TE Vwgh Erkenntnis 2022/9/26 Ra 2021/04/0005

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Veröffentlicht am 26.09.2022
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Index

Auswertung in Arbeit!

Norm

Auswertung in Arbeit!

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger, Hofrat Dr. Mayr, Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Vonier, über die Revision der M GmbH in A, vertreten durch MMag. Dr. Claus Casati, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Mariahilfer Straße 1b/17, gegen den am 17. November 2020 mündlich verkündeten und mit 2. Dezember 2020 schriftlich ausgefertigten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes, W134 2235201-1/36E und W134 2235201-2/8E, betreffend vergaberechtliches Feststellungsverfahren (mitbeteiligte Parteien: 1. Ö AG in W, vertreten durch die Harrer Schneider Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Jasomirgottstraße 6/5, sowie 2. Arbeitsgemeinschaft bestehend aus w T GmbH, w GmbH, K AG, in I, vertreten durch die Müller Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Rockhgasse 6),

1. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Spruchpunkte 1)A)III. und 1)A)IV. des angefochtenen Beschlusses richtet, zurückgewiesen.

2. zu Recht erkannt:

Spruch

Die Spruchpunkte 1)A)I., 1)A)II. und 1)A)V. sowie Spruchpunkt 2) des angefochtenen Beschlusses werden wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1        1. Die Ö AG (Erstmitbeteiligte) hat als Sektorenauftraggeberin im Juli 2017 das - vier geographisch unterteilte Lose umfassende - Prüfsystem „Grundlegende Charakterisierung von Abfällen“ bekannt gemacht. Beginnend im Dezember 2017 führte die Auftraggeberin auf Basis dieses Prüfsystems ein Verhandlungsverfahren nach vorherigem Aufruf zum Wettbewerb betreffend den Abschluss von Rahmenvereinbarungen durch. Am 19. März 2018 gab die Auftraggeberin die Entscheidung bekannt, mit welchen Unternehmern die vier Rahmenvereinbarungen abgeschlossen werden sollen; am 30. März 2018 wurde die Rahmenvereinbarung betreffend das hier gegenständliche Los 4 mit der ARGE „w T GmbH, w GmbH, K AG“ (Zweitmitbeteiligte) abgeschlossen. Diese Rahmenvereinbarung wurde am 25. Februar 2019 und am 18. Februar 2020 jeweils für ein weiteres Jahr verlängert.

2        Am 18. September 2020 stellte die Revisionswerberin den Antrag, das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) möge feststellen, dass der Abschluss, in eventu die Verlängerung, der (oben dargestellten) Rahmenvereinbarung zwischen der Erstmitbeteiligten und der w T GmbH in einem Verfahren ohne vorherige Bekanntmachung bzw. ohne erneute Durchführung eines Vergabeverfahrens rechtswidrig gewesen sei. Weiters wurde beantragt, die geschlossene Vereinbarung zum Zeitpunkt der Entscheidung aufzuheben, in eventu eine Geldbuße über die Erstmitbeteiligte zu verhängen. Begründend wurde vorgebracht, aufgrund einer Änderung der Rechtslage sei für die Erbringung der ausgeschriebenen Leistung seit 1. Jänner 2020 eine neue Berechtigung erforderlich, über welche die w T GmbH nicht verfüge; die Verlängerung der Rahmenvereinbarung sei daher unter wesentlicher Änderung der vertraglichen Anforderungen erfolgt. Zur Rechtzeitigkeit der Anträge führte die Revisionswerberin aus, sie habe mit Schreiben der Erstmitbeteiligten vom 17. April 2020 erstmals die Bestätigung der Verlängerung bzw. des Neuabschlusses der Rahmenvereinbarung zu Los 4 erhalten. Mit Antragsänderung vom 10. Oktober 2020 wurde die Bezeichnung der Rahmenvereinbarungspartnerin um die K AG erweitert. Im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 17. November 2020 ergänzte die Revisionswerberin ihren Antrag um einen Eventualantrag, dem zufolge das BVwG feststellen möge, dass die seitens der Erstmitbeteiligten im Februar 2020 erfolgte Durchführung eines Vergabeverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung, die den Abschluss der (dargestellten) Rahmenvereinbarung zum Inhalt habe, wegen Verstoßes gegen das BVergG 2018 rechtswidrig gewesen sei. In diesem Antrag wurde nunmehr die ARGE (Zweitmitbeteiligte) als Rahmenvereinbarungspartnerin genannt.

3        2. Mit dem angefochtenen Beschluss wies das BVwG sämtliche (insgesamt fünf) inhaltlichen Anträge der Revisionswerberin zurück; die Spruchpunkte 1)A)I., 1)A)II. und 1)A)V. betreffen die Feststellungsanträge, die Spruchpunkte 1)A)III. und 1)A)IV. die Anträge auf Aufhebung der Rahmenvereinbarung und auf Verhängung einer Geldbuße. Der Antrag auf Ersatz der entrichteten Pauschalgebühren wurde in Spruchpunkt 2)A) abgewiesen. Die Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG jeweils für nicht zulässig.

4        Das BVwG verwies in seiner rechtlichen Beurteilung zunächst auf § 334 Abs. 3 Z 5 BVergG 2018, dem zufolge das BVwG nach Zuschlagserteilung zur Feststellung zuständig sei, ob der Zuschlag bei der Vergabe einer Leistung aufgrund einer Rahmenvereinbarung wegen eines Verstoßes gegen § 155 Abs. 4 bis 9 (Regelungen für öffentliche Auftraggeber) oder § 316 Abs. 1 bis 3 (Regelungen für Sektorenauftraggeber) BVergG 2018 rechtswidrig war. Ein solches Feststellungsverfahren setze voraus, dass der Zuschlag bereits erteilt worden sei. Im vorliegenden Fall bekämpfe die Revisionswerberin weder den Zuschlag bei der Vergabe einer Leistung aufgrund einer Rahmenvereinbarung noch behaupte sie Verstöße gegen die (oben zitierten) Regelungen betreffend die Vergabe von Aufträgen aufgrund einer Rahmenvereinbarung.

