TE Vwgh Erkenntnis 1996/3/20 95/21/1120

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Veröffentlicht am 20.03.1996
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Index

24/01 Strafgesetzbuch;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
82/02 Gesundheitsrecht allgemein;

Norm

FrG 1993 §10 Abs1 Z4;
FrG 1993 §11 Abs1;
FrG 1993 §17 Abs1;
FrG 1993 §20 Abs2;
SGG §12 Abs1;
StGB §12;
StGB §15;
StGB §302 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Loibl, über die Beschwerde des R in S, vertreten durch Dr. O, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Schwechat vom 6. Oktober 1995, Zl. Fr-64/95, betreffend Ungültigerklärung eines Sichtvermerkes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit Bescheid vom 6. Oktober 1995 erklärte die Bundespolizeidirektion Schwechat (die belangte Behörde) den dem Beschwerdeführer, einem (nach eigenen Angaben) "jugoslawischen" Staatsbürger, am 4. September 1990 erteilten unbefristeten Sichtvermerk gemäß § 11 Abs. 1 Fremdengesetz für ungültig.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei vom Landesgericht für Strafsachen Wien am 13. Juni 1995 wegen Suchtgiftschmuggels sowie versuchter Verleitung zum Amtsmißbrauch rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, davon zehn Monate bedingt, verurteilt worden. Bereits am 14. Jänner 1994 sei er beim Suchtgiftmißbrauch betreten worden; ein diesbezügliches Gerichtsverfahren sei gemäß § 90 StPO eingestellt worden. Dies habe ihn jedoch offensichtlich von der Begehung weiterer Suchtgiftstraftaten (erg.:) nicht abgehalten. In Gemeinschaft mit einer Verwaltungsstrafe im Jahre 1992 wegen Besitzes einer verbotenen Waffe lasse sein Verhalten erkennen, daß er eine negative Einstellung zur österreichischen Rechtsordnung habe und auch in Zukunft mit der Begehung von Straftaten seinerseits gerechnet werden müsse, wodurch die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet wäre. Im Hinblick auf die massive Gefährdung der Öffentlichkeit durch die Suchtgiftkriminalität wögen die negativen Folgen von der Abstandnahme dieser fremdenpolizeilichen Sanktion wesentlich schwerer als die Auswirkungen auf seine Lebenssituation. Die Ungültigerklärung seines Sichtvermerkes sei zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragt die Abweisung der Beschwerde.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht seine rechtskräftige Verurteilung wegen Suchtgiftschmuggels sowie versuchter Verleitung zum Amtsmißbrauch.

Unter Hinweis auf die Umstände, daß er bereits seit 14 Jahren in Österreich sei, seine gesamte Familie ebenfalls so lange in Österreich lebe, sich der gesamte Freundeskreis in Österreich befinde und er auch in Österreich beschäftigt sei, meint der Beschwerdeführer, unter Zugrundelegung seiner persönlichen Verhältnisse wäre die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 20 Abs. 2 Fremdengesetz unzulässig, weil ihm vor Verwirklichung des gegenständlichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 hätte verliehen werden können. Wenn auch gemäß § 11 Abs. 1 Fremdengesetz diese Schutzbestimmung nicht anzuwenden sei, hätte unter Berücksichtigung und sorgfältiger Abwägung all dieser Umstände der Sichtvermerk des Beschwerdeführers nicht für ungültig erklärt werden dürfen.

Gemäß § 11 Abs. 1 Fremdengesetz ist ein Sichtvermerk ungültig zu erklären, wenn nachträglich Tatsachen bekannt werden oder eintreten, welche die Versagung des Sichtvermerkes rechtfertigen würden. Ein Sichtvermerksversagungsgrund liegt gemäß § 10 Abs. 1 Z. 4 leg. cit. vor, wenn der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 13. Juni 1995 rechtskräftig gemäß § 12 Abs. 1 Suchtgiftgesetz und §§ 12, 15, 302 Abs. 1 StGB zu 15 Monaten Freiheitsstrafe, davon zehn Monate bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt. Das dieser Verurteilung zugrundeliegende Fehlverhalten stellt wegen der besonderen Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität ohne Zweifel eine Tatsache im Grunde des § 11 Abs. 1 Fremdengesetz dar, welche die Versagung des Sichtvermerkes gemäß § 10 Abs. 1 Z. 4 leg. cit. rechtfertigen würde.

