TE OGH 2022/11/22 2Ob174/22k

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Veröffentlicht am 22.11.2022
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Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Nowotny, Hon.-Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. K*, und 2. S*, beide vertreten durch MMag. Gregor Winkelmayr, MBA, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei W*, vertreten durch Christian Rabl Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen jeweils 149.000 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 7. Juni 2022, GZ 16 R 27/22s-42, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 29. Oktober 2021, GZ 56 Cg 43/21m-23, aufgehoben wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und

es wird in der Sache selbst zu Recht erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

         Die klagenden Parteien sind je zur Hälfte schuldig, der beklagten Partei die mit 27.647,67 EUR (darin enthalten 16.789,30 EUR Barauslagen und 1.809,73 EUR USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]       Der am 9. 11. 1990 verstorbene Erblasser hatte zwei Söhne und eine Tochter. Der ältere Sohn war vorverstorben und hinterließ zwei uneheliche Töchter, die nunmehrigen Klägerinnen. Die Tochter gab einen Erbverzicht ab. Dem jüngeren Sohn, dem nunmehrigen Beklagten, wurde der Nachlass nach dem Erblasser zur Gänze als gesetzlichem Erben eingeantwortet. Wertvollster Bestandteil der Verlassenschaft waren Liegenschaftsanteile, die der Beklagte 2007 verkaufte.

[2]       Die Klägerinnen begehren mit ihrer am 6. 11. 2020 beim Erstgericht eingelangten Erbschaftsklage die Zahlung von jeweils 149.000 EUR sA. Sie hätten lediglich zufällig „vor wenigen Jahren“ vom Ableben ihres Vaters und des Erblassers erfahren. Ihr gesetzlicher Erbteil nach dem Erblasser (als Repräsentantinnen ihres vorverstorbenen Vaters) hätte jeweils ein Viertel betragen. Die Bestimmung des § 754 Abs 3 ABGB idF BGBl 1970/342, die ein gesetzliches Erbrecht unehelicher Kinder nach „Verwandten des Vaters“ ausgeschlossen habe, sei verfassungswidrig gewesen.

[3]       Die kenntnisabhängige kurze Verjährungsfrist des § 1487a Abs 1 ABGB habe frühestens im Februar 2018 zu laufen begonnen, weil den Klägerinnen erst durch die Einsichtnahme in die Verlassenschaftsakten nach ihrem Vater und dem Erblasser alle für das Bestehen des Anspruchs maßgeblichen Tatsachen bekannt geworden seien. Die lange Verjährungsfrist sei erst nach Einbringung der Klage
– nämlich am 9. 11. 2020 – abgelaufen. Da die Klägerinnen dem Verlassenschaftsverfahren nach dem Erblasser nicht beigezogen worden seien, hätten sie keine Möglichkeit gehabt, die Verfassungswidrigkeit des § 754 Abs 3 ABGB zu einem früheren Zeitpunkt geltend zu machen.

[4]            Der Beklagte bestreitet und wendet – soweit für das Rekursverfahren von Interesse – die Verjährung der Erbschaftsklage ein. Das Recht der Klägerinnen sei am 1. 1. 2017 noch nicht verjährt gewesen, sodass die Übergangsvorschrift des § 1503 Abs 7 Z 9 ABGB zur Anwendung komme. Die kurze Verjährungsfrist des § 1487a ABGB habe nach § 1503 Abs 7 Z 9 Satz 2 ABGB kenntnisunabhängig jedenfalls mit 1. 1. 2017 zu laufen begonnen, sodass der Anspruch mit 31. 12. 2019 verjährt sei. Außerdem hätten die Klägerinnen nicht einmal bestritten, dass sie von allen für das Bestehen des Anspruchs maßgeblichen Tatsachen spätestens am 1. 1. 2017 Kenntnis gehabt hätten. Im Hinblick auf eine die Klägerinnen treffende Erkundigungsobliegenheit sei der Zeitpunkt der tatsächlich erfolgten Einsicht in die Verlassenschaftsakten ohne Bedeutung.

