TE Vwgh Erkenntnis 1996/3/28 95/20/0044

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Veröffentlicht am 28.03.1996
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hajicek, über die Beschwerde des T in U, vertreten durch seine Mutter S, diese vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 29. August 1994, Zl. 4.335.482/1-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der damals 14-jährige Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsbürger, reiste am 13. Februar 1992 zusammen mit seinen Eltern und seinen drei jüngeren Geschwistern in das Bundesgebiet ein. Aufgrund eines am 17. Februar 1992 gestellten Asylantrages wurde er am 27. Februar 1992 im Beisein seines Vaters vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich einvernommen. Nach dem Inhalt der darüber errichteten Niederschrift erklärte er u.a.:

"Soweit ich das beurteilen kann, will ich nicht mehr in den Irak, weil ich weiß, was dort mit meinem Vater gemacht wurde. Ich will daher in Österreich bleiben. Weitere Fluchtgründe siehe FrA-2195/1992 und FrA-2200/92."

Der zuletzt wiedergegebene Verweis bezog sich auf die Niederschriften mit den Eltern des Beschwerdeführers.

Mit Bescheid vom 8. April 1992 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich fest, der Beschwerdeführer sei nicht Flüchtling. Die formularmäßige Begründung enthielt keine konkrete Auseinandersetzung mit dem Fall des Beschwerdeführers.

Am 17. April 1992 erhob der Beschwerdeführer durch seine Mutter Berufung. Er führte aus, für ihn würden die gleichen Fluchtgründe gelten wie für seine Eltern und Geschwister, und gab u.a. an, seine Eltern und er seien "im Irak zum Tode verurteilt".

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 29. August 1994 wies die belangte Behörde die Berufung ab. In der Bescheidbegründung gab sie die Aussagen des Beschwerdeführers vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich bis zu der Stelle wieder, an der der Beschwerdeführer hinsichtlich "weiterer Fluchtgründe" auf die Akten FrA-2195/1992 und FrA-2200/92 verwiesen hatte. Diesen Verweis gab die belangte Behörde nicht wieder. Nach einem Satz über den Inhalt des erstinstanzlichen Bescheides, einer Darstellung des Berufungsvorbringens und allgemein gehaltenen Rechtsausführungen wandte sie sich dem Fall des Beschwerdeführers mit der Bemerkung zu, er habe keine Verfolgung aus den im § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 genannten Gründen glaubhaft machen können. Begründet wurde dies wie folgt:

"Es müssen konkrete, gegen den Asylwerber selbst gerichtete Verfolgungshandlungen glaubhaft gemacht werden (vglb. Verwaltungsgerichtshof vom 8. November 1989, 89/01/0287 bis 0291). Weder in der Niederschrift noch in Ihrem Berufungsvorbringen führen Sie solche Verfolgungshandlungen an.

Zu den angeblichen Vorfällen gegen Ihre Eltern muß erörtert werden, daß auch der Verwaltungsgerichtshof wiederholt festgestellt hat, daß in einem Verfahren nur solche Umstände Berücksichtigung finden können, die eine Person unmittelbar betreffen und daher Ereignisse gegen Ihre Familienmitglieder nicht den gewünschten Verfahrensausgang bewirken können (vglb. Verwaltungsgerichtshof vom 20. Februar 1985, 85/01/0052; vom 17. September 1986, 85/01/0150; vom 16. Dezember 1987, 87/01/0230).

Darüber hinaus muß festgestellt werden, daß die von Ihnen lediglich behauptete Bedrohung durch die Todesstrafe keinesfalls als ausreichend angesehen werden kann, da asylrelevante Geschehnisse GLAUBHAFT gemacht werden müssen. Würde es bereits genügen, wenn das Vorliegen von derartigen aus subjektiver Sicht betrachteten asylrelevanten Umständen abstrakt möglich wäre, also nicht mit Sicherheit ausgeschlossen ist, so könnte von Beweiswürdigung im eigentlichen Sinn wohl kaum gesprochen werden."

