodenfläche abzüglich der Wandstärken und der im Verlauf der Wände befindlichen Durchbrechungen und Ausnehmungen. Bei der Berechnung der Nutzfläche sind Keller- und Dachbodenräume, soweit sie ihrer Ausstattung nach nicht für Wohn- oder Geschäftszwecke geeignet sind, Treppen, offene Balkone, Loggien, Terrassen sowie für landwirtschaftliche oder gewerbliche Zwecke spezifisch ausgestattete Räume innerhalb eines Freizeitwohnsitzes nicht zu berücksichtigen. Die Nutzfläche ist nach den der Baubewilligung bzw –anzeige und allfälligen Änderungen zugrunde liegenden Unterlagen zu berechnen, außer das tatsächliche Ausmaß weicht um mehr als 3 v. H. davon ab. Änderungen der Nutzfläche des Freizeitwohnsitzes sind für die Bemessung der Freizeitwohnsitzabgabe ab dem Zeitpunkt des Einlangens der Anzeige über die Bauvollendung nach §44 der Tiroler Bauordnung 2018, LGBl Nr 28/2018, in der jeweils geltenden Fassung, zu berücksichtigen.

(3) Die Höhe der jährlichen Abgabe ist abhängig von der Nutzfläche des Freizeitwohnsitzes mit Verordnung des Gemeinderates festzulegen wie folgt:

a) bis 30 m2 mit mindestens 100,- Euro und höchstens 240,- Euro,

b) von mehr als 30 m2 bis 60 m2 mit mindestens 200,- Euro und höchstens
480,- Euro,

c) von mehr als 60 m2 bis 90 m2 mit mindestens 290,- Euro und höchstens
700,- Euro,

d) von mehr als 90 m2 bis 150 m2 mit mindestens 420,- Euro und höchstens
1.000,- Euro,

e) von mehr als 150 m2 bis 200 m2 mit mindestens 590,- Euro und höchstens 1.400,- Euro,

f) von mehr als 200 m2 bis 250 m2 mit mindestens 760,- Euro und höchstens 1.800,- Euro,

g) von mehr als 250 m2 mit mindestens 920,- Euro und höchstens 2.200,- Euro.

Bei der Festlegung der Abgabe ist auf den Verkehrswert der Liegenschaften in der Gemeinde und auf die finanziellen Belastungen der Gemeinde durch Freizeitwohnsitze Bedacht zu nehmen. Die Abgabe kann für bestimmte Teile des Gemeindegebietes in unterschiedlicher Höhe festgesetzt werden, wenn die Gewichtung der für die Festlegung maßgeblichen Umstände sich erheblich auf die Höhe der Abgabe auswirken."

2. Die Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Kramsach vom 23. September 2019 über die Höhe der Freizeitwohnsitzabgabe lautet:

"Der Gemeinderat der Gemeinde Kramsach hat mit Beschluss vom 23.09.2019 aufgrund des §4 Abs3 des Tiroler Freizeitwohnsitzabgabegesetzes, LBGl. Nr 79/2019 folgende Verordnung erlassen:

§1 Festlegung der Abgabenhöhe

Die Gemeinde Kramsach legt die Höhe der jährlichen Freizeitwohnsitzabgabe einheitlich für das gesamte Gemeindegebiet wie folgt fest:

a) bis 30 m2 Nutzfläche mit € 240,--

b) von mehr als 30 m2 bis 60 m2 Nutzfläche mit € 480,--

c) von mehr als 60 m2 bis 90 m2 Nutzfläche mit € 700,--

d) von mehr als 90 m2 bis 150 m2 Nutzfläche mit € 1.000,--

e) von mehr als 150 m2 bis 200 m2 Nutzfläche mit € 1.400,--

f) von mehr als 200 m2 bis 250 m2 Nutzfläche mit € 1.800,--

g) von mehr als 250 m2 Nutzfläche mit € 2.200,--

§2 Inkrafttreten

Diese Verordnung tritt mit 01.01.2020 in Kraft."

III. Sachverhalt, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

1.1. Beim Landesverwaltungsgericht Tirol ist eine Beschwerde gegen einen Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde Kramsach vom 26. August 2021 anhängig. Mit diesem Bescheid wurde der Beschwerdeführerin des Verfahrens vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol für das Kalenderjahr 2021 unter Zugrundelegung einer Nutzfläche von 67,49 m2 eine Freizeitwohnsitzabgabe in Höhe von € 700,– vorgeschrieben.

1.2. Im Zuge der Behandlung der Beschwerde sind beim Landesverwaltungsgericht Tirol Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Kramsach vom 23. September 2019 über die Höhe der Freizeitwohnsitzabgabe entstanden, weshalb das Landesverwaltungsgericht Tirol den vorliegenden Antrag nach Art139 Abs1 Z1 B-VG gestellt hat.

2. Das Landesverwaltungsgericht Tirol legt seine Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bewogen haben, zusammengefasst wie folgt dar:

Die Gemeinde Kramsach habe mit der angefochtenen Verordnung jeweils den gesetzlich vorgeschriebenen Höchstbetrag für die Freizeitwohnsitzabgabe festgelegt. Weder dem Verordnungsakt noch den im Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol erstatteten Äußerungen seien Ausführungen dazu zu entnehmen, welcher Art die nicht durch Benützungsgebühren und das Freizeitwohnsitzpauschale abgegoltenen finanziellen Belastungen sind, auf die von der Gemeinde im Rahmen der Festlegung der Abgabenhöhe Bedacht zu nehmen sei. Die Verordnung sei daher schon aus diesem Grund gesetzwidrig.

