TE Vwgh Erkenntnis 1996/1/16 95/20/0158

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Veröffentlicht am 16.01.1996
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §2 Abs4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. König, über die Beschwerde des M in W, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 13. Februar 1995, Zl. 4.345.001/1-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen, nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 13. Februar 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines iranischen Staatsangehörigen, der am 9. August 1994 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 12. August 1994 den Asylantrag gestellt hat, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 29. August 1994, mit welchem dieser Asylantrag abgewiesen worden war, abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde - zusammengefaßt - aus, der Beschwerdeführer sei bereits im Jahre 1990 als Tourist nach Österreich gekommen und hiergeblieben, um an der Technischen Universität in Wien zu studieren. Im August 1992 seien ihm seine Dokumente gestohlen worden, was er auch bei der Polizei angezeigt habe. In der Folge sei er zu seiner Botschaft gegangen, um Duplikate der Dokumente anzufordern. Dabei habe man versucht, ihn als Spitzel anzuwerben. Dadurch habe er so große Angst bekommen, daß er ein paar Tage darauf nach Traiskirchen gegangen und dort einen Asylantrag gestellt habe. Dieser Asylantrag sei negativ entschieden worden, was er nicht bekämpft habe. Immer wieder habe er versucht, neue Dokumente zu erhalten, jedesmal habe man ihm die Auskunft erteilt, er müsse dazu in den Iran zurückkehren, um sich die Dokumente dort zu besorgen. Als man ihm sogar ein Flugticket zur Verfügung gestellt hätte, sei er am 24. September 1992 mit einer Maschine der Iran Air nach Teheran geflogen, wo er unverzüglich nach seiner Ankunft noch am Flughafen festgenommen und ins Evin-Gefängnis gebracht worden sei, wo man ihn einige Zeit in Einzelhaft gehalten und sodann in eine Gemeinschaftszelle gesteckt und oft mit Kabeln gefoltert habe. Von einem dabei geschehenen versehentlichen Schlag ins Gesicht trage er noch Narben. Man habe die Gefangenen der Gemeinschaftszelle immer wieder psychischem Terror ausgesetzt. Anfang Februar 1994 habe man die Gefangenen in eine weiße Hose und blaues Sakko eingekleidet und in einem Bus zum Grab Khomeinis geschafft, wo sie - gemeinsam mit vielen "normalen" Besuchern - das übliche Waschritual am Grab Khomeinis zu dessen Todestag vornehmen hätten sollen. Er habe nach Beendigung des Waschvorganges erfolgreich die Flucht ergriffen und sei noch am selben Tag von seiner Schwester, die in der Nähe des Mausoleums gelebt habe, nach Astara gefahren, wo er sich eine Woche bis zehn Tage bei einem Bekannten des Fluchthelfers aufgehalten habe. Dann sei er mit türkischen Schleppern in mehreren Etappen teils in Fußmärschen, teils in Maultierritten in verschiedene Dörfer gezogen, deren Namen und Lage ihm nicht erinnerlich seien, hätte schneebedeckte Berge überquert und sei neun Stunden mit einem Zug gefahren. In der Nähe der Stadt, in der er den Zug verlassen hätte, habe er etwa einen Monat in einem kleinen Dorf verbracht. Dies habe sich nach Fortsetzung seiner insgesamt etwa 6 Monate dauernden Reise jeweils in mehreren Etappen wiederholt, bis er zuletzt nach einer Autoreise von etwa drei bis vier Stunden in der Nähe der österreichischen Grenze abgesetzt worden sei, die er zu Fuß in etwa sieben Stunden überquert habe. Genauere Angaben zu seinem Fluchtweg habe der Beschwerdeführer trotz wiederholter Befragungen nicht machen können, woraus die belangte Behörde in ihrer Begründung schloß, er habe diesbezügliche Angaben nicht machen wollen. Er habe insgesamt nicht glaubhaft machen können, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden. Von dem in seinem Heimatland bestehenden islamisch-fundamentalistischen Regime seien alle Bürger dieses Landes gleichermaßen betroffen, die Ablehnung desselben könne keinen Anerkennungsgrund darstellen, ebensowenig wie die Versuche, ihn für eine nachrichtendienstliche Tätigkeit zu gewinnen. Unlogisch und nicht nachvollziehbar sei überdies, daß der Beschwerdeführer noch nach Abweisung seines (ersten) Asylantrages sich wiederum mehrfach zur iranischen Botschaft begeben zu haben und sogar freiwillig in den Iran zurückgekehrt zu sein behauptet habe. Auch die Darstellung über seine angeblich stattgefundene Flucht hielt die belangte Behörde für unglaubwürdig, weil es ihr als "völlig unwahrscheinlich" erschien, sich - wie der Beschwerdeführer behauptete - "den Aufsichtsorganen des iranischen Regimes so einfach" auf die von dem Beschwerdeführer "geschilderte Art und Weise zu entziehen". Dem im Berufungsverfahren vorgelegten ärztlichen Gutachten über den physischen und psychischen Zustand des Beschwerdeführers billigte die belangte Behörde zwar grundsätzlich die Eigenschaften eines in sich schlüssigen Gutachtens zu, würdigte jedoch das medizinische Kalkül im Rahmen der Beweiswürdigung deshalb nicht zugunsten des Beschwerdeführers, weil dieses Gutachten "allein aufgrund der persönlichen Angaben des Asylwerbers erstellt" worden sei. Es habe daher als Beweismittel nur für den momentanen psychischen Status herangezogen werden können, nicht jedoch für die "Vorgeschichte".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Zunächst ist klarzustellen, daß hier zur Beurteilung nur Umstände als entscheidungswesentlich herangezogen werden können, die nach der rechtskräftigen Abweisung des (ersten) Asylantrages des Beschwerdeführers lagen, und somit nicht Gegenstand des abweislichen Bescheides des Bundesasylamtes vom 14. August 1992 sein konnten (§ 2 Abs. 4 Asylgesetz 1991).

