TE Vwgh ErkenntnisVS 1952/7/3 2084/50

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Veröffentlicht am 03.07.1952
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Index

13/02 Vermögensrechtliche Kriegsfolgen
20/05 Wohnrecht Mietrecht
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §56
WohnungsanforderungsG 1949 §3 Abs1 Z1 Satz2

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsidenten Dr. Pilat und die Räte Dr. Dietmann, Dr. Seibt, Dr. Chamrath und Dr. Strau als Richter, im Beisein des Ministerialsekretärs Dr. Lehne als Schriftführer, über die Beschwerde des IS in G, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 28. Juli 1950, Zl. WS 140 B 2589/6-1950/Dr.Schm./H., betreffend Feststellung der Anforderungsfreiheit, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Der Beschwerdeführer, der Miteigentümer des Hauses Graz, R Gasse 28 ist, stellte am 25. Mai 1948 durch seinen Rechtsvertreter beim Magistrat Graz den Antrag, zu entscheiden, dass die im zweiten Stock dieses Hauses gelegene, aus zwei Zimmern, einem Kabinett und Küche bestehende Wohnung gemäß § 3 WAG anforderungsfrei sei. Mit Schreiben vom 8. Juli 1948 teilte der Magistrat dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers mit, daß laut Auskunft der Baupolizei vom 23. Juni 1948 der Kostenaufwand für die Instandsetzung dieser Wohnung als unerheblich bezeichnet werde und die gegenständliche Wohnung somit der Anforderung unterliege. In einer weiteren Eingabe vom 4. Oktober 1948 beantragte der Vertreter des Beschwerdeführers, „die Angelegenheit neu aufzurollen“ und legte ein Gutachten des Architekten KL vor, wonach sich die Kosten des Wiederaufbaues der gegenständlichen Wohnung auf S 8.630,-- belaufen hätten. Der Magistrat Graz teilte mit „Schreiben vom 8. April 1949 dem Vertreter des Beschwerdeführers nach Wiedergabe einer Stellungnahme des Baupolizeiamtes vom 18. Feber 1949 mit, daß die gegenständliche Wohnung nach diesem Berichte nicht schwer beschädigt gewesen sei und daß die aufgewendeten erheblichen Kosten nur der Instandsetzung des Hauses, nicht jedoch der Wohnung gedient hätten; es könne daher unter diesen Umständen die in Frage stehende Wohnung nicht als „§ 3-Wohnung“ freigestellt werden. Der dagegen von den Hauseigentümern IS und AW eingebrachten Berufung gab der Landeshauptmann von Steiermark mit Bescheid vom 29. Juli 1950 mit der Begründung keine Folge, daß nach § 3 Abs. 1 WAG eine Wohnung nur dann von der Anforderung ausgenommen sei, wenn sie vorübergehend unbewohnbar wurde und die Wiederherstellung erhebliche Mittel erforderte, die ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel geleistet wurden. Nach dem Gutachten des Landesbauamtes vom 28. Oktober 1949 treffe jedoch die Voraussetzung der Unbewohnbarkeit nicht zu, da die gegenständliche Wohnung immer, auch nach dem eingetretenen Bombenschaden, bewohnbar gewesen sei. Diese Tatsache reiche hin, die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 WAG als nicht gegeben zu erachten.