5        Die Revisionswerberin wolle vielmehr den Abschluss der Rahmenvereinbarung bekämpfen. Dies sei aber unzulässig und das BVwG dafür nicht zuständig. Eine Feststellung nach § 334 Abs. 3 Z 3 BVergG 2018 (rechtswidrige Durchführung eines Vergabeverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung) sei erst nach Zuschlagserteilung möglich; eine gesonderte Feststellung darüber, dass eine Rahmenvereinbarung ohne die gebotene Bekanntmachung abgeschlossen worden sei, sei somit nicht möglich. Dass ein Zuschlag bereits erfolgt sei, habe die Revisionswerberin nicht behauptet.

6        3. Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

7        Die Revisionswerberin bringt zunächst vor, die von der Erstmitbeteiligten bekannt gegebene Entscheidung, mit welchem Unternehmer die Rahmenvereinbarung zu Los 4 abgeschlossen werden solle, habe nicht auf die ARGE (als spätere Vereinbarungspartnerin) gelautet, sondern auf „w-K“. Während die Erstmitbeteiligte die Rahmenvereinbarungen zu den Losen 1 bis 3 unter Berufung auf die (oben erwähnte) Änderung der Rechtslage gekündigt habe und insoweit ein erneuter Aufruf zum Wettbewerb erfolgt sei, sei die Rahmenvereinbarung zu Los 4 im Jahr 2020 (ohne erneuten Aufruf zum Wettbewerb) verlängert worden. Der Abschluss der Rahmenvereinbarung im Februar 2020 sei somit ohne vorherige Bekanntmachung erfolgt und die Rahmenvereinbarung sei nicht mit der Person abgeschlossen worden, die in der Mitteilung vom 19. März 2018 bekannt gegeben worden sei.

8        Zur Zulässigkeit bringt die Revisionswerberin vor, es gehe vorliegend nicht um den Abschluss von Verträgen aufgrund einer Rahmenvereinbarung, sondern um den Abschluss der Rahmenvereinbarung selbst. Es fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu, ob insoweit eine Zuständigkeit des BVwG bestehe. Es gehe somit um die Frage, inwieweit Rechtsschutz gegen den Abschluss einer Rahmenvereinbarung ohne vorherige Bekanntmachung bestehe. Das BVwG unterstelle den §§ 334 und 353 BVergG 2018 mit seiner - eine solche Zuständigkeit verneinenden - Auslegung einen unionsrechtswidrigen Inhalt.

9        In den Revisionsgründen wird Folgendes ausgeführt: Das BVwG stütze seine Auffassung auf den Begriff „Zuschlagserteilung“, übersehe aber, dass dieser Begriff unionsrechtskonform auszulegen sei. Gemäß Art. 1 Abs. 3 dritter Unterabsatz der Richtlinie 89/665/EWG (RechtsmittelRL) umfassten Aufträge im Sinn dieser Richtlinie auch Rahmenvereinbarungen. Zudem seien die Mitgliedstaaten verpflichtet, sicherzustellen, dass hinsichtlich der vom Anwendungsbereich erfassten Aufträge Entscheidungen der Auftraggeber wirksam und möglichst rasch auf Verstöße gegen das Unionsrecht überprüft werden können. Da der Begriff „Rahmenvereinbarung“ synonym zum Begriff „Auftrag“ zu verstehen sei, sei der Begriff „Zuschlagserteilung“ dahingehend auszulegen, dass er auch den „Abschluss der Rahmenvereinbarung“ erfasse.

10       In systematischer Hinsicht verweist die Revisionswerberin auf die Definition der „Zuschlagserteilung“ in § 2 Z 50 BVergG 2018. Zur dort angesprochenen Erklärung an den Bieter, sein Angebot anzunehmen, komme es auch beim Abschluss einer Rahmenvereinbarung. Auch die hier einschlägige Bestimmung des § 353 Abs. 1 Z 2 BVergG 2018 (Feststellung der rechtswidrigen Durchführung eines Vergabeverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung) sehe keine Einschränkung auf öffentliche Aufträge im engeren Sinn bzw. keinen Ausschluss von Rahmenvereinbarungen vor. Zu den Vergabeverfahren würden auch solche zählen, die den Abschluss einer Rahmenvereinbarung zum Inhalt hätten. Auch aus dieser Zusammenschau ergebe sich, dass der Begriff „Zuschlagserteilung“ weit zu verstehen sei. Die Sichtweise des BVwG würde demgegenüber zu einem Wertungswiderspruch führen, weil diesfalls zwar der Widerruf einer Rahmenvereinbarung, nicht jedoch deren Abschluss bekämpft werden könnte.

11       Im Ergebnis sei der Begriff „Abschluss der Rahmenvereinbarung“ synonym zum Begriff „Zuschlagserteilung“ zu verstehen. Das BVwG habe die gegenständlichen Feststellungsanträge daher zu Unrecht zurückgewiesen.

12       4.1. Die Erstmitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision beantragt und dies wie folgt begründet:

13       Die Erstmitbeteiligte macht zunächst geltend, § 334 BVergG 2018 enthalte eine abschließende Aufzählung der Zuständigkeiten des BVwG. Eine Ausdehnung dieser Zuständigkeiten im Wege der Analogie sei nicht möglich (Verweis auf VwGH 14.3.2012, 2008/04/0228). § 334 BVergG 2018 regle eindeutig, dass eine Zuständigkeit zur Feststellung erst nach Zuschlagserteilung bestehe. Da die Revisionswerberin eine konkrete Zuschlagserteilung weder behauptet noch bekämpft habe, komme eine Feststellung nach § 334 BVergG 2018 nicht in Betracht. Da die gesetzliche Regelung eindeutig sei, bestehe auch kein Bedarf nach einer höchstgerichtlichen Klarstellung.

