TE Vwgh Erkenntnis 1996/3/22 95/17/0212

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Veröffentlicht am 22.03.1996
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Index

L34006 Abgabenordnung Steiermark;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

BAO §224 Abs1;
BAO §9 Abs1;
B-VG Art11 Abs2;
LAO Stmk 1963 §172 Abs1;
LAO Stmk 1963 §7 Abs1;
LAO Stmk 1963 §76 idF 1983/034;
LAO Stmk 1963 §80 Abs1 idF 1983/034;
LAO Stmk 1963 §80 Abs3 idF 1983/034;
ZustG §4;
ZustG §8 Abs1;
ZustG §8 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hnatek und die Hofräte Dr. Puck, Dr. Höfinger, Dr. Köhler und Dr. Zens als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Fegerl, über die Beschwerde des F in E, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 22. Mai 1995, Zl. 10-27 Ai 18-1995, betreffend Zustellung eines Haftungsbescheides i.A. von Anzeigenabgaben, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Steiermark hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1.1. Mit Haftungsbescheid vom 28. Juni 1994 schrieb das Amt der Steiermärkischen Landesregierung gemäß den §§ 7, 57 und 172 der Steiermärkischen Landesabgabenordnung - LAO, LGBl. Nr. 158/1963 in der Fassung LGBl. Nr. 41/1988, dem Beschwerdeführer als Geschäftsführer der "XY"-Gesellschaft m.b.H. in K, R-Gasse 1, Anzeigenabgabe nach dem Steiermärkischen Anzeigenabgabegesetz 1980, LGBl. Nr. 56, für Anzeigen im Druckwerk "XY" für den Zeitraum 1990 bis einschließlich 1993 samt Nebengebühren in der Gesamthöhe von S 357.664,41 zur Zahlung vor.

1.2. Mit Bescheid vom 3. März 1995 wies das Amt der Steiermärkischen Landesregierung die mit 5. Dezember 1994 datierte Berufung gegen den Haftungsbescheid vom 28. Juni 1994 zurück, da sie nicht fristgerecht eingebracht worden sei. Der Haftungsbescheid sei am 1. Juli 1994 unter Hinterlassung einer Verständigung des Empfängers beim zuständigen Postamt (K) hinterlegt worden. Die hinterlegte Postsendung sei bis zum 18. Juli 1994 beim Postamt zur Abholung bereitgehalten, jedoch nicht behoben worden.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung, in der er insbesondere geltend machte, die Zustellung sei an eine unrichtige Adresse erfolgt, sodaß dies die Nichtigkeit des Zustellvorganges bewirkt habe. Die richtige Zustelladresse hätte E, U-Gasse 649, gelautet. Der Haftungsbescheid vom 28. Juni 1994 sei den rechtsfreundlichen Vertretern des Beschwerdeführers am 8. November 1994 auf Grund des Antrages vom 25. Oktober 1994 auf Bescheidzustellung rechtswirksam zugestellt worden. Die gegen den Haftungsbescheid erhobene Berufung sei rechtzeitig zur Post gegeben worden.

1.3. Mit Bescheid vom 22. Mai 1995 (dem angefochtenen Bescheid) wies die Steiermärkische Landesregierung die Berufung gegen den Zurückweisungsbescheid vom 3. März 1995 ab. Nach der Begründung dieses Bescheides werde zum Argument des Beschwerdeführers, der Haftungsbescheid vom 28. Juni 1994 sei nicht an die damalige tatsächliche Wohnadresse in E, sondern an die vorherige Adresse in K adressiert gewesen, festgestellt:

Gemäß § 80 Abs. 1 Stmk LAO habe eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis habe, ihre bisherige Abgabestelle ändere, dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen. Diese Mitteilung sei vom Beschwerdeführer unterlassen worden. Die Adressenänderung sei erst mit Schreiben vom 25. Oktober 1994 bekanntgegeben worden. Laut Postmitteilung auf dem Kuvert, in dem der Haftungsbescheid vom 28. Juni 1994 versendet worden sei, sei der Beschwerdeführer zum damaligen Zeitpunkt (18. Juli 1994) auch nicht verzogen gewesen, lediglich die hinterlegte Sendung sei von ihm nicht behoben worden. Es sei daher gemäß § 83b Abs. 1 LAO davon auszugehen, daß sich der Empfänger regelmäßig an der Adresse in K aufhalte.

1.4. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Der Beschwerdeführer erachtet sich durch die rechtswidrige Anwendung der Zustellvorschriften der Stmk LAO in seinem Recht verletzt, "seine Rechtsmittelbefugnis (Berufung) im Verwaltungsverfahren auszuüben."