Zu Recht weist der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften darauf hin, die belangte Behörde habe es gänzlich unbeachtet gelassen, daß er bereits zu Beginn seiner Vernehmung auf seinen schlechten psychischen Zustand einschließlich erheblicher Erinnerungslücken hingewiesen und im Berufungsverfahren das auch von der belangten Behörde zitierte ärztliche Gutachten vorgelegt habe. Aus diesem Sachverständigengutachten, dessen Schlüssigkeit die belangte Behörde nicht in Zweifel zieht, ergibt sich medizinischerseits ein Zustandsbild, das die belangte Behörde bei ihrer Beweiswürdigung zu berücksichtigen gehabt hätte. Danach weist der Beschwerdeführer folgenden psychopathologischen Status auf:

"Patient ist allseit orientiert, Gedankenduktus ist kohärent, stark verlangsamt, mnistische Funktionen:

Merkfähigkeit, GEDÄCHTNIS und KONZENTRATION SIND STARK HERABGESETZT, kein produktive Symptomatik, ausgeprägte PARANOIDE HALTUNG, die Stimmung ist ängstlich depressiv, Antrieb ist vermindert, die Affizierbarkeit ist im negativen

Bereich, vegetative Störungen: Schwitzen, Sodbrennen, Angstgefühle, Ein- und Durchschlafstörung, Selbstmordgedanken."

Die daran anschließende ärztliche Diagnose lautete:

Angstdepressives Syndrom, Erschöpfungsdepression, im Rahmen eines posttraumatischen Streßsyndroms. Unabhängig davon, wie weit man den Ausführungen des Sachverständigen im anamnestischen Bereich (ausschließlich basierend auf den Angaben des Asylwerbers) folgen kann oder nicht, liegen auch von der belangten Behörde nicht bestrittene, vom Normalstatus abweichende Krankheitssymptome beim Beschwerdeführer vor, die die belangte Behörde zumindest zu einer sorgsameren Beweiswürdigung hätten veranlassen müssen. Insoweit sich die belangte Behörde beweiswürdigend auf Umstände bezieht, die sich vor Stellung des zweiten Asylantrages ereignet haben, fehlt ein logischer Zusammenhang mit jenen Fluchtgründen, die der Beschwerdeführer nunmehr (in seinem zweiten Asylantrag) geltend macht. Unbegründet erscheint auch die Schlußfolgerung der belangten Behörde, es sei "völlig unwahrscheinlich, sich den Aufsichtsorganen des iranischen Regimes so einfach" auf die vom Beschwerdeführer "geschilderte Art und Weise zu entziehen", hat doch der Beschwerdeführer in Übereinstimmung mit der allgemeinen Lebenserfahrung und Medienberichten über derartige Massenveranstaltungen darauf hingewiesen, daß bei diesen Feierlichkeiten eine große Menschenmenge anwesend war, in der die Bewachung von Gefangenen, die sich kleidungsmäßig von den übrigen Personen nicht unterschieden, auch erfahrene Aufsichtsbeamte vor ein schwer zu lösendes Problem hätten stellen können. Wie die belangte Behörde angesichts des vom Beschwerdeführer mittels des im Akt befindlichen Gutachtens belegten psychischen Ausnahmezustandes ohne weitere Anhaltspunkte davon ausgehen konnte, die - allerdings vagen - Angaben über seine Flucht seien von diesem WISSENTLICH und WILLENTLICH nicht genauer detailliert worden, entbehrt jeder Grundlage, zumal dem Beschwerdeführer gerade in diesem Gutachten insbesondere auch Erinnerungslücken attestiert wurden. Diese - vom Arzt festgestellte - Diagnose, die sich auch keineswegs alleine auf die vom Beschwerdeführer gelieferten anamnestischen Angaben stützt, sondern auch auf eigene Wahrnehmung des Gutachters, hätte die Behörde dazu veranlassen müssen, auch die - unbestritten vorhandenen - Widersprüche in seinen Angaben in diesem Lichte zu betrachten. Im übrigen hat die belangte Behörde im Rahmen ihrer Beweiswürdigung die vom Beschwerdeführer geschilderten Umstände seiner Inhaftierung, lediglich pauschal in Zweifel gezogen, ohne hiefür eine differenziertere Begründung zu geben als die von ihr angenommene Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers zur Frage seines Fluchtweges, obwohl er zum Nachweis der behaupteten Folter auf Narben verwiesen hat, deren Vorhandensein von der Behörde auch protokolliert wurde.

Da die Behörde daher den entscheidungswesentlichen Sachverhalt nicht gänzlich erhoben hat, dieser daher in einem wesentlichen Punkte einer Ergänzung bedarf und überdies Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995200158.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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