TE Vwgh Erkenntnis 2022/10/12 Ra 2022/18/0124

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Veröffentlicht am 12.10.2022
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Norm

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Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision von 1. A H, und 2. A H, beide vertreten durch Mag.a Sarah Moschitz-Kumar, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Schießstattgasse 30/1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Oktober 2021, 1. G308 2205530-1/22E und 2. G308 2205531-1/21E, betreffend Asylangelegenheiten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Spruch

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird hinsichtlich des Erstrevisionswerbers zurückgewiesen, soweit sie die Abweisung der Beschwerde hinsichtlich der Nichtgewährung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten sowie der Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 Asylgesetz 2005 betrifft.

Die Revision wird hinsichtlich des Zweitrevisionswerbers zurückgewiesen, soweit sie die Abweisung der Beschwerde hinsichtlich der Nichtgewährung des Status des Asylberechtigten betrifft.

II. zu Recht erkannt:

Im Übrigen wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den Revisionswerbern Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Die Revisionswerber sind irakische Staatsangehörige aus Bagdad. Der volljährige Erstrevisionswerber ist der Bruder des minderjährigen, im Jahr 2005 geborenen, Zweitrevisionswerbers. Die Revisionswerber stellten am 15. Februar 2016 Anträge auf internationalen Schutz. Der Erstrevisionswerber brachte im Wesentlichen vor, aufgrund einer verbotenen Liebesbeziehung zu einer Frau von deren Familie sowie der schiitischen Al Mahdi Miliz bedroht worden zu sein. Der Zweitrevisionswerber gab zudem an, von einer Frau entführt und misshandelt worden zu sein, ehe ihn sein Vater habe befreien können. Im Irak sei es nämlich üblich, Kinder zu entführen, sie zu verkaufen oder sie zu zwingen, Zwangsarbeit für die Entführer zu leisten. Auch für den Fall der Rückkehr habe er Angst, getötet oder entführt zu werden. Im Beschwerdeverfahren erstattete die Rechtsvertretung des Zweitrevisionswerbers eine Stellungnahme vom 21. Juli 2021, in der sie unter Bezugnahme auf mehrere Länderberichte die kinderspezifische Gefährdungslage für den Zweitrevisionswerber im Irak näher ausführte und vorbrachte, eine Rückführung seiner Person in den Herkunftsstaat sei unter den Gesichtspunkten des Kindeswohls und des Art. 3 EMRK nicht zulässig.

2        Mit Beschluss des Bezirksgerichts Graz-West vom 10. März 2017 wurde dem Erstrevisionswerber die Obsorge betreffend den minderjährigen Zweitrevisionswerber übertragen.

3        Mit Bescheiden vom 31. Juli 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die Anträge der Revisionswerber zur Gänze ab, erteilte ihnen keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass ihre Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

4        Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 27. Oktober 2021 nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet abgewiesen und ausgesprochen, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5        Begründend schenkte das BVwG dem Fluchtvorbringen des Erstrevisionswerbers hinsichtlich einer Bedrohung durch die Al Mahdi Miliz aufgrund näher bezeichneter Widersprüche und Unsubstantiiertheit der Aussagen keinen Glauben. Selbst bei Wahrunterstellung des Vorbringens - so das BVwG - gehe die Verfolgung nicht von staatlichen Stellen aus und seien die irakischen Behörden schutzfähig und -willig. Auch das Vorbringen des Zweitrevisionswerbers, wonach er von einer fremden Frau entführt worden sei, beurteilte das BVwG als nicht nachvollziehbar. Er habe nicht glaubhaft vorgebracht, welches besondere Interesse bestimmte Personen an seiner Person hätten haben sollen. Seine Furcht, entführt zu werden, beruhe bloß auf allgemeinen Mutmaßungen. In der Stellungnahme vom 21. Juli 2021 werde die schwierige Lage von Kindern im Irak angeführt, welche ein stimmiges Bild mit den herangezogenen Länderberichten ergebe und somit nicht in Abrede gestellt werde. Eine allgemeine Unzulässigkeit der Rückschiebung könne daraus aber nicht abgeleitet werden. Auch sei der Zweitrevisionswerber mittlerweile kein Kind mehr, sondern ein Jugendlicher. Das Fluchtvorbringen beider Revisionswerber erweise sich somit als nicht glaubhaft oder nicht asylrelevant.

