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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
VwGG §28 Abs1 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des J in L, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 30. März 1995, Zl. SV(SanR)-2127/1-1995-Eb/Ha, betreffend Feststellung des Grades der Behinderung nach dem Behinderteneinstellungsgesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Aufgrund eines Antrages des Beschwerdeführers vom 14. April 1994 holte das (nunmehrige) Bundessozialamt für Oberösterreich Sachverständigengutachten über den Leidenszustand des Beschwerdeführers ein. Mit Schreiben vom 7. Oktober 1994 teilte das Bundessozialamt dem Beschwerdeführer das Ergebnis der Untersuchung mit und forderte ihn auf, dazu binnen zwei Wochen nach Zustellung des Schreibens eine Stellungnahme abzugeben. Danach leide der Beschwerdeführer an einem Zustand nach Bandscheibenoperation L 4/L 5 (Richtsatzposition 191), mit einem Grad der Behinderung von 40 % (Rahmensatz 40 bis 100 %), an einem Zustand nach Knöchelbruch links, Periatritis humero scapularis rechts (Richtsatzposition 418) mit einem Grad der Behinderung von 30 % (Rahmensatz 20 bis 50 %), wobei entspechend der Bewegungseinschränkung die Einschätzung mit dem mittleren Wert erfolgt sei, sowie an Diabetes mellitus (Richtsatzposition 383) mit einem Grad der Behinderung von 30 % (bei einem Rahmensatz von 20 bis 40 %), wobei der mittlere Wert gewählt worden sei, da keine Sekundärkomplikationen vorlägen. Die im Zusammenwirken dieser Gesundheitsschädigungen verursachte Funktionsbeeinträchtigung betrage 60 %, weil die führende Minderung der Erwerbsfähigkeit für den Zustand nach Bandscheibenoperation durch die beiden anderen Gesundheitsschädigungen um zwei Stufen angehoben werde. Hingegen komme einem Zustand nach Amputation des Endgliedes des linken Mittelfingers keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung zu. Nach der Aktenlage gab der Beschwerdeführer keine Stellungnahme ab.
Mit Bescheid vom 28. November 1994 stellte das Bundessozialamt Oberösterreich fest, daß der Beschwerdeführer ab 14. April 1994 dem Kreis der begünstigten Behinderten angehöre und der Grad der Behinderung 60 v.H. betrage. Nach Zitierung der angewendeten Rechtsvorschriften verwies die erstinstanzliche Behörde auf das - vorstehend wiedergegebene - Ergebnis der ärztlichen Begutachtung.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer eine als "Einspruch" erhobene Berufung, in der er eine Verschlimmerung seines Leidenszustandes behauptet und ein Antragsformular vorlegt, welches in der Rubrik "folgende Gesundheitsschädigungen liegen bei mir vor" eine von einem näher bezeichneten praktischen Arzt unterfertigte Liste von Leidenszuständen enthält, darunter (neben den bereits aktenkundigen Leidenszuständen) eine "periphere Durchblutungsstörung", sowie eine "periphere Polyneuropathie". Die belangte Behörde holte dazu die Stellungnahme des Büros des ärztlichen Dienstes des Bundessozialamtes Oberösterreich ein, in der es heißt:
"Aus ärztlicher Sicht kann der Berufung bzw. dem Berufungsvorbringen nicht gefolgt werden, weil die geschilderte Beschwerdesymptomatik in den einzelnen Positionen erfaßt wurde. Neue Befunde, die eine wesentliche Änderung im Antragsleiden aufzeigen, liegen nicht vor. Die geschilderte Polyneuropathie ist bei der Zuckererkrankung miteingeschätzt worden. Die chronische Lumbalgie bzw. der Zustand nach Discusoperation wurde in der Position 191 erfaßt. Für eine periphere Durchblutungsstörung gab es im Gutachten keinen Anhaltspunkt. Es liegt diesbezüglich auch kein Befund im Akt auf, daher kann diesbezüglich auch keine Stellungnahme abgegeben werden. Weder oszillometrische, röntgenologische oder krankenhausmäßige Befunde liegen auf."