14       Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin - so die Erstmitbeteiligte weiter - sei der Abschluss einer Rahmenvereinbarung keine Zuschlagserteilung. Die Rahmenvereinbarung sei nach ihrer Definition (in § 203 Abs. 7 BVergG 2018) eine Vereinbarung ohne Abnahmeverpflichtung mit dem Ziel, die Bedingungen für die Aufträge festzulegen, die während eines bestimmten Zeitraumes vergeben werden sollen. Die Rahmenvereinbarung sei somit kein Vertrag, der beiden Seiten Rechte und Pflichten einräume. Nach den Erläuterungen (RV 69 BlgNR 24. GP 167) sei das Vergabeverfahren insofern fiktiv, als kein Zuschlag erfolge; eine Auftragsvergabe trete erst in weiterer Folge ein. Dementsprechend stelle die Entscheidung, mit welchem Unternehmer eine Rahmenvereinbarung abgeschlossen werden solle, zwar eine gesondert anfechtbare Entscheidung, nicht aber eine Zuschlagsentscheidung dar. Würde man (wie die Revisionswerberin meine) die Begriffe „Abschluss der Rahmenvereinbarung“ und „Zuschlagserteilung“ synonym verstehen, dann wäre auch eine Unterscheidung zwischen der „Entscheidung, mit welchem Unternehmer die Rahmenvereinbarung abgeschlossen werden soll“ und der „Zuschlagsentscheidung“ nicht erforderlich. Auch die Erläuterungen zur Zuschlagserteilung (RV 69 BlgNR 24. GP 18) hielten fest, dass es sich bei der Zuschlagserteilung um den Akt des Vertragsabschlusses selbst (die Auftragserteilung) handle. Durch den Abschluss einer Rahmenvereinbarung komme es aber noch nicht zu einer Auftragserteilung.

15       Entgegen der Auffassung der Revisionswerberin sei auch der Rechtsschutz nicht gefährdet, weil keine rechtswidrige Beschaffung vorliege, solange ein Auftraggeber von seinem Optionsrecht keinen Gebrauch mache und somit noch keine Aufträge auf Grundlage einer allenfalls rechtswidrigen Rahmenvereinbarung erteilt würden. Der Verwaltungsgerichtshof (Verweis auf VwGH 1.2.2017, Ra 2016/04/0149) habe auch festgehalten, dass gegen die Anknüpfung des Feststellungsverfahrens an die Zuschlagserteilung keine verfassungs- oder unionsrechtlichen Bedenken bestünden, zumal auch die RechtsmittelRL bei der möglichen Beschränkung auf Schadenersatz auf den Vertragsabschluss abstelle. Soweit die Revisionswerberin moniere, den Mitbewerbern fehlten über die Vergabe kleinerer Aufträge aufgrund von Rahmenvereinbarungen oftmals Informationen, und sie darin eine Einschränkung des Rechtsschutzes erblicke, hielt dem die Erstmitbeteiligte entgegen, dass die Frist zur Stellung eines Feststellungsantrages ohnehin an die subjektive Kenntnis vom Zuschlag anknüpfe.

16       4.2. Die Zweitmitbeteiligte erstattete keine Revisionsbeantwortung.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zur teilweisen Zurückweisung der Revision

17       1. Mit den - als trennbar anzusehenden - Spruchpunkten 1)A)III. und 1)A)IV. hat das BVwG die Anträge der Revisionswerberin auf Aufhebung der Rahmenvereinbarung und auf Verhängung einer Geldbuße zurückgewiesen.

18       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (noch zum BVergG 2006, die auf die materiell gleichlautende Rechtslage nach dem BVergG 2018 übertragen werden kann) ist ein Antragsrecht betreffend die Nichtigerklärung oder Aufhebung eines Vertrages bzw. die Verhängung einer Geldbuße (gemäß nunmehr § 356 BVergG 2018) durch den Antragsteller im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren nicht vorgesehen (vgl. VwGH 9.9.2015, Ro 2014/04/0007, mwN). Ein Antragsrecht besteht nur hinsichtlich der Feststellung bestimmter Vorgehensweisen des Auftraggebers als rechtswidrig; an einige näher bezeichnete Feststellungen knüpft das Gesetz als „Regelsanktion“ die Nichtigerklärung (ex tunc) des Vertrages bzw. subsidiär die Aufhebung (ex nunc) des Vertrages oder die Verhängung einer Geldbuße (vgl. VwGH 9.9.2015, Ro 2015/04/0013, 0014).

19       Ausgehend davon erweist sich die Zurückweisung der diesbezüglichen Anträge schon mangels Antragslegitimation der Revisionswerberin als zutreffend, weshalb die Revision insoweit zurückzuweisen ist (vgl. zur getrennten Prüfung der Zulässigkeit einer Revision bei trennbaren Absprüchen VwGH 8.8.2018, Ra 2017/04/0112, Rn. 15, mwN).

Zur teilweisen Aufhebung des angefochtenen Beschlusses

20       2. Im Übrigen erweist sich die Revision im Hinblick auf das oben (Rn. 8) dargestellte Zulässigkeitsvorbringen aber als zulässig.

21       3.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des BVergG 2018, BGBl. I Nr. 65, lauten auszugsweise:

Begriffsbestimmungen

§ 2. Im Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes sind folgende Begriffsbestimmungen maßgebend:

[...]

50. Zuschlagserteilung (Zuschlag) ist die an den Bieter abgegebene Erklärung, sein Angebot anzunehmen.

[...]

Arten der Verfahren zur Vergabe von Aufträgen

§ 203. (1) Die Vergabe von Aufträgen über Leistungen hat im Wege eines offenen Verfahrens, eines nicht offenen Verfahrens, eines Verhandlungsverfahrens, einer Rahmenvereinbarung, eines dynamischen Beschaffungssystems, eines wettbewerblichen Dialoges, einer Innovationspartnerschaft, einer Direktvergabe oder einer Direktvergabe mit vorheriger Bekanntmachung zu erfolgen.

