TE Vwgh Erkenntnis 1996/2/20 95/08/0214

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Veröffentlicht am 20.02.1996
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
40/01 Verwaltungsverfahren;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §228 Abs1 Z10 idF 1993/335 1994/020;
ASVGNov 51te Z53;
ASVGNov 52te Z27;
AVG §56;
AVG §66 Abs4;
B-VG Art140 Abs1;
B-VG Art7 Abs1;
VwRallg;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):95/08/0203 E 20. Februar 1996 95/08/0215 E 20. Februar 1996 95/08/0218 E 20. Februar 1996 95/08/0217 E 20. Februar 1996 95/08/0216 E 20. Februar 1996

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten in Wien, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 7. Juni 1995, Zl. MA 15-II-G 30/94, betreffend Begünstigung gemäß §§ 500 ff ASVG (mitbeteiligte Partei: Marian G, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Der Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die mitbeteiligte Partei gehört dem Personenkreis des § 500 ASVG an. Sie beantragte am 9. Juli 1993 bei der beschwerdeführenden Pensionsversicherungsanstalt die begünstigte Anrechnung von Versicherungszeiten gemäß §§ 500 ff ASVG "aufgrund der Bestimmungen der 51. ASVG-Novelle". In einem weiteren Schriftsatz vom 21. Dezember 1993 brachte die Mitbeteiligte dazu ergänzend vor, daß der Begünstigungsantrag darauf basiere, daß sie Ersatzzeiten für Kindererziehung (gemeint: vor ihrer Auswanderung) in Wien erworben habe.

Mit Bescheid vom 8. März 1994 hat die Beschwerdeführerin in der Pensionsversicherung der mitbeteiligten Partei die Zeit der Auswanderung vom 4. März 1940 bis 31. März 1959 gemäß § 502 Abs. 1 ASVG als Ersatzzeit anerkannt. Die Nachzahlung von Beiträgen sowie die beitragsfreie Anerkennung als Beitragszeit gemäß § 502 Abs. 4 ASVG werde für diese Zeit abgelehnt; ebenso eine weitere Begünstigung vom 4. März 1933 bis 3. März 1940. Nach der Begründung dieses Bescheides sei die Beschwerdeführerin in der Zeit vom 4. März 1940 bis 31. März 1959 aus den in § 500 ASVG angeführten Gründen ausgewandert gewesen. Beitrags- oder Ersatzzeiten habe sie nur vor dem 1. Juli 1927 erworben. Die Voraussetzungen zur Anwendung des § 502 Abs. 6 seien nicht erfüllt. Die Anerkennung der Auswanderung als Beitragszeit sei daher nicht möglich.

