TE Vwgh Erkenntnis 2022/12/12 Ra 2022/09/0104

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Veröffentlicht am 12.12.2022
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

B-VG Art18 Abs2
COVID-19-MaßnahmenG 2020 §2
COVID-19-MaßnahmenG 2020 §2 Z3
EpidemieG 1950 §24
EpidemieG 1950 §32 Abs1 Z7
VwGG §42 Abs2 Z1
VwRallg
  1. B-VG Art. 18 heute
  2. B-VG Art. 18 gültig ab 01.07.2012 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  3. B-VG Art. 18 gültig von 01.01.2004 bis 30.06.2012 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  4. B-VG Art. 18 gültig von 01.01.2002 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 121/2001
  5. B-VG Art. 18 gültig von 01.01.1999 bis 31.12.2001 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 121/2001
  6. B-VG Art. 18 gültig von 01.01.1999 bis 31.12.1996 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 8/1999
  7. B-VG Art. 18 gültig von 01.01.1997 bis 31.12.1998 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 121/2001
  8. B-VG Art. 18 gültig von 19.12.1945 bis 31.12.1996 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  9. B-VG Art. 18 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934
  1. VwGG § 42 heute
  2. VwGG § 42 gültig ab 01.01.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  3. VwGG § 42 gültig von 01.07.2012 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  4. VwGG § 42 gültig von 01.07.2008 bis 30.06.2012 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  5. VwGG § 42 gültig von 01.01.1991 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 330/1990
  6. VwGG § 42 gültig von 05.01.1985 bis 31.12.1990

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofräte Dr. Doblinger und Mag. Feiel sowie die Hofrätinnen Dr. Koprivnikar und Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die außerordentliche Revision der F GmbH in L, vertreten durch Mag. Andreas Germann, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Scheffelstraße 7a, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom 4. Juli 2022, LVwG-408-129/2020-R14, betreffend Vergütung für Verdienstentgang nach dem Epidemiegesetz 1950 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Bludenz), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1        Die revisionswerbende Partei betreibt in L, im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Bezirkshauptmannschaft Bludenz (vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde), einen Gastgewerbebetrieb in der Betriebsart eines Restaurants.

2        Mit dem am 30. April 2020 ergänzten Antrag vom 14. März 2020 begehrte die revisionswerbende Partei Vergütung für den ihr im Zeitraum 14. März 2020 bis 26. April 2020 eingetreten Verdienstentgang in der Höhe von € 83.855,34 nach § 32 Epidemiegesetz 1950 (EpiG).

3        Dieser sei ihr durch die mit Amtsblatt für das Land Vorarlberg (ABl.) vom 14. März 2020, Nr. 13/2020, kundgemachte Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Bludenz betreffend die Schließung des Seilbahnbetriebes und von Beherbergungsbetrieben zur Verhinderung der Ausbreitung von SARS-CoV-2 im gesamten Bezirk, die Verordnung des Landeshauptmannes nach § 2 Z 2 des COVID-19-Maßnahmengesetzes betreffend das Betreten von Seilbahnanlagen und von Beherbergungsbetrieben zu touristischen Zwecken, Vorarlberger LGBl. Nr. 16/2020, die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Bludenz betreffend Verkehrsbeschränkungen für die Ortschaften Lech und Klösterle (Ortsteil Stuben) vom 17. März 2020, ABl. 14/2020, und die Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl. II Nr. 96/2020, entstanden.

4        Mit dem im Beschwerdeverfahren ergangenen Erkenntnis vom 7. Juni 2021 wies das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg diesen Antrag - insoweit in Bestätigung des Bescheids der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde vom 17. September 2020 - gemäß § 32 EpiG ab.

5        Der Verwaltungsgerichtshof hob dieses Erkenntnis, soweit es den Vergütungszeitraum 17. März 2020 bis 3. April 2020 betraf, mit Erkenntnis vom 28. Februar 2022, Ra 2021/09/0229, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf. Im Übrigen wurde die Revision abgewiesen.