[...]

(7) Eine Rahmenvereinbarung ist eine Vereinbarung ohne Abnahmeverpflichtung zwischen einem oder mehreren Sektorenauftraggebern und einem oder mehreren Unternehmern, die zum Ziel hat, die Bedingungen für die Aufträge, die während eines bestimmten Zeitraumes vergeben werden sollen, festzulegen, insbesondere in Bezug auf den in Aussicht genommenen Preis und gegebenenfalls die in Aussicht genommene Menge. Aufgrund einer Rahmenvereinbarung wird nach Abgabe von Angeboten eine Leistung von einer Partei der Rahmenvereinbarung mit oder ohne erneuten Aufruf zum Wettbewerb bezogen.

[...]

Bestimmungen für den Abschluss von Rahmenvereinbarungen und die Vergabe von Aufträgen aufgrund von Rahmenvereinbarungen

Allgemeines

§ 314. Aufträge können aufgrund einer Rahmenvereinbarung vergeben werden, sofern

1.  die Rahmenvereinbarung nach Durchführung eines offenen Verfahrens, eines nicht offenen Verfahrens - im Oberschwellenbereich mit vorheriger Bekanntmachung - oder eines Verhandlungsverfahrens ohne Zuschlagserteilung unter Beachtung der Bestimmungen des § 315 abgeschlossen wurde und

2.  bei der Vergabe des auf der Rahmenvereinbarung beruhenden öffentlichen Auftrages § 316 beachtet wird.

[...]

Abschluss von Rahmenvereinbarungen

§ 315. (1) [...] Der Sektorenauftraggeber hat den nicht berücksichtigten Bietern den Namen des Unternehmers bzw. die Namen der Unternehmer, mit dem bzw. denen die Rahmenvereinbarung abgeschlossen werden soll, mitzuteilen.[...]

(2) Der Sektorenauftraggeber darf die Rahmenvereinbarung bei sonstiger absoluter Nichtigkeit nicht vor Ablauf der Stillhaltefrist abschließen. Die Stillhaltefrist beginnt mit der Übermittlung bzw. Bereitstellung der Mitteilung, mit welchem Unternehmer bzw. mit welchen Unternehmern die Rahmenvereinbarung abgeschlossen werden soll. [...]

[...]

Vergabe von öffentlichen Aufträgen aufgrund von Rahmenvereinbarungen

§ 316. [...]

[...]

Zuständigkeit

§ 334. [...]

(2) Bis zur Zuschlagserteilung bzw. bis zum Widerruf eines Vergabeverfahrens ist das Bundesverwaltungsgericht zum Zweck der Beseitigung von Verstößen gegen dieses Bundesgesetz und die hierzu ergangenen Verordnungen oder von Verstößen gegen unmittelbar anwendbares Unionsrecht zuständig

[...]

(3) Nach Zuschlagserteilung ist das Bundesverwaltungsgericht zuständig

[...]

3.  zur Feststellung, ob ein Vergabeverfahren rechtswidrigerweise ohne vorherige Bekanntmachung durchgeführt wurde;

[...]

5.  zur Feststellung, ob der Zuschlag bei der Vergabe einer Leistung aufgrund einer Rahmenvereinbarung oder eines dynamischen Beschaffungssystems wegen eines Verstoßes gegen § 155 Abs. 4 bis 9, § 162 Abs. 1 bis 5, § 316 Abs. 1 bis 3 oder § 323 Abs. 1 bis 5 rechtswidrig war;

6.  in einem Verfahren gemäß den Z 3 bis 5 zur Nichtigerklärung oder Aufhebung des Vertrages;

7.  in einem Verfahren gemäß den Z 3 bis 5 zur Verhängung von Sanktionen gemäß § 356 Abs. 9.

[...]

Einleitung des Verfahrens

§ 353. (1) Ein Unternehmer, der ein Interesse am Abschluss eines dem Anwendungsbereich dieses Bundesgesetzes unterliegenden Vertrages hatte, kann, sofern ihm durch die behauptete Rechtswidrigkeit ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht, die Feststellung beantragen, dass

[...]

2.  die Durchführung eines Vergabeverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung wegen eines Verstoßes gegen dieses Bundesgesetz, die hierzu ergangenen Verordnungen oder unmittelbar anwendbares Unionsrecht rechtswidrig war, oder

[...]

4.  der Zuschlag bei der Vergabe einer Leistung aufgrund einer Rahmenvereinbarung oder eines dynamischen Beschaffungssystems wegen eines Verstoßes gegen § 155 Abs. 5 bis 9, § 162 Abs. 1 bis 5, § 316 Abs. 1 bis 3 oder § 323 Abs. 1 bis 5 rechtswidrig war, oder

[...]“

22       3.2. Die maßgeblichen Bestimmungen der Richtlinie 92/13/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor (SektorenrechtsmittelRL) lauten auszugsweise:

Artikel 1

Anwendungsbereich und Zugang zu Nachprüfungsverfahren

(1) [...]

Aufträge im Sinne der vorliegenden Richtlinie umfassen Liefer-, Bau- und Dienstleistungsaufträge, Bau- und Dienstleistungskonzessionen, Rahmenvereinbarungen und dynamische Beschaffungssysteme.

[...]

Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass hinsichtlich der in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/25/EU beziehungsweise der Richtlinie 2014/23/EU fallenden Aufträge oder Konzessionen die Entscheidungen der Auftraggeber wirksam und vor allem möglichst rasch nach Maßgabe der Artikel 2 bis 2f auf Verstöße gegen das Unionsrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die nationalen Vorschriften, die dieses Recht umsetzen, nachgeprüft werden können.

[...]

