TE Vwgh Erkenntnis 1996/3/19 95/08/0347

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Veröffentlicht am 19.03.1996
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Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ABGB §1155 Abs1;
ABGB §1438;
ASVG §49 Abs1;
ASVG §49 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der prot. Firma A in W, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 9. November 1995, MA 15-II-S 42/95, betreffend Beitragsnachbelastung (mitbeteiligte Partei: Wiener Gebietskrankenkasse), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid wurde der Einspruch der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom 25. Juli 1995 als unbegründet abgewiesen und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt; mit diesem hatte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse festgestellt, daß die Beschwerdeführerin als Dienstgeber verpflichtet sei, für die Dienstnehmer F.B. und W.L. für die Zeit vom 1. Mai 1993 bis 31. Dezember 1993 Beiträge, Sonderbeiträge und Umlagen in Gesamthöhe von S 187.414,31 an die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse zu entrichten.

Unbestritten ist, daß durch arbeitsgerichtliche Anerkenntnisurteile vom 15. und 17. November 1994 feststeht, daß die Dienstverhältnisse des F.B. und des W.L. über den 30. September 1993 hinaus bis 31. Dezember 1993 aufrecht gewesen sind. Den Betrag von S 187.414,31 ermittelte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse aufgrund der ihrer Auffassung nach für den Zeitraum vom 1. Mai 1993 bis 31. Dezember 1993 (im Falle des F.B.) bzw. für den Zeitraum vom 1. August 1993 bis 31. Dezember 1993 (im Falle des W.L.) zustehenden Entgeltansprüche.

Dem im Einspruch erhobenen Einwand, F.B. müsse sich ab 1. Mai 1993 den (ergänze: tatsächlich erzielten) Verdienst bei einem anderen Unternehmen anrechnen lassen, W.L. hingegen den fiktiven Verdienst, den er bei Wahrnehmung der ihm angebotenen Arbeitsgelegenheiten hätte erzielen können, entgegnet die belangte Behörde in der Begründung ihres Bescheides, daß Grundlage für die Bemessung der Beiträge jenes Entgelt sei, auf das der Dienstnehmer aus dem Dienstverhältnis Anspruch habe. Da die Dienstverhältnisse im vorliegenden Fall unbestrittenermaßen bis 31. Dezember 1993 aufrecht bestanden hätten, hätten die beiden Beschäftigten bis zu diesem Zeitpunkt "ungeachtet dessen, ob der Dienstgeber allenfalls einen Kompensationsanspruch hatte" jedenfalls Anspruch auf Entgelt gehabt. Sohin sei die Vorschreibung von Beiträgen für den strittigen Zeitraum zu Recht erfolgt. Berechnungsart und Berechnungsweise stünden an sich außer Streit, weshalb dem Einspruch der Erfolg habe versagt bleiben müssen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde. Darin führt die Beschwerdeführerin aus, daß die belangte Behörde die "allgemeine Bemessungsgrundlage" (gemeint offenbar: Beitragsgrundlage) unrichtig ermittelt und in diesem Zusammenhang eine Reihe von beantragten Beweisaufnahmen nicht durchgeführt habe. Da den beiden Dienstnehmern kein Arbeitsverdienst gebührt habe, mangle es auch an einer Grundlage für die erfolgte Beitragsbemessung. F.B. sei ab 1. Mai 1993 mit einem den Entgeltanspruch gegen die Beschwerdeführerin übersteigenden monatlichen Bruttogehalt bei einem näher bezeichneten Unternehmen beschäftigt gewesen und müsse sich diesen Verdienst im Sinne des § 1155 ABGB anrechnen lassen. W.L. hätte eine ihm ab 1. Mai 1993 angebotene Tätigkeit, ebenso danach eine weitere ihm zumutbare Beschäftigung bei einem anderen Unternehmen grundlos abgelehnt; er müsse sich im Sinne des § 1155 ABGB den "effektiven" (gemeint wohl: fiktiven) Verdienst anrechnen lassen, den er bei Wahrnehmung dieser Arbeitsgelegenheiten hätte erzielen können. Über das Ausmaß der Entgeltansprüche bzw. der möglichen Entgeltansprüche habe die belangte Behörde keine Feststellungen getroffen. Auch sei nicht festgestellt worden, daß der Betrieb der Beschwerdeführerin mit 30. April 1993 zur Gänze eingestellt worden sei. Die "Anrechnung gemäß § 1155 ABGB sei ... nichts anderes als eine gesetzlich angeordnete Form der Aufrechnung", die auf den Zeitpunkt der Aufrechnungslage, in welchem die Forderungen erstmals aufrechenbar gegenübergestanden seien, zurückwirke. Zufolge des Unterganges der Forderungen der genannten Dienstnehmer auf Arbeitsverdienst durch Anrechnung im Sinne des § 1155 ABGB falle "die Grundlage für die Beitragsbemessung, nämlich der gebührende Arbeitsverdienst weg".

