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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des K in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 23. Jänner 1995, Zl. 4.314.033/11-III/13/94, betreffend Asylgwährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.740,-- binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, reiste am 23. Februar 1991 in das Bundesgebiet ein und stellte am 1. März 1991 den Antrag, ihm Asyl zu gewähren. Anläßlich seiner niederschriftlichen Befragung durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien am 13. April 1991 gab er im wesentlichen an, er sei Angehöriger der Volksgruppe der Sikhs, habe sich jedoch nie politisch betätigt und habe auch keiner politischen Organisation angehört. Sein Heimatdorf liege jedoch an der Grenze zum Punjab, wo Terroristen der Sikhs beheimatet seien, die des öfteren über die Grenze und dabei auch auf die Felder der elterlichen Landwirtschaft gekommen seien, nachdem sie terroristische Akte gesetzt hätten. Sein Bruder habe ein oder zwei dieser Terroristen von der Schule her gekannt, er selbst niemanden davon. Er sei durch die Anwesenheit der Terroristen in ein Dilemma geraten, weil er nur die Wahl gehabt habe, entweder den Terroristen zu helfen und dadurch Probleme mit der Polizei zu bekommen oder die Hilfe zu verweigern und dadurch Maßnahmen der Terroristen zu provozieren. Sein Bruder sei vor einem Jahr (vor seiner Flucht) von der Polizei verhaftet worden und seither spurlos verschwunden. Im Dezember 1990 habe die Polizei auch von ihm Informationen über die Terroristen verlangt und für den Fall deren Verweigerung gedroht, auch er würde - wie sein Bruder - "verschwinden". Er habe jedoch keine Informationen geliefert, sondern es vorgezogen, seine Heimat zu verlassen. Er sei überzeugt, die Terroristen nähmen nunmehr an, er habe der Polizei gegenüber Angaben über sie gemacht, weshalb er sich nunmehr von zwei Seiten bedroht fühle. Da auch seine Eltern die Drohungen der Polizei ernst genommen hätten, hätten sie ihm als dem nunmehr einzigen Sohn und Stammhalter die Ausreise ermöglicht.
Mit dem Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 22. April 1991 wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Zuerkennung seiner Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle.
In seiner fristgerecht dagegen erhobenen Berufung bekräftigte der Beschwerdeführer im wesentlichen seine in erster Instanz gemachten Angaben, machte im übrigen Begründungsmängel des erstinstanzlichen Bescheides geltend sowie Zweifel an der Sorgfalt des beigezogenen Dolmetsch, der Hindu gewesen sei, wobei es der Behörde hätte auffallen müssen, daß Sikhs in seiner Heimat von Hindus verfolgt würden. Der Beschwerdeführer ergänzte im übrigen sein Vorbringen dahingehend, die Terroristen hätten mit Gewalt und Morddrohungen die Felder und den umliegenden Wald seiner Familie verbrannt. Seine Familie sei wohlhabend gewesen, daher könne ihm niemand vorwerfen, Wirtschaftsflüchtling zu sein.
Mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 20. Februar 1992 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst eine an den Verfassungsgerichtshof gerichtete, von diesem nach Ablehnung ihrer Behandlung an den Verwaltungsgerichtshof abgetretene Beschwerde, infolge deren der bekämpfte Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften durch den Verwaltungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis vom 17. Juni 1993, Zl. 92/01/0987, aufgehoben wurde.
