TE Vwgh Erkenntnis 1996/1/29 94/10/0121

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Veröffentlicht am 29.01.1996
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
80/02 Forstrecht;

Norm

AVG §37;
AVG §45 Abs2 impl;
AVG §52;
ForstG 1975 §17 Abs2;
ForstG 1975 §17 Abs3;
ForstG 1975 §19 Abs4;
ForstG 1975 §19 Abs5;
ForstG 1975 §19 Abs6;
VwGG §41 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fichtner, über die Beschwerde des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Hermagor vom 28. Juni 1994, Zl. 13-7060/3/94, betreffend Erteilung einer Rodungsbewilligung (mitbeteiligte Partei: F in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Am 10. Februar 1994 beantragte der Mitbeteiligte die Erteilung einer Rodungsbewilligung. Er habe die Absicht, ein im Ortszentrum von W. gelegenes Damwildgehege, das er zum Zweck der Fleischproduktion als Nebenerwerbslandwirt betreibe, auf die Rodefläche zu verlegen.

Die belangte Behörde holte Befund und Gutachten eines Sachverständigen für Forsttechnik ein. Dieser legte dar, die Rodefläche betrage ca. 500 m2. Sie bilde in der Natur einen nach Nordosten abfallenden Rain, der mit Laubhölzern bestockt sei. Der Bestand werde aus Eschen, Weiden, Traubenkirschen und Hasel gebildet, die Überschirmung betrage 90 %. Der Bestand sei durch Naturverjüngung aufgelassener landwirtschaftlicher Flächen entstanden und ca. 20 Jahre alt. Im Norden und Westen der Rodefläche grenzten landwirtschaftlich genutzte Grundstücke an, im Süden ein gleichartiger Laubholzbestand und im Osten eine ca. 20-jährige Fichtenkultur. Die Fläche eigne sich als Einstand für das Damwild. Damit der Einstand gewährleistet bleibe, seien einzelne Bäume auf der Rodefläche im Maximalabstand von 8 m vor Fege- und Schälschäden durch Einplankungen oder Gitter zu schützen. Da der Bestand als solcher erhalten bleibe, ergebe sich für den angrenzenden Wald durch die Rodung keine erhöhte Windgefährdung. Die Waldausstattung der KG W. betrage 80 %, jene der Gemeinde G. 76 %. Die KG W. sei somit die waldreichste des Bezirkes. In den letzten Jahren seien im Bereich der Gemeinde G.

landwirtschaftliche Grenzertragsböden im Ausmaß von rund 320 ha aufgeforstet worden. Laut Waldentwicklungsplan liege die Rodefläche in einer mit der Kennziffer 112 bezeichneten Teilfläche. Die Nutzfunktion bilde die Leitfunktion. Die erhöhte Erholungsfunktion sei auf Grund des Naherholungsgebietes zum Kurort W. gegeben. Durch die geplante Rodung würden die Waldfunktionen nicht wesentlich beeinträchtigt.

Die belangte Behörde holte weiters ein Gutachten eines Amtssachverständigen für Landwirtschaft ein. Dieser legte dar, die für das geplante Damwildgehege ins Auge gefaßten Grundstücke könnten auf Grund der derzeitigen Ertragslage der Landwirtschaft vom Mitbeteiligten nicht in herkömmlicher landwirtschaftlicher Weise selbst bewirtschaftet werden, zumal dieser als Geschäftsmann nicht über die nötige Zeit verfüge. Eine Bewirtschaftung durch andere Landwirte komme nicht in Betracht, da derzeit im Bereich W. ein Überschuß an landwirtschaftlichen Grundstücken herrsche. Die Errichtung eines Fleischproduktionsgatters hätte den Vorteil, daß die Bewirtschaftung der Fläche in extensiver Form gewährleistet wäre. Allgemein könne festgestellt werden, daß bei der derzeitigen Agrarmarktlage jede Extensivierung einen Vorteil darstelle. Der Raum W. lebe überwiegend vom Fremdenverkehr und sei somit von der Erhaltung der Kulturlandschaft abhängig. Auf Grund der derzeitigen Wirtschaftslage könne Kulturlandschaft lediglich durch extensive Wirtschaftsformen erhalten werden. Eine weitere Verwaldung werde sich negativ auf den Naherholungsraum und somit auf den Fremdenverkehr im Raum W. auswirken.

