TE Vwgh Erkenntnis 2022/9/27 Ra 2022/11/0069

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Veröffentlicht am 27.09.2022
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Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und die Hofrätinnen Dr. Pollak, Mag. Hainz-Sator und MMag. Ginthör sowie den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision der M Z in H, vertreten durch Dr. Dominik Schärmer, Rechtsanwalt in 1230 Wien, Dr. Neumann-Gasse 7, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 21. Februar 2022, Zl. LVwG-S-2454/001-2021, betreffend Übertretungen des Arbeitszeitgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1        1.1. Mit Aufforderung zur Rechtfertigung vom 8. Februar 2019 wurden der Revisionswerberin als verantwortlicher Beauftragter eines näher genannten Kraftfahrunternehmens zwei Übertretungen des Arbeitszeitgesetzes (AZG) iVm. VO (EG) Nr. 561/2006 zur Last gelegt.

2        Mit Bescheid vom 7. Mai 2019 setzte die belangte Behörde gemäß § 38 AVG iVm. § 24 VStG das Verfahren „bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage [aus], ob die zur Erlassung des § 5a Güterbeförderungsgesetz ... Anlass gebende Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 ... § 9 VStG verdrängt hat“.

3        Begründend verwies die belangte Behörde darauf, dass „mit Erkenntnis des LVwG NÖ vom 20.03.2019, LVwG-S-52/0001-2019“ in einem ähnlich gelagerten Fall der Beschwerde gegen ein Straferkenntnis gegen die dortige Beschwerdeführerin als gemäß § 9 Abs. 2 VStG verantwortliche Beauftragte betreffend die Einhaltung der Bestimmungen des AZG Folge gegeben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt worden sei. Das Verwaltungsgericht sei in jenem Verfahren davon ausgegangen, dass die in der VO (EG) Nr. 1071/2009 begründete strafrechtliche Verantwortlichkeit des Verkehrsleiters eines Kraftfahrunternehmens die subsidiäre Bestimmung des § 9 VStG und damit die Bestellung einer verantwortlichen Beauftragten verdränge. Die belangte Behörde habe gegen dieses Erkenntnis mit Schriftsatz vom 2. Mai 2019 außerordentliche Revision beim Verwaltungsgerichtshof erhoben. Die Vorfrage sei somit Gegenstand eines anhängigen Verfahrens.

4        Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 30. September 2021 wurde die Revisionswerberin schuldig erkannt, sie habe es als gemäß § 9 Abs. 2 VStG verantwortliche Beauftragte eines näher genannten Kraftfahrunternehmens zu verantworten, dass diese Gesellschaft als Arbeitgeberin die Arbeit eines bestimmten Fahrers nicht so eingeplant habe, dass dieser die Bestimmungen der VO (EG) Nr. 561/2006 habe einhalten können, da er (1.) die erlaubte Wochenlenkzeit von höchstens 90 Stunden in den zwei aufeinanderfolgenden Wochen von 12. bis 25. November 2018 um 46 Minuten, und (2.) die verlängerte Tageslenkzeit von zehn Stunden zwischen zwei täglichen Ruhezeiten am 14. bzw. 22. November 2018 um sechs bzw. vier Minuten überschritten habe. Beide Übertretungen stellten anhand des Anhangs III der Richtlinie 2006/22/EG einen geringfügigen Verstoß dar. Die Revisionswerberin habe dadurch (1.) „Art. 6 Abs. 3 EG-VO 561/2006 iVm. § 28 Abs. 5 Z 1 iVm Abs. 6 Arbeitszeitgesetz (AZG) BGBl. Nr. 461/1969 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 53/2018“ und (2.) „Art. 6 Abs. 1 EG-VO 561/2006 iVm § 28 Abs. 5 Z 1 iVm Abs. 6 Arbeitszeitgesetz (AZG) BGBl. Nr. 461/1969 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 53/2018“ übertreten, weswegen über sie jeweils gemäß „§ 28 Abs. 6 Z 1 lit. a AZG BGBl. Nr. 461/1969 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 53/2018“ eine Geldstrafe in der Höhe von € 3.600,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 366 Stunden) verhängt wurde. Unter einem wurde der Revisionswerberin ein Kostenbeitrag zum Strafverfahren vorgeschrieben.