Gegen diesen Bescheid erhob die mitbeteiligte Partei Einspruch und zwar nur insoweit, als die begünstigte Anrechnung von Beitragszeiten (wegen Arbeitslosigkeit) in der Zeit vom 14. März 1938 bis 3. März 1940 und die Anrechnung für die Periode vom 4. März 1940 bis 31. März 1959 als Beitragszeit abgelehnt worden sei. Im übrigen (d.h. im antragsstattgebenden Umfang) werde der Bescheid nicht bekämpft. In Entgegnung der Begründung des bekämpften Bescheides führte die mitbeteiligte Partei in ihrem Einspruch aus, daß sie an der Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalt in Wien die Prüfung für das Lehramt der Musik an Mittelschulen am 20. Juni 1930 abgelegt habe. In der Folge sei sie ohne ihr Verschulden im Hinblick auf die damals herrschende wirtschaftliche Situation außerstande gewesen, eine entsprechende Arbeit als Musikprofessorin (Lehrerin) zu erhalten. Sie habe am 21. Juli 1931 mit Ernst G die Ehe geschlossen und am 10. April 1934 ein Kind zur Welt gebracht. Ab diesem Zeitpunkt habe sie sich der Kindererziehung gewidmet und sei aus diesem Grund ohne ihr Verschulden außerstande gewesen, eine versicherungspflichtige Erwerbstätigkeit auszuüben. Es sei weiters erwiesen, daß im Zeitpunkt der Antragstellung am 12. Juli 1993 die 51. Novelle zum ASVG in Kraft gestanden sei, welche in § 228 Abs. 1 Z. 10 die Ersatzzeit für Kindererziehungszeiten im Höchstausmaß von 48 Monaten eingeführt habe und zwar unter der Voraussetzung, daß davor oder danach eine Versicherungszeit gelegen sei. Der mitbeteiligten Partei sei bekannt, daß mit Inkrafttreten der 52. Novelle zum ASVG diese Bestimmungen aufgehoben worden seien, und zwar aufgrund der Übergangsregelung des § 533 ASVG, welche besage, daß mit 1. Juli 1993 die Bestimmung des § 228 Abs. 1 Z. 10 ASVG in Kraft getreten (gemeint offenbar: außer Kraft getreten) und gleichzeitig auch die hier interessierende Bestimmung des § 228a ASVG (ergänze: in Kraft getreten) sei. Darin liege eine Benachteiligung der Personengruppe, die unter diese Bestimmung (gemeint offenbar: der §§ 500 ff ASVG) falle. Bei Anwendung der Bestimmung des § 228 Abs. 1 Z. 10 ASVG (ergänze: in der Fassung der 51. Novelle zum ASVG) wäre bei der mitbeteiligten Partei die Voraussetzung gegeben, im Sinne der Bestimmungen der §§ 500 ff ASVG die Zeit vom 13. März 1938 bis 31. März 1959 als Beitragszeit anzurechnen.

Die Beschwerdeführerin legte diesen Einspruch der belangten Behörde mit einer Stellungnahme vor: Darin wird zum Einspruchsbegehren angemerkt, daß mangels Vorliegens einer Vorversicherungszeit im Sinne des § 502 Abs. 1 ASVG eine Anrechnung im Sinne des Einspruchsbegehrens nicht in Betracht komme. Die beitragsfreie Anerkennung der Zeit der Emigration als Beitragszeit komme mangels Vorliegens der erforderlichen Vorversicherungszeiten im Sinne des § 502 Abs. 1 ASVG nicht in Betracht. Auch ein Fall des § 502 Abs. 6 ASVG liege nicht vor.

Nach Einholung einer weiteren Stellungnahme der mitbeteiligten Partei und der Beschwerdeführerin gab die belangte Behörde dem Einspruch mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid Folge und stellte gemäß §§ 413 und 414 in Verbindung mit § 355 ASVG fest, daß für die Mitbeteiligte die Zeit vom 10. April 1938 bis 3. März 1940 aufgrund von § 502 Abs. 1 ASVG sowie die Zeit vom 4. März 1940 bis 31. März 1959 aufgrund von § 502 Abs. 4 ASVG und aufgrund von § 502 Abs. 1 letzter Satz ASVG in der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten beitragsfrei begünstigt anzurechnen sei. Nach einer Darstellung des Verwaltungsgeschehens und der von der belangten Behörde angewendeten Rechtsvorschriften führt die belangte Behörde in der Begründung dieses Bescheides aus, daß zwischen den Parteien des Verfahrens strittig sei, ob die Zeit der Erziehung des Kindes eine taugliche Vorversicherungszeit für die Begünstigung gemäß § 502 Abs. 1 und 4 ASVG darstelle. Nach Darlegung der von den Parteien des Einspruchsverfahrens dazu eingenommenen Standpunkte führt die belangte Behörde weiter aus, daß nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die Rechtsmittelbehörde im allgemeinen das im Zeitpunkt der Erlassung ihres Bescheides geltende Recht anzuwenden habe. Dabei sei jedoch zu berücksichtigen, ob es sich bei der zu beurteilenden Gesetzesänderung "um eine verschlechternde oder um eine begünstigende" handle und in bereits erworbene Rechte eingegriffen werde. Danach habe die mitbeteiligte Partei aufgrund ihres Antrages auf Begünstigung im Juli 1993 "den Anspruch erworben, daß die geltend gemachte Zeit der Kindererziehung als Vorversicherungszeit für die Begünstigung nach § 228 Abs. 1 Z. 10 in der Fassung der 51. ASVG-Novelle zu beurteilen ist, da mit der 52. Novelle zum ASVG die Regelung des § 228 Abs. 1 Z. 10 ASVG rückwirkend mit 1. Juli 1993 aufgehoben und durch die Bestimmung des § 228a ASVG ersetzt worden ist und es sich hiebei um eine für die (mitbeteiligte Partei) verschlechternde Gesetzesänderung handelt".