Der Rest der Bescheidbegründung bestand aus der Wiedergabe mit dem Fall des Beschwerdeführers nicht näher in Verbindung gebrachter Leitsätze aus verwaltungsgerichtlicher Judikatur.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Zur Verletzung von Verfahrensvorschriften wird im wesentlichen geltend gemacht, die belangte Behörde habe gegen § 39a AVG verstoßen, weil der Einvernahme vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (gemeint offenbar: Niederösterreich) kein Amtsdolmetscher und auch kein gerichtlich beeideter Dolmetscher beigezogen worden sei. Dem Beschwerdeführer seien aber auch die entscheidenden Fragen nicht gestellt worden. Der Beschwerdeführer habe tatsächlich geschildert, aus welchen Gründen seine Eltern verfolgt wurden, und hätte über weiteres Befragen auch schildern können, warum auch gegen ihn die Todesstrafe ausgesprochen worden sei. Zur inhaltlichen Rechtswidrigkeit wird vor allem ausgeführt, die belangte Behörde hätte der Verfolgung der Eltern des Beschwerdeführers im vorliegenden Fall nicht jede Relevanz absprechen dürfen. Hinsichtlich der Frage, inwieweit in der Verfolgung noch zwischen den einzelnen Mitgliedern der Familie des Beschwerdeführers unterschieden worden sei, sei jede Ermittlungstätigkeit unterblieben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Bei seiner Einvernahme am 27. Februar 1992 wurde der damals erst 14-jährige Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen nicht näher befragt. Die Niederschrift erschöpft sich in der Wiedergabe des Satzes, daß der Beschwerdeführer - soweit er das beurteilen könne - nicht in den Irak wolle, weil er wisse, was dort mit seinem Vater gemacht worden sei. Eine Frage danach, welche Behandlung sein Vater erlitten habe und welche Konsequenzen der Beschwerdeführer daraus für sich selbst ableite, ist der Niederschrift nicht entnehmbar. Statt dessen verweist die Niederschrift auf "WEITERE FLUCHTGRÜNDE" in den Akten der Eltern des Beschwerdeführers. Dieser Verweis läßt nicht erkennen, daß es bei den "weiteren Fluchtgründen" nicht um Verfolgungshandlungen gehen könne, die auch den Beschwerdeführer selbst betroffen hätten, oder auf die sich zumindest seine Furcht gründen konnte, im Irak verfolgt zu werden. Die belangte Behörde bedient sich auch gar nicht dieses Arguments, sondern behandelt das Problem in der Weise, daß sie den Verweis auf die "weiteren Fluchtgründe" in ihrer Darstellung des Vorbringens, das sie als unzureichend wertet, nicht wiedergibt. Richtigerweise hätte sie zu erkennen gehabt, daß das Ermittlungsverfahren mangelhaft geblieben war, weil sowohl eine ausreichende Befragung des Beschwerdeführers selbst als auch die im vorliegenden Fall gebotene Einvernahme seiner Eltern nicht nur über deren eigene, sondern auch über die Fluchtgründe des minderjährigen Beschwerdeführers unterblieben war. Gemäß § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 in der von der belangten Behörde anzuwendenden bereinigten (BGBl. 1994/610 vom 5. August 1994), aber auch schon in der davor geltenden Fassung hätte die belangte Behörde daher eine Ergänzung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen gehabt.

Die belangte Behörde irrt aber auch, wenn sie dem Beschwerdeführer - erkennbar in Reaktion auf sein Berufungsvorbringen und ohne nähere Behandlung der Fluchtgründe seiner Eltern - entgegenhält, eine Verfolgung seiner Eltern könne für ihn nicht "den gewünschten Verfahrensausgang bewirken". Inwieweit die Verfolgung von Familienmitgliedern (oder sonstiger Dritter) geeignet ist, wohlbegründete Furcht vor eigener Verfolgung auszulösen, bedarf einer konkreten Prüfung im Einzelfall, der sich die belangte Behörde nicht unterzogen hat. Im Detail ist dazu gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das Erkenntnis vom 23. Mai 1995, Zl. 94/20/0801, zu verweisen, welches die Mutter des Beschwerdeführers betraf. Die von der belangten Behörde zitierten Vorentscheidungen widersprechen diesem Erkenntnis nicht.

Durch die pauschale Annahme, auf eine Verfolgung der Eltern des minderjährigen Beschwerdeführers könne es nicht ankommen, hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid auch mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Der Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Auf eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG verzichtet werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995200044.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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