TE Vwgh Beschluss 2022/9/14 Ra 2021/20/0425

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Veröffentlicht am 14.09.2022
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E1E
E3L E19103010
41/02 Passrecht Fremdenrecht
59/04 EU - EWR

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
EURallg
12010E267 AEUV Art267
32011L0095 Status-RL Art9 Abs1 lita
32011L0095 Status-RL Art9 Abs1 litb

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Rossmeisel, den Hofrat Dr. Horvath und die Hofrätin Dr. Holzinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, in der Rechtssache der Revision der A H in W, vertreten durch Dr. Christoph Wildmoser, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Dr. Karl Lueger-Platz 5, dieser vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116/17-19, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Oktober 2021, W174 2194024-1/11E, betreffend Anerkennung als Flüchtling nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist die Kumulierung von Maßnahmen, die in einem Staat von einem faktisch die Regierungsgewalt innehabenden Akteur gesetzt, gefördert oder geduldet werden und insbesondere darin bestehen, dass Frauen

-    die Teilhabe an politischen Ämtern und politischen Entscheidungsprozessen verwehrt wird,

-    keine rechtlichen Mittel zur Verfügung gestellt werden, um Schutz vor geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt erhalten zu können,

-    allgemein der Gefahr von Zwangsverheiratungen ausgesetzt sind, obgleich solche vom faktisch die Regierungsgewalt innehabenden Akteur zwar verboten wurden, aber den Frauen gegen Zwangsverheiratungen kein effektiver Schutz gewährt wird und solche Eheschließungen zuweilen auch unter Beteiligung von faktisch mit Staatsgewalt ausgestatten Personen im Wissen, dass es sich um eine Zwangsverheiratung handelt, vorgenommen werden,

-    einer Erwerbstätigkeit nicht oder in eingeschränktem Ausmaß überwiegend nur zu Hause nachgehen dürfen,

-    der Zugang zu Gesundheitseinrichtungen erschwert wird,

-    der Zugang zu Bildung - gänzlich oder in großem Ausmaß (etwa indem Mädchen lediglich eine Grundschulausbildung zugestanden wird) - verwehrt wird,

-    sich ohne Begleitung eines (in einem bestimmten Angehörigenverhältnis stehenden) Mannes nicht in der Öffentlichkeit, allenfalls im Fall der Überschreitung einer bestimmten Entfernung zum Wohnort, aufhalten oder bewegen dürfen,

-    ihren Körper in der Öffentlichkeit vollständig zu bedecken und ihr Gesicht zu verhüllen haben,

-    keinen Sport ausüben dürfen,

im Sinn des Art. 9 Abs. 1 lit. b Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung) als so gravierend anzusehen, dass eine Frau davon in ähnlicher wie der unter lit. a des Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist?

2. Ist es für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten hinreichend, dass eine Frau von diesen Maßnahmen im Herkunftsstaat allein aufgrund ihres Geschlechts betroffen ist, oder ist für die Beurteilung, ob eine Frau von diesen - in ihrer Kumulierung zu betrachtenden - Maßnahmen im Sinn des Art. 9 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2011/95/EU betroffen ist, die Prüfung ihrer individuellen Situation erforderlich?

Begründung

1        A. Vorbemerkung

2        Der Verwaltungsgerichtshof weist auf ein weiteres, von ihm eingereichtes Ersuchen um Vorabentscheidung hin. In diesem Ersuchen vom 14. September 2022, Ra 2022/20/0028, hat der Verwaltungsgerichtshof dieselben Fragen, allerdings zu einer anderen Ausgangssituation, gestellt. Es ergeht daher die Anregung zu prüfen, ob der Gerichtshof der Europäischen Union die gemeinsame Entscheidung über beide Vorabentscheidungsersuchen für zweckmäßig und zulässig hält.

3        Es erscheint an dieser Stelle auch angebracht, auf das unter C-646/21 beim Gerichtshof der Europäischen Union anhängige Verfahren über ein Ersuchen um Vorabentscheidung hinzuweisen. In diesem Ersuchen wurden vom dort vorlegenden Gericht zwar andere Fragen gestellt. Den dort an den Gerichtshof der Europäischen Union herangetragenen Fragen nach der Asylrelevanz der Annahme einer Lebensführung durch Frauen, wie sie in westlichen Demokratien üblich, aber im Herkunftsstaat (im dortigen Fall stammen die Asylwerberinnen aus dem Irak) als verpönt angesehen wird, kann allerdings eine thematische Nähe zur hier aufgeworfenen Problematik nicht gänzlich abgesprochen werden.