5        Begründend führte die belangte Behörde aus, der Verwaltungsgerichtshof habe die für die Aussetzung des Strafverfahrens mit Bescheid vom 7. Mai 2019 Anlass gebende Vorfrage mit Erkenntnis vom 21. April 2020, Ra 2019/11/0073, 0074, dahingehend entschieden, dass für die Einhaltung der arbeitszeitrechtlichen Vorschriften u.a. der VO (EG) 561/2006 gemäß § 28 AZG die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Arbeitsgebers (und nicht des Verkehrsleiters) vorgesehen sei. Mit Erkenntnis vom 28. Juni 2021, Ro 2020/11/0016, habe der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass auf Grund des Unionsrechts auch keine strafrechtliche Verantwortlichkeit des handelsrechtlichen Geschäftsführers bestehe. Hinsichtlich der gegenständlichen arbeitszeitrechtlichen Übertretungen sei daher gemäß § 28 AZG von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der gemäß § 9 Abs. 2 VStG als verantwortliche Beauftragte bestellten Revisionswerberin auszugehen.

6        1.2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich der dagegen erhobenen Beschwerde der Revisionswerberin nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung dahingehend Folge, dass die in Spruchpunkt 1. verhängte Geldstrafe mit € 1.200,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 120 Stunden) und die in Spruchpunkt 2. verhängte Geldstrafe mit € 800,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 80 Stunden) neu festgesetzt wurden. Im Übrigen bestätigte das Verwaltungsgericht das Straferkenntnis der belangten Behörde, setzte den Beitrag zu den Kosten des behördlichen Verfahrens neu fest und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

7        Das Verwaltungsgericht stellte die angelasteten Taten und die Aussetzung des Strafverfahrens durch Bescheid der belangten Behörde vom 7. Mai 2019 fest. Eine Beschwerde gegen den Aussetzungsbescheid sei nicht erhoben worden. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes, bis zu deren Erlassung das gegenständliche Verfahren ausgesetzt gewesen sei, sei am 21. April 2020 zur hg. Zl. Ra 2019/11/0073, 0074, ergangen.

8        Der Sachverhalt sei nicht bestritten worden. Ein wirksames Kontrollsystem habe nicht bestanden, was sich schon aus 45 einschlägigen Vormerkungen ergebe. Ein „Toleranzspielraum“ bestehe nicht. Die dreijährige Frist der Strafbarkeitsverjährung hätte gerechnet vom Kontroll- und Tatzeitpunkt (23. November 2018) grundsätzlich mit Ablauf des 23. November 2021 geendet. Das Strafverfahren sei jedoch ab Zustellung des Aussetzungsbescheides an die Revisionswerberin am 9. Mai 2019 bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes am 21. April 2020 ausgesetzt gewesen, weswegen die dreijährige Frist unter Hinzurechnung dieser Zeit (elf Monate und 22 Tage) erst mit Ablauf des 14. November 2022 ende.

9        Zur Strafhöhe führte das Verwaltungsgericht aus, eine der 45 einschlägigen, rechtskräftigen und nicht getilgten Vormerkungen je Spruchpunkt begründe jeweils die Anwendung des Wiederholungsstrafsatzes. Als Strafbemessungsnorm sei daher jeweils „§ 28 Abs. 6 Z 1 lit. a, zweiter Fall, AZG (im Wiederholungsfall von 145,-- bis 1.815,-- Euro)“ zu Grunde zu legen. Die übrigen 44 Vormerkungen seien jeweils als erschwerend zu werten. Aus näher genannten Gründen seien die Geldstrafen neu festzusetzen gewesen.

10       1.3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision. Der Verwaltungsgerichtshof hat das Vorverfahren durchgeführt, in welchem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

11       2. § 31 VStG in der Fassung BGBl. I Nr. 33/2013 lautet (auszugsweise):

„Verjährung

§ 31. (1) Die Verfolgung einer Person ist unzulässig, wenn gegen sie binnen einer Frist von einem Jahr keine Verfolgungshandlung (§ 32 Abs. 2) vorgenommen worden ist. Diese Frist ist von dem Zeitpunkt zu berechnen, an dem die strafbare Tätigkeit abgeschlossen worden ist oder das strafbare Verhalten aufgehört hat; ist der zum Tatbestand gehörende Erfolg erst später eingetreten, so läuft die Frist erst von diesem Zeitpunkt.