Mit dem angefochtenen Bescheid erteilte die belangte Behörde unter Vorschreibungen von Bedingungen und Auflagen die beantragte Rodungsbewilligung. In der Begründung des angefochtenen Bescheides verwies sie zunächst auf die oben wiedergegebenen Darlegungen der Sachverständigen sowie die Stellungnahme der Gemeinde G. Diese habe sich für die Erteilung der Rodungsbewilligung mit der Begründung ausgesprochen, das Damwildgehege werde für den Tourismus eine Attraktion bilden. Wegen der Abhängigkeit der Gemeinde vom Fremdenverkehr müsse alles getan werden, um diesen Wirtschaftszweig zu unterstützen. Sodann legte die belangte Behörde dar, daß die öffentlichen Interessen am Rodungszweck das Interesse an der Walderhaltung überwögen. Dies vor allem deshalb, weil die Waldausstattung in der KG W. mit 80 % weit über dem Bezirksdurchschnitt liege und der Waldbestand auf der Rodefläche nur teilweise beseitigt oder beschädigt werde. Außerdem sprächen Interessen der Raumordnung für das Vorhaben. Im Hinblick auf die Waldausstattung werde sich durch die Herbeiführung des Rodungszweckes keine erhebliche Beeinträchtigung der Waldfunktion ergeben. In der Gemeinde G. stelle sich im großen Umfang das Problem der Erhaltung landwirtschaftlich genutzter Böden. Sollte das Aufkommen des Waldes so wie bisher fortschreiten, hätte dies eine Verarmung der Kulturlandschaft zur Folge. Damit würden aber auch die Voraussetzungen für den Wirtschaftszweig Fremdenverkehr beeinträchtigt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf § 170 Abs. 8 ForstG gestützte Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorchriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde hat die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 17 Abs. 1 ForstG ist die Verwendung von Waldboden zu anderen Zwecken als für solche der Waldkultur (Rodung) verboten. Gemäß § 17 Abs. 2 leg. cit. kann die Behörde unbeschadet der Bestimmung des Abs. 1 eine Bewilligung zur Rodung erteilen, wenn ein öffentliches Interesse an einer anderen Verwendung der zur Rodung beantragten Fläche das öffentliche Interesse an der Erhaltung der Fläche als Wald überwiegt. Gemäß Abs. 3 leg. cit. sind öffentliche Interessen im Sinne des Abs. 2 insbesondere in der umfassenden Landesverteidigung, im Eisenbahn-, Luft- und öffentlichen Straßenverkehr, im Post- und öffentlichen Fernmeldwesen, im Bergbau, im Wasserbau, in der Energiewirtschaft, in der Agrarstrukturverbesserung sowie im Siedlungswesen begründet.

Nach § 17 Abs. 4 leg. cit. hat die Behörde bei Abwägung der öffentlichen Interessen im Sinne des Abs. 2 insbesondere auf eine die erforderlichen Wirkungen des Waldes gewährleistende Waldausstattung Bedacht zu nehmen. Unter dieser Voraussetzung sind die Zielsetzungen der Raumordnung zu berücksichtigen.

Die Beschwerde macht geltend, der angefochtene Bescheid gehe davon aus, daß die Interessen der Raumordnung und des Fremdenverkehrs das Interesse an der Walderhaltung überwögen. Es seien jedoch keine Feststellungen getroffen worden, die eine solche Beurteilung tragen könnten. Soweit ein Interesse an einer Agrarstrukturverbesserung in Betracht käme, seien ebenfalls keine Feststellungen getroffen worden. Damit ist die Bechwerde im Recht.