4        B. Sachverhalt und bisherige Verfahren:

5        Frau A H (im Weiteren: Revisionswerberin) wurde im Jahr 1995 geboren und ist Staatsangehörige von Afghanistan. Nach ihrer Einreise in Österreich stellte sie hier am 31. August 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

6        In der Erstbefragung gab die Revisionswerberin als Grund ihrer Flucht an, dass ihr Vater drogenabhängig sei. Er habe sie verkaufen wollen, um seine Sucht zu finanzieren. Im Rahmen ihrer Vernehmung vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl führte sie dazu näher aus, ihr Vater sei ein Spieler und aggressiv gewesen. Es sei ihm finanziell schlecht gegangen. Er sei nie zu Hause gewesen. Wenn er doch nach Hause gekommen sei, habe er mit der Mutter der Revisionswerberin gestritten und jedes Mal gesagt, er werde seine Töchter verkaufen. Das hätten die Mutter und die Revisionswerberin zunächst nicht ernst genommen. Eines Tages sei allerdings „der Mulla“ gekommen und habe angekündigt, dass er die Revisionswerberin heiraten werde. Da die Mutter das nicht gewollt habe, habe „der Mulla“ dem Vater einen Tag Zeit gegeben, um mit der Mutter zu reden. Die Revisionswerberin und die Mutter hätten daraufhin beschlossen zu flüchten und seien in den Iran geflohen. Über Befragen gab die Revisionswerberin weiters an, sämtliche Gründe, die sie zum Verlassen des Heimatlandes bewogen hätten, angegeben zu haben. Den Antrag auf internationalen Schutz habe sie deswegen in Österreich gestellt, weil ihr Ehemann bereits hier lebe.

7        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag der Revisionswerberin mit Bescheid vom 26. März 2018 insoweit ab, als sie damit die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten begehrt hatte. Jedoch wurde ihr von der Behörde unter einem der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihr infolgedessen eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (diese war zunächst bis 26. März 2019 gültig und wurde später verlängert).

8        Die Behörde ging davon aus, dass die Revisionswerberin Afghanistan im Alter von etwa 13 bis 14 Jahren verlassen und in der Folge mit ihrer Mutter und ihren beiden Schwestern bis zum Jahr 2015 im Iran gelebt habe. Während eines Aufenthalts in Griechenland habe sie einen Mann traditionell geheiratet (dieser ist ebenfalls afghanischer Staatsangehöriger, ihm wurde in Österreich der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt). Das von der Revisionswerberin erstattete Vorbringen zum Fluchtgrund stufte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit näherer Begründung als unglaubwürdig ein. Die Revisionswerberin habe auch sonst nicht glaubhaft machen können, dass ihr im Heimatland asylrelevante Verfolgung drohe. Allerdings sei der Revisionswerberin subsidiärer Schutz zuzuerkennen, weil sie in Afghanistan über keinen familiären Anschluss verfüge. Aufgrund „ihrer Minderjährigkeit“ (worauf sich diese Annahme der Behörde angesichts des von der Revisionswerberin angegebenen und nicht in Zweifel gezogenen Geburtsdatums einerseits und des Datums der Erlassung des Bescheides andererseits bezieht, ist für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar) und des fehlenden familiären Netzes wäre sie als Rückkehrerin Schwierigkeiten wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Natur ausgesetzt. Es sei anzunehmen, dass sie nicht die Möglichkeit haben werde, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen und sich eine Existenzgrundlage aufzubauen. Es lebe, bis auf ihren Vater, ihre gesamte Familie in Österreich. Auch in den als ausreichend sicher einzustufenden Städten, wie etwa Kabul, Mazar-e Sharif, Herat oder Jalalabad, habe sie kein soziales Netzwerk. Es könne daher auch nicht davon ausgegangen werden, dass sie dort auf sich allein gestellt Fuß fassen und ihre existenziellen Grundbedürfnisse decken könnte. Es sei daher weder die Rückführung in die Heimatregion noch in andere Landesteile von Afghanistan in Betracht zu ziehen.

9        Die Revisionswerberin erhob gegen diesen Bescheid, soweit ihr damit der Status der Asylberechtigten versagt blieb, Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Neben der Bekämpfung der beweiswürdigenden Überlegungen des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl zu dem von der Revisionswerberin angeführten Fluchtgrund machte sie auch geltend, dass sich die Behörde nicht mit „ihrer westlichen Gesinnung bzw. grundrechtsgeprägten Gesinnung“ befasst habe.

10       Mit Schreiben vom 30. August 2021 erstattete die Revisionswerberin eine Stellungnahme an das Bundesverwaltungsgericht, in der sie ergänzend geltend machte, es seien nunmehr jene Informationen zur Situation in Afghanistan, die bisher zur Verfügung gestanden seien, „größtenteils durch die jüngste Machtübernahme durch die Taliban in Afghanistan als überholt einzustufen“. Nach der Machtübernahme der Taliban habe sich die Gefahr asylrelevanter Verfolgung von Personen, die den bekannten Risikoprofilen entsprächen, dramatisch erhöht. Auch die Gefahr von Gruppenverfolgung, beispielsweise von Frauen oder Angehörigen der ethnischen Gruppe der Hazara, habe sich massiv intensiviert.

11       Vor dem Hintergrund der aktuellen Berichte sowie „der Berichte aus der letzten Talibanherrschaft“, seien „die medienwirksamen Statements der Taliban, mittlerweile gemäßigtere Standpunkte zu vertreten, als eine reine Medienstrategie einzuordnen“. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Taliban tatsächlich von ihrer extremen Auslegung der Scharia abrücken würden. Aufgrund der Erfahrungen in der Vergangenheit sei damit zu rechnen, dass die Taliban - möglicherweise nach anfänglich vorgegebener Entspannung - ihr Schreckensregime mit den bekannten Menschenrechtsverletzungen, insbesondere gegen Frauen und Hazara, wieder aufnehmen und weiter ausbauen würden. Aus der jüngsten Kurzinformation der österreichischen Staatendokumentation gehe hervor, dass an der Spitze der Miliz jene Männer stünden, die in den vergangenen Jahrzehnten für Terrorangriffe und Gräueltaten im Namen des Islam verantwortlich gemacht worden seien; dementsprechend könne nicht von einer ernstgemeinten Mäßigung der Taliban ausgegangen werden.

