TE Vwgh Erkenntnis 2022/9/14 Ra 2022/20/0184

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Veröffentlicht am 14.09.2022
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Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Rossmeisel, den Hofrat Dr. Horvath und die Hofrätin Dr. Holzinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Mai 2022, W222 2254762-1/2E, betreffend Anerkennung als Flüchtling nach dem AsylG 2005 (Mitbeteiligte: S M in W, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Für die im April 2021 in Österreich geborene Mitbeteiligte, eine Staatsangehörige von Somalia, wurde am 25. Mai 2021 ein Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) gestellt.

2        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 30. März 2022 hinsichtlich des Begehrens auf Zuerkennung des Status der Asylberechtigen gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ab. Allerdings wurde der Mitbeteiligten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihr eine für die Dauer von zwei Jahren gültige Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 erteilt.

3        Die Behörde ging - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - davon aus, dass nicht habe glaubhaft gemacht werden können, dass der Mitbeteiligten im Herkunftsstaat asylrechtlich relevante Verfolgung drohe. Ihren Eltern - diese sind ebenfalls somalische Staatsangehörige - sei der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden. Es sei daher der - im Zeitpunkt der Entscheidung der Behörde etwa ein Jahr alten - Mitbeteiligten nach § 34 Abs. 3 AsylG 2005 derselbe Status zuzuerkennen und infolgedessen auch die für subsidiär Schutzberechtigte nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 vorgesehene befristete Aufenthaltsberechtigung - gemäß § 8 Abs. 5 AsylG 2005 mit derselben Gültigkeit wie den Eltern - zu erteilen.

4        Der gegen die Versagung der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten erhobenen Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht, das von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen hatte, mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis stattgegeben und der Mitbeteiligten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt sowie gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 festgestellt, dass ihr damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5        In seiner Begründung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, der minderjährigen Schwester der Mitbeteiligten sei mit mündlich verkündetem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. April 2022 der Status der Asylberechtigten zuerkannt worden. Daher sei auch der Mitbeteiligten gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen.

6        Die Erhebung einer Revision sei - so das Bundesverwaltungsgericht abschließend - nicht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (zu den hier maßgeblichen Vorschriften) nicht fehle, diese Rechtsprechung nicht als uneinheitlich anzusehen sei und die Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht abweiche. Es lägen auch sonst keine Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

7        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erhobene Revision, die vom Bundesverwaltungsgericht samt den Verfahrensakten dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt wurde. Der Verwaltungsgerichtshof hat das Vorverfahren eingeleitet. Die Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.

8        Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:

9        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl macht zur Zulässigkeit der Revision - unter Hinweis auf näher zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - geltend, aus der für die Beurteilung nach § 34 AsylG 2005 maßgeblichen Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 des Familienangehörigen ergebe sich, dass davon „Geschwisterteile, wie im gegenständlichen Fall die Schwester“, nicht erfasst seien. Das Bundesverwaltungsgericht hätte daher im vorliegenden Fall für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten § 34 Abs. 2 AsylG 2005 nicht heranziehen dürfen.

10       Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet.

11       § 2, § 3 und § 34 AsylG 2005 lauten (auszugsweise und samt Überschrift):

„Begriffsbestimmungen

§ 2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist

1.   ...

...

22.  Familienangehöriger:

a.   der Elternteil eines minderjährigen Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten;

b.   der Ehegatte oder eingetragene Partner eines Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten, sofern die Ehe oder eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise bestanden hat;

c.   ein zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten und

d.   der gesetzliche Vertreter eines minderjährigen ledigen Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten sowie ein zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind, für das einem Asylwerber, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten die gesetzliche Vertretung zukommt, sofern die gesetzliche Vertretung jeweils bereits vor der Einreise bestanden hat.

23.  ...

...

Status des Asylberechtigten

§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

...

(5) Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

...

Familienverfahren im Inland

§ 34.

(1) Stellt ein Familienangehöriger von

1.   einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;

2.   einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder

3.   einem Asylwerber

einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn

1.   dieser nicht straffällig geworden ist und

3.   gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).

(3) ...

(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

(6) ...“

12       Zunächst ist festzuhalten, dass sich das Bundesverwaltungsgericht mit dem Vorbringen der Mitbeteiligten, weshalb sie im Heimatland asylrechtlich relevante Verfolgung befürchte, nicht befasst hat, weil es davon ausgegangen ist, es sei ihr bereits aufgrund der Vorschriften des § 34 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen.