Nach § 17 Abs. 2 ForstG setzt die Erteilung einer Rodungsbewilligung ein (überwiegendes) öffentliches Interesse an einer nicht in der Waldkultur bestehenden Verwendung der zur Rodung beantragten Waldfläche voraus. Dem angefochtenen Bescheid liegt die Auffassung zugrunde, es bestünden öffentliche Interessen des Fremdenverkehrs und der Raumordnung, die gewichtiger wären als das öffentliche Interesse an der Walderhaltung. Der angefochtene Bescheid enthält jedoch keine Sachverhaltsfeststellungen, die geeignet wären, diese Beurteilung zu tragen. Ein öffentliches Interesse an der Rodung unter dem Titel des Fremdenverkehrs ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur dann gegeben, wenn bei Nichterteilung der Rodungsbewilligung wesentliche Nachteile für den Fremdenverkehr zu besorgen wären oder durch die Rodung eine wesentliche Besserung für die Belange des Fremdenverkehrs erzielt werden könnte (vgl. das Erkenntnis vom 27. Juli 1994, Zl. 94/10/0067). Einen solchen Sachverhalt hat die belangte Behörde nicht festgestellt; entsprechende Ermittlungsergebnisse liegen nach der Aktenlage ebenfalls nicht vor. Aus welchem Sachverhalt die belangte Behörde ein öffentliches Interesse an der Rodung unter dem Gesichtspunkt der Raumordnung ableitet, kann der Begründung des angefochtenen Bescheides ebenfalls nicht entnommen werden.

Dabei ist anzumerken, daß im Verfahren über die Erteilung einer Rodungsbewiligung, wenn als anderweitige öffentliche Interessen solche des Fremdenverkehrs bzw. der Raumordnung geltend gemacht werden, die Einholung fachlich fundierter Äußerungen der für die Angelegenheiten des Fremdenverkehrs und der Raumordnung zuständigen Stellen oder sonst einer von entsprechendem Fachwissen getragenen Stellungnahme geboten ist, die fallbezogen eine verläßliche Beurteilung, ob das betreffende öffentliche Interesse vorliegt, in einer der nachprüfenden Kontrolle zugänglichen Weise ermöglicht (vgl. das Erkenntnis vom 30. März 1992, Zl. 91/10/0232). Auch diesen Anforderungen entspricht der angefochtene Bescheid nicht.

Ebensowenig enthält der angefochtene Bescheid konkrete Sachverhaltsfeststellungen, auf deren Grundlage ein in der Agrarstrukturverbesserung gelegenes öffentliches Interesse an der Rodung bejaht werden könnte. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein in der Agrarstrukturverbesserung begründetes öffentliches Interesse an einer anderen Verwendung der zur Rodung beantragten Fläche dann zu bejahen, wenn die Rodung eine Maßnahme darstellt, die für die Bewirtschaftung eines landwirtschaftlichen Betriebes unter dem Gesichtspunkt der Existenzsicherung dieses Betriebes oder dem gleichermaßen bedeutsamen Blickwinkel der Erfordernisse eines zeitgemäßen Wirtschaftsbetriebes notwendig ist. Nur ein derartiges Nützlichkeits- und Zweckmäßigkeitserwägungen ausschließendes Verständnis wird dem Ausnahmecharakter einer Rodungsbewilligung gerecht (vgl. die Erkenntnisse vom 19. Oktober 1992, Zl. 92/10/0141, und vom 30. Mai 1994, Zl. 92/10/0458). Dem angefochtenen Bescheid kann ein Sachverhalt, wonach die in Rede stehende Maßnahme die Existenz eines landwirtschaftlichen Betriebes sichert oder für dessen zeitgemäße Bewirtschaftung notwendig ist, nicht entnommen werden.

Der angefochtene Bescheid weist somit Begründungsmängel auf, die eine nachprüfende Kontrolle auf seine Rechtmäßigkeit verhindern. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Schlagworte

Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Entscheidungsrahmen und Überprüfungsrahmen des VwGH Besondere Rechtsgebiete Beweismittel Sachverständigenbeweis Technischer Sachverständiger Beweiswürdigung Sachverhalt angenommener geklärter Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Sachverständigenbeweis Sachverhalt Sachverständiger Gutachten Sachverständiger juristische Person Kammer Beirat

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1994100121.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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