(2) Die Strafbarkeit einer Verwaltungsübertretung erlischt durch Verjährung. Die Verjährungsfrist beträgt drei Jahre und beginnt in dem in Abs. 1 genannten Zeitpunkt. In die Verjährungsfrist werden nicht eingerechnet:

...

3.   die Zeit, während deren das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung einer Vorfrage ausgesetzt ist;

...“

12       § 28 Arbeitszeitgesetz, BGBl. Nr. 461/1969, in der Fassung BGBl. I Nr. 53/2018, lautet (auszugsweise):

„Strafbestimmungen

§ 28. ...

(5) Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die

1.   Lenker über die gemäß Art. 6 Abs. 1 bis 3 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 zulässige Lenkzeit hinaus einsetzen;

...

sind, sofern die Tat nicht nach anderen Vorschriften einer strengeren Strafe unterliegt, von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe gemäß Abs. 6 zu bestrafen.

(6) Sind Übertretungen gemäß Abs. 5 nach Anhang III der Richtlinie 2006/22/EG als

1.   leichte Übertretungen eingestuft oder in diesem Anhang nicht erwähnt, sind die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber

a)   in den Fällen der Z 1 bis 7 mit einer Geldstrafe von 72 Euro bis 1 815 Euro, im Wiederholungsfall von 145 Euro bis 1 815 Euro,

...

zu bestrafen.“

13       Art. 6 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr lautet (auszugsweise):

„Artikel 6

(1) Die tägliche Lenkzeit darf 9 Stunden nicht überschreiten.

Die tägliche Lenkzeit darf jedoch höchstens zweimal in der Woche auf höchstens 10 Stunden verlängert werden.

...

(3) Die summierte Gesamtlenkzeit während zweier aufeinander folgender Wochen darf 90 Stunden nicht überschreiten.

...“

14       3. Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage in Bezug auf die in ihrer Zulässigkeitsbegründung angesprochene Hemmung der Strafbarkeitsverjährungsfrist gemäß § 31 Abs. 2 Z 3 VStG zulässig.

15       4. Sie ist jedoch nicht begründet.

16       4.1.1. Die Revision bringt zunächst vor, das Verwaltungsgericht habe in Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei der Neubemessung der Geldstrafen den zweiten Fall des § 28 Abs. 6 Z 1 AZG angewendet und dadurch die Strafsanktionsnorm gegenüber dem Straferkenntnis der belangten Behörde abgeändert, ohne die Fundstelle dieser Norm anzugeben. Damit habe es gegen § 44a Z 3 VStG verstoßen (Hinweis u.a. auf VwGH 6.8.2020, Ra 2020/09/0013; 4.3.2022, Ra 2020/02/0242).

17       4.1.2. Der Verwaltungsgerichtshof ist mit Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 27. Juni 2022, Ra 2021/03/0328, von seiner bisherigen Rechtsprechung abgegangen, wonach im Spruch des Straferkenntnisses jedenfalls die Fundstelle jener Novelle anzugeben ist, durch welche die als verletzt betrachtete Norm sowie die Strafsanktionsnorm (jeweils auf ihrer untersten Gliederungsebene) ihre zum Tatzeitpunkt gültige Fassung erhalten hat.

18       Der Verwaltungsgerichtshof führte aus, dass es bei der Angabe der verletzten Verwaltungsvorschrift und der Sanktionsnorm gemäß § 44a Z 2 und 3 VStG darauf ankommt, dass die Norm (lediglich) unverwechselbar konkretisiert wird, damit die beschuldigte Person in die Lage versetzt wird, dem Vorwurf entsprechend zu reagieren und ihr Rechtsschutzinteresse zu wahren. Maßgeblich ist daher, dass die Angabe der verletzten Verwaltungsvorschrift (§ 44a Z 2 VStG) und der bei der Verhängung der Strafe angewendeten Gesetzesbestimmung (§ 44a Z 3 VStG) in einer Weise erfolgt, die den Beschuldigten in die Lage versetzt, sich gegen den Tatvorwurf verteidigen zu können und nicht der Gefahr einer Doppelbestrafung ausgesetzt zu sein (im Hinblick auf § 44a Z 2 VStG) bzw. nachvollziehen zu können, welche konkrete Sanktionsnorm herangezogen wurde, um die Zulässigkeit und die Höhe der über ihn verhängten Strafe überprüfen zu können (im Hinblick auf § 44a Z 3 VStG).

