TE Vwgh Erkenntnis 1996/3/28 95/20/0127

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Veröffentlicht am 28.03.1996
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hajicek, über die Beschwerde der M, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. Jänner 1995, Zl. 4.345.544/1-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. Jänner 1995 wurde die Berufung der Beschwerdeführerin, einer Staatsangehörigen des Irak, die am 27. Oktober 1994 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 28. Oktober 1994 den Asylantrag gestellt hat, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 6. Dezember 1994 abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hatte anläßlich ihrer niederschriftlichen Einvernahme am 28. Oktober 1994 im wesentlichen angegeben:

Sie sei kurdischer Abstammung, moslemischen Glaubens und verwitwet. In ihrer Begleitung befänden sich ihre beiden Töchter. Eine weitere Tochter sei seit vier Jahren in Österreich. Ein Sohn sei seit etwa eineinhalb Jahren in Österreich.

Ihr Gatte sei im Jahre 1988 bei einem Giftgasangriff ums Leben gekommen. Sie sei mit ihrer Familie im Jahr 1991 im Zuge des Kurdenaufstandes im Norden des Irak in Richtung Iran geflüchtet und nach etwa zwei Monaten nach Kirkuk zurückgekehrt. Dort habe sie sich bis zu ihrer nunmehrigen Flucht vor 20 Tagen aufgehalten. Es sei vor drei Monaten ein Gesetz erlassen worden, wonach jungen Kurden, welche den Militärdienst nicht ableisten und nicht bei der Baath-Partei mitwirken, die Ohren abzuschneiden und sie mit einem Brandmal auf der Stirn zu versehen seien. Im Oktober 1994 seien etwa fünf Personen des irakischen Sicherheitsdienstes zur Beschwerdeführerin nach Hause gekommen und hätten ihre beiden Söhne gesucht. Diese hätten in der Zeit, als die Sicherheitsbeamten mit der Beschwerdeführerin gesprochen hätten, flüchten können. Da die Beamten die Söhne der Beschwerdeführerin nicht angetroffen hätten, sei die Beschwerdeführerin aufgefordert worden, ihre Söhne zur Rückkehr zu bewegen. Nach drei Tagen seien diese Beamten abermals zu ihr gekommen und hätten sie neuerlich aufgefordert, ihre Söhne "aufzutreiben". Die Beschwerdeführerin habe um drei weitere Tage Zeit gebeten und sei in dieser Zeit geflüchtet, weil man ihr gedroht habe, sie und ihre Töchter anstatt der Söhne zu bestrafen. Sie habe Angst gehabt, vergewaltigt zu werden, da dies im Irak im Zuge von Verhaftungen von Frauen üblich sei. Es sei ihr bekannt, daß man auch die Schwester einer Nachbarin ausgezogen habe, um deren Gatten zu einem Geständnis zu bewegen.

Die Söhne der Beschwerdeführerin hätten noch keine Einberufungsbefehle erhalten, seien jedoch geflüchtet, da man sie beschuldigt habe, regimefeindliche Plakate an Hauswänden befestigt zu haben. Die zuvor genannte, den Wehrdienstverweigerern drohende Strafe gelte auch für einen Fall der gegen ihre Söhne erhobenen Anschuldigung.

Es sei ihr Haus, insbesondere das Zimmer ihrer Söhne, auch nach "etwas Verbotenem" durchsucht worden, jedoch habe man nichts gefunden.

Die Beschwerdeführerin ergänzte, daß bereits 1982 zwei ihrer Söhne vom irakischen Regime hingerichtet worden seien.

Sie habe sich entschlossen, gemeinsam mit ihren beiden Töchtern das Land zu verlassen, da sie Angst vor den irakischen Behörden gehabt habe. Deshalb habe sie vor etwa 15 Tagen Kirkuk verlassen, sei mit einem Bus nach Mosul und von dort mit einem Taxi nach Zakho gefahren. In Zakho sei sie etwa drei bis vier Tage verblieben. Von dort sei sie zusammen mit ihren Töchtern unter Zuhilfenahme eines Schleppers für 6000 US-Dollar durch mehrere Staaten nach Österreich gebracht worden. Auf die Frage, warum sie nicht in der Sicherheitszone des Nordirak geblieben sei, gab die Beschwerdeführerin an, daß im Nordirak die verschiedenen Parteien gegeneinander kämpften, weshalb sie dort nicht sicher gewesen sei. Dies vor allem deshalb, da sie nicht Mitglied einer der dortigen Parteien sei, weshalb sie alle Parteien zu fürchten gehabt habe.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag ab, wobei es unter anderem darauf hinwies, daß sich die Beschwerdeführerin vor ihrer Ausreise aus dem Irak in der UN-Schutzzone im Norden des Landes aufgehalten habe. Daher sei ihr eine taugliche innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung gestanden, weil Verfolgung oder Verfolgungsgefahr im gesamten Land bestanden haben oder bestehen müsse.

In der dagegen erhobenen Berufung bekämpft die Beschwerdeführerin in erster Linie die Annahme einer Sicherheit vor Verfolgung in der Türkei, Bulgarien, Rumänien und Ungarn (Anmerkung: das Bundesasylamt hatte nur "Verfolgungssicherheit" in UNGARN angenommen). In zweiter Linie wendet sich die Beschwerdeführerin in der Berufung gegen die Ausführungen des Bundesasylamtes betreffend der Würdigung ihrer Angaben im Zuge der ersten Suche nach ihren Söhnen.