Artikel 2

Anforderungen an die Nachprüfungsverfahren

(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, daß für die in Artikel 1 genannten Nachprüfungsverfahren die erforderlichen Befugnisse vorgesehen werden, damit entweder

[...]

b)  die Aufhebung rechtswidriger Entscheidungen, einschließlich der Streichung diskriminierender technischer, wirtschaftlicher oder finanzieller Spezifikationen in der Vergabebekanntmachung, in der regelmäßigen Bekanntmachung, in der Bekanntmachung eines Qualifikationssystems, in der Aufforderung zur Angebotsabgabe, in den Verdingungsunterlagen oder in jedem sonstigen sich auf das betreffende Vergabeverfahren beziehenden Dokument vorgenommen oder veranlaßt werden kann;

[...]

d)  in beiden vorgenannten Fällen denjenigen, die durch den Rechtsverstoß geschädigt worden sind, Schadenersatz zuerkannt werden kann.

[...]

(6) Außer in den in den Artikeln 2d bis 2f genannten Fällen richten sich die Wirkungen der Ausübung der in Absatz 1 des vorliegenden Artikels genannten Befugnisse auf den nach der Zuschlagsentscheidung geschlossenen Vertrag nach dem einzelstaatlichen Recht. Abgesehen von dem Fall, in dem eine Entscheidung vor Zuerkennung von Schadensersatz aufgehoben werden muss, kann ein Mitgliedstaat ferner vorsehen, dass nach dem Vertragsschluss in Übereinstimmung mit Artikel 1 Absatz 5, Absatz 3 des vorliegenden Artikels oder den Artikeln 2a bis 2f die Befugnisse der Nachprüfungsstelle darauf beschränkt werden, einer durch einen Verstoß geschädigten Person Schadensersatz zuzuerkennen.

[...]

Artikel 2d

Unwirksamkeit

(1) Die Mitgliedstaaten tragen in folgenden Fällen dafür Sorge, dass ein Vertrag durch eine von dem Auftraggeber unabhängige Nachprüfungsstelle für unwirksam erklärt wird oder dass sich seine Unwirksamkeit aus der Entscheidung einer solchen Stelle ergibt,

a)  falls der Auftraggeber einen Auftrag oder eine Konzession ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union vergeben hat, ohne dass dies nach der Richtlinie 2014/25/EU oder der Richtlinie 2014/23/EU zulässig ist,

[...]“

23       4. Zunächst ist zu klären, ob sich eine Rechtmäßigkeit der Zurückweisung der Feststellungsanträge aus den (wenn auch vom BVwG nicht herangezogenen, aber) von der Erstmitbeteiligten in ihrer Revisionsbeantwortung für eine Unzulässigkeit dieser Anträge ins Treffen geführten Gründen ergibt.

24       4.1. Zum einen bringt die Erstmitbeteiligte unter Verweis auf den hg. Beschluss VwGH 18.1.2021, Ra 2019/04/0047, vor, die mit den Spruchpunkten 1)A)I. und 1)A)II. erledigten Feststellungsanträge seien (auch) deshalb zurecht zurückgewiesen worden, weil sie im Hinblick auf ihre Formulierung in der abschließenden Auflistung der Feststellungskompetenzen des BVwG keine Deckung fänden. Die Revisionswerberin habe insoweit die „falschen Feststellungsanträge“ gestellt.

25       Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt (zu verschiedenen Vergaberechtsschutzregelungen) festgehalten, dass die Aufzählung der gesetzlich normierten Zuständigkeiten (auch hinsichtlich der Zuständigkeit zur Feststellung) abschließend ist (vgl. VwGH 18.1.2021, Ra 2019/04/0047, Rn. 18, mwN). Im zitierten Beschluss wurde die Zurückweisung eines Antrags auf Feststellung, dass „die Erteilung des Zuschlags [...] nach Durchführung eines Vergabeverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung gemäß § 334 Abs. 3 Z 3 BVergG 2018 rechtswidrig“ gewesen sei, durch das BVwG nicht beanstandet.

26       Im vorliegenden Fall beantragte die Revisionswerberin ursprünglich die Feststellung, dass der Abschluss bzw. die Verlängerung der (näher beschriebenen) Rahmenvereinbarung in einem Verfahren ohne vorherige Bekanntmachung bzw. ohne erneute Durchführung eines Vergabeverfahrens rechtswidrig gewesen sei(en). Der Antrag wurde ausdrücklich auf § 353 Abs. 1 Z 2 BVergG 2018 (rechtswidrige Durchführung eines Vergabeverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung) gestützt. In der Begründung wurde wiederholt auf die Beantragung der Feststellung der rechtswidrigen Durchführung eines Vergabeverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung verwiesen und die Rechtswidrigkeit darin erblickt, dass entweder eine unzulässige Vertragsänderung oder (falls es sich nicht mehr um eine Verlängerung der Rahmenvereinbarung handle) eine unzulässige Direktvergabe vorliege. Ausgehend davon erscheint der Inhalt der begehrten Feststellung als hinreichend klar und von § 334 Abs. 3 Z 3 BVergG 2018 gedeckt. Der vorliegende Fall ist somit (entgegen der Auffassung der Erstmitbeteiligten) nicht der im hg. Beschluss 18.1.2021, Ra 2019/04/0047 zu beurteilenden Konstellation gleichzuhalten. Für diese Sichtweise sprechen auch die Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes im Erkenntnis VfGH 1.3.2022, E 1531/2021, wonach gemäß den Erläuterungen (RV 69 BlgNR 24. GP 198 f) bei der Bezeichnung der gesondert anfechtbaren Entscheidung kein übertrieben strenger Maßstab angelegt werden soll. Dies lässt sich aber auf die Formulierung der beantragten Feststellung übertragen.