6        Die Aufhebung begründete der Verwaltungsgerichtshof zusammengefasst damit, dass die auf § 24 EpiG gestützte und ab 17. März 2020, 12:00 Uhr, in Geltung gestandene, Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Bludenz vom 17. März 2020, ABl. Nr. 14/2020, durch die ab 18. März 2020 in Geltung gesetzte, auf § 2 Z 3 COVID-19-Maßnahmengesetz (COVID-19-MG) gestützte Verordnung dieser Bezirkshauptmannschaft vom selben Tag, ABl. Nr. 15/2020, abgelöst wurde. Mit § 1 der zuletzt genannten Verordnung wurde das Betreten und Verlassen u.a. der Ortschaft L verboten. Ein solches Verbot konnte sich jedoch nicht auf § 2 COVID-19-MG stützen, sodass auch mit dieser Bestimmung eine Verkehrsbeschränkung verfügt wurde, die in § 24 EpiG ihre Grundlage hatte. Für den Zeitraum des Bestehens der (materiell) auf § 24 EpiG beruhenden Verordnungen der Bezirkshauptmannschaft Bludenz war daher ein Vergütungsanspruch nach § 32 Abs. 1 Z 7 EpiG zu prüfen (siehe für Näheres VwGH 28.2.2022, Ra 2021/09/0229).

7        Mit dem angefochtenen (Ersatz-)Beschluss vom 4. Juli 2022 hob das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg den angefochtenen Bescheid in seinem Abspruch über den Vergütungszeitraum vom 17. März 2020 bis 3. April 2020 gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die belangte Behörde zurück.

8        Rechtlich führte das Verwaltungsgericht dazu im Wesentlichen aus, die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Bludenz vom 17. März 2020, ABl. Nr. 14/2020, habe sich auf § 24 EpiG gestützt und sei am 17. März 2020 von 12:00 Uhr bis 24:00 Uhr in Geltung gestanden. Die mit § 1 Abs. 1 dieser Verordnung durch das Verbot der Zu- und Abfahrt in die Ortschaften L und K verfügte Verkehrsbeschränkung erfülle den Tatbestand des § 32 Abs. 1 Z 7 EpiG. Auf Grundlage dieser Verordnung stehe der revisionswerbenden Partei eine Vergütung nach § 32 EpiG für einen halben Tag zu.

9        Die zuvor genannte Verordnung sei durch die nach ihrer Promulgationsklausel auf § 2 Z 3 COVID-19-MG gestützte Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Bludenz vom 17. März 2020, ABl. Nr. 15/2020, mit einem Geltungszeitraum von 18. März 2020 bis 3. April 2020 abgelöst worden. Mit deren § 1 Abs. 1 sei das Betreten und Verlassen dieser Ortschaften verboten worden.

10       Mit den Ausführungen im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Oktober 2021, Ro 2021/09/0006, könne nur gemeint sein, dass sich zwar das in § 1 Abs. 1 der Verordnung ABl. Nr. 15/2020, normierte Verbot des Betretens auf § 2 Z 3 COVID-19-MG habe stützen können, jedoch das Verbot des Verlassens u.a. der Ortschaft L gesetzwidrig gewesen sei. Da sich das Verlassen aber auf § 24 EpiG als andere gesetzliche Grundlage stützen lasse, liege keine gesetzwidrige Verordnung vor. Daraus folge, dass mit dieser Verordnung nur hinsichtlich des Verlassens u.a. der Ortschaft L eine Verkehrsbeschränkung gemäß § 24 EpiG angeordnet worden sei, das Betreten dieser Ortschaft jedoch auf Grundlage des § 2 COVID-19-MG verboten gewesen sei. Es sei daher nur das „Verbot des Verlassens“ der Ortschaft L entschädigungsfähig, weil sich dieses auf § 24 EpiG stütze, nicht hingegen das „Verbot des Betretens“, weil dieses - gesetzeskonform - in § 2 COVID-19-MG eine gesetzliche Grundlage gehabt habe.

11       Für einen Vergütungsanspruch nach § 32 EpiG müsse die Verkehrsbeschränkung gemäß § 24 EpiG (hier: „Verbot des Verlassens“) aber auch kausal für den Verdienstentgang sein. Dies sei aber nicht der Fall.