12       In einem von ACCORD (Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation) erstellten Themendossier vom 16. August 2021 werde ausgeführt, dass „AktivistInnen sich besorgt“ über die Lage der Frauen in Afghanistan geäußert hätten, nachdem berichtet worden sei, dass die Taliban in einigen Teilen des Landes bereits Änderungen in Bezug auf die Kleidung der Frauen und ihre Arbeitsmöglichkeiten durchgesetzt hätten. Einer Kommission zufolge hätten die Taliban, nachdem sie Bezirke eingenommen gehabt hätten, in mehreren Provinzen die Grundrechte und Grundfreiheiten der Bevölkerung, insbesondere jene von Frauen, wie etwa den Zugang zu Gesundheits- und Bildungsdienstleistungen, eingeschränkt. Während ihrer (gemeint: früheren) Herrschaft in Afghanistan hätten die Taliban Frauen gezwungen, sich von Kopf bis Fuß zu verhüllen, ihnen verboten, außerhalb des Hauses zu arbeiten, die Bildung (gemeint: den Zugang zu Bildung) von Mädchen stark eingeschränkt und verlangt, dass Frauen von einem männlichen Verwandten begleitet werden müssten, wenn sie ihr Haus verlassen. Obwohl die Taliban wiederholt behauptet hätten, ihre „berüchtigte“ Strenge nicht wieder einführen zu wollen, seien nach Auskunft „der BewohnerInnen“ nun viele dieser Maßnahmen wieder in Kraft.

13       Weiters gehe aus einer Kurzinformation der Staatendokumentation vom 18. August 2021 hervor, dass nunmehr Frauen und Mädchen zu den am meisten gefährdeten Gruppen gehörten. Schon in der letzten Regierungszeit der Taliban von 1996 bis 2001 hätten in Afghanistan extreme patriarchale Strukturen, Misshandlungen, Zwangsverheiratungen sowie strukturelle Gewalt und Hinrichtungen von Frauen geherrscht. Die Angst vor einer Wiederkehr dieser Gräueltaten sei groß. Kaufleute hätten bereits eifrig in Afghanistans Hauptstadt Kabul dafür gesorgt, Plakate, die unverschleierte Frauen zeigten, aus ihren Schaufenstern zu entfernen oder zu übermalen. Damit offenbare sich ein Sinnbild des Gehorsams und der Furcht vor dem Terror der Taliban.

14       Aus aktuellen Medienberichten gehe zudem hervor, dass die Taliban Frauen zwingen würden, ihre Kämpfer zu heiraten, und damit eine Form von sexueller Gewalt ausübten. Weiteren Berichten zufolge sei eine Frau getötet worden, weil sie den Taliban nicht gehorcht habe, ihre weiblichen Pflichten zu erledigen, weil es ihr nicht möglich gewesen sei, für eine große Anzahl an Kämpfern Essen zuzubereiten. Eine weitere Frau sei getötet worden, weil sie keine Burka getragen habe. Auch sei durch die Taliban mittlerweile verlautbart worden, dass arbeitende Frauen zu Hause bleiben müssten. Die Versprechungen, dass dies nur eine vorübergehende Maßnahme sei, hätten Experten als PR-Offensive eingestuft. So habe etwa Brian Castner von Amnesty International bereits festgehalten, dass es keinerlei Anzeichen gebe, dass die Taliban diese Versprechungen tatsächlich einhalten werden würden. Ähnliche Behauptungen, wonach Einschränkungen von Frauen nur vorübergehender Natur wären, seien bereits im Rahmen der letzten (bis zum Jahr 2001 dauernden) Talibanherrschaft getätigt worden; jedoch ohne dass damals „bekanntermaßen“ jemals eine Änderung der Situation der Frauen eingetreten wäre.

15       Allein schon der Umstand, dass die Revisionswerberin eine afghanische Frau sei, müsse somit zur Gewährung von Asyl führen.

16       Das Bundesverwaltungsgericht wies die von der Revisionswerberin erhobene Beschwerde mit Erkenntnis vom 5. Oktober 2021 gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet ab. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

17       Das Bundesverwaltungsgericht stufte - wie zuvor die Behörde - die Angaben der Revisionswerberin zu einer ihr drohenden, vom Vater veranlassten Zwangsverheiratung als unglaubwürdig ein. Weiters ging das Verwaltungsgericht anhand der in seiner Entscheidung dargelegten Lebensumstände der Revisionswerberin und der von ihr in Österreich gepflogenen Lebensweise davon aus, die Revisionswerberin habe sich keine „westliche Lebensführung“ angeeignet, die zu einem solch wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden sei, dass von ihr nicht erwartet werden könne, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen oder religiösen Normen zu entgehen. Zudem prüfte das Bundesverwaltungsgericht, ob der Revisionswerberin allein deswegen, weil sie Angehörige der Volksgruppe der Hazara sei, eine Verfolgung im Herkunftsstaat drohe, was es verneinte. Allerdings setzte sich das Verwaltungsgericht nicht mit dem oben wiedergegebenen Vorbringen auseinander, wonach die allgemeine Situation für Frauen seit der (neuerlichen) Machtübernahme durch die Taliban in Afghanistan so gelagert sei, dass der Revisionswerberin, weil es sich bei ihr um eine Frau handle, allein schon deswegen der Status der Asylberechtigten zuerkannt werden müsste.