6        Zum subsidiären Schutz und zur Rückkehrentscheidung führte das BVwG zusammengefasst aus, die Revisionswerber könnten ohne Gefährdung ihrer durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte in den Herkunftsstaat zurückkehren. Sie seien nach ihrem Alter und ihrem Gesundheitszustand arbeitsfähig und fänden ein soziales Netzwerk in der Heimat vor. Ihre Integration in Österreich sei nicht außergewöhnlich, weshalb kein unzulässiger Eingriff in ihr Recht auf Privatleben nach Art. 8 EMRK stattfinde. Auf den Aspekt des Kindeswohls des Zweitrevisionswerbers wurde in der gesamten Begründung des angefochtenen Erkenntnisses nicht explizit eingegangen.

7        Gegen dieses Erkenntnis erhoben die Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 1. März 2022, E 4389-4390/2021-7, deren Behandlung ablehnte und die Beschwerde über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 11. April 2022, E 4389-4390/2021-9, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

8        In der Folge wurde die gegenständliche außerordentliche Revision eingebracht, in der zur Zulässigkeit und in der Sache geltend gemacht wird, das BVwG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass es sich bei der vom Erstrevisionswerber geltend gemachten Verfolgung durch die Al Mahdi Miliz um eine Verfolgung durch Privatpersonen handle. Den aktuellen Länderberichten sei zu entnehmen, dass der Staat sein Gewaltmonopol gegenüber den Milizen nicht sicherstellen könne. Das BVwG sei seiner Ermittlungspflicht in mehreren Aspekten, insbesondere hinsichtlich der Minderjährigkeit des Zweitrevisionswerbers, der Lage Minderjähriger im Irak, des Kindeswohls und hinsichtlich des Gesundheitszustandes des Zweitrevisionswerbers nicht nachgekommen und habe veraltete Länderberichte herangezogen. Es habe die Auseinandersetzung mit den kinderspezifischen Gefährdungen im Irak unterlassen, obwohl diese aufgrund des Alters des Zweitrevisionswerbers und seiner mehrfach geäußerten Furcht vor Entführungen entscheidungsrelevant gewesen wären. Dazu verweist die Revision mehrfach auf die Stellungnahme der Rechtsvertretung des Zweitrevisionswerbers im Beschwerdeverfahren vom 21. Juli 2021, in der die besondere Vulnerabilität des Zweitrevisionswerbers näher dargelegt worden sei und mit der sich das BVwG nicht hinreichend beschäftigt habe. Das BVwG habe alledem nur entgegengehalten, der Zweitrevisionswerber sei kein Kind mehr, sondern ein Jugendlicher, obwohl die einschlägigen Berichte auf Personen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr und somit auf Kinder und Jugendliche abstellten. Im Zusammenhang mit der Rückkehrentscheidung rügt die Revision, diese widerspreche dem Kindeswohl, und sie führt diese Behauptung auch näher aus.

9        Das BFA erstattete keine Revisionsbeantwortung.

10       Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

11       Die Revision ist teilweise zulässig und insoweit auch begründet.

12       Vorauszuschicken ist, dass die Revisionswerber nicht als „Familienangehörige“ im Sinne von § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 gelten, weil zum einen Geschwister vom Angehörigenbegriff dieser Norm nicht erfasst sind und zum anderen die Bestellung des Erstrevisionswerbers zum gesetzlichen Vertreter des minderjährigen Zweitrevisionswerbers erst im Laufe des gegenständlichen Asylverfahrens stattfand. Daraus folgt, dass die Vorschriften des Familienverfahrens nach § 34 AsylG 2005 fallbezogen nicht zur Anwendung gelangen.