3. Die Tiroler Landesregierung und der Gemeinderat sowie der Bürgermeister der Gemeinde Kramsach haben von der Erstattung einer Äußerung abgesehen. Die Beschwerdeführerin vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol hat eine Äußerung erstattet, in der sie sich den Bedenken des Landesverwaltungsgerichtes Tirol anschließt.

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B-VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B-VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

1.2. Im Ausgangsverfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol ist über eine Beschwerde gegen die Vorschreibung der Freizeitwohnsitzabgabe für das Kalenderjahr 2021 zu entscheiden. Der verfahrensgegenständliche Freizeitwohnsitz weist eine Nutzfläche von 67,49 m2 auf. Für den Verfassungsgerichtshof bestehen daher keine Zweifel, dass das Landesverwaltungsgericht Tirol §1 litc der angefochtenen Verordnung in dem bei ihm anhängigen Verfahren anzuwenden hat. Diese Bestimmung steht mit den übrigen Bestimmungen der angefochtenen Verordnung in einem derart engen Regelungszusammenhang, dass von einem untrennbaren Zusammenhang auszugehen ist (VfGH 7.3.2022, V54/2021).

1.3. Ungeachtet der Formulierung des Antrages, "der Verfassungsgerichtshof möge ein Verordnungsprüfungsverfahren […] einleiten und feststellen, dass die gesamte Verordnung gesetzwidrig ist", ist der Antrag im Zusammenhang mit seiner Begründung als Aufhebungsbegehren zu verstehen (VfSlg 17.695/2005; VfGH 24.11.2016, V18-19/2016; 9.12.2020, V6/2020).

1.4. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag als zulässig.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof ist in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken beschränkt (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den im Antrag dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

2.2. Der Antrag ist begründet.

2.3. Die vom Landesverwaltungsgericht Tirol angefochtene Verordnung der Gemeinde Kramsach stützt sich auf §4 Abs3 TFWAG. Diese Bestimmung ermächtigt die Gemeinden die Abgabe durch Verordnung festzulegen, wobei in Abhängigkeit von der Nutzfläche des Freizeitwohnsitzes Mindest- und Höchstsätze durch den Landesgesetzgeber festgelegt sind. Die Vorschrift bestimmt ferner, dass die Gemeinde innerhalb dieser Bandbreiten bei der Festlegung der Abgabe auf den Verkehrswert der Liegenschaften in der Gemeinde und auf die finanziellen Belastungen der Gemeinde durch Freizeitwohnsitze Bedacht zu nehmen hat (siehe dazu VfGH 7.3.2022, V54/2021). Die Gemeinde Kramsach hat mit der auf §4 Abs3 TFWAG gestützten Verordnung des Gemeinderates vom 23. September 2019 über die Höhe der Freizeitwohnsitzabgabe die Abgabe jeweils mit dem gesetzlich vorgesehenen Höchstsatz festgelegt.

2.4. Mit Bezugnahme auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 7. März 2022, V54/2021, hegt das Landesverwaltungsgericht Tirol das Bedenken, dass die Verordnung schon deshalb gesetzwidrig sei, weil weder dem Verordnungsakt noch den im Verfahren erstatteten Äußerungen Ausführungen zu entnehmen seien, welcher Art die finanziellen Belastungen der Gemeinde seien. Damit ist das Landesverwaltungsgericht Tirol im Recht:

2.4.1. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 7. März 2022, V54/2021, festgehalten hat, ist die Freizeitwohnsitzabgabe finanzverfassungsrechtlich eine Zweitwohnsitzabgabe. Als solche soll diese Abgabe den Gemeinden ermöglichen, jene Aufwendungen abzudecken, die durch Zweitwohnsitze in den Gemeinden entstehen. Im Fall der Festlegung der Abgabe mit dem Höchstsatz muss erkennbar sein, dass es sich bei den darzulegenden Aufwendungen um überdurchschnittliche Aufwendungen handelt. Dabei haben Aufwendungen, die durch Benützungsgebühren oder Fremdenverkehrsabgaben finanziert werden, außer Betracht zu bleiben. Allgemeine Ausführungen etwa zur regionalen oder wirtschaftlichen Stellung einer Gemeinde und den Infrastruktur- und Versorgungseinrichtungen reichen dagegen nicht hin, den Höchstsatz zu begründen (vgl VfGH 7.3.2022, V54/2021, mit Hinweis auf VfSlg 18.792/2009).

2.4.2. Da weder dem Verordnungsakt noch den im Verfahren erstatteten Äußerungen Ausführungen dazu zu entnehmen sind, welcher Art die finanziellen Belastungen sind, auf die vom Gemeinderat im Rahmen der Festlegung der Höhe der Abgabe Bedacht zu nehmen ist, erweist sich die Verordnung als gesetzwidrig (vgl VfGH 7.3.2022, V54/2021).

V. Ergebnis

1. Die Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Kramsach vom 23. September 2019 über die Höhe der Freizeitwohnsitzabgabe ist daher wegen Verstoßes gegen §4 Abs3 TFWAG aufzuheben.

2. Die Verpflichtung der Tiroler Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und des damit im Zusammenhang stehenden weiteren Ausspruchs erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B-VG und §59 Abs2 VfGG iVm §2 Abs1 litj Tir Landes-Verlautbarungsgesetz 2021.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:V181.2022

Zuletzt aktualisiert am

23.01.2023
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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