18       Gegen diese Entscheidung wurde von der Revisionswerberin die hier gegenständliche Revision erhoben, die vom Bundesverwaltungsgericht samt den Verfahrensakten dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt wurde. Vom Verwaltungsgerichtshof wurde das Vorverfahren eingeleitet. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

19       C. Maßgebliche Bestimmungen des Unionsrechts:

20       Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung); im Weiteren: Statusrichtlinie:

„...

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1) ...

...

(13) Die Angleichung der Rechtsvorschriften über die Zuerkennung und den Inhalt der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes sollte dazu beitragen, die Sekundärmigration von Personen, die internationalen Schutz beantragt haben, zwischen Mitgliedstaaten einzudämmen, soweit sie ausschließlich auf unterschiedlichen Rechtsvorschriften beruht.

...

(16) Diese Richtlinie achtet die Grundrechte und befolgt insbesondere die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannten Grundsätze. Sie zielt insbesondere darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung der Menschenwürde und des Asylrechts für Asylsuchende und die sie begleitenden Familienangehörigen sicherzustellen sowie die Anwendung der Artikel 1, 7, 11, 14, 15, 16, 18, 21, 24, 34 und 35 der Charta zu fördern, und sollte daher entsprechend umgesetzt werden.

(17) In Bezug auf die Behandlung von Personen, die unter diese Richtlinie fallen, sind die Mitgliedstaaten an ihre Verpflichtungen aus den völkerrechtlichen Instrumenten gebunden, denen sie beigetreten sind, einschließlich insbesondere derjenigen, nach denen eine Diskriminierung verboten ist.

...

(29) Eine der Voraussetzungen für die Flüchtlingseigenschaft im Sinne von Artikel 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention ist das Bestehen eines Kausalzusammenhangs zwischen den Gründen der Verfolgung, nämlich Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, und den Verfolgungshandlungen oder dem fehlenden Schutz vor solchen Handlungen.

(30) Es ist ebenso notwendig, einen gemeinsamen Ansatz für den Verfolgungsgrund ‚Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe‘ zu entwickeln. Bei der Definition einer bestimmten sozialen Gruppe sind die Aspekte im Zusammenhang mit dem Geschlecht des Antragstellers, einschließlich seiner geschlechtlichen Identität und sexuellen Orientierung, die mit bestimmten Rechtstraditionen und Bräuchen im Zusammenhang stehen können, wie z. B. Genitalverstümmelungen, Zwangssterilisationen oder erzwungene Schwangerschaftsabbrüche, angemessen zu berücksichtigen, soweit sie in Verbindung mit der begründeten Furcht des Antragstellers vor Verfolgung stehen.

...

(35) Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes allgemein ausgesetzt sind, stellen für sich genommen normalerweise keine individuelle Bedrohung dar, die als ernsthafter Schaden zu beurteilen wäre.

...

Artikel 4

Prüfung der Tatsachen und Umstände

(1) ...

...

(3) Die Anträge auf internationalen Schutz sind individuell zu prüfen, wobei Folgendes zu berücksichtigen ist:

a)   alle mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind, einschließlich der Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Herkunftslandes und der Weise, in der sie angewandt werden;

b)   ...

c)   die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers, einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, um bewerten zu können, ob in Anbetracht seiner persönlichen Umstände die Handlungen, denen er ausgesetzt war oder ausgesetzt sein könnte, einer Verfolgung oder einem sonstigen ernsthaften Schaden gleichzusetzen sind;

d)   ...

...

...

Artikel 5

Aus Nachfluchtgründen entstehender Bedarf an internationalem Schutz

(1) Die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, kann auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Antragsteller das Herkunftsland verlassen hat.

...

Artikel 6

Akteure, von denen die Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden ausgehen kann

Die Verfolgung bzw. der ernsthafte Schaden kann ausgehen von

a)   dem Staat;

b)   Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen;

c)   nichtstaatlichen Akteuren, sofern die unter den Buchstaben a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden im Sinne des Artikels 7 zu bieten.

...

Artikel 9

Verfolgungshandlungen

(1) Um als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention zu gelten, muss eine Handlung

a)   aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sein, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten keine Abweichung zulässig ist, oder

b)   in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Buchstabe a beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne von Absatz 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

a)   Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,

b)   gesetzliche, administrative, polizeiliche und/oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,

c)   unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,

d)   Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,

e)   Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des Artikels 12 Absatz 2 fallen, und

f)   Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Gemäß Artikel 2 Buchstabe d muss eine Verknüpfung zwischen den in Artikel 10 genannten Gründen und den in Absatz 1 des vorliegenden Artikels als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen bestehen.

Artikel 10

Verfolgungsgründe

(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe berücksichtigen die Mitgliedstaaten Folgendes:

a)   Der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;

b)   der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;

c)   der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;

d)   eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn

—    die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und

—    die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.