Die belangte Behörde hat jedoch bei Anwendung des § 10 Abs. 1 Z. 4 Fremdengesetz auf die privaten und familiären Interessen des Fremden am Bestehenbleiben seines Aufenthaltsrechtes in der Weise Bedacht zu nehmen, daß sie zu prüfen hat, ob ein Aufenthalt des Fremden im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit derart gefährden würde, daß die im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen einen Eingriff in sein Privat- oder Familienleben rechtfertigen. Bei Abwägung dieser Interessen mit den maßgeblichen öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthaltsrechtes ist auf den Inhalt der sonstigen fremdengesetzlichen Regelungen und die daraus erkennbaren Wertungen des Gesetzgebers Bedacht zu nehmen. § 18 Abs. 1 Fremdengesetz sieht die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen Fremden vor, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sein Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. In den Z. 1 bis 8 des § 18 Abs. 2 leg. cit. sind schwerwiegende Verfehlungen eines Fremden aufgezählt, welche insbesondere als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 zu gelten haben. § 20 Abs. 1 leg. cit. sieht eine Interessenabwägung vor Erlassung eines Aufenthaltsverbotes vor; gemäß Abs. 2 darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn dem Fremden vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können; es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre auf § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG zu gründen, weil der Fremde wegen einer mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedrohten strafbaren Handlung verurteilt worden ist. Diese letztgenannte Bestimmung schützt einen Fremden in absoluter Weise gegen die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes. Bei der bei Anwendung des § 10 Abs. 1 Z. 4 leg. cit. erforderlichen und oben dargelegten Interessenabwägung muß auf die vom Gesetzgeber im § 20 Abs. 2 leg. cit. vorgenommene Gewichtung dieser Interessen Bedacht genommen werden. Wenn der Gesetzgeber bei Vorliegen der dort normierten Hinderungsgründe für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes den privaten Interessen des Betroffenen an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet jedenfalls den Vorzug geben wollte, so muß dies auch für die (bloße) Beendigungserklärung der Aufenthaltsberechtigung in Form der Ungültigerklärung eines Sichtvermerks gelten. In einem solchen Fall muß die bei Anwendung der §§ 11 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z. 4 Fremdengesetz vorzunehmende Interessenabwägung zugunsten des Fremden ausgehen. Dem Fremdengesetz kann nämlich nicht der Inhalt unterstellt werden, die im § 20 Abs. 2 leg. cit. normierte absolute Schranke für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes könne durch die Aberkennung eines Sichtvermerks, wodurch der Aufenthalt des Fremden unrechtmäßig wird, und die darauffolgende Erlassung einer Ausweisung gemäß § 17 Abs. 1 leg. cit. umgangen werden.

Wenn die belangte Behörde - wie dies aus dem Amtsvermerk vom 31. August 1995 hervorgeht - meinte, im Hinblick auf § 20 Abs. 2 Fremdengesetz keine fremdenpolizeilichen Maßnahmen (gemeint: Verhängung eines Aufenthaltsverbotes) ergreifen, wohl aber den Sichtvermerk des Beschwerdeführers für ungültig erklären zu dürfen, verkannte sie die Rechtslage und belastete den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

2. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 Abs. 1, 48 Abs. 1 VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Für die Einbringung des Beschwerdeschriftsatzes in drei Ausfertigungen und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendige Vorlage einer Bescheidausfertigung war dem Beschwerdeführer Stempelgebührenersatz von insgesamt S 390,-- zuzuerkennen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995211120.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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