19       Neben der jedenfalls anzugebenden Bezeichnung der Rechtsvorschrift (gegebenenfalls mit dem Kurztitel oder auch einer Abkürzung, deren Kenntnis beim Beschuldigten erwartet werden kann) wird daher im Regelfall die Angabe einer „Fundstelle“, insbesondere der Gesetz- oder Amtsblattnummer, mit der die Norm kundgemacht (und gegebenenfalls zuletzt geändert) wurde, im Sinne der Zielsetzung des § 44a VStG zweckmäßig sein, um dem Beschuldigten zu erleichtern, die Norm in den entsprechenden Kundmachungsorganen auffinden und den zeitlichen Anwendungsbereich prüfen zu können.

20       Werden die angewendeten Normen einer Rechtsvorschrift pauschal mit dem Gesetz- oder Amtsblatt der Stammfassung sowie der zuletzt vor dem Tatzeitpunkt erfolgten Änderung der Rechtsvorschrift (nicht notwendigerweise auch der konkret angewendeten Bestimmungen) zitiert, so ist dies ohne Weiteres dahin zu verstehen, dass die Rechtsvorschrift in ihrer Gesamtheit in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung (die es durch die zuletzt genannte Novelle erhalten hat) zur Anwendung gelangte.

21       Sofern nicht aus besonderen Gründen - etwa aufgrund gestaffeltem, verzögertem oder später geändertem Inkrafttreten - für den Rechtsanwender Unsicherheit über die angewendete Fassung bestehen kann, liegt eine Verletzung der Anforderungen des § 44a Z 2 und 3 VStG daher jedenfalls nicht vor, wenn die angewendete Rechtsvorschrift in ihrer Gesamtheit mit der zuletzt (vor dem Tatzeitpunkt) erfolgten Novellierung zitiert wird, oder wenn die zuletzt vor dem Tatzeitpunkt erfolgte Novellierung bezogen auf einzelne Paragraphen oder Artikel der Rechtsvorschrift zitiert wird, ohne dass mit den zitierten Änderungen zwingend auch die jeweils konkret anzuwendende Untergliederung der Rechtsvorschrift geändert wurde. Selbst ein Unterbleiben der Angabe der Fundstelle kann aber dann keine Verletzung in einem subjektiven Recht der beschuldigten Person bewirken, wenn die herangezogene Rechtsvorschrift für diese aus dem Zusammenhang nicht zweifelhaft sein konnte.

22       4.1.3. Im Revisionsfall bezeichnete die belangte Behörde in ihrem Straferkenntnis die angewendete Strafnorm (§ 28 Abs. 6 Z 1 lit. a AZG) mit der Fundstelle der Stammfassung und der letzten Novelle, mit welcher das Arbeitszeitgesetz - wenn auch nicht die angewendete Strafnorm - vor den Tatzeitpunkten geändert wurde. Ob die belangte Behörde der verhängten Strafe dabei den ersten oder (wie das Verwaltungsgericht) den zweiten Strafsatz dieser Bestimmung zu Grunde legte, kann dahinstehen.

23       Die Revisionswerberin hat nämlich weder in der Rechtfertigung im verwaltungsbehördlichen Strafverfahren noch in ihrer Beschwerde vorgebracht, dass ihr die angewendete Strafnorm, insbesondere im Hinblick auf ihren zeitlichen Anwendungsbereich, unklar gewesen wäre. Auch die Revision enthält ein solches Vorbringen nicht. Sie behauptet auch nicht, dass eine Norm herangezogen worden wäre, die zum Tat- bzw. Entscheidungszeitpunkt nicht mehr oder noch nicht in Geltung gestanden wäre. Auch für den Verwaltungsgerichtshof ist solches nicht erkennbar.

24       Es besteht daher kein Anhaltspunkt dafür, dass die Revisionswerberin durch die „pauschale“ Zitierung des Arbeitszeitgesetzes in der vor dem Tatzeitpunkt zuletzt geänderten Fassung (und durch die Bestätigung dieses Spruches durch das angefochtene Erkenntnis) in ihren Verteidigungsrechten beeinträchtigt worden wäre, dass sie nicht in der Lage gewesen wäre, ihre Rechtsschutzinteressen zu wahren, oder dass die Gefahr einer Doppelbestrafung bestünde.

25       4.1.4. Eine Verletzung des § 44a Z 3 VStG liegt daher nicht vor.

