TE Vwgh Erkenntnis 2022/11/30 Ra 2021/22/0104

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Veröffentlicht am 30.11.2022
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

NAG 2005 §11 Abs2 Z1
NAG 2005 §46 Abs1
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §28 Abs3
  1. VwGG § 42 heute
  2. VwGG § 42 gültig ab 01.01.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  3. VwGG § 42 gültig von 01.07.2012 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  4. VwGG § 42 gültig von 01.07.2008 bis 30.06.2012 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  5. VwGG § 42 gültig von 01.01.1991 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 330/1990
  6. VwGG § 42 gültig von 05.01.1985 bis 31.12.1990

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 30. März 2021, LVwG-2021/47/0220-8, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: S T, vertreten durch Dr. Paul Delazer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maximilianstraße 2/1), zu Recht erkannt:

Spruch

Der bekämpfte Beschluss wird im Umfang seiner Anfechtung (Spruchpunkt 1.) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Begründung

1        Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger von Serbien, stellte am 31. Juli 2019 bei der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck (belangte Behörde) einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ gemäß § 46 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG). Nachdem der Mitbeteiligte von der belangten Behörde mit dem Umstand konfrontiert worden war, dass es sich bei dem von ihm vorgelegten Sprachzertifikat vom 13. Juni 2019 um eine Fälschung handle, zog er den Antrag am 5. Dezember 2019 zurück.

2        Am 2. März 2020 stellte der Mitbeteiligte bei der belangten Behörde erneut einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ gemäß § 46 Abs. 1 NAG.

3        Mit Bescheid vom 18. Jänner 2021 wies die belangte Behörde diesen Antrag ab, weil die Erteilungsvoraussetzung gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 NAG nicht vorliege. Auch wenn der Mitbeteiligte nunmehr die erforderlichen Deutschkenntnisse erworben habe, sei das im Verfahren über den ersten Antrag vom 31. Juli 2019 vorgelegte gefälschte Sprachzertifikat einer Würdigung zu unterziehen und zu berücksichtigen, dass jede Umgehung der Regelungen über die Verpflichtung zur Vorlage eines entsprechenden Deutschnachweises massiv dem öffentlichen Interesse zuwiderlaufe. Aus dem Umstand der mittels Diversion erfolgten Erledigung des gegen den Mitbeteiligten eingeleiteten Strafverfahrens sei ebenso wie aus der bisherigen Einmaligkeit des Gesetzesbruchs für ihn nichts zu gewinnen.

4        Mit dem angefochtenen Beschluss vom 30. März 2021 gab das Verwaltungsgericht Wien der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - Folge, hob den bekämpften Bescheid auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurück (Spruchpunkt 1.). Ferner verpflichtete es den Mitbeteiligten zum Ersatz der Barauslagen für die zur mündlichen Verhandlung beigezogene Dolmetscherin (Spruchpunkt 2.) und erklärte die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für unzulässig (Spruchpunkt 3.).

5        Das Verwaltungsgericht stellte auf das hier Wesentliche zusammengefasst fest, die Ehegattin des Mitbeteiligten habe im Jänner 2021 eine monatliche Pension in der Höhe von € 1.413,51 bezogen. Der Mitbeteiligte beabsichtige, in der 57 m² großen Wohnung seiner Ehegattin zu wohnen. Er verfüge über eine Zusage zur Aufnahme einer Beschäftigung bei einem näher genannten Unternehmen im Ausmaß von 38,5 Stunden pro Woche mit Entlohnung nach dem Kollektivvertrag. Im Zuge der Erstantragstellung habe der Mitbeteiligte ein gefälschtes Sprachzertifikat vorgelegt. Das gegen ihn geführte Strafverfahren wegen der Vergehen der Urkundenfälschung gemäß § 223 Abs. 2 StGB und der versuchten mittelbaren unrichtigen Beurkundung gemäß den §§ 15, 228 Abs. 1 StGB sei gemäß § 199 in Verbindung mit § 200 Abs. 5 StPO mit einer Diversion erledigt und eingestellt worden. Er sei sowohl in Österreich als auch in Serbien unbescholten. Bei dem nunmehr im gegenständlichen Verfahren vorgelegten Sprachnachweis über Deutschkenntnisse auf dem Niveau A1 handle es sich um keine Fälschung.