[5]       Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, weil den Klägerinnen aufgrund der im Anlassfall noch anzuwendenden Norm des § 754 Abs 3 ABGB idF BGBl 1970/342 kein gesetzliches Erbrecht nach ihrem väterlichen Großvater zukomme.

[6]            Der von den Klägerinnen im Rahmen eines Parteiantrags auf Normenkontrolle angerufene Verfassungsgerichtshof sprach mit Erkenntnis vom 16. 3. 2022, GZ G 359/2020-11, aus, dass § 754 Abs 3 ABGB idF BGBl 1970/342 wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz verfassungswidrig gewesen sei.

[7]       Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerinnen Folge, hob das angefochtene Urteil auf und ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu.

[8]       Der Anspruch der Klägerinnen sei zum 1. 1. 2017 noch nicht verjährt gewesen, sodass die Übergangsbestimmung des § 1503 Abs 7 Z 9 ABGB zu beachten sei. Nach dessen letztem Satz beginne in solchen „Altfällen“ der „Lauf der in § 1487a ABGB vorgesehenen kenntnisabhängigen Frist“ „mit 1. 1. 2017“. Diese Bestimmung sei widersprüchlich, weil sie einerseits den Beginn der Frist mit einem bestimmten Datum festlege, andererseits aber eine „kenntnisabhängige“ Frist erwähne. Die besseren Gründe sprächen für die Annahme, dass der Beginn der dreijährigen Frist des § 1487a ABGB auch in Altfällen von der Kenntnis aller maßgeblichen Umstände abhänge. Bei anderem Verständnis würde der Erbe eines kurz vor dem 1. 1. 2017 verstorbenen Erblassers bereits nach wenig mehr als drei Jahren absoluten Schutz vor Ansprüchen genießen, was sachlich nicht gerechtfertigt sei.

[9]       Der Rekurs sei zuzulassen, weil der Oberste Gerichtshof bisher nicht explizit ausgesprochen habe, ob der Beginn der dreijährigen Verjährungsfrist nach § 1487a ABGB auch für „Altsachverhalte“ kenntnisabhängig sei oder jedenfalls mit 1. 1. 2017 beginne.

[10]     Gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts richtet sich der Rekurs des Beklagten mit dem (sinngemäßen) Antrag, das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.

[11]           Die Klägerinnen beantragen in ihrer Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

[12]     Der Rekurs ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Fachsenats abgewichen ist. Er ist im Sinn der Wiederherstellung des Urteils des Erstgerichts auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[13]           Der Beklagte argumentiert, dass der Senat bereits in der Entscheidung 2 Ob 167/19a ausgesprochen habe, dass die dreijährige Frist in Übergangsfällen unabhängig von einer Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen mit 1. 1. 2017 beginne. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts würde dem letzten Satz des § 1503 Abs 7 Z 9 ABGB überdies jeden Anwendungsbereich nehmen.

Dazu hat der erkennende Fachsenat erwogen:

1. § 1487a Abs 1 ABGB lautet:

„Das Recht, eine Erklärung des letzten Willens umzustoßen, den Geldpflichtteil zu fordern, letztwillige Bedingungen oder Belastungen von Zuwendungen anzufechten, nach erfolgter Einantwortung ein besseres oder gleiches Recht geltend zu machen, den Geschenknehmer wegen Verkürzung des Pflichtteils in Anspruch zu nehmen oder sonstige Rechte aus einem Geschäft von Todes wegen zu fordern, muss binnen drei Jahren ab Kenntnis der für das Bestehen des Anspruchs maßgebenden Tatsachen gerichtlich geltend gemacht werden. Unabhängig von dieser Kenntnis verjähren diese Rechte dreißig Jahre nach dem Tod des Verstorbenen.“

§ 1503 Abs 7 Z 9 ABGB lautet:

