TE Vwgh Erkenntnis 2022/11/23 Ra 2020/11/0141

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Veröffentlicht am 23.11.2022
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Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick sowie die Hofrätinnen Dr. Pollak und MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des Heerespersonalamts in 1163 Wien, Panikengasse 2, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Juni 2020, Zl. W213 2232212-1/2Z, betreffend Aussetzung eines Verfahrens nach dem Auslandseinsatzgesetz (mitbeteiligte Partei: Dr. R P in W, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Michael Subarsky in 1010 Wien, Tuchlauben 14/8), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Begründung

1        Am 14. Februar 2020 stellte der Mitbeteiligte bei der belangten Behörde (Revisionswerberin) folgende Anträge: „1.) die in Zusammenhang mit meiner Repatriierung und Kündigung rechtswidrig über mich verhängte Auslandseinsatzsperre unverzüglich bescheidmäßig aufzuheben“ und „2.) das gegen mich eingeleitete Organhaftungsverfahren mittels Bescheid einzustellen“.

2        Mit Bescheid vom 7. April 2020 wies die revisionswerbende Behörde die Anträge des Mitbeteiligten „auf bescheidmäßige Absprache über 1) die Aufhebung der gegen [ihn] verhängten Auslandseinsatzsperre (dh drei Jahre Mindestwartefrist und Bewährung im Inland) und 2) die Einstellung des gegen [ihn] eingeleiteten Verfahrens nach dem Organhaftpflichtgesetz“ zurück.

3        Zu 1) führte die revisionswerbende Behörde aus, dem Mitbeteiligten sei das Vertrauen entzogen worden. Eine ordnungsgemäße und uneingeschränkte Dienstverrichtung sei daher nicht mehr gewährleistet. Aufgrund des geltenden Erlasses „Personalmanagement Ausland“ vom 15. Jänner 2018, GZ S 93161/18-PersFü/2017, VBl I Nr. 39/2018, Abschnitt K, Punkt 2, sei bei einer vorzeitigen Repatriierung aus militärischen Rücksichten, die ausschließlich in der Person des Betreffenden (vorwerfbares Verhalten) lägen, dieser für einen weiteren Auslandseinsatz auszuscheiden. Erst nach drei Jahren Mindestwartefrist und Bewährung im Inland könne eine neuerliche Bewerbung für einen Auslandseinsatz erfolgen. Die Abgabe einer freiwilligen Meldung zu Auslandseinsätzen begründe - wie aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 19. Jänner 1988, 87/11/0274, hervorgehe - kein subjektives Recht auf die Leistung von Auslandseinsätzen, weshalb auch ein Antrag auf Verkürzung der Mindestwartefrist unzulässig sei.

4        Zu 2) führte die revisionswerbende Behörde aus, über diesen Antrag könne schon deshalb nicht inhaltlich entschieden werden, weil es in dem gegenüber dem Mitbeteiligten geführten Verfahren nach dem Organhaftpflichtgesetz um zivilrechtliche Ansprüche gehe.

5        Gegen diesen Bescheid, soweit damit der Antrag auf Aufhebung der Auslandseinsatzsperre zurückgewiesen wurde, erhob der Mitbeteiligte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und führte insbesondere aus, der Antrag sei nicht darauf gerichtet gewesen, einen konkreten Auslandseinsatz zu leisten. Vielmehr gehe es darum, dass ein tatsachenwidriger Akten- und Verfahrensstand berichtigt werde.

6        Mit dem angefochtenen Beschluss setzte das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren gemäß § 38 AVG iVm. §§ 17 sowie 28 Abs. 1 und 2 VwGVG bis zur rechtskräftigen Beendigung des unter GZ 1061-DKS/2019 bei der Disziplinarkommission für Soldaten anhängigen Disziplinarverfahrens aus. Gleichzeitig sprach es aus, dass gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig sei.

7        Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, der Mitbeteiligte sei Wehrpflichtiger der Miliz (Dienstgrad Oberstleutnant) und habe in der Zeit vom 11. Juli bis 26. September 2019 an einem Auslandseinsatz im Rahmen der Mission KFOR im Kosovo teilgenommen. Dabei sei er gemäß § 15 AZGH in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis zum Bund gestanden. Mit Wirksamkeit vom 26. September 2019 sei die vorzeitige Repatriierung aus militärischen Rücksichten verfügt worden, weshalb das Dienstverhältnis mit 30. September 2019 geendet habe. Die Repatriierung des Mitbeteiligten sei erfolgt, da diesem seitens des COM KFOR das Vertrauen entzogen worden sei. Hinsichtlich der Auflösung des privatrechtlichen Dienstverhältnisses sei ein Verfahren vor dem Arbeits- und Sozialgericht anhängig. Ferner habe der Mitbeteiligte auch eine Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft eingebracht. Darüber hinaus sei unter GZ 1061-DKS/2019 bei der Disziplinarkommission für Soldaten gegen den Mitbeteiligten ein Disziplinarverfahren über die von ihm während des in Rede stehenden Auslandseinsatzes gesetzten Verhaltensweisen anhängig.

