TE Vwgh Beschluss 2022/10/21 Ra 2022/14/0253

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Veröffentlicht am 21.10.2022
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Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des R R, vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. April 2022, L506 2204750-1/16E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger des Iran, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet unter Verwendung eines gefälschten israelischen Reisepasses am 19. Jänner 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Begründend brachte er vor, er habe den Iran verlassen, weil er Christ werden wolle und er im Herkunftsstaat keine Möglichkeit zum Glaubenswechsel habe. Im Fall der Rückkehr drohe ihm als konvertiertem Christ die Todesstrafe. Darüber hinaus habe es Bedrohungen durch den Onkel seines Geschäftspartners gegeben.

2        Mit Bescheid vom 23. Juli 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Iran, zulässig sei und legte eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem Erkenntnis vom 13. April 2022 als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4         Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 29.6.2022, E 1433/2022-5, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof nachträglich mit Beschluss vom 25.7.2022, E 1433/2022-7 zur Entscheidung abtrat. In der Folge brachte der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision ein.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        Im vorliegenden Fall setzte sich das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem Fluchtvorbringen des Revisionswerbers hinreichend auseinander und legte dar, weshalb es dieses sowohl hinsichtlich der behaupteten Zuwendung zum Christentum als auch hinsichtlich der Bedrohungen durch den Onkel seines Geschäftspartners als nicht glaubhaft erachte. Beweiswürdigend stützte es sich unter anderem auf näher genannte Widersprüche zwischen den Aussagen des Revisionswerbers im behördlichen und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sowie auf Ungereimtheiten und Unplausibilitäten in seinen Angaben. Entgegen dem Revisionsvorbringen würdigte das Bundesverwaltungsgericht - wenn auch disloziert - das Vorbringen des Revisionswerbers, er bekomme wegen der Verwendung des gefälschten israelischen Reisepasses „Probleme mit den iranischen Behörden“, als nicht glaubhaft. Tragend stützte sich das Verwaltungsgericht sowohl darauf, dass entsprechende Angaben erst über Nachfragen des Vertreters gemacht worden seien, was gegen eine tatsächliche Furcht spreche, als auch auf Divergenzen in seinen in diesem Zusammenhang getätigten Aussagen.

9        Die Revision beruft sich auf die amtswegige Ermittlungspflicht und macht Feststellungsmängel geltend, weil sich das Bundesverwaltungsgericht - ausgehend vom Fluchtvorbringen hinsichtlich des verwendeten gefälschten israelischen Reisepasses - nicht mit den entsprechenden Länderberichten zur staatlichen Verfolgung von Personen, die der Spionage verdächtigt werden, auseinandergesetzt habe, und es folglich auch seiner Verpflichtung der amtswegigen Feststellung des Sachverhalts nicht nachgekommen sei.

10       Mit diesem Vorbringen macht der Revisionswerber in der Begründung der Zulässigkeit seiner Revision Verfahrensmängel geltend. Werden solche Mängel - wie hier Ermittlungs-, Feststellungs- und Begründungsmängel - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt (in Bezug auf Feststellungsmängel) voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 27.7.2022, Ra 2022/14/0201, mwN). Eine solche Darlegung enthält die Revision in der Zulässigkeitsbegründung nicht. Insbesondere wird nicht dargestellt, welche konkreten Feststellungen das Bundesverwaltungsgericht zu treffen gehabt hätte. Zum Einwand, dass das Bundesverwaltungsgericht das Fluchtvorbringen nicht vor dem Hintergrund der Länderberichte ausreichend geprüft habe, ist darauf hinzuweisen, dass eine Feststellung allgemeiner Umstände im Herkunftsstaat die Glaubhaftmachung der Gefahr einer konkreten, individuell gegen den Revisionswerber gerichteten Verfolgung nicht ersetzen kann (vgl. VwGH 22.7.2022, Ra 2022/14/0168, mwN).

11       Sofern der Revisionswerber die „Negativfeststellungen“ im angefochtenen Erkenntnis anspricht, wendet er sich der Sache nach gegen die verwaltungsgerichtliche Beweiswürdigung. Er ist zunächst auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 12.9.2022, Ra 2022/14/0219, mwN). Der Revisionswerber zeigt mit seinem allgemein gehaltenen Vorbringen, ohne auf die unter Rz 8 dargestellten Argumente des Verwaltungsgerichts einzugehen, nicht auf, dass die beweiswürdigenden Überlegungen des Bundesverwaltungsgerichts mit einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangel behaftet wären.

12       Dem weiteren Revisionsvorbringen, das auf der Prämisse der Richtigkeit der zu den Fluchtgründen getätigten Angaben des Revisionswerbers gründet, ist somit der Boden entzogen.