12       Der Restaurantbetrieb der revisionswerbenden Partei werde zum überwiegenden Teil („beinahe ausschließlich“) von Touristen frequentiert. Das Fernbleiben der Gäste habe im relevanten Zeitraum bei der revisionswerbenden Partei zum Umsatzausfall geführt. Daraus folge aber, dass der Verdienstentgang nicht darauf zurückzuführen sei, dass Gäste die Ortschaft L nicht hätten verlassen dürfen, sondern weil sie die Ortschaft nicht hätten betreten dürfen. Mit anderen Worten sei der Verdienstentgang nicht auf das „Verbot des Verlassens“, sondern auf das „Verbot des Betretens“ der Ortschaft zurückzuführen. Insoweit die Verordnung ABl. Nr. 15/2020 das Verlassen u.a. der Ortschaft L verboten habe, sei sie für den Verdienstentgang der revisionswerbenden Partei daher nicht kausal gewesen. Es bestehe somit für den Zeitraum vom 18. März 2020 bis zum 3. April 2020 kein Vergütungsanspruch nach § 32 Abs. 1 Z 7 EpiG.

13       Es bleibe zu ermitteln, so führte das Verwaltungsgericht abschließend aus, in welcher Höhe die Vergütung des Verdienstentgangs für den Zeitraum 17. März 2020 von 12:00 Uhr bis 24:00 Uhr zustehe. Dazu seien Berechnungen im Sinn des § 32 Abs. 4 EpiG anzustellen und allenfalls Abzüge gemäß § 32 Abs. 5 EpiG in Anschlag zu bringen. Dafür stünden der Behörde umfangreiche technische und budgetäre Mittel zur Verfügung, weshalb die Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGG vorlägen und der angefochtene Bescheid für den Zeitraum 17. März 2020 bis 3. April 2020 aufzuheben und die Angelegenheit in diesem Umfang zur Erlassung eines neuen Bescheids zurückzuverweisen gewesen sei.

14       Die Unzulässigkeit der Revision begründete das Landesverwaltungsgericht mit dem Fehlen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung.

15       Gegen diesen Beschluss richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Revision. Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

16       Die revisionswerbende Partei sieht die Zulässigkeit ihrer Revision mit näherer Begründung vorwiegend darin gelegen, dass das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg mit seiner Entscheidung von der in diesem Verfahren ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 28.2.2022, Ra 2021/09/0229) abgewichen sei.

17       Die Revision ist unter diesem Gesichtspunkt zulässig und auch begründet.

18       Zunächst kann für die maßgebliche Rechtslage in sinngemäßer Anwendung des § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf das in dieser Sache ergangene Erkenntnis vom 28. Februar 2022, Ra 2021/09/0229, verwiesen werden.

19       Hat das Verwaltungsgericht den verwaltungsbehördlichen Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die Behörde zurückverwiesen, so kann ein solcher Beschluss eine Rechtsverletzung dadurch bewirken, dass das Verwaltungsgericht entweder von der Regelung des § 28 Abs. 3 VwGVG zu Unrecht Gebrauch gemacht und keine Sachentscheidung getroffen hat oder von einer für die betroffene Partei nachteiligen, jedoch für das weitere Verfahren bindenden unrichtigen Rechtsansicht ausgegangen ist (vgl. VwGH 28.3.2017, Ro 2016/09/0009, mwN).

20       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG normiert diese Bestimmung einen prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen, zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Liegen die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG für eine Sachentscheidung vor, hat das Verwaltungsgericht jedenfalls eine solche zu treffen. Zudem hat das Verwaltungsgericht - wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt festgehalten hat - nachvollziehbar zu begründen, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt (siehe zu allem VwGH 17.09.2019, Ra 2019/22/0059; vgl. auch dazu ausführlich VwGH 28.3.2017, Ro 2016/09/0009, mwN).

21       Im vorliegenden Fall hob das Verwaltungsgericht den Bescheid insoweit auf und trug der Behörde in diesem Umfang eine neue Entscheidung auf, als dieser den Vergütungszeitraum vom 17. März 2020 bis 3. April 2020 betraf. Dies begründete es damit, dass der revisionswerbenden Partei eine Vergütung nach § 32 Abs. 1 Z 7 EpiG für den 17. März 2020, 12:00 Uhr bis 24:00 Uhr zustehe, die erst auszumessen sei. Für den Zeitraum vom 18. März 2020 bis zum 3. April 2020 stehe jedoch keine Vergütung zu.