Je nach den Gegebenheiten im Herkunftsland kann als eine bestimmte soziale Gruppe auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet. Als sexuelle Orientierung dürfen keine Handlungen verstanden werden, die nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten als strafbar gelten. Geschlechtsbezogene Aspekte, einschließlich der geschlechtlichen Identität, werden zum Zweck der Bestimmung der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der Ermittlung eines Merkmals einer solchen Gruppe angemessen berücksichtigt;

e)   unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Antragsteller in einer Angelegenheit, die die in Artikel 6 genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob der Antragsteller aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob der Antragsteller tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

...

Artikel 13

Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft

Die Mitgliedstaaten erkennen einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen, der die Voraussetzungen der Kapitel II und III erfüllt, die Flüchtlingseigenschaft zu.

...“

21       D. Maßgebliche Bestimmungen des nationalen Rechts:

22       Asylgesetz 2005 (AsylG 2005):

„Begriffsbestimmungen

§ 2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist

1.   ...

...

11.  Verfolgung: jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Statusrichtlinie;

12.  ein Verfolgungsgrund: ein in Art. 10 Statusrichtlinie genannter Grund;

...

...

Status des Asylberechtigten

§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

...

(5) Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.“

23       E. Erläuterung zu den Vorlagefragen:

24       Vorbemerkung

25       Die Revisionswerberin wiederholt in der von ihr erhobenen Revision das bereits im vorangegangenen Verfahren erstattete - oben wiedergegebene - Vorbringen, wonach ihr als Frau bereits allein aufgrund der in Afghanistan nunmehr nach der Machtübernahme durch die Taliban herrschenden allgemeinen Situation in Bezug auf die Lage der Frauen der Status der Asylberechtigten hätte zuerkannt werden müssen. Ihr drohe „schon alleine aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen asylrelevante Verfolgung“. Sie macht mithin geltend, es komme für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten nicht darauf an, wie ihre aktuelle Lebensweise gestaltet sei. Dass das Bundesverwaltungsgericht meine, sie führe keinen „westlich orientierten“ Lebensstil, sei somit nicht entscheidend.

26       Damit beruft sich die Revisionswerberin - in nach § 3 Abs. 2 AsylG 2005 und Art. 5 Abs. 1 Statusrichtlinie zulässiger Weise - auf eine Verfolgung, die auf Ereignissen beruht, die eingetreten sind, nachdem sie ihren Herkunftsstaat verlassen hatte (objektiver Nachfluchtgrund).

27       Sie verweist in diesem Zusammenhang - soweit für das Vorabentscheidungsersuchen von Interesse - darauf, dass sich das Bundesverwaltungsgericht mit ihrem Vorbringen, dass ihr allein schon wegen der durch die Taliban erfolgten Machtübernahme in Afghanistan und der infolgedessen jetzt dort herrschenden und von ihr geschilderten Verhältnisse, der Status der Asylberechtigten zuerkannt werden müsse, nicht näher befasst habe.

28       Dass dies im vorliegenden Fall zutrifft, stellt sich anhand des Inhalts der angefochtenen Entscheidung zwar als evident dar. Jedoch macht sie damit nach den nationalen Rechtsvorschriften einen Verstoß gegen Verfahrensvorschriften geltend, der im Revisionsverfahren nur dann zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führt, wenn das Verwaltungsgericht bei Einhaltung der verletzten Verfahrensvorschriften zu einem anderen Erkenntnis oder Beschluss hätte kommen können (§ 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG); der Fehler muss also Relevanz für das Ergebnis des Verfahrens zeitigen. Das ist aber insbesondere dann nicht der Fall, wenn schon aus rechtlichen Gründen der behauptete Rechtsanspruch aus dem Vorbringen nicht abgeleitet werden kann.

29       Vor dem Hintergrund, dass die Revisionswerberin im vorliegenden Fall mit ihrem Begehren auf Aufhebung der angefochtenen Entscheidung nur dann durchdringen könnte, wenn ihr Vorbringen überhaupt geeignet wäre, den fraglichen Rechtsanspruch zu begründen, stellen sich die Antworten auf die im Rahmen dieses Vorabentscheidungsersuchen für die Entscheidung des Revisionsfalls als wesentlich und nicht bloß theoretischer Natur dar. Es wäre nämlich dem Bundesverwaltungsgericht die Ergänzung seiner Entscheidung in einem von ihm fortzusetzenden Verfahren dann nicht vom Verwaltungsgerichtshof aufzutragen, wenn das Vorbringen der Revisionswerberin, wonach die von ihr geschilderten Umstände zur Zuerkennung des Status der Asylberechtigten führen müssten, aus rechtlichen Gründen zu verwerfen wäre.