27       4.2. Zum anderen bringt die Erstmitbeteiligte vor, die Revisionswerberin habe mit Bekanntgabe der Entscheidung vom 19. März 2018 alle erforderlichen Informationen über den in Aussicht genommenen Rahmenvereinbarungspartner zu Los 4 gehabt, weshalb die Anträge - jedenfalls die neuen Anträge (gemeint sind offenbar die Antragsänderungen vom 10. Oktober 2020 und vom 17. November 2020) - verfristet und auch aus diesem Grund zurückzuweisen gewesen seien.

28       Vorauszuschicken ist zunächst, dass sich der Formulierung der (mit Schriftsatz vom 18. September 2020) gestellten Feststellungsanträge selbst zwar nicht ausdrücklich entnehmen lässt, auf welchen Zeitpunkt sich die behauptete Durchführung eines Vergabeverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung bezieht (vgl. zum Erfordernis, einen Feststellungsantrag betreffend die festzustellende rechtswidrige Vergabe auf einen bestimmten Zeitpunkt zu beziehen, VwGH 16.6.2020, Ro 2018/04/0015, Rn. 22, 29). Allerdings ergibt sich aus der Antragsbegründung klar, dass sich der Feststellungsantrag gegen den Neuabschluss bzw. die Verlängerung der Rahmenvereinbarung nach dem 1. Jänner 2020 richtet.

29       Die Revisionswerberin hat in ihrem Feststellungsantrag vorgebracht, eine Bestätigung dieses Neuabschlusses bzw. dieser Verlängerung erstmals mit Schreiben der Erstmitbeteiligten vom 17. April 2020 erhalten zu haben. In ihrer Revision hält sie weiters fest, sie habe erst durch ein Schreiben der Erstmitbeteiligten vom 13. November 2020 bzw. in der mündlichen Verhandlung am 17. November 2020 Kenntnis von der exakten Zusammensetzung der ARGE als Rahmenvereinbarungspartnerin erhalten, was zu den Antragsänderungen geführt habe.

30       Das BVwG hat die Zurückweisung der Anträge der Revisionswerberin nicht mit deren Verfristung begründet. Dementsprechend enthält der angefochtene Beschluss auch keine Feststellungen zum Zeitpunkt, zu dem die Revisionswerberin Kenntnis vom Abschluss bzw. der Verlängerung der Rahmenvereinbarung hatte oder haben musste. Ebenso wenig finden sich Feststellungen dazu, ob eine wesentliche Änderung vorliegt und die Verlängerung daher (möglicherweise) nicht mehr auf die zunächst bekannt gemachte Rahmenvereinbarung gestützt werden kann. Es ist für den Verwaltungsgerichtshof daher nicht überprüfbar, ob sich die Zurückweisung der Feststellungsanträge im Hinblick auf deren Verfristung im Ergebnis als zutreffend erweist.

31       5.1. Ausgehend davon ist daher zu prüfen, ob die vom BVwG herangezogene Begründung die Zurückweisung der Feststellungsanträge zu tragen vermag. Das BVwG hat im angefochtenen Beschluss (insoweit unbestritten) festgehalten, dass die Revisionswerberin keine Feststellung gemäß § 353 Abs. 1 Z 4 BVergG 2018 (rechtswidriger Zuschlag bei der Vergabe einer Leistung aufgrund einer Rahmenvereinbarung) beantragt hat, zumal ein derartiger Zuschlag auch gar nicht behauptet wurde. Die Bekämpfung des Abschlusses einer Rahmenvereinbarung erachtete das BVwG als (dem Grunde nach) unzulässig. Eine Feststellung nach § 334 Abs. 3 Z 3 BVergG 2018 (rechtswidrige Durchführung eines Vergabeverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung) sei wiederum erst nach einer (hier nicht vorliegenden) Zuschlagserteilung möglich.

32       Demgegenüber vertritt die Revisionswerberin die Auffassung, dass der Abschluss der Rahmenvereinbarung einer Zuschlagserteilung gleichzuhalten sei und somit nach dem Abschluss einer Rahmenvereinbarung die entsprechende Feststellung (über die rechtswidrige Durchführung des Vergabeverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung) getroffen werden könne.

33       5.2. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des § 334 Abs. 3 Z 3 (Zuständigkeitsbestimmung) und des § 353 Abs. 1 Z 2 (Einleitung des Feststellungsverfahrens) BVergG 2018 sehen die Feststellung vor, ob die Durchführung eines Vergabeverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung rechtswidrig gewesen sei. Diese Zuständigkeit des BVwG besteht nach Zuschlagserteilung.

34       5.3. In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob der Abschluss einer Rahmenvereinbarung dem Grunde nach Gegenstand einer dahingehenden Feststellung sein kann.

35       Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat in seinem Urteil vom 17. Juni 2021, C-23/20, Simonsen & Weel, im Zusammenhang mit einer Rahmenvereinbarung festgehalten, dass nach Art. 2d Abs. 1 der Richtlinie 89/665 (der Art. 2d Abs. 1 der Richtlinie 92/13 entspricht) „ohne vorherige Bekanntmachung [...], ohne dass dies nach der Richtlinie 2014/24 [VergabeRL] zulässig ist, der betreffende Auftrag oder, wie im vorliegenden Fall, die Rahmenvereinbarung unwirksam ist“ (Rn. 84).

