TE Vwgh Beschluss 2022/10/24 Ra 2022/02/0164

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Veröffentlicht am 24.10.2022
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Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller und den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schörner, über die Revision der Landespolizeidirektion Oberösterreich gegen das am 8. Juni 2022 mündlich verkündete und am 22. Juni 2022 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich, LVwG-605087/12/JP, betreffend Übertretung der StVO (mitbeteiligte Partei: A G in L, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Mit Straferkenntnis der nunmehrigen Amtsrevisionswerberin vom 11. März 2022 wurde dem Mitbeteiligten zur Last gelegt, am 19. Jänner 2022 um 20:25 Uhr an einem näher genannten Ort der A 25 ein dem Kennzeichen nach bestimmtes Kraftfahrzeug in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand gelenkt zu haben. Der Mitbeteiligte habe dadurch § 99 Abs. 1b iVm § 5 Abs. 1 StVO verletzt, weshalb über ihn gemäß § 99 Abs. 1b StVO eine Geldstrafe in Höhe von € 800,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 7 Tage) verhängt wurde. Zudem wurde ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens in Höhe von € 80,-- festgesetzt und der Mitbeteiligte zum Ersatz der Barauslagen in der Höhe von insgesamt € 1.063,90 verpflichtet.

2        Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (Verwaltungsgericht) der dagegen erhobenen Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung statt, hob das bekämpfte Straferkenntnis auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren ein. Weiters sprach es aus, dass der Mitbeteiligte weder einen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens noch zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens zu leisten habe und erklärte eine Revision für unzulässig.

3        Das Verwaltungsgericht stellte fest, das Verhalten des Mitbeteiligten sei im Rahmen einer Lenker- und Fahrzeugkontrolle von der amtshandelnden Polizistin als auffällig beurteilt worden, weil er übermäßig viel geredet, hektische Bewegungen gemacht habe und seine Aufmerksamkeitsspanne sehr schlecht gewesen sei. Ein freiwilliger Urintest sei aus näher genannten Gründen nicht möglich gewesen. Der Mitbeteiligte sei am selben Tag um 21:30 Uhr von einer Polizeiärztin untersucht worden. Diese sei in ihrem abschließenden Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, dass der Mitbeteiligte zum Zeitpunkt des Lenkens des Fahrzeuges durch Suchtgift beeinträchtigt und nicht fahrfähig gewesen sei. „Übermüdung“ sei von der Polizeiärztin angekreuzt, allerdings mit einem Fragezeichen versehen worden. Das Blut, das dem Mitbeteiligten in der Folge abgenommen worden sei, sei analysiert worden. Laut Gutachten des Forensisch-Toxikologischen Labors vom 1. Februar 2022 sei die THC-Konzentration im Blut des Mitbeteiligten bei 1,4 ng/ml, also in einem niedrigen, für die abklingende Cannabis-Wirkung typischen Bereich gelegen. Die Konzentration von 11-OH-THC sei bei 0,64 ng/ml und die von THC-COOH bei 8,9 ng/ml gelegen, wobei letztere nicht psychoaktiv sei und wegen ihrer Akkumulation Hinweise auf die Konsumhäufigkeit gebe. Auch hier liege die Konzentration im niedrigen Bereich. Aufgrund der im Blut festgestellten THC-Konzentration sei aus toxikologischer Sicht das Vorliegen einer straßenverkehrsrelevanten Beeinträchtigung möglich.

4        Schließlich stellte das Verwaltungsgericht fest, der Mitbeteiligte habe im Zeitpunkt des Lenkens eine im niedrigen Bereich gelegene THC-Konzentration im Blut gehabt. Der Mitbeteiligte sei zum Zeitpunkt des Lenkens nicht übermüdet gewesen. Ob die im Blut des Mitbeteiligten vorgefundene niedrige THC-Konzentration zu einer straßenverkehrsrelevanten Beeinträchtigung zum Zeitpunkt des Lenkens geführt habe, könne nicht mit der für das Strafverfahren ausreichenden Sicherheit festgestellt werden.