„§ 1487a in der Fassung des ErbRÄG 2015 ist ab dem 1. Jänner 2017 auf das Recht, eine Erklärung des letzten Willens umzustoßen, den Geldpflichtteil zu fordern, letztwillige Bedingungen oder Belastungen von Zuwendungen anzufechten, nach erfolgter Einantwortung ein besseres oder gleichwertiges Recht geltend zu machen, den Geschenknehmer wegen Verkürzung des Pflichtteils in Anspruch zu nehmen oder sonstige Rechte aus einem Geschäft von Todes wegen zu fordern, anzuwenden, wenn dieses Recht am 1. Jänner 2017 nach dem bis dahin geltenden Recht nicht bereits verjährt ist. Der Lauf der in § 1487a vorgesehenen kenntnisabhängigen Frist beginnt in solchen Fällen mit dem 1. Jänner 2017.“

[14]     2. Zutreffend (und im Rekursverfahren unbestritten) ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Anspruch der Klägerinnen nach altem Erbrecht einer dreißigjährigen Verjährung unterlag und zum Stichtag 1. 1. 2017 nicht verjährt war (vgl RS0013139). Die Übergangsbestimmung des § 1503 Abs 7 Z 9 ABGB normiert daher die grundsätzliche Anwendbarkeit des § 1487a ABGB in der Fassung des ErbRÄG 2015.

[15]     3. Die kenntnisunabhängige lange Verjährungs-frist des § 1487a ABGB endete am 9. 11. 2020, somit erst nach Einbringung der Klage. Streitentscheidend ist damit, ob die (grundsätzlich kenntnisabhängige) kurze Verjährungsfrist des § 1487a ABGB bei Einbringung der Klage am 6. 11. 2020 bereits abgelaufen war. In diesem Zusammenhang ist für „Altfälle“ der zweite Satz des § 1503 Abs 7 Z 9 ABGB zu beachten.

[16]     4. Der Fachsenat hat zur Auslegung dieser Bestimmung bereits in der Entscheidung 2 Ob 167/19a (Punkt 4.2.4.) wie folgt Stellung genommen:

„Aufgrund der Festlegung des Beginns der kurzen Verjährungsfrist für die von § 1503 Abs 7 Z 9 ABGB erfassten 'Altsachverhalte' mit dem 1. 1. 2017 müssen davon betroffene Anspruchsgegner nach dem 31. 12. 2019 aber nicht mehr mit der Geltendmachung solcher Ansprüche rechnen (idS Schamberger NZ 2018/93; Dehn in KBB5 § 1503 Rz 5; aA offenbar R. Madl in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 1487a Rz 26 f). Mit dieser Regelung werden daher auch die Auswirkungen der faktischen Verlängerung einer nach altem Recht begonnenen Verjährung begrenzt, weil es insoweit nicht auf die Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen durch die Anspruchsberechtigten ankommt.“

[17]     In der Folgeentscheidung 2 Ob 59/19v betonte der Senat (erneut), dass die kurze Frist des § 1487a ABGB im Fall eines am 1. 1. 2017 noch nicht verjährten Rechts mit diesem Tag beginne (Punkt 6.5.).

[18]     5. Diese vom Senat bereits vertretene Auslegung stimmt auch mit der wohl überwiegenden Ansicht in der Literatur überein (Dehn in KBB6 § 1487a ABGB Rz 7 und § 1503 ABGB Rz 5; Rabl/Cohen, Verjährung im Erbrecht bei postmortaler Abstammungsfeststellung, NZ 2021/46, 158 [169]; idS wohl auch Schamberger, Keine teleologische Reduktion des § 1503 Abs 7 Z 9 ABGB, NZ 2018/93, 289).

[19]           R. Madl (in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 1487a Rz 27) hält seine in der Vorauflage des Kommentars vertretene (und vom Senat in der Entscheidung 2 Ob 167/19a bereits abgelehnte) Rechtsansicht nicht aufrecht, sondern referiert nunmehr die unter Punkt 4. dargestellte Ansicht des Senats.

[20]           Auch den Ausführungen Grafs (Fünf Jahre ErbRÄG – Was hat der OGH daraus gemacht? NZ 2022/2, 2 [16]) lässt sich keine (explizite) Ablehnung der zu 2 Ob 167/19a vertretenen Rechtsansicht entnehmen.