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Es war zunächst die Frage zu prüfen, ob die nicht in Form eines Bescheides (§ 58 AVG) gekleidete Erledigung des Magistrates Graz vom 8. April 1949 nach ihrem Inhalte als ein Bescheid im Sinne des § 56 AVG gewertet werden kann. Diese Frage ist darum zu bejahen, weil sich diese Erledigung fraglos als eine Entscheidung des vom Beschwerdeführer eingebrachten Antrages auf Feststellung der Anforderungsfreiheit darstellt. So bleibt noch zu prüfen übrig, ob der Magistrat Graz im vorliegenden Falle berechtigt war, in dieser an ihn herangetragenen Angelegenheit einen Feststellungsbescheid zu erlassen. Nun hat die belangte Behörde selbst in ihrer zur vorliegenden Beschwerde erstatteten Gegenschrift die Aufhebung des angefochtenen Bescheides mit der Begründung beantragt, daß die Frage nach der grundsätzlichen Anforderungsfreiheit von Räumen im Sinne des § 3 Abs. 1 WAG nur im Zuge eines hinsichtlich der betreffenden Räume anhängigen Anforderungsverfahrens gelöst werden dürfe, was im Gegenstand nicht zutreffe. Die belangte Behörde vertritt dabei die Auffassung, daß die selbständige, außerhalb des Rahmens eines konkreten Anforderungsverfahrens erfolgende Entscheidung der Frage der Anforderungsfreiheit von Räumen im Sinne des § 3 Abs. 1 Z. 1 zweiter Satz des WAG unzulässig und daher die Gemeinde nicht berechtigt sei, diese Frage in einem selbständigen Verfahren durch einen bejahenden oder verneinenden Feststellungsbescheid mit Rechtskraftwirkung zu lösen. Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch in einem verstärkten Senat am 19. Juni 1952 (Z. 3/8 Pr./1952) beschlossen, die Frage, ob die Behörden berechtigt sind, auf Antrag des Hauseigentümers oder des Wohnungsinhabers über die Frage der Anforderungsfreiheit nach § 3 Abs. 1 Z. 1 zweiter Satz WAG außerhalb eines konkreten Anforderungsverfahrens Feststellungsbescheide zu erlassen, zu bejahen. Hiefür war vor allem die Erwägung maßgebend, daß dem Hauseigentümer bezw. Wohnungsinhaber zumindest ein rechtliches Interesse zugebilligt werden muß, daß die Behörde - gegebenenfalls außerhalb eines konkreten Anforderungsverfahrens - über die Frage der Anforderungsfreiheit nach § 3 Abs. l Z. 1 zweier Satz WAG bescheidmässig abspreche und demnach die Berechtigung der Behörde auf Antrag des Hauseigentümers oder des Wohnungsinhabers derartige Feststellungsbescheide zu erlassen, nicht bestritten werden kann. In dieser Richtung erweist sich daher der angefochtene Bescheid frei von einem Rechtsmangel.