Dies auch deswegen, weil es nicht von der Dauer des Begünstigungsverfahrens abhängig sein könne, ob ein aufgrund eines rechtzeitigen Antrages gestelltes Begehren zum Erfolg führe. Die belangte Behörde habe daher in der Zeit vom 1. November 1923 bis 30. Juni 1924, vom 1. November 1924 bis 30. Juni 1925, vom 1. November 1925 bis 30. Juni 1926 und vom 1. November 1926 bis 30. Juni 1927 (Schulbesuch im Inland) das Vorliegen einer Ersatzzeit gemäß § 228 Abs. 1 Z. 3 in Verbindung mit § 227 Abs. 1 Z. 1 ASVG sowie in der Zeit vom 10. April 1934 bis 9. April 1938 das Vorliegen einer Ersatzzeit gemäß § 228 Abs. 1 Z. 10 ASVG in der Fassung der 51. Novelle zum ASVG festgestellt, womit die Voraussetzungen für eine begünstigte Anrechnung der Zeit der Arbeitslosigkeit im Inland gemäß § 502 Abs. 1 ASVG und der Zeit der Auswanderung gemäß § 502 Abs. 4 ASVG und gemäß § 502 Abs. 1 letzter Satz ASVG im spruchgemäßen Umfang erfüllt seien.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde der Pensionsversicherungsanstalt.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - wie die mitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Beschwerdeverfahren ist - wie die Beschwerdeschrift der Pensionsversicherungsanstalt und die Gegenschrift der mitbeteiligten Partei zeigen - ausschließlich strittig, ob der mitbeteiligten Partei aufgrund ihrer vor den aus den Gründen der §§ 500 ff ASVG erfolgten Auswanderung zurückgelegten Zeiten der Kindererziehung eine beitragsfreie Begünstigung im Sinne des § 502 Abs. 1 und 4 ASVG zusteht. Dies hängt nach beiden Gesetzesstellen davon ab, ob die Beschwerdeführerin in der Zeit seit dem 1. Juli 1927 "Beitragszeiten gemäß § 226, Ersatzzeiten gemäß §§ 228 oder 229 oder Zeiten nach dem Auslandsrenten-Übernahmegesetz, BGBl. Nr. 290/1961," erworben hat.

Die Beschwerdeführerin behauptet nicht, Ersatzzeiten im Sinne des § 229 oder Zeiten nach dem Auslandsrenten-Übernahmegesetz bzw. Ersatzzeiten (Schul- oder Studienzeiten) im Sinne des § 228 Abs. 1 Z. 1 - 9 ASVG erworben zu haben; auch die Aktenlage deutet nicht in diese Richtung.

Was die Frage der Kindererziehung betrifft, so wurde die Bestimmung des § 228 ASVG (die bis zu diesem Zeitpunkt eine derartige Ersatzzeitregelung nicht beinhaltete) durch Art. I Z. 53 der 51. Novelle zum ASVG, BGBl. Nr. 335/1993, um eine

Z. 10 ergänzt. Danach galten als Ersatzzeiten aus der Zeit vor dem 1. Jänner 1956:

"10. in dem Zweig der Pensionsversicherung, in dem die letzte vorangegangene Versicherungszeit bzw. beim Fehlen einer solchen, in dem die erste nachfolgende Versicherungszeit vorliegt, bei einer (einem) Versicherten, die (der) im Zeitpunkt der Geburt ihren (seinen) Wohnsitz im Inland hatte, die Zeit der Erziehung des Kindes im Inland bis zum Höchstausmaß von 48 Kalendermonaten ab der Geburt".

