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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Baur und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des C (lt. Reisepaß) in W, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 19. August 1994, Zl. 4.344.766/1-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 19. August 1994 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen des Libanon, der am 29. Juni 1994 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 11. Juli 1994 den Asylantrag gestellt hat, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 21. Juli 1994 abgewiesen.
Der Beschwerdeführer gab ua. im erstinstanzlichen Verfahren anläßlich der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Gendarmeriepostenkommando Sillian an, noch bevor er einen Asylantrag gestellt hatte, daß er bei einer Rücksendung in den Libanon "dort sogleich von der Polizei erschossen" werde, weil er "wegen des Krieges im Libanon verfolgt" werde. In der Folge versuchte der Beschwerdeführer nach Entlassung aus der Schubhaft illegal in die Schweiz zu gelangen und gab nach Aufgreifung vor dem Gendarmerieposten Hohenems unter dem Namen YH eine völlig andere Fluchtgeschichte an. Bei der niederschriftlichen Einvernahme am 11. Juli vor der BPD Wels brachte der Beschwerdeführer eine im wesentlichen niederschriftlich am 14. Juli wiederholte Fluchtroute vor und stellte den Asylantrag. In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 14. Juli 1994 gab der Beschwerdeführer zu den Fluchtgründen befragt an, Anführer von 12 Kämpfern der "FL" (in der Folge: FL) gewesen zu sein, welche seit 1992 entwaffnet worden sei. Ziel dieser Gruppe sei es gewesen, den Libanon von ausländischen Gruppen zu befreien. Die Gruppe werde der Kollaboration mit Israel beschuldigt, alle diesbezüglich verdächtigen Personen müßten wegen Hochverrats vor Gericht. Der Beschwerdeführer habe sich zwischen 1992 und seiner Flucht 1994 zu Hause aufgehalten. Ab Jänner 1994 hätten die ersten Verfolgungen der "verbotenen Gruppierung" FL begonnen, weshalb er in den Untergrund gegangen sei. Sein Vater sei festgenommen und mißhandelt worden, um den Aufenthalt des Beschwerdeführers bekanntzugeben (März 1994), auch seine Gattin sei mehrmals einvernommen worden. Er habe sich dem Verhör deshalb nicht gestellt, weil die Spitze seiner Gruppierung zum Tode verurteilt worden sei. Er selbst sei einmal im August 1993 festgenommen und gefoltert worden. Falls man ihn in den Libanon zurückschieben würde, wäre er lieber tot, da er diesen Folterungen der Militärpolizei nicht mehr ausgesetzt werden wolle.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag ab, und führte zur FL aus (ohne die Beweisquelle zu nennen, wobei diese im Akt auch nicht enthalten ist), daß die FL eine militante maronitische Separatismusbewegung darstelle, die einen autonomen Maroniten-Staat innerhalb des libanesischen Staatsgebietes errichten wolle und Gewalt bis in die jüngste Zeit anwende. Der Führer sei aus Gründen, die dem allgemeinen Kriminalstrafrecht zuzuordnen seien, in Haft. Er sei festgenommen worden, da er "sowie weitere Angehörige der FL", im Verdacht stehe, Drahtzieher eines Mordanschlages im Jahre 1990 sowie eines Bombenanschlages auf eine Kirche 1994 (mit 9 Toten und zahlreichen Verletzten) gewesen zu sein. Die FL sei im März 1994 verboten worden. Stehe der Beschwerdeführer in Verdacht, bei derartigen Anschlägen beteiligt gewesen zu sein, so stelle dieser Umstand keinen Asyl- bzw. Fluchtgrund im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention dar. Sei er jedoch nicht an kriminellen Handlungen nach dem 13. Oktober 1990 (nach Beendigung des Bürgerkrieges) beteiligt, so gelte eine im Jahr 1990 ausgesprochene Amnestie für im Bürgerkrieg begangene Kriegsverbrechen. Die Festnahme im Jahr 1993 sei aufgrund des langen Zeitabstandes zur nunmehrigen Flucht nicht mehr aktuell. Weiters sei die FL religiös orientiert, sie bestehe aus Maroniten.
In der Berufung wiederholte der Beschwerdeführer seine Motive und bekämpfte die Annahmen des Bundesasylamtes unter anderem mit dem Hinweis, daß er Moslem sei, seine Ehefrau Christin, und der Kampf der FL nicht religiös, sondern politisch motiviert sei. Die im August 1991 verkündete Generalamnestie gelte nicht für alle im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg begangenen Straftaten vor dem 28. März 1991, sondern für solche Personen nicht, die eines Vergehens gegen die äußere Staatssicherheit beschuldigt werden. Darunter falle die politische Tätigkeit im Rahmen der FL. Solchen Personen werde die Todesstrafe angedroht. Der Beschwerdeführer zitierte hiezu Beispiele aus den Jahresberichten 1993 und 1994 von Amnesty International: 1993 seien mindestens fünf Angehörige der FL unter dem Verdacht, negative Propaganda verbreitet zu haben, festgenommen worden. Weitere 20 FL-Angehörige würden seit 1992 auf ein Strafverfahren wegen Angriffen gegen die Staatssicherheit warten. Der Führer der FL sei im November 1993 inhaftiert und unter Anklage gestellt worden, sein Prozeß habe im Dezember 1993 begonnen.