13       Eine solche Vorgangsweise steht an sich mit dem Gesetz im Einklang. Das Gesetz differenziert nämlich beim Status des Asylberechtigten nicht. Weder kennt das Gesetz einen „originären“ Status des Asylberechtigten, noch spricht das Gesetz in § 34 Abs. 4 AsylG 2005 davon, dass im Familienverfahren ein anderer, nur „abgeleiteter“ Status zuzuerkennen wäre. Ist einem Familienangehörigen - aus welchen Gründen auch immer - ohnedies der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, so kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, er habe darüber hinaus vorgesehen, dass auch in diesem Fall eigene Fluchtgründe zu prüfen wären (vgl. VwGH 30.4.2018, Ra 2017/01/0418).

14       Bei der Beurteilung, ob der Mitbeteiligten aufgrund der Bestimmungen des § 34 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen ist, ist dem Bundesverwaltungsgericht aber ein maßgeblicher Fehler unterlaufen.

15       Der in § 34 AsylG 2005 verwendete Begriff des Familienangehörigen ist - anders als etwa bei der Anwendung des § 35 AsylG 2005, der in seinem Abs. 5 festlegt, wer nach dieser Bestimmung als Familienangehöriger anzusehen ist - im Sinn der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 zu verstehen (vgl. VwGH 24.10.2018, Ra 2018/14/0040 bis 0044; 17.5.2022, Ra 2021/19/0209).

16       Keine der in § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 angeführten Konstellationen erfasst - anders als das Bundesverwaltungsgericht meint - das Verhältnis eines Fremden zu seinen Geschwistern (vgl. nochmals VwGH Ra 2018/14/0040 bis 0044).

17       Ist aber die Mitbeteiligte in Bezug auf ihre Schwester nicht als Familienangehörige im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 anzusehen, kommt die Anwendung der Bestimmungen des § 34 AsylG 2005 auf die Mitbeteiligte bezogen auf dieses Verwandtschaftsverhältnis nicht in Betracht. Es stellt sich daher als rechtswidrig dar, wenn das Bundesverwaltungsgericht aufgrund dessen, dass der Schwester der Mitbeteiligten der Status der Asylberechtigten zuerkannt wurde, auch der Mitbeteiligten unter Anwendung des § 34 AsylG 2005 diesen Status zuerkannt hat.

18       Wenn in der Revisionsbeantwortung vorgebracht wird, es könnte die Mutter der Mitbeteiligten „Asylschutz“ abgeleitet von der Schwester der Mitbeteiligten erhalten, sodass dann wiederum die Mitbeteiligte abgeleitet von ihrer Mutter den Status der Asylberechtigten zuerkannt bekommen könnte, so wird damit auf künftig möglicherweise eintretende Ereignisse abgestellt. Das hat aber im Revisionsverfahren keine Beachtung zu finden (§ 41 VwGG). Dass der Mutter der Mitbeteiligten im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bereits der Status der Asylberechtigten zuerkannt gewesen wäre, wurde vom Bundesverwaltungsgericht nicht festgestellt (und in der Revisionsbeantwortung auch nicht behauptet).

19       Auch das weitere Vorbringen in der Revisionsbeantwortung, der Mitbeteiligten sei vom Bundesverwaltungsgericht zu Recht „Asylschutz“ zuerkannt worden, weil sie im Herkunftsstaat asylrelevante Verfolgung zu befürchten habe, führt nicht zum von der Mitbeteiligten angestrebten Ergebnis. Das Verwaltungsgericht, das rechtsirrig davon ausgegangen ist, der Mitbeteiligten sei bereits aufgrund des § 34 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen, hat nämlich infolgedessen jenes Vorbringen, wonach die Mitbeteiligte im Heimatland asylrechtlich relevanter Verfolgung unterliege, gänzlich ungeprüft gelassen (und im Besonderen auch keine sich auf dieses Thema beziehende Feststellungen getroffen).

20       Nach dem Gesagten hat das Bundesverwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb es aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

21       Bei diesem Ergebnis war der Mitbeteiligten gemäß § 47 Abs. 3 VwGG kein Aufwandersatz für die Erstattung der Revisionsbeantwortung zuzusprechen.

Wien, am 14. September 2022

Schlagworte

Auswertung in Arbeit!

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022200184.L00

Im RIS seit

17.10.2022

Zuletzt aktualisiert am

17.10.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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