Diese Bestimmung ist gemäß § 551 Abs. 1 ASVG in der Fassung der 51. Novelle zum ASVG mit 1. Juli 1993 in Kraft getreten.

Mit Z. 27 der 52. Novelle zum ASVG, BGBl. Nr. 20/1994, wurde diese Bestimmung des § 228 Abs. 1 Z. 10 in der Fassung der 51. Novelle wieder aufgehoben. Anstelle dieser Bestimmung wurde durch Z. 28 der 52. Novelle zum ASVG nach § 228 ein § 228a eingefügt, der die Ersatzzeiten für Zeiten der Kindererziehung vor dem 1. Jänner 1956 (ebenso durch Z. 26 leg. cit. ein § 227a, der die Ersatzzeiten für Zeiten der Kindererziehung nach dem 31. Dezember 1955) regelt. Z. 27 und Z. 28 der 52. Novelle zum ASVG sind gemäß § 553 Abs. 1 Z. 2 ASVG in der Fassung der 52. Novelle zum ASVG, BGBl. Nr. 20/1994, RÜCKWIRKEND mit 1. Juli 1993 in Kraft getreten. Der Wortlaut des § 553 Abs. 1 Z. 2 ASVG ist zwar insoweit mißverständlich formuliert, als danach "rückwirkend

mit 1. Juli 1993 ... § 228 Abs. 1 Z. 10 ..." (in Kraft tritt),

es ist jedoch offenkundig damit die Z. 27 der Novelle angesprochen, die keine inhaltliche Regelung des § 228 Abs. 1 Z. 10 beinhaltet, sondern anordnet, daß § 228 Abs. 1 Z. 10 aufgehoben wird.

Dies bedeutet, daß die Ersatzzeitenregelung des § 228 Abs. 1 Z. 10 ASVG (auf welche die Beschwerdeführerin ihren Anspruch stützt) mit dem Tag ihres zufolge der 51. Novelle zum ASVG angeordneten Inkrafttretens zum 1. Juli 1993 durch die 52. Novelle zum ASVG wieder aufgehoben wurde.

Daraus leiten die belangte Behörde und die mitbeteiligte Partei (letztere unter ausdrücklichem Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 9. Juni 1992, Zl. 90/08/0229) ab, daß der mitbeteiligten Partei jedenfalls ein Anspruch entstanden sei, der ihr durch die 52. Novelle zum ASVG nicht mehr habe genommen werden können (oder dürfen), während die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten (zumindest der Sache nach) die Auffassung vertritt, daß durch die nachträgliche Beseitigung des § 228 Abs. 1 Z. 10 rückwirkend mit 1. Juli 1993 aus dieser Bestimmung ein Anspruch nicht abgeleitet werden könne, wohingegen die Regelung des § 228a ASVG (der die zuerst genannte Regelung ersetzt habe) in § 502 Abs. 1 und 4 ASVG nicht genannt sei und daher als Vorversicherungszeit für eine Begünstigung nicht herangezogen werden könne.

Im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 4. Mai 1977, Slg. Nr. 9315/A, ist der Verwaltungsgerichtshof von der bis dahin in seiner ständigen Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Frage der zeitlichen Anwendbarkeit von Rechtsnormen als maßgeblich angesehenen Unterscheidung zwischen deklarativen und konstitutiven Verwaltungsakten zufolge der Relativität - und daher Unbrauchbarkeit - dieser Begriffe abgegangen. Nach diesem Erkenntnis hat die Rechtsmittelbehörde - unabhängig von dieser Unterscheidung - im allgemeinen das im Zeitpunkt der Erlassung ihres Bescheides geltende Recht anzuwenden, soweit nicht der Gesetzgeber in einer Übergangsbestimmung zum Ausdruck bringt, daß auf anhängige Verfahren noch das bisherige Gesetz anzuwenden sei. Eine andere Betrachtungsweise wird auch dann Platz zu greifen haben, wenn darüber abzusprechen ist, was an einem bestimmten Stichtag oder in einem konkreten Zeitraum rechtens war. Nur dann also, wenn die (danach erforderliche) Auslegung der Verwaltungsvorschriften ergibt, daß eine vor der Erlassung des Berufungsbescheides bestandene Rechtslage von Bedeutung ist, kommt es nicht auf die Rechtslage im Zeitpunkt der Erlassung des Berufungsbescheides an (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 28. November 1983, Slg. Nr. 11237/A).