5        Rechtlich führte das Verwaltungsgericht unter Verweis auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aus, das Tatbild des § 5 Abs. 1 StVO sei auch dann erfüllt, wenn die Fahruntüchtigkeit nicht allein auf die Beeinträchtigung durch Suchtgift, sondern noch auf weitere Ursachen wie etwa Ermüdung, Krankheit oder Medikamenteneinnahme zurückzuführen sei. Bereits das Vorliegen der Kombination der Faktoren Übermüdung und Suchtmittelkonsum, sei dieser auch nur geringfügig, reiche für eine gutachtlich gestützte Annahme der Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit im Sinne des § 5 Abs. 1 StVO. Eine solche weitere Ursache, die dem unbestritten vorliegenden geringfügigen Suchtmittelkonsum hinzukäme, habe nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden können. Im Umkehrschluss zur zitierten Judikatur reiche aber eine bloß geringfügige Konzentration von Suchtmittel im Blut des Mitbeteiligten nicht aus, um von der Erfüllung des Tatbildes des § 5 Abs. 1 StVO ausgehen zu können. Laut Gutachten des Forensisch-Toxikologischen Labors sei aufgrund der im Blut festgestellten THC-Konzentration das Vorliegen einer straßenverkehrsrelevanten Beeinträchtigung lediglich möglich. Dies reiche nicht aus, um die Erfüllung des objektiven Tatbestandes mit der für das Strafverfahren erforderlichen Sicherheit annehmen zu können, sodass der Beschwerde im Sinne des Grundsatzes „in dubio pro reo“ stattzugeben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG einzustellen gewesen sei.

6        Mit der vorliegenden außerordentlichen Amtsrevision wird die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften begehrt; in eventu wird beantragt, der Verwaltungsgerichtshof möge in der Sache selbst entscheiden und das Straferkenntnis vollinhaltlich bestätigen.

7        Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte, die Revision mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung sowie mangels Darstellung des Umfangs der Anfechtung kostenpflichtig als unzulässig zurückzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8        Die Grenzen des Rechtsstreites werden bei Amtsrevisionen durch die Anfechtungserklärung des Revisionswerbers gezogen. Dabei tritt an die Stelle der Angabe des Revisionspunktes das in § 28 Abs. 2 VwGG enthaltene Gebot der Erklärung über den Umfang der Anfechtung. Diesem Gebot ist bereits dann entsprochen, wenn die Revision die Angabe enthält, dass das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes wegen Rechtswidrigkeit angefochten werde (vgl. VwGH 28.2.2019, Ra 2018/12/0002, mwN). Da die vorliegende Amtsrevision diese Angabe enthält, erweist sie sich insoweit als zur ordnungsgemäßen Behandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof geeignet.

9        Die Revision erweist sich darüber hinaus mit ihren Ausführungen, wonach das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei, weil dieses nach Ausschluss einer Übermüdung bzw. weiterer Ursachen für die Beeinträchtigung der Verkehrstüchtigkeit im Hinblick auf die festgestellte, im niedrigen Bereich gelegene THC-Konzentrationen im Blut des Mitbeteiligten per se vom Nichtvorliegen einer suchtmittelspezifischen Beeinträchtigung ausgegangen sei, als zulässig und begründet.

10       Nach § 5 Abs. 1 erster Satz StVO darf ein Fahrzeug weder lenken noch in Betrieb nehmen, wer sich in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand befindet.

11       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt die Bedeutung der klinischen Untersuchung in der Feststellung, ob der Lenker fahrtüchtig ist und kann durch eine solche eine Beeinträchtigung, die auf eine Suchtgifteinnahme schließen lässt, festgestellt werden. Ob die Beeinträchtigung des Lenkers tatsächlich auf Suchtgift (oder Alkohol) zurückzuführen ist oder eine sonstige Fahruntüchtigkeit gemäß § 58 Abs. 1 StVO vorliegt, ist jedoch - abgesehen von den Fällen der Verweigerung - anhand der Blutuntersuchung festzustellen (vgl. VwGH 11.11.2019, Ra 2019/02/0167, mwN).

12       Ein Grenzwert, bei dem jedenfalls eine zur Fahruntauglichkeit führende Beeinträchtigung durch Suchtgift anzunehmen ist (wie dies bei der Frage der Beeinträchtigung durch Alkohol der Fall ist), oder eine Ausnahme für Suchtgifte, bei denen keine Beeinträchtigung iSd § 5 Abs. 1 StVO anzunehmen ist, wurde vom Gesetzgeber nicht festgelegt (vgl. VwGH 4.7.2022, Ra 2021/02/0247, mwN).

13       Ist die Fahruntüchtigkeit nicht allein auf die Beeinträchtigung durch Suchtgift, sondern noch auf weitere Ursachen (wie etwa Übermüdung, Krankheit, Medikamenteneinnahme) zurückzuführen, ist die Strafbarkeit nach § 5 Abs. 1 StVO auch dann gegeben, wenn die konsumierte Suchtgiftmenge für sich alleine noch keine Fahruntüchtigkeit bewirkt hätte. Das Vorliegen der Kombination der Faktoren Übermüdung und Suchtgiftkonsum, sei dieser auch geringfügig, reicht für die Annahme der Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit iSd § 5 Abs. 1 StVO aus (vgl. VwGH 27.7.2022, Ra 2022/02/0080; 14.6.2022, Ra 2022/02/0098, jeweils mwN).