30       Zu den Fragen

31       Die Revisionswerberin verweist zum einen auf jene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, die zur Situation von Frauen in Afghanistan unter der früheren Herrschaft der Taliban ergangen ist, bevor die hier maßgeblichen Vorschriften zur Regelung asylrechtlicher Belange im Gemeinschaftsrecht und (später) Unionsrecht erlassen wurden. Zum anderen vertritt die Revisionswerberin die Ansicht, auch nach den nunmehrigen unionsrechtlichen Vorschriften, im Besonderen aufgrund des Art. 9 Abs. 1 lit. b Statusrichtlinie, sei eine solche Sichtweise, wie sie in der früheren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Ausdruck gebracht wurde, aufgrund der Vielzahl der schwerwiegenden Verletzungen gegen die (auch) Frauen zustehenden grundlegenden Menschenrechte geboten. Anhand der zahlreichen Länderberichte über die derzeitigen Lebensverhältnisse afghanischer Frauen bestehe kein Zweifel, dass das darin beschriebene strukturelle Vorgehen der Taliban gegen diese Personengruppe, das von vielfältigen Diskriminierungen, drastischen Bewegungseinschränkungen und de facto dem Ausschluss aus der Öffentlichkeit gepaart mit drakonischen und willkürlichen Strafen bei Zuwiderhandeln bis hin zu sexueller Gewalt in Form von Zwangsverheiratungen und Tötung reiche, ein Ausmaß erreiche, das mit jenem im Taliban-Regime der 1990er Jahre gleichzusetzen sei. Die Kumulierung dieser vielfältigen und fundamentale Menschenrechte verletzenden Maßnahmen gegen Frauen in Afghanistan verunmögliche es Frauen im Allgemeinen, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Es sei daher anhand der Länderberichte von einer Gruppenverfolgung von Frauen in Afghanistan alleine aufgrund ihres Geschlechts auszugehen.

32       Im - zur unter der früheren Herrschaft der Taliban gegebenen Lage in Afghanistan ergangenen - Erkenntnis vom 16. April 2002, 99/20/0483, wurde vom Verwaltungsgerichtshof (unter anderem) wörtlich Folgendes ausgeführt (die Hinweise auf die referenzierte Judikatur und Literatur sowie die Nummerierung wurden zur besseren Lesbarkeit entfernt):

„Die belangte Behörde hat in Bezug auf die von ihr festgestellten Maßnahmen der Taliban gegenüber Frauen auch nicht die Ansicht vertreten, es fehle an einem Zusammenhang mit einem Konventionsgrund. Einer solchen Ansicht könnte nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht beigetreten werden. Richteten sich die zu erörternden Maßnahmen der Taliban gegen die Frauen insgesamt oder gegen bestimmte Gruppen der weiblichen Bevölkerung, so war dies (abgesehen von der im Fall der Beschwerdeführerin auch in Betracht zu ziehenden früheren Parteimitgliedschaft und von politischen Komponenten einer nach Ansicht der belangten Behörde im vorliegenden Fall nicht zu erwartenden Verfolgung wegen Widersetzlichkeit; vgl. [...]) unter dem Gesichtspunkt der drohenden Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe zu würdigen (vgl. [...]).

Die belangte Behörde hat allerdings gemeint, sich auf Grund des Vorbringens der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Maßnahmen der Taliban gegen Frauen nur mit der ‚Beeinträchtigung der freien Berufsausübung‘ beschäftigen zu müssen, und davon ausgehend - unter Hinweis auf Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Asylgesetzen - die asylrelevante Intensität der Benachteiligungen verneint. Im Ergebnis scheint die belangte Behörde die Auffassung zu vertreten, es sei der Beschwerdeführerin aus asylrechtlicher Sicht zuzumuten, ihr restliches Leben - abgesehen von Ausgängen in Begleitung eines Angehörigen männlichen Geschlechtes - zu Hause und ohne Ausübung des von ihr erlernten oder eines anderen Berufes zu verbringen. In der Gegenschrift wird ausgeführt, die Beschwerdeführerin übersehe offenbar, dass sie ihren Antrag ‚vornehmlich auf - asylrelevante Intensität nicht erreichende - wirtschaftliche Gründe gestützt‘ habe.

Dem ist entgegenzuhalten, dass die Beschwerdeführerin im Verfahren vor der belangten Behörde u.a. vorgebracht hat, in Afghanistan sei ihr unter den Taliban kein ‚menschenwürdiges Leben‘ möglich. Die Behandlung dieses Argumentes erforderte die Bedachtnahme auf die Gesamtheit der von der belangten Behörde festgestellten, bei der Entscheidung über den Asylantrag aber auch ohne besonderen Hinweis der Beschwerdeführerin zu berücksichtigenden Maßnahmen der Taliban gegen Frauen. Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass die Bezugnahme der belangten Behörde auf eine ‚Beeinträchtigung‘ der ‚freien‘ Berufsausübung dem Sachverhalt, ausgehend von den nur bezweifelten Angaben der Beschwerdeführerin und den allgemein bekannten Fakten, auch unter dem isolierten Gesichtspunkt der vom Taliban-Regime geschaffenen Arbeitsbedingungen für Frauen nicht gerecht wird und das diesbezügliche Vorgehen der Taliban mit den in der Vorjudikatur beurteilten Fällen nicht vergleichbar ist. Die Beschwerdeführerin hat das von ihr geltend gemachte Verbot einer Berufsausübung auch nicht als ‚wirtschaftlichen‘ Nachteil, sondern als Verbot einer sinnvollen, ihrer Persönlichkeit und Ausbildung entsprechenden Lebensgestaltung ins Treffen geführt.