In dem von der mitbeteiligten Partei in ihrer Gegenschrift zitierten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. Juni 1992, Zl. 90/08/0229, hat der Verwaltungsgerichtshof, gestützt auf Übergangsbestimmungen der 44. und der 48. ASVG-Novelle, zu einer gegenüber der 44. ASVG-Novelle verschlechternden Gesetzesänderung der 48. ASVG-Novelle ausgesprochen, daß in diesem Fall die Behörde aus den in diesem Erkenntnis näher dargelegten Gründen die Rechtslage im Zeitpunkt der Antragstellung anzuwenden hatte, wobei auch verfassungsrechtliche Gründe, insbesondere Gründe des Dispositions- und Vertrauensschutzes eine Rolle spielten.

Der vorliegende Fall unterscheidet sich jedoch von dem damals dem Verwaltungsgerichtshof vorliegenden Sachverhalt insoweit in einem entscheidenden Punkt, als die damals strittige (für die Begünstigungswerberin günstigere) Rechtslage im Zeitraum vom 1. Jänner 1988 (Inkrafttreten der 44. Novelle zum ASVG) bis zum 1. Jänner 1990 (Inkrafttreten der 48. Novelle zum ASVG) in Geltung gestanden ist, während im vorliegenden Fall der zeitliche Anwendungsbereich der Bestimmung des § 228 Abs. 1 Z. 10 ASVG in der Fassung der 51. Novelle zum ASVG durch die 52. Novelle zum ASVG (rückwirkend) zur Gänze beseitigt wurde. Es ist daher im Beschwerdefall (in welchem die Entscheidung nach Inkrafttreten der 52. Novelle zum ASVG erfolgte) nicht maßgebend, ob die belangte Behörde das im Zeitpunkt ihrer Entscheidung oder das im Zeitpunkt der Antragstellung geltende Recht anzuwenden hatte, da aus der Sicht des Entscheidungszeitpunktes für die Bestimmung des § 228 Abs. 1 Z. 10 ASVG (wie die Beschwerdeführerin im Ergebnis richtig erkennt) kein zeitlicher Anwendungsbereich verbleibt.

Die Frage, ob durch die rückwirkende Beseitigung einer einmal in Geltung gestandenen Norm ein Verfassungsrecht verletzt wird (wie dies die mitbeteiligte Partei in ihrer Gegenschrift zum Ausdruck bringt), ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes im vorliegenden Fall aus folgenden Gründen jedenfalls zu verneinen:

Vorausgeschickt sei, daß weder die Materialien zur 51. Novelle zum ASVG (vgl. die Regierungsvorlage 932 Blg. NR XVIII. GP) noch jene zur 52. Novelle zum ASVG (Regierungsvorlage 1375 Blg. NR XVIII. GP) sich zu der Frage äußern, ob mit der Änderung des § 228 Abs. 1 Z. 10 ASVG auch eine Erweiterung der Möglichkeiten zur begünstigten Anrechnung im Sinne des § 502 Abs. 1 und 4 ASVG geschaffen werden sollte. Dargelegt ist in den Materialien lediglich die Absicht des Gesetzgebers, Lücken, die durch Kindererziehung im Versicherungsverlauf entstanden sind, zu schließen bzw. zu mildern. Auch wird in den Materialien zur 52. Novelle zum ASVG (RV, aaO, Seite 37) keine Begründung dafür gegeben, warum die Bestimmung des § 228 Abs. 1 Z. 10 ASVG rückwirkend aufgehoben und die (zum Teil geänderte) Neuregelung durch die 52. Novelle zum ASVG nunmehr in die Bestimmung des § 228a ASVG aufgenommen wurde. Es läßt sich also aus den Gesetzesmaterialien weder mit Sicherheit beurteilen, ob dem Gesetzgeber der 51. Novelle zum ASVG die mit der Erweiterung des Ersatzzeitenkataloges des § 228 Abs. 1 Z. 10 ASVG verbundenen Konsequenzen im Hinblick auf die Bestimmungen der §§ 500 ff ASVG überhaupt bewußt gewesen sind (geschweige denn, daß eine Absicht des Gesetzgebers in diese Richtung erweislich wäre), noch läßt sich (daher) mit Sicherheit sagen, daß der Gesetzgeber - sollte ein Versehen vorgelegen sein - mit der 52. Novelle zum ASVG durch die gewählte Gesetzestechnik rückwirkend dieses Versehen (gleichsam in einer Art authentischer Interpretation) bewußt wieder beseitigen wollte.