6        In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht - soweit für den Revisionsfall relevant - aus, der belangten Behörde sei zwar beizupflichten, dass bei der Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 1 in Verbindung mit Abs. 4 Z 1 NAG nicht auf das Vorliegen einer rechtskräftigen Verurteilung abgestellt werden müsse. Es sei vielmehr auf die Art und Schwere des zugrundeliegenden Fehlverhaltens abzustellen und eine Prognosebeurteilung vorzunehmen. Im gegenständlichen Fall habe der Mitbeteiligte für die Vorlage des gefälschten Sprachzertifikats im Rahmen des Strafverfahrens die Verantwortung übernommen. Auch wenn ein solches Vergehen keinesfalls als nur leichtes Fehlverhalten zu beurteilen sei, habe nicht festgestellt werden können, inwiefern den Mitbeteiligten daran ein grobes Verschulden treffe, sodass der Gefährdungsprognose der belangten Behörde nicht gefolgt werden könne, zumal dem Mitbeteiligten kein weiteres Fehlverhalten anzulasten sei. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels widerstreite somit nicht den öffentlichen Interessen, weshalb das Erteilungshindernis des § 11 Abs. 2 Z 1 NAG nicht vorliege. Da die belangte Behörde nur dieses Erteilungshindernis geprüft und darüber hinaus keine Ermittlungsschritte gesetzt bzw. sich mit dem Vorliegen der weiteren Erteilungsvoraussetzungen nicht auseinandergesetzt habe, sei die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

7        Gegen Spruchpunkt 1. dieses Beschlusses wendet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision.

Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er die Zurückweisung „bzw.“ Abweisung der Revision beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

8        Die belangte Behörde bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, das Verwaltungsgericht sei von der hg. Rechtsprechung zu § 28 Abs. 3 VwGVG abgewichen, weil die belangte Behörde die wesentlichen Informationen für die Prüfung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen bereits eingeholt habe. Im Verwaltungsakt befänden sich Unterlagen über die Pensionshöhe der Ehegattin des Mitbeteiligten, ein Auszug des Kreditschutzverbandes betreffend die Ehegattin, eine Wohnrechtsvereinbarung und ein Mietvertrag für eine Wohnung. Angesichts dessen könne nicht gesagt werden, dass die belangte Behörde jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen oder lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt hätte.

Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.

9        Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG normiert diese Bestimmung einen prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen, zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Liegen die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG für eine Sachentscheidung vor, hat das Verwaltungsgericht jedenfalls eine solche zu treffen. Zudem hat das Verwaltungsgericht nachvollziehbar zu begründen, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt (vgl. VwGH 21.6.2022, Ra 2021/22/0231, Rn. 7, mit Verweis insbesondere auf VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063). Selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, rechtfertigen keine Zurückverweisung, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allfälligen mündlichen Verhandlung (§ 24 VwGVG) zu vervollständigen sind (vgl. VwGH 26.5.2021, Ra 2018/22/0132, Pkt. 7.1., mwN).

10       Im vorliegenden Fall kann nicht davon gesprochen werden, dass die belangte Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen, lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hätte. Vielmehr befinden sich in den Verwaltungsakten Unterlagen zum Einkommen der Ehegattin des Mitbeteiligten, ein auf den Mitbeteiligten und seine Ehegattin als Mieter abgeschlossener Mietvertrag für eine Wohnung sowie ein Auszug aus dem Kreditinformationssystem des KSV 1870, die das Verwaltungsgericht bei der Prüfung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen heranziehen hätte können. Dass die belangte Behörde in ihrem Bescheid ausgehend von ihrer Annahme, die Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 1 NAG liege nicht vor, keine Feststellungen zu den weiteren Erteilungsvoraussetzungen getroffen hat, ändert nichts am Vorhandensein der Ermittlungsergebnisse zum maßgeblichen Sachverhalt. Schon deshalb ist die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG lägen vor, verfehlt.

11       Das Verwaltungsgericht legte darüber hinaus auch nicht dar, weshalb die allenfalls notwendige Ergänzung des Ermittlungsverfahrens bzw. die Nachholung von fehlenden Feststellungen in Bezug auf die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des beantragten Aufenthaltstitels durch das Verwaltungsgericht selbst nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre (vgl. dazu VwGH 25.4.2019, Ra 2018/22/0287, Rn. 14, mwN), zumal es eine mündliche Verhandlung durchführte und im Anschluss daran vom Mitbeteiligten weitere Unterlagen - darunter eine Einstellungszusage für eine Beschäftigung im Ausmaß von 38,5 Wochenstunden - vorgelegt wurden.

12       Der angefochtene Beschluss ist daher aus den dargelegten Erwägungen im bekämpften Umfang mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet.

Die Entscheidung war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 30. November 2022

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021220104.L00

Im RIS seit

23.01.2023

Zuletzt aktualisiert am

23.01.2023
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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