Betrachtet man die von der belangten Behörde festgestellten Eingriffe der Taliban in die Lebensbedingungen der afghanischen Frauen in ihrer Gesamtheit, so kann aber kein Zweifel bestehen, dass hier einer der Fälle vorliegt, in denen eine Summe von Vorschriften gegen eine bestimmte Bevölkerungsgruppe in Verbindung mit der Art ihrer Durchsetzung von insgesamt so extremer Natur ist, dass die Diskriminierung das Ausmaß einer Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention erreicht. In dieser Hinsicht ist abgesehen von anderen bizarren Aspekten des von den Taliban errichteten - und in der Praxis als Grundlage für willkürliche Gewaltanwendung benützten - Regelwerks vor allem auf die systematische Behinderung der medizinischen Versorgung hinzuweisen, die zumindest im Umkreis der zuvor auch der weiblichen Bevölkerung zugänglichen Einrichtungen eine unmittelbare Bedrohung des Lebens bedeutete. Schon das Fehlen der auch nur den Mindestanforderungen der Menschlichkeit entsprechenden Ausnahmen von den verordneten Regeln in Bezug auf den jederzeit möglichen Bedarf nach einer ärztlichen Behandlung kennzeichnet den Verfolgungscharakter dieser Form von Repression. Der zusätzlichen Betroffenheit etwa infolge fehlender Mittel zum Unterhalt oder durch das Fehlen männlicher Angehöriger, um sich ‚ausführen‘ lassen zu können oder Lebensmittel ins Haus zu bringen, bedarf es dazu nicht mehr. Erreichen die diskriminierenden Regeln selbst die asylrechtlich erforderliche Verfolgungsintensität, so kommt es auch auf zusätzliche Unverhältnismäßigkeiten im Falle des Zuwiderhandelns und mithin darauf, ob vom konkret betroffenen Asylwerber ein Zuwiderhandeln zu erwarten wäre, nicht an (vgl. [...]).“

33       Dies bedeutet letztlich - was an dieser Stelle nochmals hervorgehoben werden soll - dass es nach dieser Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Gewährung von Asyl hinreichend war, dass die betreffende Person allein aufgrund ihrer Eigenschaft als Frau von den fraglichen Maßnahmen betroffen war. Wie oben wiedergegeben, kam es, wenn die diskriminierenden Regeln im Herkunftsstaat selbst die asylrechtlich erforderliche Verfolgungsintensität erreichten, auf zusätzliche Unverhältnismäßigkeiten im Fall des Zuwiderhandelns und auch darauf, ob von der konkret betroffenen Asylwerberin ein Zuwiderhandeln zu erwarten war, nicht an.

34       Diese Rechtsprechungslinie wurde in jüngerer Zeit vom Verwaltungsgerichtshof - in erster Linie im Hinblick auf die nach dem (Ende des Jahres 2001 erfolgten) Sturz der Taliban geänderten Verhältnisse in Afghanistan - nicht weiter verfolgt.

35       Der Verwaltungsgerichtshof hat aber in seiner (neueren) Rechtsprechung festgehalten, dass Frauen Asyl beanspruchen können, die aufgrund eines gelebten „westlich orientierten Lebensstils“ bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden. Gemeint ist damit eine von ihnen angenommene Lebensweise, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Voraussetzung ist, dass diese Lebensführung zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Frauen geworden ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass diese Verfolgung vom Heimatstaat ausgeht. Auch eine private Verfolgung kann insoweit maßgeblich sein, als der Heimatstaat nicht gewillt oder in der Lage ist, Schutz vor solcher Verfolgung zu gewähren.

36       Nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthalts in Österreich, die im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mehr aufrechterhalten werden könnte, führt jedoch dazu, dass der Asylwerberin deshalb internationaler Schutz gewährt werden muss. Entscheidend ist vielmehr eine grundlegende und auch entsprechend verfestigte Änderung der Lebensführung der Asylwerberin, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist, und die bei Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht gelebt werden könnte (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 26.11.2021, Ra 2020/18/0050 bis 0052, mwN).

37       In einem solchen Fall bedarf es daher einer Prüfung der Umstände des Einzelfalles auf Basis konkreter Feststellungen zur aktuellen Lebensweise der Asylwerberin und - unter Heranziehung aktueller Länderberichte - zu den erwartenden Reaktionen im Heimatland auf die von ihr weiterhin angestrebte Lebensweise, um das Vorliegen eines Konventionsgrundes beurteilen zu können (vgl. etwa VwGH 22.3.2017, Ra 2016/18/0388).

38       Nicht zuletzt mit Blick auch darauf hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 21. Februar 2022, Ra 2021/01/0330, 0331, ausgeführt, wenn die dort revisionswerbenden Parteien die frühere „Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 16.4.2002, 99/20/0483) zur Lage der Frauen in Afghanistan in den von Taliban beherrschten Regionen“ ins Treffen führten, sei darauf hinzuweisen, „dass diese Rechtsprechung zu einer anderen Sach- und Rechtslage (aus Mai 1999) ergangen“ sei.

39       Auch wenn in der Entscheidung vom 21. Februar 2022 dazu - erkennbar mangels Notwendigkeit im dortigen Fall - keine weiteren Ausführungen getätigt wurden, ist doch evident, dass sich die aktuell geltenden Normen des nationalen Asylrechts nunmehr als in das unionsrechtlich vorgegebene Gefüge eingebettet präsentieren. Demgegenüber enthielt das Gemeinschaftsrecht (später: Unionsrecht) zu jener Zeit, auf die sich das Erkenntnis vom 16. April 2002, 99/20/0483, bezogen hatte, für die Mitgliedstaaten noch keine verbindlichen Vorgaben, wie sie dann (erstmals) mit der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 und später mit der Richtlinie 2011/95/EU vom 13. Dezember 2011 geschaffen wurden.

40       Nach § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, dass glaubhaft ist, dass dem Fremden im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

41       Als Verfolgung gilt gemäß § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005 jede Verfolgungshandlung im Sinn des Art. 9 Statusrichtlinie.