36       Vor dem Hintergrund der nachstehenden Bestimmungen der Richtlinie 92/13 ergibt sich daraus Folgendes: Nach der Definition des Art. 1 der Richtlinie 92/13 gilt eine Rahmenvereinbarung als Auftrag. Grundsätzlich müssen nach der Richtlinie 92/13 hinsichtlich der vom Anwendungsbereich erfassten Aufträge Auftraggeberentscheidungen überprüfbar sein und (im Fall der Rechtswidrigkeit) aufgehoben werden. Allerdings kann die Zuständigkeit hinsichtlich der Auswirkungen auf den (nach der Zuschlagsentscheidung geschlossenen) Vertrag darauf beschränkt werden, Schadenersatz zuzuerkennen (Art. 2 Abs. 6 der Richtlinie 92/13). Bei Vorliegen der in Art. 2d der Richtlinie 92/13 genannten besonders schwerwiegenden Verstöße muss der Vertrag aber für unwirksam erklärt werden (wobei an die Stelle der Unwirksamkeit unter bestimmten Voraussetzungen eine alternative Sanktion wie die Verhängung einer Geldbuße treten kann). Ein die Unwirksamkeit nach sich ziehender besonders schwerwiegender Verstoß liegt nach Art. 2d Abs. 1 lit. a der Richtlinie 92/13 vor, wenn der Auftraggeber einen Auftrag - und damit auch eine Rahmenvereinbarung - ohne vorherige Bekanntmachung vergeben hat.

37       Wenn Art. 2d Abs. 1 der Richtlinie 92/13 die Unwirksamkeit auch einer Rahmenvereinbarung vorsieht, eine Unwirksamkeit (innerstaatlich: eine Nichtigerklärung des Vertrages) nach dem Konzept des BVergG 2018 aber eine entsprechende Feststellung nach § 334 Abs. 3 Z 3 bis 5 BVergG 2018 voraussetzt, dann muss aus unionsrechtlichen Gründen eine entsprechende Feststellungskompetenz bejaht werden. Da die Z 4 (Zuschlagserteilung ohne Zuschlagsentscheidung) und die Z 5 (Zuschlag aufgrund einer Rahmenvereinbarung) des § 334 Abs. 3 BVergG 2018 hier nicht in Betracht kommen, ist der „intransparente“ Abschluss einer Rahmenvereinbarung als rechtswidrige Durchführung eines Vergabeverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung im Sinn der Z 3 des § 334 Abs. 3 BVergG 2018 anzusehen.

38       Dies steht auch mit den Bestimmungen des § 31 Abs. 1 bzw. des § 203 Abs. 1 BVergG 2018 in Einklang, wonach die Rahmenvereinbarung zu den Arten der Vergabeverfahren bzw. der Verfahren zur Vergabe von Aufträgen zählt. Auch in den Erläuterungen zu § 342 BVergG 2018 (Einleitung des Verfahrens) ist davon die Rede, dass der Begriff „Vergabeverfahren“ in einem weiten Sinn zu verstehen ist und insbesondere auch Rahmenvereinbarungen umfasst (siehe RV 69 BlgNR 24. GP 196). Aus der von der Erstmitbeteiligten ins Treffen geführten Aussage in den Erläuterungen (RV 69 BlgNR 24. GP 167), wonach die Auswahl der Partei(en) der Rahmenvereinbarung nach Durchführung eines „fiktiven Vergabeverfahren“ erfolge, lässt sich nichts Gegenteiliges ableiten.

39       Der Abschluss einer Rahmenvereinbarung ohne vorherige Bekanntmachung ist daher als Durchführung eines Vergabeverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung im Sinn des § 334 Abs. 3 Z 3 bzw. des § 353 Abs. 1 Z 2 BVergG 2018 anzusehen und kann somit zum Gegenstand einer dahingehenden Feststellung gemacht werden, was - im Fall der Rechtswidrigkeit - die Nichtigerklärung der Rahmenvereinbarung nach sich zieht.

40       Im Hinblick auf die insoweit eindeutige Aussage des EuGH im zitierten Urteil in der Rs C-23/20 erübrigt sich ein Eingehen darauf, ob sich aus den - im Zuge der Beurteilung einer anderen Fragestellung (was als Maßstab für die Prüfung heranzuziehen ist, ob ein Leistungsvertrag in einer Rahmenvereinbarung Deckung findet) ergangenen - Ausführungen im hg. Erkenntnis VwGH 11.5.2017, Ra 2016/04/0048, Rn. 31, für die vorliegend maßgebliche Frage etwas Anderes ableiten ließe.

41       5.4. Von der Frage, was Gegenstand einer Feststellung sein kann, zu unterscheiden ist die Frage, wann ein derartiger Feststellungsantrag gestellt werden kann.

42       Das BVwG vertritt die Auffassung, seine Feststellungkompetenz bestehe gemäß § 334 Abs. 3 BVergG 2018 erst nach Zuschlagserteilung, wozu der Abschluss der Rahmenvereinbarung nicht zähle. Die Revisionswerberin ist demgegenüber der Ansicht, dass der Abschluss der Rahmenvereinbarung der Zuschlagserteilung gleichzuhalten sei und daher nach Abschluss der Rahmenvereinbarung der hier gegenständliche Feststellungsantrag gestellt werden könne.

43       Nach den Erläuterungen zu § 2 Z 50 BVergG 2018 (RV 69 BlgNR 24. GP 18) handelt es sich bei der Zuschlagserteilung um den Akt des Vertragsabschlusses selbst bzw. um die Auftragserteilung. Weiters ist nicht zu verkennen, dass im BVergG 2018 (genauso wie hinsichtlich der gesondert anfechtbaren Entscheidungen in § 2 Z 15 lit. a sublit. jj BVergG 2018 zwischen der Zuschlagsentscheidung und der Entscheidung, mit welchem Unternehmer die Rahmenvereinbarung abgeschlossen werden soll, differenziert wird) in verschiedenen Zusammenhängen der Abschluss der Rahmenvereinbarung neben der Zuschlagserteilung genannt wird (vgl. etwa die §§ 350 Abs. 5 und 351 Abs. 2 BVergG 2018 zur Sperrwirkung bzw. zur absoluten Nichtigkeit im Zusammenhang mit einer einstweiligen Verfügung sowie die §§ 79 Z 9 und 80 Abs. 3 BVergG 2018 zum Zeitpunkt des Vorliegens der Eignung bzw. zur Vorlage von Eignungsnachweisen; auch die in § 306 BVergG 2018 enthaltene Regelung der Unzulässigkeit der Zuschlagserteilung vor Ablauf der Stillhaltefrist wird in § 315 Abs. 2 BVergG 2018 bezogen auf den Abschluss der Rahmenvereinbarung nachvollzogen und nicht etwa bloß § 306 BVergG 2018 für anwendbar erklärt; schließlich stellt § 314 Abs. 1 Z 1 BVergG 2018 darauf ab, dass die Rahmenvereinbarung nach Durchführung eines der näher bezeichneten Verfahren ohne Zuschlagserteilung abgeschlossen wurde).