Die Absicht des Gesetzgebers kann aber nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes deshalb im dunkeln bleiben, weil die Auswirkungen der rückwirkenden Beseitigung der Bestimmung des § 228 Abs. 1 Z. 10 ASVG auf die rechtliche Position der mitbeteiligten Partei nicht einen Grad erreichen, der einen verfassungswidrigen Eingriff in Grundrechte der Mitbeteiligten bewirken würde. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes verbietet es die Bundesverfassung dem Gesetzgeber - sieht man von rückwirkenden Strafvorschriften ab - nicht, ein Gesetz mit rückwirkender Kraft auszustatten, doch muß diese Rückwirkung mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar, also sachlich zu rechtfertigen sein (vgl. VfSlg. 8195/1977, 8589/1979, 9483/1982 uva). Eine rückwirkende Inkraftsetzung einer in Rechtspositionen eingreifenden Regelung ist mit dem Gleichheitsgrundsatz dann nicht vereinbar, wenn die Normunterworfenen durch einen Eingriff von erheblichem Gewicht in einem berechtigten Vertrauen auf die Rechtslage enttäuscht wurden und nicht besondere Umstände die Rückwirkung verlangen (vgl. VfSlg. 12688/1991 mwH). Im vorliegenden Fall ist nicht erkennbar, inwieweit durch die Bestimmung des § 228 Abs. 1 Z. 10 ASVG eine derartige Vertrauenslage geschaffen und Rechtspositionen eingeräumt wurden, die unter den genannten Gesichtspunkten den späteren Eingriff des Gesetzgebers als verfassungswidrig erkennen ließen (vgl. etwa die Erkenntnisse VfSlg. Nr. 11288/1987, VfSlg. 11665/1988, VfSlg. 12186/1989, VfSlg. 12688/1991 u.a.). Auch kann - anders als im Falle des Erkenntnisses vom 9. Juni 1992, Zl. 90/08/0229 - wegen der gänzlichen Beseitigung der Norm nicht gesagt werden, daß der Gesetzgeber nach der zufälligen Dauer des jeweiligen Verfahrens in unsachlicher Weise differenziere. Der denkbare Einzelfall einer positiven Erledigung noch vor Inkrafttreten der 52. Novelle macht die getroffene Regelung nicht an sich unsachlich.

Aus diesen Gründen hegt der Verwaltungsgerichtshof auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die - wenn auch für die mitbeteiligte Partei nachteilige - rückwirkende Beseitigung der Bestimmung des § 228 Abs. 1 Z. 10 ASVG wenige Monate nach dem Inkrafttreten dieser Bestimmung.

Da die belangte Behörde verkannt hat, daß sie die Bestimmung des § 228 Abs. 1 Z. 10 ASVG in der Fassung der 51. Novelle zum ASVG nicht mehr anzuwenden hatte, hat sie den Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet; dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Durch die Erledigung in der Sache selbst ist eine Entscheidung über den Antrag der beschwerdeführenden Pensionsversicherungsanstalt, ihrer Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, entbehrlich geworden.

Schlagworte

Maßgebende Rechtslage maßgebender SachverhaltAnzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und Beweise

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995080214.X00

Im RIS seit

11.07.2001

Zuletzt aktualisiert am

27.12.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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