26       4.2.1. Die Revision bringt weiters vor, das Verwaltungsgericht habe den Eintritt der Strafbarkeitsverjährung missachtet. Die Verjährungsfrist sei nicht gemäß § 31 Abs. 2 Z 3 VStG gehemmt gewesen, weil im Zeitpunkt der Aussetzung des Strafverfahrens bereits eine rechtskräftige Entscheidung des Verwaltungsgerichts über die maßgebliche Rechtsfrage vorgelegen sei, woran die Erhebung einer außerordentlichen Revision nichts geändert habe. Es habe sich auch nicht um eine Vorfrage iSd. § 38 AVG gehandelt, weil keine präjudizielle Rechtsfrage vorgelegen sei, über die als Hauptfrage in einem anderen Verfahren bindend abzusprechen war, sondern lediglich um eine gleichartige oder ähnliche Rechtsfrage.

27       4.2.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Frist des § 31 Abs. 2 VStG nur dann gewahrt, wenn das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes innerhalb der dort genannten Frist gegenüber dem Beschuldigten rechtswirksam erlassen wurde. Strafbarkeitsverjährung tritt ein, wenn das Straferkenntnis oder das dieses bestätigende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes erst nach Ablauf von drei Jahren, gerechnet ab dem in Abs. 1 genannten Zeitpunkt (Tatzeit), erlassen wird (vgl. VwGH 15.4.2020, Ra 2018/17/0192, mwN).

28       Gemäß § 31 Abs. 2 VStG idF BGBl. I Nr. 33/2013 wird die Zeit, während derer das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung einer Vorfrage ausgesetzt ist, in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet. Durch die Hemmung wird die Verjährungsfrist um so viele Tage verlängert, als der die Hemmung bewirkende Zustand bestanden hat. Mit Ablauf des hemmenden Ereignisses läuft daher die Verjährungsfrist restlich weiter. Sie ist so zu berechnen, als ob sie um die Dauer des Hemmungszeitraumes verlängert worden wäre (vgl. neuerlich Ra 2018/17/0192, mwN).

29       4.2.3. Zu dem behaupteten Erlöschen der Strafbarkeit der Taten, welche der Revisionswerberin angelastet wurden, könnte es ausgehend von den festgestellten Tatzeiten (11. bis 25. November 2018 bzw. 14. und 22. November 2018) vor Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses vom 21. Februar 2022 nur dann gekommen sein, wenn die dreijährige Verjährungsfrist gemäß § 31 Abs. 2 VStG nicht während der Aussetzung des Strafverfahrens durch Bescheid der belangten Behörde vom 7. Mai 2019 bis zum hg. Erkenntnis vom 21. April 2020, Ra 2019/11/0073, 0074, gehemmt gewesen wäre.

30       Die Revision steht auf dem Standpunkt, dass nach dem Spruch des Bescheides der belangten Behörde vom 7. Mai 2019 das Strafverfahren „bis zur rechtskräftigen Entscheidung“ des als Vorfrage gewerteten Verhältnisses des einschlägigen nationalen Rechts zum Unionsrecht unterbrochen worden sei und dass eine solche „rechtskräftige Entscheidung“ der Vorfrage im Zeitpunkt der Erlassung des Aussetzungsbescheides in Form des in der Bescheidbegründung genannten Erkenntnisses des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 20. März 2019 bereits vorgelegen sei. Deswegen sei es zu keiner Hemmung der Strafbarkeitsverjährungsfrist gekommen.

31       Dieses Vorbringen, welches auf die Auslegung des Aussetzungsbescheides abzielt, ist nicht zielführend:

32       Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass dann, wenn die Behörde in ihrem Bescheid nicht präzise zum Ausdruck gebracht hat, bis zur Rechtskraft welcher gerichtlichen Entscheidung in welchem konkreten Verfahren sie die verfügte Unterbrechung vorgenommen hat, dieser Bescheid insofern gegen das Gebot der Bestimmtheit (§ 59 Abs. 1 AVG) verstößt (vgl. VwGH 23.11.1988, 88/01/0176; 26.1.2011, 2010/12/0059).