Zu I.:

13       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

14       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

15       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

Zum Erstrevisionswerber:

16       Soweit die Revision rügt, das BVwG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass es sich bei der vom Erstrevisionswerber vorgebrachten Bedrohung durch die Al Mahdi Miliz um eine Verfolgung durch Privatpersonen handle sowie dass der irakische Staat unfähig sei, Schutz vor dieser zu bieten, ist darauf hinzuweisen, dass das BVwG dies lediglich als Alternativbegründung heranzog. Vorrangig verneinte das BVwG eine Glaubhaftigkeit des Fluchtvorbringens des Erstrevisionswerbers hinsichtlich einer Bedrohung durch die Al Mahdi Miliz schon aufgrund näher bezeichneter Widersprüche und der Unsubstantiiertheit seiner Aussagen. Dieser Beweiswürdigung wird von der Revision nicht entgegengetreten.

17       Die Gewährung von subsidiärem Schutz nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erfordert das reale Risiko einer drohenden Verletzung insbesondere von Art. 2 oder 3 EMRK bei Rückkehr in den Heimatstaat. Dazu reicht es nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüber hinaus gehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (vgl. VwGH 10.2.2021, Ra 2020/18/0426, mwN).

18       Werden Verfahrensmängel - die Revision rügt insbesondere die Heranziehung veralteter Länderberichte in Hinblick auf die Sicherheits- und Versorgungslage im Irak - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss in der gesonderten Zulässigkeitsbegründung auch deren Relevanz dargetan werden, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können. Dies setzt voraus, dass - auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 18.11.2021, Ra 2021/18/0318, mwN).

19       Mit ihrem pauschalen Vorbringen, die Sicherheits- und Versorgungslage habe sich im Zusammenhang mit der Pandemie und den militärischen Interventionen der Türkei im Norden des Irak verschlechtert, zeigt die Revision keine solche Relevanz hinsichtlich der konkreten Versorgungs- und Sicherheitslage im Herkunftsort des Erstrevisionswerbers, Bagdad, auf. Die Revision vermag daher nicht darzulegen, dass die Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz an den volljährigen, gesunden und arbeitsfähigen Erstrevisionswerber, welcher nach den insoweit unstrittigen Feststellungen zudem auf familiäre Anknüpfungspunkte in Bagdad zurückgreifen kann, fehlerhaft erfolgt ist.

20       Hinsichtlich des Erstrevisionswerbers war die Revision sohin in Bezug auf die Nichtgewährung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten sowie die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005, wogegen sich die Revision nicht wendet, gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG als unzulässig zurückzuweisen.

Zum Zweitrevisionswerber:

21       Die Revision macht in Bezug auf den Zweitrevisionswerber geltend, das BVwG habe die kinderspezifischen Gefährdungen im Irak und damit die besondere Vulnerabilität des Zweitrevisionswerbers nicht hinreichend berücksichtigt, sieht darin aber nur eine drohende Verletzung seiner durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte, worauf im Folgenden noch einzugehen sein wird. Dass und weshalb diese Gefährdungen auch Asyl rechtfertigen würden, wird von der Revision nicht näher ausgeführt und es wird somit insoweit keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dargetan.

22       Hinsichtlich des Zweitrevisionswerbers war die Revision sohin in Bezug auf die Nichtgewährung des Status des Asylberechtigten gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG als unzulässig zurückzuweisen.

Zu II.:

Zum Zweitrevisionswerber:

23       Soweit die Revision eine unzureichende Auseinandersetzung des BVwG mit den kinderspezifischen Gefährdungen für den Zweitrevisionswerber unter dem Blickwinkel des subsidiären Schutzes und mit der Frage des Kindeswohls im Zusammenhang mit der Rückkehrentscheidung geltend macht, ist sie im Recht.