Für die Entscheidung in der Sache selbst ist allein die Frage maßgebend, ob im vorliegenden Falle eine der Voraussetzungen, von denen nach § 3 Abs. 1 Z. 1 zweiter Satz WAG die Befreiung von infolge Kriegseinwirkung unbewohnbar gewordenen Räumen von der Anforderung abhängt, gegeben war, nämlich, ob die umstrittene Wohnung überhaupt so sehr durch Kriegseinwirkung beschädigt wurde, daß sie bis zur Beseitigung der aufgetretenen Kriegsschäden als unbewohnbar anzusehen war. Der Begriff „Unbewohnbarkeit“ bezw. „Bewohnbarkeit“ ist nach objektiven Gesichtspunkten derart zu beurteilen, daß es nicht allein darauf ankommt, ob die Räume auch nach dem Eintritt der an ihnen hervorgerufenen Schäden weiterhin bewohnt wurden oder ob es ihr bisheriger Benützer vorzog, anderwärts Unterkunft zu beziehen. Denn es darf nicht außer acht gelassen werden, daß infolge der gerade nach Kriegsende besonders trostlosen Lage auf dem Wohnungsmarkte, Wohnungen, die unter normalen Verhältnissen schlechtweg als unbewohnbar bezeichnet werden mußten, dennoch häufig unter dem Drucke der Nachkriegsverhältnisse weiterhin bewohnt wurden, sei es, daß ihre Inhaber die sich daraus ergebenden Gefahren für die persönliche Gesundheit oder gegebenenfalls sogar für die Sicherheit einfach auf sich nahmen, oder sei es, daß sie diese Gefahren nicht richtig würdigen. Aus dieser Erwägung hat der Verwaltungsgerichtshof in einer Angelegenheit der Feststellung von Kriegsachschäden nach § 1 Abs. 2 der Verordnung über die Einwirkung von Kriegsachschäden an Gebäuden auf Miet- und Pachtverhältnisse vom 28. September 1943, DRGBl. I S. 546, in seinem Erkenntnisse Slg. N.F. Nr. 604 A/1948, ausgesprochen, daß nicht jeder bewohnte Raum schon allein wegen seiner Bewohntheit auch als benützerbar gewertet werden müsse und daß umgekehrt Räume, die für sich allein gesehen bewohnbar sind, aber infolge von Baugebrechen des Hauses entweder überhaupt nicht oder nur mit Lebensgefahr betreten werden können, als faktisch unbenützbar gelten müssen. Die in diesem Erkenntnisse (auf dessen Entscheidungsgründe gemäß Art. 19 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 77/1946, verwiesen wird) ausgesprochenen Grundsätze haben infolge der Identität der auch für die Anforderungsfreiheit maßgeblichen Voraussetzungen der Unbewohnbarkeit auch dann Anwendungen zu finden, wenn es sich, wie im vorliegenden Falle, um die Feststellung der Unbewohnbarkeit von Räumen im Sinne des § 3 Abs. 1 Z. 1 zweiter Satz WAG handelt. Der angefochtene Bescheid stützt sich nun im wesentlichen auf das Gutachten des Landesbauamtes vom 28. Oktober 1949 dem zu entnehmen ist, daß das in Rede stehende Haus im ganzen wohl schwere Schäden erlitten hatte und daß die gegenständliche Wohnung jedenfalls unbewohnbar geworden wäre, wenn nicht Schutzmaßnahmen (wie die Errichtung eines Notdaches) durchgeführt worden wären. Für die Bewohnbarkeit einer Wohnung ist nun selbstverständliche Voraussetzung, daß die Wohnung vor dem Eindringen von Niederschlagswässern hinreichend geschützt ist. Eine Wohnung, die eines solchen Schutzes entbehrt, kann, solange dieser Zustand andauert, nicht als bewohnbar gelten, insbesondere dann nicht, wenn die Herstellung des Daches die vorherige Instandsetzung jener Hausteile voraussetzt, auf die das Dach bezw. der Dachstuhl aufzubauen ist. Es kann daher die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegende Annahme, daß es für die Beurteilung der Bewohnbarkeit einer Wohnung und damit für die Entscheidung der Frage nach ihrer Anforderungsfreiheit nach § 3 Abs. 1 Z. 1 zweiter Satz WAG lediglich auf die bauliche Beschaffenheit der Wohnung selbst ankomme, keineswegs beigepflichtet werden. Da nun die belangte Behörde selbst davon ausgeht, daß das Haus - als Ganzes gesehen - schwere Kriegsschäden davongetragen habe, und somit die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen ist, daß die vorhanden gewesenen Hausschäden wegen des durch sie entstandene Möglichkeit des Eindringens von Niederschlagswässern oder aus anderen Gründen nach objektiven Gesichtspunkten die Unbewohnbarkeit der gegenständlichen Wohnung bewirkt hatten, wäre es Pflicht der belangten Behörde gewesen, vor ihrer Entscheidung den maßgeblichen Sachverhalt, auch in dieser Richtung zu klären, zumal der Beschwerdeführer in seinen verschiedenen Eingaben mit Nachdruck darauf hingewiesen hatte, daß sich nach seiner Auffassung die Unbewohnbarkeit der Wohnung nicht so sehr aus ihrer Beschaffenheit als vielmehr aus den Baugebrechen ergeben habe, die in seinem Haus infolge Kriegseinwirkung hervorgerufen worden waren. Da somit der dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegende Sachverhalt in seinem wesentlichen Punkte einer Ergänzung bedarf, mußte dieser Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 lit. c Z. 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden.

Wien, am 3. Juli 1952

Schlagworte

Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung Feststellungsbescheide

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1952:1950002084.X03

Im RIS seit

05.12.2022

Zuletzt aktualisiert am

05.12.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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