8        Rechtlich führte das Verwaltungsgericht aus, der Frage, ob der Mitbeteiligte die ihm vorgeworfenen Dienstpflichtverletzungen zu verantworten habe oder nicht, komme entscheidungswesentliche Bedeutung zu. Die Aussetzung des Verfahrens über die verfügte Auslandseinsatzsperre bis zur rechtskräftigen Entscheidung oder Einstellung des gegen den Mitbeteiligten eingeleiteten Disziplinarverfahrens sei daher zulässig. Die für die Verhängung der Auslandseinsatzsperre ins Treffen geführten Gründe beruhten ganz wesentlich auf den im Raum stehenden - disziplinarrechtlich noch nicht endgültig abgeklärten - Vorwürfen, weshalb eine Vorfrage nach § 38 AVG vorliege. Eine selbständige Beurteilung dieser Vorfrage durch das Verwaltungsgericht könnte nur erfolgen, wenn dieses ein Beweisverfahren und eine mündliche Verhandlung unter Einvernahme von Zeugen durchführe, wobei die primäre Zuständigkeit zur Klärung der hier relevanten Sachverhalte den Strafgerichten und den Disziplinarbehörden zukomme.

9        Dagegen richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Amtsrevision. Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.

10       Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

11       Die Revision ist zulässig, weil sie zutreffend vorbringt, im vorliegenden Fall lägen die Voraussetzungen für einen Aussetzungsbeschluss nach § 38 AVG nicht vor. Die Revision ist auch begründet.

12       Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist unter einer Vorfrage im Sinne des § 38 AVG eine für die Entscheidung der Verwaltungsbehörde präjudizielle Rechtsfrage zu verstehen, über die als Hauptfrage von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten oder auch von derselben Behörde, jedoch in einem anderen Verfahren, zu entscheiden ist. Präjudiziell - und damit Vorfragenentscheidung im verfahrensrechtlich relevanten Sinn - ist nur eine Entscheidung, die erstens eine Rechtsfrage betrifft, deren Beantwortung für die Hauptfragenentscheidung unabdingbar, d.h. eine notwendige Grundlage, ist und die zweitens diese in einer die Verwaltungsbehörde bzw. das Verwaltungsgericht bindenden Weise regelt. Ob die Präjudizialität der Entscheidung gegeben ist, hat die zur Hauptfragenentscheidung zuständige Behörde bzw. das dafür zuständige Verwaltungsgericht an Hand der diesen Verfahrensgegenstand betreffenden Verwaltungsvorschriften zu prüfen (vgl. etwa VwGH 10.5.2022, Ra 2020/05/0256, mwN).

13       Im Revisionsfall hatte die revisionswerbende Behörde den Antrag des Mitbeteiligten auf „bescheidmäßige Aufhebung der Auslandseinsatzsperre“ im Wesentlichen deshalb als unzulässig zurückgewiesen, weil kein subjektives Recht auf die Leistung von Auslandseinsätzen und daher auch kein Anspruch auf Verkürzung der Mindestwartefrist bestehe. Das Verwaltungsgericht war somit nur zuständig zu prüfen, ob diese Zurückweisung der Rechtslage entsprach (vgl. etwa VwGH 1.9.2017, Ra 2016/03/0055, mwN) und bei Nichtvorliegen des in erster Instanz angenommenen Zurückweisungsgrundes den Bescheid ersatzlos mit der Konsequenz zu beheben, dass die Behörde über den Antrag unter Abstandnahme von dem zunächst gebrauchten Zurückweisungsgrund zu entscheiden hat (vgl. etwa VwGH 29.09.2022, Ra 2021/15/0052, mwN). Vor diesem Hintergrund erweist sich die Entscheidung der Disziplinarkommission darüber, ob der Mitbeteiligte die ihm vorgeworfenen Dienstpflichtverletzungen zu verantworten habe oder nicht, für die Beurteilung der Zulässigkeit des Antrages - nur diese ist „Sache“ des Beschwerdeverfahrens - nicht als präjudiziell. Die im Hinblick auf dieses Verfahren nach § 38 AVG erfolgte Aussetzung des Verfahrens widersprach daher dem Gesetz.

14       Da sich der angefochtene Beschluss somit als inhaltlich rechtswidrig erweist, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

15       Soweit sich die Revisionswerberin zur Begründung der Unzulässigkeit des Antrags auf Aufhebung der Auslandseinsatzsperre auf das hg. Erkenntnis vom 19. Jänner 1988, 87/11/0274, berief, ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass dem zitierten Erkenntnis eine Konstellation zugrunde lag, die weder einen Auslandseinsatz noch eine Auslandseinsatzsperre betraf. Dieses Erkenntnis, demzufolge ein subjektives öffentliches Recht auf Leistung der Wehrpflicht nicht besteht, bezog sich nämlich auf eine Beschwerde gegen einen Bescheid, mit dem die Stellungskommission die Untauglichkeit des Beschwerdeführers, der seinen ordentlichen Präsenzdienst leisten wollte, festgestellt hatte (vgl. etwa VwGH 14.9.2004, 2004/11/0054).

Wien, am 23. November 2022

Schlagworte

Auswertung in Arbeit!

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020110141.L00

Im RIS seit

16.12.2022

Zuletzt aktualisiert am

16.12.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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