Nach der Beschwerdebegründung handle es sich bei der Adresse in K, an die der Haftungsbescheid adressiert worden sei, um die Firmenanschrift der abgabenschuldnerischen GmbH, deren Geschäftsführer der Beschwerdeführer gewesen sei. Im Zeitpunkt der Hinterlegung sei diese Adresse nicht mehr als Abgabestelle anzusehen gewesen, da zwischenzeitig, nämlich am 14. Mai 1994, über das Vermögen der GmbH das Konkursverfahren eröffnet worden sei. Sohin habe sich an dieser Adresse weder die Betriebsstätte noch der Arbeitsplatz des Beschwerdeführers befunden. Die zutreffende Abgabestelle wäre an der Wohnadresse des Beschwerdeführers in E gewesen. Für ihn habe im Zeitpunkt der Hinterlegung des Haftungsbescheides lediglich EINE Abgabestelle, jene an seinem Wohnort, bestanden. Er habe sich daher auch keine Unterlassung der Mitteilung der Änderung der bisherigen Abgabestelle im Sinne des § 80 Abs. 1 Stmk LAO zuschulden kommen lassen.

1.5. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift.

2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. Die §§ 76 und 80 Stmk LAO in der Fassung LGBl. Nr. 34/1983 lauten:

"§ 76

Abgabestelle im Sinne dieses Landesgesetzes ist der Ort, an dem die Sendung dem Empfänger zugestellt werden darf; das ist die Wohnung oder sonstige Unterkunft, die Betriebsstätte, der Sitz, der Geschäftsraum, die Kanzlei oder der Arbeitsplatz des Empfängers, im Falle einer Zustellung anläßlich einer Amtshandlung auch deren Ort.

...

§ 80

(1) Eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, hat dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen.

(2) ...

(3) Wird diese Mitteilung unterlassen, so ist, soweit die Verfahrensvorschriften nicht anderes vorsehen, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann."

Die wiedergegebenen Bestimmungen der Stmk LAO in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 34/1983 (ausgegeben und versendet am 10. Juni 1983) wurden rückwirkend mit 1. März 1983 in Kraft gesetzt und entsprechen vollinhaltlich den Regelungen des § 4 sowie des § 8 Abs. 1 und 2 des Zustellgesetzes, BGBl. Nr. 200/1982, welches (im Rahmen eines derogatorischen Widerspruches) den bis zu seinem Inkrafttreten (gleichfalls am 1. März 1983) in Geltung gestandenen Zustellvorschriften der Landesabgabenordnung zunächst zwar nicht formell (vgl. die Erläuterungen der RV zur Stmk LAO-Novelle LGBl. Nr. 34/1983, 33 BlgLTStmk 10. Periode, 1982, Einl.-Zahl.283/1, Seite 31), aber doch materiell derogiert hatte (vgl. den vom Ausschuß dem § 28 Zustellgesetz angefügten § 28 Abs. 3, wonach der § 59 Abs. 5 des Zollgesetzes 1955, BGBl. Nr. 129, unberührt bleibt, - ein Einschub, der für erforderlich erachtet wurde, um die ansonsten eintretende materielle Derogation auszuschließen; dazu Walter - Mayer, Das österreichische Zustellrecht, 1983, 137, Anm. 11). Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, daß § 4 und § 8 Abs. 1 des Zustellgesetzes am 1. März 1983 an die Stelle der früheren Zustellvorschriften im Geltungsbereich der Stmk LAO getreten sind, während dies für § 8 Abs. 2 Zustellgesetz wegen seiner Subsidiaritätsklausel nicht zutrifft (vgl. Walter - Mayer, aaO, 16, 17). Was die weitere Frage anlangt, ob der steiermärkische Landesgesetzgeber sodann im Juni 1983 durch die (rückwirkende) Erlassung der §§ 76 und 80 Abs. 1 LAO in der Fassung LGBl. Nr. 34/1983 die Kompetenzbestimmung des Art. 11 Abs. 2 B-VG mißachtet habe, verweist der Verwaltungsgerichtshof auf folgende Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes in dessen Erkenntnis vom 25. Juni 1963, Slg. Nr. 4458:

"Das Verwaltungsvollstreckungsgesetz ist in Inanspruchnahme der Kompetenzbestimmung des Art. 11 Abs. 2 B-VG. erlassen worden. Damit ist seine Materie der Länderkompetenz entzogen. Der Verfassungsgerichtshof findet es jedoch nicht als bedenklich, wenn in Landesgesetzen Bestimmungen des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes lediglich wiederholt werden. Richtigerweise hätte sich der Landesgesetzgeber allerdings mit einem Hinweis auf § 4 VVG. 1950 beschränken sollen, um nicht den Anschein zu erwecken, als erachtete er sich für zuständig, diese Angelegenheit selbständig zu regeln. Durch seine Regelung verdeckt er nach außen den § 1 und den § 4 VVG. 1950. Solange aber diese Bestimmungen rechtsinhaltlich nicht geändert sind, liegt der Sache nach keine selbständige landesrechtliche Vorschrift vor. Ein Eingriff in die Bundeskompetenz nach Art. 11 Abs. 2 B-VG. ist somit nicht erfolgt."