13       Vor dem Hintergrund des Vorbringens zur Konversion des Revisionswerbers zum Christentum spricht die Revision erneut die Verletzung der amtswegigen Ermittlungspflicht an, wobei sie die unterbliebene Vernehmung von Zeugen im Blick hat.

14       Im Fall einer unterbliebenen Vernehmung ist - um die Relevanz des behaupteten Verfahrensfehlers darzutun - in der Revision konkret darzulegen, was die betreffende Person im Fall ihrer Vernehmung hätte aussagen können und welche anderen oder zusätzlichen Feststellungen auf Grund dessen zu treffen gewesen wären (vgl. auch dazu VwGH 7.3.2022, Ra 2021/14/0385, mwN). Eine solche Darstellung lässt die Revision vermissen.

15       Die Frage, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflicht weitere Ermittlungsschritte setzen muss, unterliegt außerdem einer einzelfallbezogenen Beurteilung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn die Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 21.9.2022, Ra 2022/14/0152, mwN).

16       Es wird allerdings in der Revision auch nicht ausgeführt, weshalb das Bundesverwaltungsgericht von der Notwendigkeit der Vernehmung weiterer Zeugen hätte ausgehen müssen. Solche Ausführungen sind fallbezogen umso mehr geboten, als der Revisionswerber selbst einräumt, auf die schriftlich beantragte Vernehmung der dort näher genannten Zeugen vor dem Verwaltungsgericht verzichtet zu haben. Dem (unwidersprochen gebliebenen) Protokoll zur Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ist zu entnehmen, dass befragt, ob der Revisionswerber die Beweisanträge auf Einvernahme der Zeugen aufrechterhalten möchte, er dies damit verneinte, dass er sie nicht brauche und ihm die schriftliche Stellungnahme genüge. Aufgrund welcher konkreten Umstände das Bundesverwaltungsgericht vor dem Hintergrund der Zurückziehung der Beweisanträge durch den in der Verhandlung vertretenen Revisionswerber gehalten gewesen wäre, von der Notwendigkeit weiterer amtswegiger Erhebungen auszugehen, geht aus den Ausführungen in der Revision, auch unter Hinweis auf das Vorliegen einer „bedingten Verzichtserklärung“, nicht hervor.

17       Schließlich macht der Revisionswerber geltend, dass eine Rückkehrentscheidung nicht zuletzt wegen Feststellungsmängel zum Bestehen eines Familienlebens des Revisionswerbers im Bundesgebiet und wegen der amtswegig durchzuführenden Einvernahme der Lebensgefährtin des Revisionswerbers unzulässig sei.

18       Nach der ständigen Rechtsprechung ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG (vgl. VwGH 27.7.2022, Ra 2022/14/0195 bis 0196, mwN).

19       Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. VwGH 25.7.2022, Ra 2022/20/0166 bis 0167).

20       Im vorliegenden Fall hat das Bundesverwaltungsgericht im Zuge der Interessenabwägung die entscheidungswesentlichen Aspekte - insbesondere die Verlobung des Revisionswerbers vor zwei Jahren, sowie den Umstand, dass kein gemeinsamer Haushalt bestehe, aber die meiste Zeit gemeinsam verbracht werde - berücksichtigt und zu Recht in seine Erwägungen miteinbezogen, dass es im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend ist, wenn - wie hier - integrationsbegründende Schritte zu einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. VwGH 24.5.2022, Ra 2022/14/0123, mwN).

21       Die Revision zeigt nicht auf, dass das Bundesverwaltungsgericht dies unverhältnismäßig in den Vordergrund gestellt oder sich bei der Gewichtung dieser Umstände von den in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien entfernt oder diese in unvertretbarer Weise zur Anwendung gebracht hätte.

22       Die in diesem Zusammenhang in der Revision aufgezeigten Verfahrensmängel, wie die Feststellungsmängel sowie die unterlassene Einvernahme der Lebensgefährtin des Revisionswerbers, werden den bereits dargelegten Anforderungen an die Relevanzdarstellung nicht gerecht. Es wird weder dargelegt, welche weiteren Feststellungen vom Bundesverwaltungsgericht zu treffen gewesen wären, noch welche konkreten Angaben die Zeugin zu von ihr gemachten Wahrnehmungen hätte machen können. Ebenso wenig wird in der Revision aufgezeigt, dass die Beurteilung im Zusammenhang mit den unterlassenen (amtswegigen) Ermittlungsschritten grob fehlerhaft erfolgt wäre.

23       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 21. Oktober 2022

Schlagworte

Auswertung in Arbeit!

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022140253.L00

Im RIS seit

09.11.2022

Zuletzt aktualisiert am

09.11.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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