22       Auch wenn die revisionswerbende Partei vornehmlich geltend macht, dass das Landesverwaltungsgericht bei seiner Aufhebung von einer - für die Behörde im weiteren Verfahren bindenden - unrichtigen Rechtsansicht ausgegangen wäre, ist an dieser Stelle festzuhalten, dass die dargestellte Begründung des Verwaltungsgerichts schon von vornherein nicht geeignet ist, den Spruch des angefochtenen Beschlusses zu tragen, bestünde nach dieser doch nur für den 17. März 2020 ein Anspruch in noch zu klärender Höhe. Für den übrigen Zeitraum wäre die Sache - der Begründung des Landesverwaltungsgerichts zufolge - bereits im Sinne einer Abweisung spruchreif. Die ausgesprochene Aufhebung und Zurückverweisung wäre daher bereits ausgehend von der Begründung des angefochtenen Beschlusses in diesem Umfang rechtswidrig.

23       Das Verwaltungsgericht hat jedoch vor allem das Folgende verkannt und aus diesem Grund seinen Beschluss mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet:

24       Gemäß § 63 Abs. 1 VwGG sind die Verwaltungsgerichte und die Verwaltungsbehörden dann, wenn der Verwaltungsgerichtshof einer Revision stattgegeben hat, verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen. Die Verwaltungsbehörden bzw. Verwaltungsgerichte sind bei der Erlassung der Ersatzentscheidung sohin an die vom Verwaltungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis geäußerte Rechtsanschauung gebunden. Eine Ausnahme bildet der Fall einer wesentlichen Änderung der Sach- und Rechtslage. Auch der Verwaltungsgerichtshof selbst ist gemäß § 63 Abs. 1 VwGG an seine Erkenntnisse gebunden (vgl. etwa VwGH 19.12.2017, Ro 2017/09/0001, mwN).

25       In dem in dieser Rechtssache ergangenen Erkenntnis vom 28. Februar 2022, Ra 2021/09/0229, führte der Verwaltungsgerichtshof, soweit für die hier gegenständliche Frage relevant, aus:

„35 Die auf § 24 EpiG gestützte Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Bludenz, die ab 17. März 2020, 12:00 Uhr, in Geltung stand, wurde durch die auf § 2 Z 3 COVID-19-MG gestützte Verordnung dieser Bezirkshauptmannschaft, die ab 18. März 2020 in Geltung gesetzt worden war, abgelöst.

36 Bei der Bestimmung des § 2 COVID-19-MG handelt es sich um eine lex specialis gegenüber § 24 EpiG (VfGH 14.7.2020, V 363/2020). Wie der Verfassungsgerichtshof zu dieser Bestimmung weiter ausgeführt hat, kann mit einer auf dieser Grundlage erlassenen Verordnung das Betreten regional begrenzter Gebiete wie etwa Ortsgebiete oder Gemeinden untersagt werden. Auf Grundlage des § 2 COVID-19-MG können Menschen aber nicht dazu verhalten werden, an einem bestimmen Ort, insbesondere auch in ihrer Wohnung, zu verbleiben (VfGH 14.7.2020, V 363/2020, Rn. 45, 53 ff).

37 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist jedoch nicht entscheidend, auf welche Rechtsgrundlage eine Verordnung förmlich (z.B. in ihrer Promulgationsklausel) gestützt wird. Gesetzwidrigkeit einer Verordnung liegt vielmehr nur dann vor, wenn sie sich auch nicht auf eine andere gesetzliche Grundlage stützen konnte (VfGH 23.6.2021, E 4044/2020).

38 Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus, dass mit einer auf § 2 COVID-19-MG gestützten Verordnung das Verbot des Betretens eines bestimmten Orts, worunter auch eine Ortgemeinde zu verstehen ist, erlassen werden durfte, hingegen Menschen nicht dazu verhalten werden konnten, an einem bestimmten Ort zu verbleiben (siehe nochmals VfGH 23.6.2021, E 4044/2020; 10.12.2020, V 535/2020; V 512/2020).

39 Mit § 1 der in Rede stehenden Verordnung wurde das Betreten und Verlassen u.a. der Ortschaft L verboten. Ein solches Verbot konnte sich nach dem Gesagten nicht auf § 2 COVID-19-MG stützen. Es wurde daher auch mit § 1 dieser Verordnung von der - dafür auch zuständigen - Bezirkshauptmannschaft Bludenz eine Verkehrsbeschränkung verfügt, die in § 24 EpiG ihre Grundlage hatte (vgl. auch VwGH 28.10.2021, Ro 2021/09/0006).