42       In Art. 4 Abs. 3 Statusrichtlinie wird festgelegt, dass Anträge auf internationalen Schutz individuell zu prüfen sind.

43       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 20.7.2022, Ra 2022/01/0187; 17.2.2022, Ra 2021/20/0400; 8.11.2021, Ra 2021/19/0226, jeweils mwN).

44       Im vorliegenden Zusammenhang ist weiters darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Gefahr der Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nicht nur ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden kann. Sie kann auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende Gruppenverfolgung, hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (vgl. etwa VwGH 12.3.2021, Ra 2020/19/0315, mwN).

45       Der Verwaltungsgerichtshof erachtet nun die hier in Rede stehenden unionsrechtlichen Vorgaben nicht als derart bestimmt, dass zweifelsfrei gesagt werden könnte, ob die von der Revisionswerberin geltend gemachte und in der Vorlagefrage 1. beschriebene Situation dazu führe, dass die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 1 lit. b Statusrichtlinie als erfüllt anzusehen wären. Diese Situation kann anhand der einschlägigen Berichtslage zudem nicht als bloß theoretisch denkbar eingestuft werden (vgl. zur Beschreibung der seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan herrschenden Verhältnisse in Bezug auf die Situation von Frauen etwa die Länderinformation der Staatendokumentation - Afghanistan [Version 8] des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation; den vom deutschen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Referat für Länderanalysen, herausgegebenen Länderreport 48 Afghanistan, Die Situation von Frauen, 1996 - 2022; weiters Asylagentur der Europäischen Union - EUAA [European Union Agency for Asylum], Country Guidance: Afghanistan; EUAA, Afghanistan - Targeting of Individuals, Country of Origin Information Report, August 2022; UNAMA HRS [United Nations Assistance Mission in Afghanistan’s Human Rights Service], Human Rights in Afghanistan 15. August 2021 - 15 June 2022; SIGAR [Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction], Quaterly Report to the United States Congress - Jul 2022; Amnesty International, Death in Slow Motion - Women and Girls under Taliban Rule).

46       Art. 9 Abs. 1 lit. b Statusrichtlinie spricht davon, dass die Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, so gravierend sein muss, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Art. 9 Abs. 1 lit. a dieser Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist.

47       Nach Art. 9 Abs. 1 lit. a Statusrichtlinie muss eine Handlung aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sein, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist.

48       Bei den in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Rechten handelt sich um jene nach Art. 2 - Recht auf Leben (nach Art. 15 Abs. 2: außer bei Todesfällen, die auf rechtmäßige Kriegshandlungen zurückzuführen sind), Art. 3 - Verbot der Folter, Art. 4 Abs. 1 (Verbot der Sklaverei und der Leibeigenschaft) und Art. 7 - Keine Strafe ohne Gesetz.

49       Die in Frage 1. genannten Maßnahmen scheinen nicht ohne Weiteres, jedenfalls nicht zur Gänze, unter diese Bestimmungen zu fallen. Es könnte nun argumentiert werden, dass solche Maßnahmen zwar zu einer zu missbilligenden Situation von Frauen in jenen Staaten führen, die sie derartigen Einschränkungen unterwerfen. Dennoch könnten die Maßnahmen - auch in ihrer Gesamtheit - als nicht von solcher Schwere anzusehen sein, um sie auf eine Stufe mit der Verletzung insbesondere der in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten grundlegenden Rechte zu stellen. Zur Vermeidung von Missverständnissen ist an dieser Stelle hervorzuheben, dass es - wie die Revisionswerberin betont und wie in der oben erwähnten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur früheren Herrschaft der Taliban entschieden worden war - bei dieser Betrachtung um die Maßnahmen und die durch deren Anordnung oder Billigung in einem Herkunftsstaat geschaffene Situation an sich geht, ohne dass von der konkret betroffenen Asylwerberin ein Zuwiderhandeln erwartet werden müsste und von ihr zusätzliche Unverhältnismäßigkeiten im Fall des Zuwiderhandelns zu gewärtigen wären.

50       Gleichwohl dürfte es nach Art. 9 Abs. 1 lit. a Statusrichtlinie nicht zwingend erforderlich sein, die Maßnahmen auf eine Stufe mit der Verletzung der in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Rechte zu stellen, weil die Nennung der in Art. 15 Abs. 2 EMRK enthaltenen Rechte in Art. 9 Abs. 1 lit. a Statusrichtlinie nur beispielsweise erfolgt (arg.: „insbesondere“).

51       Es könnte sohin andererseits auch die Ansicht vertreten werden, dass die Situation, die durch die Kumulierung der in Frage 1. erwähnten Maßnahmen entsteht, die im Besonderen zu eminenten Einschränkungen anderer als in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannter Grundrechte führen, durchaus derart wesentliche Auswirkungen auf das Leben der betroffenen Frauen hat, sodass sie in ihrer Gesamtheit im Sinn des Art. 9 Abs. 1 lit. a Statusrichtlinie, auf den die lit. b des Art. 9 Abs. 1 verweist, als eine so gravierende Beeinträchtigung der Lebenssituation von Frauen anzusehen ist, dass von einer schwerwiegenden Verletzung der grundlegenden Menschenrechte zu sprechen wäre. Die durch die Kumul

Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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