[21]     Lediglich Garber (in Schwimann/Neumayr, ABGB-Takomm5 § 1487a Rz 6) nimmt an, dass der Lauf der dreijährigen Verjährungsfrist in Altfällen nur dann mit 1. 1. 2017 beginne, wenn der Berechtigte die für das Bestehen des Anspruchs maßgeblichen Tatsachen in diesem Zeitpunkt schon kenne. Die von ihm zur Untermauerung dieser Annahme zitierte Entscheidung 2 Ob 167/19a vertritt allerdings (siehe oben Punkt 4.) die gegenteilige Ansicht, sodass die Ausführungen Garbers den Senat insgesamt nicht überzeugen.

[22]           6. Anzumerken bleibt, dass die vom Berufungsgericht gewählte Auslegung des § 1503 Abs 7 Z 9 Satz 2 ABGB dazu führte, dass dieser Satz lediglich die ohnehin – also auch ohne besondere Übergangsvorschrift – bestehende Rechtslage beschreiben würde (dazu im Detail 2 Ob 167/19a Punkt 4.2.1. mwN) und damit gleichsam überflüssig wäre.

[23]           7. Dass gegen die Bestimmung des § 1503 Abs 7 Z 9 ABGB trotz der dadurch bewirkten möglichen Verkürzung der nach altem Recht bestanden habenden Fristen keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, hat der Senat bereits mehrfach ausgesprochen (zuletzt 2 Ob 169/21y Rz 16 mwN). Dass es durch die Einführung eines einheitlichen Fristbeginns in Einzelfällen zu einer Verkürzung von Verjährungsfristen kommen kann, liegt grundsätzlich im Regelungsspielraum des Gesetzgebers. Problematisch wäre dieses Ergebnis nur, wenn es aufgrund kurzer Legisvakanz überraschend einträte, was beim ErbRÄG 2015 aber nicht der Fall ist (2 Ob 84/19w Punkt 3.7.).

8. Als Zwischenergebnis ist damit festzuhalten:

[24]     Wenn der Anspruch aus einem „Altsachverhalt“ zum 1. 1. 2017 nach altem Recht noch nicht verjährt war, beginnt die kurze dreijährige Verjährungsfrist nach § 1487a ABGB idF ErbRÄG 2015 gemäß § 1503 Abs 7 Z 9 Satz 2 ABGB unabhängig von einer Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen durch den Anspruchsberechtigten jedenfalls mit dem 1. 1. 2017, sodass ein davon betroffener Anspruchsgegner nach dem 31. 12. 2019 nicht mehr mit der Geltendmachung solcher Ansprüche rechnen muss.

9. Ergebnis und Kosten

[25]           9.1. Da die Auslegung des § 1503 Abs 7 Z 9 Satz 2 ABGB durch das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Senats abweicht und es auf den Zeitpunkt der Kenntniserlangung durch die Klägerinnen nicht ankommt, ist von der Verjährung der eingeklagten Ansprüche auszugehen. Im Ergebnis ist damit die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

[26]           9.2. Die Kostenentscheidung für das Rechtsmittelverfahren gründet sich auf § 41 iVm § 50 ZPO. Die Kosten für Berufungsbeantwortung und Rekurs hat der Beklagte korrekt verzeichnet. Als Kosten des Rechtsmittelverfahrens waren auch die (ebenfalls korrekt nach TP 3C Ia RATG verzeichneten) Kosten für die im Rahmen des Verfahrens über den Parteiantrag auf Normenkontrolle erstattete Äußerung zuzusprechen (Musger in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze³ IV/1 § 528b ZPO Rz 56). Für den in diesem Zusammenhang gestellten Antrag auf Kostenbestimmung gebühren Kosten nach TP 1 RATG auf Basis des zugesprochenen Kostenbetrags (Obermaier, Kostenhandbuch³ Rz 1.112).

Textnummer

E136827

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00174.22K.1122.000

Im RIS seit

27.12.2022

Zuletzt aktualisiert am

27.12.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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