24       Das BVwG stellte die prekäre Lage für Kinder im Irak nicht in Zweifel und verwies darauf, dass die in der Stellungnahme des Zweitrevisionswerbers vom 21. Juli 2021 angesprochenen Gefahren (die schlechte Sicherheitslage habe Auswirkungen auf die Möglichkeit, Schulen zu besuchen; eine Million Kinder unter 18 Jahren hätten einen humanitären Bedarf an Wasser, sanitären Einrichtungen und Hygiene; über ein Viertel aller Kinder im Irak lebe in Armut, Gewalt gegen Kinder bleibe ein großes Problem, usw.) auch in den diesbezüglichen Länderfeststellungen im angefochtenen Erkenntnis Deckung fänden. Ungeachtet dessen erblickte es darin keine Bedeutung für den gegenständlichen Fall, weil eine „allgemeine Unzulässigkeit der Rückschiebung“ daraus nicht abgeleitet werden könne und der Zweitrevisionswerber mittlerweile kein Kind mehr sei, sondern ein Jugendlicher. Im Folgenden geht das BVwG auch ohne weitere Bedachtnahme auf die Minderjährigkeit des Zweitrevisionswerbers davon aus, dass er arbeitsfähig sei und im Herkunftsstaat durch Erwerbstätigkeit ausreichendes Einkommen erwirtschaften könne.

25       Mit dieser Begründung verkennt das BVwG zum einen, dass die Berichte über die prekäre Lage von „Kindern“ im Irak, wie die Revision zutreffend ausführt, auch für Jugendliche von Bedeutung sind, wird in diesen Berichten unter „Kindern“ doch vielfach explizit die Minderjährigkeit der Betroffenen (Personen unter 18 Jahren) verstanden. Zum anderen hat der EuGH bereits erkannt, dass ein (unbegleiteter) Minderjähriger nicht systematisch wie ein Erwachsener behandelt werden dürfe (vgl. EuGH 14.1.2021, C-441/19, TQ, Rn. 43). Das BVwG ist in seinen Ausführungen zur Rückkehrsituation des Zweitrevisionswerbers auf dessen Minderjährigkeit aber überhaupt nicht eingegangen.

26       Damit ist das BVwG von der ständigen Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, wonach die Rückkehrsituation für Minderjährige als besonders vulnerable und besonders schutzbedürftige Antragstellende einer besonders sorgfältigen Prüfung bedarf und bei allen Maßnahmen öffentlicher Stellen, die Kinder betreffen, das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein muss, abgewichen (vgl. VwGH 18.7.2022, Ra 2021/18/0416 bis 0418, mit Hinweis auf VfGH 10.3.2021, E 345/2021, u.a.; zur Situation von unbegleiteten Minderjährigen etwa VwGH 10.3.2022, Ra 2021/18/0349).

27       Nichts Anderes gilt für die Rückkehrentscheidung betreffend den Zweitrevisionswerber, bei der sich das BVwG mit der Frage des Kindeswohls überhaupt nicht auseinandergesetzt hat.

28       Das angefochtene Erkenntnis war daher hinsichtlich des Zweitrevisionswerbers in Bezug auf die Abweisung der Beschwerde gegen die Nichtgewährung von subsidiärem Schutz und die darauf aufbauenden Spruchpunkte gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Zum Erstrevisionswerber:

29       Im Lichte der obigen Ausführungen erweist sich auch die Rückkehrentscheidung hinsichtlich des Erstrevisionswerbers als fehlerhaft, weil das BVwG bei seiner Beurteilung, ob die aufenthaltsbeendende Maßnahme in die durch Art. 8 EMRK geschützten Rechte des Erstrevisionswerbers unverhältnismäßig eingreift, nicht auf das besondere Verhältnis des Erstrevisionswerbers zu seinem Bruder eingeht, mit welchem er vor mehr als fünf Jahren gemeinsam nach Österreich einreiste und in gemeinsamem Haushalt lebt sowie für welchen er finanziell verantwortlich ist und die Obsorge trägt (vgl. VwGH 19.10.2021, Ra 2021/18/0259, mwN).

30       Das angefochtene Erkenntnis war daher hinsichtlich des Erstrevisionswerbers im Umfang der Rückkehrentscheidung und der darauf aufbauenden Spruchpunkte, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

31       Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 12. Oktober 2022

Schlagworte

Auswertung in Arbeit!

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022180124.L00

Im RIS seit

16.11.2022

Zuletzt aktualisiert am

16.11.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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