40 Für den Zeitraum des Bestehens der (materiell) auf § 24 EpiG beruhenden Verordnungen der Bezirkshauptmannschaft Bludenz ist daher ein Vergütungsanspruch nach § 32 Abs. 1 Z 7 EpiG zu prüfen. Indem das Verwaltungsgericht dies verkannte, belastete es sein Erkenntnis in diesem Umfang mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.“

26       Das Landesverwaltungsgericht vermeinte nun, dass sich zwar das Verbot des Verlassens einer Ortschaft nicht auf § 2 COVID-19-MG stützen könne, sehr wohl aber das Verbot des Betretens dieser Ortschaft. Dabei übersah das Verwaltungsgericht jedoch, dass nicht einerseits das Betreten und andererseits das Verlassen der Ortschaft verboten wurde, sondern das „Betreten und Verlassen“.

27       Der Verordnungsgeber unterschied nicht zwischen einerseits dem Betreten und andererseits dem Verlassen, sondern regelte das „Betreten und Verlassen“ als eines. Wie der Verfassungsgerichtshof zu dem vergleichbaren Fall des Verbots betreffend die „Zufahrt zu und die Abfahrt aus den Gemeinden im Landesgebiet“ mit näherer Begründung bereits dargelegt hat, wird damit nicht das Betreten bestimmter Orte, sondern das Überschreiten von Gemeindegrenzen untersagt. Eine solche Verkehrsbeschränkung findet im Wortlaut des § 2 COVID-19-MG keine Grundlage (siehe VfGH 10.12.2020, V 535/2020, Rn 28, Pkt. 2.2.1.4., zu der Verordnung des Landeshauptmanns von Tirol vom 20. März 2020, LGBl. 35/2020).

28       Stellt die Wendung „Zufahrt zu und Abfahrt aus“ auf einen Fahrzeuggebrauch ab, umfasst „Betreten und Verlassen“ (auch) Fußgänger (siehe die Ausnahmen für Einsatz- und Versorgungsfahrten in § 1 Abs. 2 der Verordnung ABl. 15/2020). Ungeachtet dessen wird auch mit der Regelung gleichermaßen das Überschreiten von Gemeindegrenzen untersagt, was keine Grundlage in § 2 COVID-19-MG findet. Eine Zerlegung dieser Regelung in ein Betreten einerseits und ein Verlassen andererseits kommt nicht in Betracht. Die Verkehrsbeschränkung als solche findet im Wortlaut des § 2 COVID-19-MG keine Grundlage und ist daher als auf § 24 EpiG gestützt zu beurteilen (so bereits VwGH 28.2.2022, Ra 2021/09/0229, Rn. 39).

29       Dementsprechend wurde in dem im ersten Rechtsgang ergangenen Erkenntnis angeordnet, dass für den Zeitraum des Bestehens der (materiell) auf § 24 EpiG beruhenden Verordnungen der Bezirkshauptmannschaft Bludenz ein Vergütungsanspruch nach § 32 Abs. 1 Z 7 EpiG zu prüfen ist (VwGH 28.2.2022, Ra 2021/09/0229, Rn. 40). Auch die Verordnung vom 17. März 2020, ABl. 15/2020, ist in dem hier interessierenden Umfang des Verbots des Betretens und Verlassens von L als eine materiell auf § 24 EpiG beruhende Verordnung zu bewerten.

30       Mit seiner Beurteilung wich das Verwaltungsgericht daher von der im vorliegenden Fall bindenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab. Indem das Verwaltungsgericht dem oben Gesagten zufolge der Behörde mit der Aufhebung des Bescheids eine unrichtige Rechtsansicht überbunden hat, hat es seine Entscheidung mit Rechtswidrigkeit des Inhalts belastet. Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

31       Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Der gesonderte Zuspruch von Umsatzsteuer findet in diesen Bestimmungen keine Deckung, weshalb das darauf gerichtete Mehrbegehren abzuweisen war.

Wien, am 12. Dezember 2022

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Besondere Rechtsgebiete Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022090104.L00

Im RIS seit

23.01.2023

Zuletzt aktualisiert am

23.01.2023
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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