Die Berufung enthält keine Ausführungen gegen die Annahme der innerstaatlichen Fluchtalternative in der UN-Schutzzone im Norden des Irak.

Im Zuge des Berufungsverfahrens legte die Beschwerdeführerin eine am 6. Jänner 1995 in Wien ausgestellte Bestätigung der patriotischen Union Kurdistans (P.U.K.) über ihre seit 1980 andauernde Mitgliedschaft vor. In der Bestätigung wird weiters ausgeführt, daß die Beschwerdeführerin durch ihre politische Aktivität und die ihrer Familie oftmals vom irakischen Geheimdienst verhaftet und gefoltert worden sei, weshalb sie mit ihrer Familie 1982 die Stadt Kirkuk verlassen habe. 1982 seien auch ihre beiden Söhne durch den irakischen Geheimdienst hingerichtet worden. 1988 sei ihr Gatte bei der irakischen Offensive gegen die kurdische Bevölkerung spurlos verschwunden.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid begründete die belangte Behörde ihre abweisende Entscheidung unter anderem auch damit, daß die Beschwerdeführerin während ihres Aufenthaltes im Nordirak sicher vor einer bloß angenommenen zukünftigen Verfolgung gewesen sei, da im März 1991 von den Alliierten des Golfkrieges nördlich des 36. Breitengrades eine Sicherheitszone eingerichtet worden sei. Das dortige Gebiet der Kurden sei bis heute autonom und die Gefahr einer individuellen Verfolgung durch irakische Behörden daher ausgeschlossen. Es sei bis dato lediglich zu einigen wenigen Verletzungen der Sicherheitszone im Grenzbereich des 36. Breitengrades gekommen. Die Beschwerdeführerin habe daher in der autonomen Zone des Nordirak keinerlei asylrelevante Verfolgung zu befürchten gehabt. Denn die Verfolgung (bzw. Furcht davor) müsse im gesamten Gebiet des Heimatstaates des Asylwerbers bestanden haben. Dies könne aber im Fall der Beschwerdeführerin nicht zutreffen, auch wenn sie angegeben habe, daß sie alle kurdischen Parteien zu fürchten gehabt habe, da sie keiner dieser Parteien angehöre und diese auch gegeneinander gekämpft hätten. Diese Behauptung der Beschwerdeführerin beinhalte keine konkrete, gegen sie gerichtete Verfolgungshandlung. Die vorgelegte Bestätigung sei einerseits nur als "Gefälligkeitsbestätigung" zu werten, andererseits bewirke sie sogar das Gegenteil des von der Beschwerdeführerin angestrebten Zweckes zur Glaubhaftmachung ihres Vorbringens. Denn die in dieser "Bestätigung" angeführte Mitgliedschaft bei der P.U.K., einer der größten kurdischen Parteien, stehe ihren erstinstanzlichen Angaben entgegen, daß sie keiner der kurdischen Parteien des Nordirak angehöre und deshalb alle Parteien zu fürchten habe.

Die Beschwerdeführerin bringt in der Beschwerde dagegen vor, daß es auch in dieser Zone zu willkürlichen Verhaftungen komme, und es keinen staatlichen gewährleisteten Schutz der Person gebe, sondern daß die Kämpfe rivalisierender Parteien eine zusätzliche Gefährdung für Nichtmitglieder dieser Parteien darstellten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zentraler Aspekt des von § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 aus Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention übernommenen Flüchtlingsbegriffes ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht im engsten Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht. Verfolgung kann auch nur dann angenommen werden, wenn sich die behaupteten, maßgeblichen Umstände auf das gesamte Gebiet seines Heimatlandes beziehen und der Asylwerber Schutz vor Verfolgung nicht in anderen Teilen seines Heimatlandes finden konnte (ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, z.B. das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 1994, Zl. 94/19/0934).

Das Vorbringen der Beschwerdeführerin richtet sich im wesentlichen darauf, glaubhaft zu machen, daß ihr Verfolgung durch die IRAKISCHEN BEHÖRDEN drohte, und sich dies insbesondere daraus ergebe, daß sie Kurdin sei. Ausgehend von diesem Vorbringen kann dem Schluß der belangten Behörde, allgemein gehaltenes Vorbringen betreffend die Furcht vor untereinander kämpfenden Parteien im Nordirak sei als nicht ausreichend zu erachten, nicht mit Erfolg entgegengetreten werden.

Auf die in der Beschwerde neu vorgebrachte Tatsachenbehauptung, es komme auch im Nordirak zu willkürlichen Verhaftungen, ist angesichts des im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbotes nicht einzugehen.

Damit kann der Annahme der belangten Behörde, der Beschwerdeführerin habe im Nordirak keine Verfolgung aus asylrechtlich relevanten Gründen gedroht, nicht mit Erfolg entgegengetreten werden. Da die belangte Behörde bereits die bereinigte Rechtslage angewendet hat, geht der abschließende Hinweis der Beschwerdeführerin auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Juli 1994, G 92, 93/94, ins Leere. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, auf die weiteren von der belangten Behörde zur Begründung ihrer abweisenden Entscheidung ausgeführten Erwägungen und die hiegegen gemachten Beschwerdeausführungen einzugehen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995200127.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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