TE Vwgh Erkenntnis 1996/2/22 95/11/0377

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Veröffentlicht am 22.02.1996
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
24/01 Strafgesetzbuch;
25/01 Strafprozess;
40/01 Verwaltungsverfahren;
82/02 Gesundheitsrecht allgemein;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

AVG §38;
AVG §62 Abs4;
AVG §66 Abs4;
AVG §69 Abs1 Z3;
KFG 1967 §66 Abs1 lita;
KFG 1967 §66 Abs1 litb;
KFG 1967 §66 Abs1;
KFG 1967 §66 Abs2 litc;
KFG 1967 §66 Abs2;
SGG §12 Abs1;
SGG §12;
StGB §302 Abs1;
StPO 1975 §270 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerde des N in W, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 29. September 1995, Zl. MA 65-8/433/95, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890.-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen B, C, E, F und G entzogen und gemäß § 73 Abs. 2 leg. cit. ausgesprochen, daß ihm für die Dauer von 24 Monaten keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden dürfe.

In seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat den Verwaltungsakt vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die bekämpfte Entscheidung beruht auf der Annahme der rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers nach § 12 SGG und damit des Vorliegens einer die Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers indizierenden bestimmten Tatsache gemäß § 66 Abs. 2 lit. c KFG. Diese erblickte die belangte Behörde darin, daß der Beschwerdeführer, wie sich aus der Ausfertigung des rechtskräftigen Urteils des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 13. Juni 1995 ergebe, eine größere Menge von Heroin nach Österreich eingeführt und dadurch das Verbrechen nach § 12 Abs. 1 SGG begangen habe.

Der Beschwerdeführer tritt dieser Annahme mit Recht entgegen. Mit dem (der Beschwerde angeschlossenen) Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 20. November 1995 wurde die besagte Urteilsausfertigung dahin berichtigt, daß beim Beschwerdeführer das Verbrechen nach dem § 12 Abs. 1 SGG zu entfallen habe. Laut beigegebener Begründung weicht die schriftliche Ausfertigung insofern von der mündlichen Urteilsverkündung ab, als der Beschwerdeführer von diesem Anklagepunkt freigesprochen wurde. Damit steht fest, daß die Annahme der rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers nach § 12 SGG unrichtig ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat bei der Prüfung des angefochtenen Bescheides davon auszugehen, daß der Beschwerdeführer vom Vorwurf, die angenommene, eine bestimmte Tatsache gemäß § 66 Abs. 2 lit. c KFG 1967 bildende strafbare Handlung begangen zu haben, freigesprochen wurde. Die Rechtslage ist im gegebenen Zusammenhang nicht anders zu beurteilen als bei einem nach Beschwerdeeinbringung ergangenen, unbekämpft gebliebenen Berichtigungsbescheid nach § 62 Abs. 4 AVG: Dieser hat zur Folge, daß der berichtigte Bescheid rückwirkend geändert wird und in der berichtigten Fassung der verwaltungsgerichtlichen Prüfung zugrunde zu legen ist (Beschluß eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 10. Dezember 1986, Slg. 12.329/A). Aufgrund der unzutreffenden Annahme einer sie bindenden rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Strafgericht hat die belangte Behörde Feststellungen über sein im gegebenen Zusammenhang relevantes Verhalten beim Transport des Suchtgiftes unterlassen. Damit ist offen, ob insoweit überhaupt eine bestimmte Tatsache iSd § 66 Abs. 1 KFG 1967 vorliegt; der Sachverhalt bedarf in diesem wesentlichen Punkt der Ergänzung.

Der in der Gegenschrift unternommene Versuch, die Annahme der Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers auf die Tatsache seiner Verurteilung wegen des Verbrechens nach den §§ 12, 2. Fall, 15, 302 Abs. 1 StGB zu stützen, "zumal das sichergestellte Suchtgift im vom Beschwerdeführer selbst gelenkten PKW aufgefunden wurde und ihn als Lenker eines Kraftfahrzeuges eine besondere Verantwortung hinsichtlich der mitfahrenden Personen und hinsichtlich der mitgeführten Gegenstände trifft", versagt. Die Annahme der Verkehrsunzuverlässigkeit einer Person hat gemäß § 66 Abs. 1 KFG 1967 aufgrund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 2) und ihrer Wertung (Abs. 3) zu erfolgen. Als solche Tatsachen kommen in erster Linie die im Abs. 2 genannten strafbaren Handlungen in Betracht, daneben aber auch andere Verhaltensweisen, sofern sie diesen ausdrücklich angeführten Straftaten im Einzelfall an Bedeutung und Gewicht im Hinblick auf die daraus zu erschließende Sinnesart nach § 66 Abs. 1 KFG 1967 etwa gleichkommen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Juni 1983, Slg. 11.103/A, u.v.a.). Im Lichte dieser Rechtslage kommen das Auffinden des Suchtgiftes in dem vom Beschwerdeführer gelenkten PKW und seine "Verantwortung" für die Mitfahrer und die von ihnen mitgeführten Gegenstände schon deshalb nicht als bestimmte Tatsache im Sinne des § 66 Abs. 1 KFG 1967 in Betracht.

Beim Versuch der Bestimmung zum Mißbrauch der Amtsgewalt (durch das Anbot an die Sicherheitswacheorgane, ihnen im Falle der Abstandnahme von der Festnahme und Anzeige wegen des Verdachtes nach § 12 SGG das sichergestellte Suchtgift zu Verkaufszwecken zu überlassen) handelt es sich zwar um eine strafbare Handlung. Die Begehung eines solchen Deliktes läßt aber - auch unter den spezifischen Umständen des Beschwerdefalles - nicht den Schluß zu, die betreffende Person werde aufgrund ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen der in Betracht kommenden Gruppe die Verkehrssicherheit gefährden (§ 66 Abs. 1 lit. a KFG 1967) oder sich wegen der erleichternden Umstände, die beim Lenken von Kraftfahrzeugen gegeben sind, sonstiger schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen (§ 66 Abs. 1 lit. b KFG 1967). Das liegt hinsichtlich der lit. a auf der Hand. Hinsichtlich der lit. b ist insbesondere nicht ersichtlich, durch welche beim Lenken von Kraftfahrzeugen gegebenen Umstände die Begehung eines solchen Deliktes "erleichtert" wird.

Aus diesen Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Zuspruch von Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und Beweise Verhältnis zu anderen Materien und Normen Diverses

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995110377.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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