Seine Person betreffend brachte der Beschwerdeführer neu vor, daß er auch im Jänner 1994 verhaftet worden sei, um über die LF und seine Tätigkeit verhört zu werden. Er sei gefoltert worden, wobei die Folterungen und die erlittenen Verletzungen näher ausgeführt werden. Erst danach sei er in Beirut untergetaucht und habe seine Flucht vorbereitet.
Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung teils damit, daß sie dem Beschwerdeführer wegen Widersprüchen die Glaubwürdigkeit absprach, teils daß die im erstinstanzlichen Verfahren gemachten Angaben eine asylrechtlich relevante Verfolgung nicht glaubhaft machen könnten sowie daß die Neuerungen in der Berufung gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 unbeachtlich seien.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde erwogen:
Die belangte Behörde übersieht, daß das Neuerungsverbot des § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 nur für ein mängelfreies Ermittlungsverfahren erster Instanz gilt.
Gemäß § 37 iVm. den §§ 39 Abs. 2 AVG und 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 trifft die Behörde die Verpflichtung, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen. Darunter fällt unter anderem auch die Pflicht der Behörde, im Verfahren auftretende Widersprüche aufzuklären. Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung erkennt, hat die Behörde dann Ermittlungen anzustellen, wenn sich aus den Angaben des Asylwerbers asylrechtlich relevante Anhaltspunkte ergeben, nicht aber Asylgründe zu ermitteln, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. April 1995, Zl. 95/20/0112).
Der Beschwerdeführer hat Verfolgung aus politischen Gründen behauptet. Abgesehen von Ungereimtheiten in den verschiedenen erstinstanzlichen Aussagen des Beschwerdeführers hatte die Behörde zu beachten, daß Widersprüche nicht nur in den Angaben des Beschwerdeführers, sondern auch in Tatsachen, welche das Bundesasylamt aus ungenannten Erkenntnisquellen zitierte und die in Verbindung mit den Angaben des Beschwerdeführers zur Verfolgungssituation der FL ein derart unklares Bild ergeben, daß die belangte Behörde eine Ergänzung des diesbezüglich mangelhaften Ermittlungsverfahrens anzuordnen gehabt hätte. Denn wenn die Verhaftung des Führers der FL bereits im November 1993 erfolgte, so ist nicht ohne weiteres nachvollziehbar, daß er auch im Verdacht steht, an einem Bombenanschlag auf eine Kirche im Jahre 1994 beteiligt gewesen zu sein. Aufklärungsbedürftig ist auch, wieso die nach den Angaben des Bundesasylamtes erst im März 1994 verbotene LF nach den Angaben des Beschwerdeführers bereits ab Jänner 1994 verfolgt wurde; in diesem Zusammenhang ist auch auf die - grundsätzlich nicht zur Belegung konkreter individueller Verfolgung geeigneten - Berichte von Amnesty International hinzuweisen, daß im Jahre 1993 Angehörige der LF unter dem Verdacht negativer Propaganda verhaftet wurden und der Beschwerdeführer ebenfalls eine Verhaftung samt Folterung im August 1993 angibt.
Aufgrund dieser nicht geklärten Umstände ist weder der zeitliche Zusammenhang der im August 1993 erfolgten Verhaftung mit einer asylrechtlich relevanten Verfolgung auszuschließen, noch die dem Beschwerdeführer drohende Verfolgung aus Gründen politischer Tätigkeit (Vergehen gegen die äußere Staatssicherheit) und die in der Berufung erstmals angeführte neuerliche Verhaftung samt Folterung von vornherein als unbeachtliche Neuerung im Sinne des § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 zu qualifizieren. Letztlich hätte die belangte Behörde bei ihrer Wertung der den Mitgliedern der FL drohenden Verfolgung als solche aus rein kriminellen Umständen auch berücksichtigen müssen, daß hiebei nicht der Maßstab eines hochentwickelten Rechtsstaates angelegt werden kann, sondern es durchaus nicht unwahrscheinlich ist, daß im Gefolge von Bürgerkriegen politische Verfolgung unter dem Mantel kriminalstrafrechtlicher Verfolgung zu verbergen versucht wird.
Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1994200716.X00Im RIS seit
20.11.2000