14       Werden hingegen neben dem sich aus einer Blutuntersuchung ergebenden Konsum von potentiell beeinträchtigenden Substanzen im Sinne des § 5 Abs. 1 StVO weitere mögliche Ursachen für die im Rahmen der klinischen Untersuchung festgestellte Fahruntüchtigkeit ausgeschlossen, so ist zu klären, ob dieser für sich genommen zu einer Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit zum Zeitpunkt des Lenkens geführt hat (vgl. hierzu erneut VwGH 4.7.2022, Ra 2021/02/0247).

15       Dies gilt auch dann, wenn die festgestellte Suchtgiftkonzentration im Blut des Probanden im niedrigen Bereich gelegen ist, zumal der Verwaltungsgerichtshof bereits festgehalten hat, dass für eine unterschiedliche Behandlung einer Beeinträchtigung durch Suchtgift und einer Beeinträchtigung durch Alkohol kein Anlass besteht (vgl. VwGH 24.10.2016, Ra 2016/02/0133). Der Tatbestand des § 5 Abs. 1 StVO ist im Hinblick auf den Konsum von Alkohol nun eben nicht nur bei Vorliegen bzw. Überschreitung der im zweiten Satz dieser Bestimmung genannten Werte als erfüllt anzusehen, sondern zufolge des ersten Satzes auch - und zwar unabhängig von der Höhe des Alkoholgehaltes des Blutes bzw. der Atemluft - bei Vorliegen einer derartigen Beeinträchtigung durch Alkohol, bei der der Lenker infolge seiner körperlichen und geistigen Verfassung ein Fahrzeug nicht zu beherrschen oder die beim Lenken eines Fahrzeuges zu beachtenden Rechtsvorschriften nicht zu befolgen vermag (vgl. VwGH 6.9.2001, 98/03/0068).

16       Im vorliegenden Fall wurde die Frage, ob die Fahrtüchtigkeit des Mitbeteiligten zum Zeitpunkt des Lenkens durch die festgestellte THC-Konzentration in seinem Blut beeinträchtigt war, in dem der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegten toxikologischen Gutachten vom 1. Februar 2022 nicht abschließend beantwortet. Eine solche Beeinträchtigung wurde zwar für möglich gehalten, zugleich wurde jedoch im Hinblick auf den tatsächlichen Grad der Beeinträchtigung auf situationsbezogene und individuelle Faktoren, wie etwa die Substanztoleranz verwiesen und ausgeführt, die laut den übermittelten Informationen zum Zeitpunkt des Antreffens sowie der klinischen Untersuchung beobachteten dokumentierten Auffälligkeiten bzw. Ausfallserscheinungen wären mit dem vorliegenden chemisch-toxikologischen Befund in Einklang zu bringen. Weiters wird im Gutachten ausgeführt, dass bei Bedarf an weiterführenden Untersuchungen um Mitteilung ersucht werde.

17       Ausgehend von der dargestellten Rechtslage sowie den Ausführungen im toxikologischen Gutachten, in dem eine straßenverkehrsrelevante Beeinträchtigung durch die festgestellte Suchtgiftkonzentration gerade nicht ausgeschlossen werden konnte, sondern eine solche zum einen für möglich erachtet und zum anderen ausgeführt wird, dass die Ausfallserscheinungen des Mitbeteiligten mit dem chemisch-toxikologischen Gutachten in Einklang zu bringen seien, hätte sich das Verwaltungsgericht somit nicht ohne weiteres auf die geringfügige THC-Konzentration im Blut des Mitbeteiligten zurückziehen dürfen, sondern wäre - gegebenenfalls unter Ergänzung des toxikologischen Gutachtens und jedenfalls unter Befragung des Gutachters in einer mündlichen Verhandlung zur Beantwortung noch offener, relevanter Fragen, wie etwa der darin angesprochenen Substanztoleranz - verpflichtet gewesen, zu klären, ob hierdurch eine suchtgiftbedingte Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit des Mitbeteiligten im Zeitpunkt des Lenkens gegeben war (vgl. demgegenüber zur Rechtmäßigkeit der Einstellung eines Verwaltungsstrafverfahrens, wenn keine weiteren Ursachen für eine Verkehrsuntüchtigkeit hervorgekommen sind und dem toxologischen Gutachten folgend aufgrund der geringen Konzentration der nachgewiesenen Suchtgiftsubstanzen keine Beeinträchtigung durch Suchtgift feststellbar war: VwGH 21.7.2021, Ra 2021/02/0134).

18       Indem das Verwaltungsgericht dies verkannte, belastete es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, weshalb dieses gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am 24. Oktober 2022

Schlagworte

Auswertung in Arbeit!

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022020164.L00

Im RIS seit

16.11.2022

Zuletzt aktualisiert am

16.11.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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