TE Vwgh Beschluss 2022/10/12 Ra 2022/14/0077

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Veröffentlicht am 12.10.2022
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Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Mag. I. Zehetner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in den Revisionssachen 1. des O B, 2. der A B, 3. des N B und 4. der N B, alle vertreten durch die Haslinger / Nagele Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Mölker Bastei 5, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. Jänner 2022, 1. I405 2150316-1/17E, 2. I405 2150310-1/17E, 3. I405 2150313-1/12E und 4. I405 2235531-1/12E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind miteinander traditionell verheiratet und Eltern des minderjährigen Drittrevisionswerbers und der minderjährigen Viertrevisionswerberin. Sämtliche Revisionswerber sind Staatsangehörige Nigerias.

2        Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin stellten am 29. August 2015 Anträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Begründend brachten sie vor, Nigeria aufgrund von Grundstücksstreitigkeiten verlassen zu haben. Für den Drittrevisionswerber wurde am 20. Juni 2016, ohne Angabe eigener Fluchtgründe, und für die Viertrevisionswerberin am 1. Juli 2020 aufgrund der Furcht vor Genitalverstümmelung im Falle der Rückkehr jeweils ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

3        Mit Bescheiden vom 15. Februar 2017 und 14. September 2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diese Anträge zur Gänze ab, erteilte den Revisionswerbern keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Nigeria zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde jeweils mit zwei Wochen bzw. 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

4        Die von den Revisionswerbern dagegen erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnissen vom 31. Jänner 2022 als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG jeweils für nicht zulässig.

5        Gegen diese Erkenntnisse erhoben die Revisionswerber Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 14. Juni 2022, E 1353-1356/2022-5, ablehnte und sie über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 4. Juli 2022, E 1353-1356/2022-7, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

6        In der Folge wurden die vorliegenden außerordentlichen Revisionen eingebracht.

7        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

9        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10       Zu ihrer Zulässigkeit bringen die Revisionen im Wesentlichen vor, dass das Bundesverwaltungsgericht von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht abgewichen sei. Aus der Prämisse des Bundesverwaltungsgerichts, dass die Eltern und Großeltern der Viertrevisionswerberin die weibliche Genitalverstümmelung (FGM) ablehnten, lasse sich nicht ableiten, dass sie davon im Herkunftsstaat nicht bedroht wäre. Aus verschiedenen, näher dargelegten Quellen ergebe sich insbesondere, dass FGM - was das Bundesverwaltungsgericht nicht berücksichtigt habe - auch gegen den Willen der Familie durch private Akteure durchgeführt werde, FGM in der ethnischen Gruppe der Yoruba, der die Revisionswerber angehörten, und an ihrem letzten Wohnort verbreitet sowie staatlicher Schutz vor FGM in Nigeria faktisch nicht existent sei. Das Bundesverwaltungsgericht habe allerdings keine diesbezüglichen Feststellungen zur Situation in Oyo, dem Herkunftsbundesstaat der Revisionswerber, getroffen (mit Verweis auf VwGH 28.10.2009, 2006/01/0793), obwohl es selbst festgestellt habe, dass außerhalb des Bundesstaates Federal Capital Territory in Nigeria kein effektiver staatlicher Schutz vor FGM gewährleistet werden könne. Die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts sei daher nicht nachvollziehbar, und es würden eigene Ermittlungsschritte des Bundesverwaltungsgerichts zu den dargelegten Themen fehlen, wobei diese Feststellungen relevant für die abschließende Beurteilung gewesen wären.

11       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unterliegt die Frage, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflicht weitere Ermittlungsschritte setzen muss, einer einzelfallbezogenen Beurteilung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 28.7.2022, Ra 2022/20/0041, mwN).

Das Bundesverwaltungsgericht traf aufgrund aktueller Länderberichte Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat der Revisionswerber, auch hinsichtlich FGM. In seiner Beweiswürdigung setzte sich das Bundesverwaltungsgericht mit den Länderfeststellungen auseinander und kam auf dieser Grundlage sowie aufgrund der konkreten Familiensituation der Viertrevisionswerberin (deren Familie FGM ablehne und deren Mutter selbst nicht beschnitten sei) nachvollziehbar zum Ergebnis, dass nicht davon auszugehen sei, dass die Viertrevisionswerberin der Gefahr ausgesetzt sein werde, FGM unterzogen zu werden.

Eine grob fehlerhafte Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts hinsichtlich der Ermittlungspflicht kann daher nicht erkannt werden, ebenso wenig wie eine unvertretbare Beweiswürdigung (zum diesbezüglichen Maßstab für das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vgl. etwa VwGH 7.4.2022, Ra 2021/14/0253, mwN).

12       Vor diesem Hintergrund lässt sich auch kein Abweichen des Bundesverwaltungsgerichts von der von der Revision angesprochenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vom 28.10.2009, 2006/01/0793, feststellen, bei der - anders als im vorliegenden Fall - die Abweisung des Asylantrages ausschließlich auf die Annahme gestützt worden war, dass die Behörden des Herkunftsstaates (fallbezogen: Ghana) gewillt und in der Lage gewesen wären, gegen die drohende Genitalverstümmelung wirksamen Schutz zu bieten, obwohl sich diese Annahme nicht fehlerfrei auf die Länderfeststellungen habe stützen lassen.

13       Insoweit die Revisionen weiters unter Verweis auf VfGH 21.9.2020, E 542/2020 ua, vorbringen, dass eine - kinderspezifische - Auseinandersetzung mit der Frage, welche Rückkehrsituation die Viertrevisionswerberin in Nigeria hinsichtlich drohender FGM tatsächlich vorfinden würde, nicht unterbleiben könne, selbst wenn sie im Herkunftsstaat auf den Schutz und die Fürsorge ihrer Eltern vertrauen könne, übersehen die Revisionen, dass ein (behauptetes) Abweichen von Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes schon aufgrund des eindeutigen Gesetzeswortlautes des Art. 133 Abs. 4 B-VG keine Zulässigkeit der Revision zu begründen vermag (vgl. VwGH 1.9.2020, Ra 2020/20/0239, mwN).

14       Feststellungen zu einer möglichen innerstaatlichen Fluchtalternative, wie in den Revisionen ebenfalls angesprochen, waren vom Bundesverwaltungsgericht nicht zu treffen, da bereits die behauptete Verfolgungsgefahr verneint wurde.

15       In den Revisionen werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 12. Oktober 2022

Schlagworte

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European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022140077.L00

Im RIS seit

09.11.2022

Zuletzt aktualisiert am

09.11.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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