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse hat sich am verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren nicht beteiligt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 1155 Abs. 1 ABGB gebührt dem Dienstnehmer auch für Dienstleistungen, die nicht zustande gekommen sind, das Entgelt, wenn er zur Leistung bereit war und durch Umstände, die auf seiten des Dienstgebers liegen, daran verhindert worden ist; er muß sich jedoch anrechnen, was er infolge Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung erworben oder zu erwerben absichtlich versäumt hat.

Während die belangte Behörde der Auffassung ist, daß diese Bestimmung den Entgeltanspruch des Dienstnehmers unberührt, ihn lediglich zufolge "Kompensation" erlöschen läßt, vertritt die Beschwerdeführerin die Auffassung, daß diese "gesetzlich angeordnete Form der Aufrechnung" den Entgeltanspruch zum Erlöschen bringe.

Die Auffassung der Beschwerdeführerin ist im Ergebnis ungeachtet dessen zutreffend, daß es sich bei § 1155 Abs. 1 ABGB um keine Form der Aufrechnung handelt: Die Aufrechnung ist eine besondere Art des Erlöschens an sich bestehender Forderungen, welche voraussetzt, daß Forderungen gegenseitig zusammentreffen, die richtig, gleichartig und so beschaffen sind, daß eine Sache die dem einen als Gläubiger gebührt, von diesem auch als Schuldner dem anderen entrichtet werden kann (§ 1438 ABGB). Demgegenüber regelt § 1155 Abs. 1 ABGB den ganz anderen Fall, daß dem Dienstnehmer, wenn er durch auf Seite des Dienstgebers gelegene Umstände an der Leistung seiner Arbeit gehindert war, das Entgelt (ausnahmsweise) dann und nur insoweit nicht gebührt, wenn und als er während der Zeit des Unterbleibens der Dienstleistung etwas durch anderweitige Verwendung erworben oder zu erwerben absichtlich versäumt hat. Solche anderweitigen, tatsächlich erzielten oder doch anzurechnenden Einkünfte stellen keine "Gegenforderung" des Dienstgebers dar, sie schmälern vielmehr als Vorteilsausgleichung den gegenüber dem Dienstgeber sonst für den Zeitraum des Unterbleibens der Dienstleistung bestehenden Entgeltanspruch von vornherein. Ungeachtet ihrer teilweise verfehlten Begründung trifft somit die Auffassung der Beschwerdeführerin zu, daß im Falle einer Anrechnung gemäß § 1155 Abs. 1 ABGB insoweit der Entgeltanspruch gar nicht entsteht und daher auch insoweit von einem Anspruchslohn im Sinne des § 49 Abs. 1 und 2 ASVG nicht die Rede sein kann (vgl. zu alldem etwa Krejci in Rummel I2, Rz 25 ff zu § 1155 ABGB;

Spielbüchler, Arbeitsrecht I3, 53; Tomandl, Arbeitsrecht 2, 134 ff, Mayer-Maly, Individualarbeitsrecht, 130;

Schwarz-Löschnigg, Arbeitsrecht5, 421 f mwN).

Da die belangte Behörde die zur Beurteilung der Frage, ob und in welchem Ausmaß ein Entgeltanspruch der beiden Dienstnehmer der Beschwerdeführerin im Zeitraum vom 1. Mai 1993 bis 30. Dezember 1993 bestanden hat, unter Einbeziehung der Frage der Anrechnung im Sinne des § 1155 Abs. 1 ABGB erforderlichen Feststellungen auf Grund ihrer unrichtigen Rechtsauffassung nicht getroffen hat, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG schon deshalb aufzuheben, ohne daß es einer Erörterung des übrigen Beschwerdevorbringens bedurft hätte.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Entgelt Begriff Anspruchslohn

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995080347.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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