Vor dem Hintergrund dieser Rechtsauffassung geht der Verwaltungsgerichtshof auch im vorliegenden Fall davon aus, daß die Bestimmungen der §§ 76 und 80 Abs. 1 Stmk LAO in der Fassung LGBl. Nr. 34/1983 keine selbständige normative Anordnung enthalten und daß die §§ 4 und 8 Abs. 1 des Zustellgesetzes anzuwenden sind.

2.2. Der Verwaltungsgerichtshof ist in seinem Erkenntnis vom 2. Dezember 1988, Zl. 88/17/0123, davon ausgegangen, daß ein Verfahren betreffend die Erlassung eines Haftungsbescheides ein von der zugrundeliegenden Abgabensache gegen den Abgabenhauptschuldner verschiedenes Verfahren ist und daß normalerweise der zur Haftung Herangezogene vor Erlassung des Haftungsbescheides vom Verfahren keine Kenntnis haben werde (was allerdings nach der Aktenlage zu prüfen sei).

Die beiden Verfahren, das Verfahren gegen die GmbH als Abgabenhauptschuldnerin und jenes betreffend die Haftungsinanspruchnahme des Beschwerdeführers, können daher nicht als EIN Verfahren im Sinne des § 80 Abs. 1 Stmk LAO angesehen werden. Entgegen der nicht näher konkretisierten Behauptung der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift ergibt sich aus den Akten auch nicht, daß der Beschwerdeführer vom Verfahren, das zur Erlassung des gegenständlichen Haftungsbescheides geführt hat, vor der umstrittenen Zustellung (etwa durch Einräumung des Parteiengehörs) Kenntnis erlangt hätte. Wenn die belangte Behörde als ein Verfahren, in dem der Beschwerdeführer persönlich als Abgabenschuldner herangezogen worden sei, jenes meinen sollte, das den Rückstandsausweis vom 1. September 1993 zum Gegenstand hatte, dann wäre darauf zu erwidern, daß es sich dabei um den - gescheiterten - Versuch handelte, den Beschwerdeführer als Geschäftsführer der GmbH ohne Vorliegen eines Haftungsbescheides als Vollstreckungsschuldner heranzuziehen und daß sich der Beschwerdeführer im übrigen schon in diesem Verfahren im Schriftsatz vom 20. Oktober 1993 gegen die an ihn gerichtete Zustellung unter der "falschen" Adresse, nämlich jener der GmbH in K, gewendet hat (letzteres jedenfalls im damaligen Zeitpunkt VOR der Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der GmbH, deren Geschäftsführer er war, wohl zu Unrecht).

Es ergibt sich somit kein Anhaltspunkt für die Annahme, daß den Beschwerdeführer im vorliegenden Verfahren betreffend die Erlassung des Haftungsbescheides die Pflicht getroffen hätte, der Abgabenbehörde eine Änderung seiner bisherigen Abgabestelle mitzuteilen.

Die ausschließlich mit der Verletzung dieser Pflicht erfolgte Begründung der Gesetzmäßigkeit der Zustellung des Haftungsbescheides vom 28. Juni 1994 ist rechtlich verfehlt. Der darauf gestützte angefochtene Bescheid, mit dem die Zurückweisung der Berufung gegen den Haftungsbescheid als verspätet bestätigt wurde, erweist sich daher als inhaltlich rechtswidrig.

Der angefochtene Bescheid war infolgedessen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

2.3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit Art. I Z. 1 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

Stempelgebührenersatz war für zwei Beschwerdeausfertigungen (S 240,--) und eine Kopie des angefochtenen Bescheides (S 60,--) zuzusprechen; das Mehrbegehren war abzuweisen.

2.4. Es wird darauf hingewiesen, daß die Beendigung des Beschwerdeverfahrens, für dessen Dauer die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung beantragt wird, einen Abspruch über diesen Antrag entbehrlich macht (vgl. z.B. den hg. Beschluß vom 6. September 1978, Zlen. 1902, 1903/78 = ZfVB 1979/2/513).

2.5. Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995170212.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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