33       Zwar geht aus dem Spruch des Bescheides vom 7. Mai 2019 nicht hervor, bis zur Entscheidung welcher Behörde bzw. welchen Gerichts in welchem konkreten Verfahren das gegenständliche Strafverfahren gemäß § 38 AVG iVm. § 24 VStG ausgesetzt werden sollte. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist jedoch zur Auslegung eines unklaren Spruches die Begründung heranzuziehen (vgl. ebenfalls zu einem Bescheid gemäß § 38 AVG VwGH 15.12.2000, 2010/12/0089; 26.1.2011, 2010/12/0059).

34       Aus der (oben Rn. 3 wiedergegebenen) Begründung des Bescheides vom 7. Mai 2019 ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit, dass das gegenständliche Strafverfahren bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über die - wenige Tage zuvor erhobene - Amtsrevision der belangten Behörde gegen ein mit Geschäftszahl und Datum spezifiziertes Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich ausgesetzt werden sollte (vgl. zu einer ähnlichen Deutung eines Aussetzungsbescheides gemäß § 38 AVG VwGH 15.12.2000, 2010/12/0089; zu einer ähnlichen Deutung eines Aussetzungsbeschlusses gemäß § 34 Abs. 3 VwGVG VwGH 14.3.2018, Ra 2017/17/0722).

35       Die belangte Behörde hat in Übereinstimmung mit diesem Inhalt des Aussetzungsbescheides ausweislich der vorgelegten Verwaltungsakten bis zur bezogenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. April 2020, Ra 2019/11/0073, 0074, auch keine weiteren Verfahrensschritte gesetzt und erst danach das Straferkenntnis vom 30. September 2021 erlassen.

36       Im Ergebnis ist damit der von der Revisionswerberin vertretenen Auslegung des Aussetzungsbescheides, welche im Übrigen diesen Bescheid ins Leere laufen ließe, der Boden entzogen.

37       4.2.4. Nach den unstrittigen Feststellungen ist der Aussetzungsbescheid der belangten Behörde vom 7. Mai 2019 mangels Erhebung eines Rechtsmittels rechtskräftig geworden.

38       Die Revisionswerberin vertritt jedoch die Auffassung, dass es trotz der Rechtskraft des Aussetzungsbescheides zu keiner Hemmung der Strafbarkeitsverjährungsfrist gemäß § 31 Abs. 2 Z 3 VStG gekommen ist, weil die Voraussetzungen des § 38 AVG für eine Aussetzung des Verfahrens (aus näher genannten Gründen) nicht vorgelegen seien.

39       Auch mit dieser Auffassung ist sie nicht im Recht:

40       Zwar nimmt § 31 Abs. 2 Z 3 VStG in Zusammenhang mit dem Begriff der „Vorfrage“ nicht ausdrücklich auf § 38 AVG Bezug. Eine systematische Interpretation ergibt jedoch, dass in jenen Fällen, in denen ein Strafverfahren gemäß § 38 AVG iVm. § 24 VStG förmlich (durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde) und rechtskräftig ausgesetzt wurde, die Frage, ob diese Aussetzung zu Recht erfolgte, im Rahmen der Beurteilung der Strafbarkeitsverjährung nicht (neuerlich) überprüft werden kann. Der Beschuldigte hatte in einem solchen Fall nämlich die Möglichkeit, in einem Rechtsmittel gegen die Aussetzungsentscheidung seine Bedenken in Bezug auf das Vorliegen der (aller) Voraussetzungen des § 38 AVG geltend zu machen und in einem Verfahren, dessen ausschließlicher Gegenstand die Aussetzung ist, überprüfen zu lassen (vgl. die Nw. bei Hengstschläger/Leeb, § 38 AVG § 38 Rz. 51 f. [Stand Mai 2021]).

41       Im Revisionsfall hätte die Revisionswerberin ihre Bedenken gegen das Vorliegen der Voraussetzungen des § 38 AVG mit Beschwerde gegen den Aussetzungsbescheid vom 7. Mai 2019 geltend machen können, was sie jedoch unterlassen hat. Das Verwaltungsgericht konnte daher - unabhängig davon, ob der Aussetzungsbescheid rechtmäßig war - zutreffend davon ausgehen, dass die Verjährungsfrist während der Dauer der Aussetzung des Strafverfahrens gemäß § 31 Abs. 2 Z 3 VStG gehemmt und somit im Zeitpunkt seiner Entscheidung noch nicht abgelaufen war.

42       4.3. Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 27. September 2022

Schlagworte

Auswertung in Arbeit!

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022110069.L00

Im RIS seit

03.11.2022

Zuletzt aktualisiert am

03.11.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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