44       Zu prüfen ist aber, ob sich hinsichtlich der Zuständigkeit des BVwG in einer Konstellation wie der hier vorliegenden für die Auslegung des § 334 Abs. 3 Einleitungssatz BVergG 2018 aus unionsrechtlichen Gründen anderes ergibt.

45       Der EuGH hat zu vergaberechtlichen Nachprüfungsanträgen bereits wiederholt festgehalten, dass das von den Rechtsmittelrichtlinien verfolgte Ziel eines wirksamen und raschen gerichtlichen Rechtsschutzes es den Mitgliedstaaten nicht erlaubt, die Ausübung des Rechts auf einen Antrag auf Nachprüfung davon abhängig zu machen, dass das Vergabeverfahren formal ein bestimmtes Stadium erreicht (vgl. EuGH 24.3.2021, C-771/19, NAMA ua., Rn. 36, mwN). Zwar geht es vorliegend nicht um einen - die Aufhebung einer Auftraggeberentscheidung begehrenden - Antrag auf Nachprüfung, sondern um einen Feststellungsantrag. Allerdings sieht Art. 1 Abs. 1 vierter Unterabsatz der Richtlinie 92/13 vor, dass Entscheidungen der Auftraggeber wirksam und möglichst rasch „nach Maßgabe der Artikel 2 bis 2f dieser Richtlinie“ überprüft werden können müssen. Da dieser Verweis auch Art. 2d der Richtlinie 92/13 erfasst, ist die Zielsetzung des wirksamen und raschen Rechtsschutzes auch für die darin normierte Unwirksamkeit maßgeblich.

46       Weiters hat der EuGH festgehalten, dass es mangels einer Unionsregelung, die den Zeitpunkt festlegt, ab dem die Möglichkeit der Überprüfung eröffnet sein muss, dem nationalen Recht obliegt, die näheren Modalitäten für das Verfahren zu regeln, wobei die Grundsätze der Effektivität und der Äquivalenz zu wahren sind (vgl. EuGH 5.4.2017, C-391/15, Marina del Mediterráneo, Rn. 32). Die Möglichkeit der Unwirksamkeit (innerstaatlich: der Nichtigerklärung) einer Rahmenvereinbarung von einer Zuschlagserteilung aufgrund der Rahmenvereinbarung (und somit von einem Abruf aus der Rahmenvereinbarung) abhängig zu machen, stünde aber schon deshalb mit dem Grundsatz der Effektivität in Widerspruch, weil diesfalls eine - vom EuGH im zitierten Urteil C-23/20 geforderte - Unwirksamkeit dann unmöglich wäre, wenn es zu keinem Abruf aus der Rahmenvereinbarung kommt. Zudem kann die Effektivität des Rechtschutzes beeinträchtigt werden, wenn eine Rahmenvereinbarung nicht sofort nach ihrem Abschluss und somit vor dem ersten Abruf daraus für nichtig erklärt werden kann, weil andernfalls Verträge, die nicht rückabgewickelt werden können, nicht mehr beseitigt werden könnten. Auch die gemäß Erwägungsgrund 14 zur Richtlinie 2007/66 (RechtsmitteländerungsRL) mit der Einführung der Unwirksamkeit von Verträgen verfolgte Zielsetzung, nämlich den Wettbewerb wiederherzustellen und neue Geschäftsmöglichkeiten zu schaffen, spricht somit für die Möglichkeit der sofortigen Antragstellung nach Abschluss der Rahmenvereinbarung. Im Ergebnis muss eine Bekämpfbarkeit des Abschlusses der Rahmenvereinbarung daher ohne Verzug möglich sein.

47       Wenn § 334 Abs. 3 Z 3 BVergG 2018 - aus den in Pkt. 5.3. dargelegten Gründen - auch die Feststellung der rechtswidrigen Durchführung eines zum Abschluss einer Rahmenvereinbarung führenden Vergabeverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung erfasst, dann muss der Begriff Zuschlagserteilung im Einleitungssatz des § 334 Abs. 3 BVergG 2018 für diese Konstellationen aus den soeben dargelegten Erwägungen konsequenterweise auch den Abschluss der Rahmenvereinbarung umfassen.

48       Aus dem von der Erstmitbeteiligten insoweit ins Treffen geführten hg. Beschluss VwGH 1.2.2017, Ra 2016/04/0149, lässt sich - worauf abschließend hinzuweisen ist - nichts Gegenteiliges ableiten, weil es im vorliegenden Fall nicht um die Anknüpfung des Feststellungsverfahrens an den Vertragsschluss an sich geht, sondern um die Frage, ob der Begriff der Zuschlagserteilung in bestimmten Konstellationen dahingehend auszulegen ist, dass er den Abschluss der Rahmenvereinbarung mit umfasst.

49       5.5. Das BVwG ist somit zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Feststellungsanträge der Revisionswerberin mangels Zuständigkeit zurückzuweisen seien.

50       6. Die Spruchpunkte 1)A)I., 1)A)II. und 1)A)V. des angefochtenen Beschlusses waren daher - ebenso wie der den Antrag auf Pauschalgebührenersatz abweisende Spruchpunkt 2) - wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

51       Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 26. September 2022

Schlagworte

Auswertung in Arbeit!

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021040005.L00

Im RIS seit

21.10.2022

Zuletzt aktualisiert am

21.10.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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