Daraufhin erließ die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid, mit dem der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid aus seinen zutreffenden Gründen bestätigt wurde. Nach Darlegung des bisherigen Verwaltungsgeschehens und der Wiedergabe der eben erwähnten amtsärztlichen Stellungnahme begründet die belangte Behörde diesen Bescheid damit, daß "dieses Gutachten" (gemeint offenbar: die von der Berufungsbehörde eingeholte ärztliche Stellungnahme) auf alle vom Beschwerdeführer in der Berufung geltend gemachten Gesundheitsschädigungen eingehe und die Behörde keine Veranlassung sehe, an der Richtigkeit dieses Gutachtens, welches dem Beschwerdeführer weiterhin einen Grad der Behinderung von 60 v.H. zuerkenne, Zweifel zu hegen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer bezeichnete in seiner Beschwerde die belangte Behörde mit "Oberösterreichische Landesregierung" und legte den angefochtenen Bescheid vom 30. März 1995 vor, der - entsprechend dem § 19a Abs. 1 Behinderteneinstellungsgesetz - vom Landeshauptmann von Oberösterreich erlassen wurde.
Daraufhin wurde der Beschwerdeführer mit Berichterverfügung vom 28. Juni 1995 aufgefordert, die Behörde zu bezeichnen, die den Bescheid erlassen hat (§ 28 Abs. 1 Z. 2 VwGG). Innerhalb der dem Beschwerdeführer gesetzten Frist wurde die Beschwerde mit dem Bemerken neuerlich vorgelegt, daß als belangte Behörde der Landeshauptmann von Oberösterreich bezeichnet werde.
Nach Auffassung des erkennenden Senates liegt immer dann, wenn der Beschwerdeführer eine (unrichtige) Behörde im Beschwerdeschriftsatz als belangte Behörde bezeichnet, gleichzeitig aber erklärt, einen (zugleich vorgelegten) Bescheid anzufechten, der von einer anderen Behörde erlassen wurde, eine Unklarheit der Beschwerdeschrift vor.
Anders als in jenen Fällen, in denen anstelle der belangten Behörde deren Hilfsapparat bezeichnet wird (z.B. "Amt der Landesregierung") ist in einem solchen Fall mit einem Mängelbehebungsauftrag im Sinne des § 34 Abs. 2 in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Z. 2 VwGG vorzugehen und für den Fall der rechtzeitigen (ausdrücklichen) Bezeichnung der richtigen belangten Behörde (oder zumindest von deren Hilfsapparat - vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 19. Dezember 1984, Slg. Nr. 11625/A) die Beschwerde nicht zurückzuweisen, sondern mit der nunmehr richtig bezeichneten belangten Behörde das Verfahren durchzuführen (vgl. in diesem Sinne die Beschlüsse verstärkter Senate vom 8. April 1981, Slg. Nr. 10419/A, und vom 10. Dezember 1986, Slg. Nr. 12329/A).
Die Beschwerde ist im Sinne der Beschwerdeausführungen zum Aufhebungsgrund der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aus folgenden Gründen berechtigt:
Es trifft nicht zu, wie die belangte Behörde in der Begründung ihres Bescheides meint, daß die von der belangten Behörde als "Gutachten" bezeichnete Stellungnahme des ärztlichen Dienstes des Bundessozialamtes ungeachtet der Leidenszustände, die der Beschwerdeführer in seiner Berufung neu vorgebracht hat, weiterhin einen Grad der Behinderung von 60 % "zuerkennt". Eine solche Ausführung findet sich in dieser ärztlichen Stellungnahme nicht. Darin wird - im Gegenteil - zum Ausdruck gebracht, daß zu der vom Beschwerdeführer neu vorgebrachten peripheren Durchblutungsstörung keine Stellungnahme abgegeben werden könne, weil diesbezüglich keine Befunde im Akt auflägen.
Da die Vorschriften des Behinderteneinstellungsgesetzes keine besonderen Anordnungen enthalten, hätte die belangte Behörde - in Anwendung des § 39 Abs. 2 AVG - von Amts wegen vorzugehen und die ihr für zweckmäßig erscheinenden Verfügungen zu treffen gehabt. Sie hätte entweder den Beschwerdeführer zur Vorlage der - nach seinen Beschwerdebehauptungen vorhandenen - Befunde auffordern oder eine zweckdienliche Untersuchung des Beschwerdeführers zu dem behaupteten Leidenszustand veranlassen müssen.
Da die belangte Behörde somit der ärztlichen Stellungnahme vom 15. März 1995 einen Inhalt beigemessen hat, der dieser Stellungnahme nicht zukommt, und gegen die amtswegige Ermittlungspflicht verstoßen hat und nicht auszuschließen ist, daß bei Unterbleiben dieser Verletzung von Verfahrensvorschriften ein anderes Ergebnis des Berufungsverfahrens möglich gewesen wäre, war der angefochtene Bescheid schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
MängelbehebungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995080158.X00Im RIS seit
20.11.2000