Ohne Durchführung eines ergänzenden Ermittlungsverfahrens erließ die belangte Behörde den nunmehr angefochtenen Bescheid, den sie im wesentlichen wie jenen vom 20. Februar 1992, lediglich unter Weglassung einiger Textpassagen und Hinzufügung folgender neuer Ausführungen begründete:
"Aus Ihrer Aussage geht eindeutig hervor, daß die Intention der Polizei dahin gezielt hatte, von Ihnen INFORMATIONEN über die Terroristen ZU ERHALTEN und erfolgten die damit im Zusammenhang stehenden Drohungen, um an ein bei Ihnen - nach den Vermutungen der ermittelnden Behörden - vorhandenes SONDERWISSEN zu gelangen. Dieses allenfalls vorhandene Sonderwissen haben Sie jedoch nicht durch Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, auf Grund ihrer politischen Überzeugung oder Tätigkeit oder vor allem durch Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Sikhs erworben, sondern allein dadurch, daß ihr Heimatdorf, insbesondere die Landwirtschaft ihrer Eltern, zufällig in einem Gebiet lag, das von Terroristen im Zuge ihrer Aktivitäten als Rückzugsgebiet - da sie angaben, die Terroristen seien immer nach vollbrachten terroristischen Akten auf ihren Feldern aufgetaucht - genutzt wurde. Ihre Behandlung wäre somit gleich gewesen, wenn sie selbst nicht Angehöriger der Sikhs gewesen wären, sondern einer anderen Volksgruppe oder einem anderen Religionsbekenntnis zugehörig und als solcher dasselbe Wissen um die Aktivitäten der Terroristen gehabt hätten, wobei sie dieses Wissen nicht einmal aus ihren (politischen) Überzeugungen heraus, sondern aus Furcht vor den Terroristen, der Polizei vorenthalten haben. Daß die Polizei im Zusammenhang mit terroristischen Akten ermittelt und in diesem Zusammenhang trachtet, an in der Bevölkerung vorhandene Informationen heranzukommen, ist aber als Motiv zu betrachten, das mit jedem rechtsstaatskonformen Vorgehen von Behörden vereinbar ist und stellt kein von der Genfer Flüchtlingskonvention inkriminiertes staatliches Handeln dar, sodaß die ihnen gegenüber geäußerten Drohungen (durch das "Verschwindenlassen" ihres Bruders) sich nicht als illegitime Verfolgungshandlungen im Sinne der zitierten Konvention darstellen und somit nicht zur Gewährung von Asyl führen können."
Im übrigen meinte die belangte Behörde auf das in der Berufung angeregte weitere Beweisverfahren verzichten zu können, weil die erkennende Behörde ohnedies vollinhaltlich von den Angaben des Beschwerdeführers ausgegangen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, zunächst an den Verfassungsgerichtshof gerichtete, von diesem nach Ablehnung deren Behandlung abgetretene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Vorweg ist festzustellen, daß die belangte Behörde zutreffend das Asylgesetz 1991 angewendet hat, da infolge Aufhebung durch das hg. Vorerkenntnis 92/01/0987 das Berufungsverfahren gemäß § 42 Abs. 3 VwGG wieder in jenen Stand zurücktrat, in dem es sich vor Erlassung des angefochtenen Bescheides befunden hatte. Nach Aufhebung eines Bescheides durch den Verwaltungsgerichtshof hat daher die Behörde anläßlich der Fortführung und des neuerlichen Abschlusses des Verfahrens eine inzwischen eingetretene Änderung des Sachverhaltes ebenso wie eine inzwischen eingetretene Änderung der Rechtslage - wie hier - zu berücksichtigen (vgl. hg. Erkenntnisse vom 11. Juli 1951, Slg. Nr. 2197/A, und vom 15. Jänner 1986, Zl. 85/13/0186, u.a.). Da somit das Verfahren vor der belangten Behörde zum Stichzeitpunkt 1. Juni 1992 (Inkrafttreten des Asylgesetzes 1991) anhängig war, war sie gemäß § 25 Abs. 2 leg. cit. verpflichtet, dieses Bundesgesetz auch materiell anzuwenden.
Der Beschwerdeführer macht auch in seiner nunmehr vorliegenden Beschwerde wiederum Ermittlungs- und Begründungsfehler der belangten Behörde geltend, die er im wesentlichen - in Anlehnung an den Begründungsduktus der belangten Behörde - schon in der ersten Beschwerde (streckenweise wortgleich) geltend gemacht hat. Insbesondere rügt der Beschwerdeführer aber auch, dem vorliegenden Bescheid hafte - da es die belangte Behörde nicht einmal der Mühe wert gefunden habe, dem ergangenen Erkenntnis (des Verwaltungsgerichtshofes) Rechnung zu tragen - dieselbe Mangelhaftigkeit an wie dem im Vorverfahren aufgehobenen Bescheid. Wesentlicher Begründungsteil des aufhebenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Juni 1993, Zl. 92/01/0987, war, daß aufgrund der Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur Religionsgemeinschaft der Sikhs er damit rechnen mußte, daß ihm im Falle der Weigerung zur Mitarbeit mit den polizeilichen Behörden die Zusammenarbeit mit den Terroristen unterstellt würde, was nicht bedeuten würde, daß darauf beruhende Maßnahmen ("wie sein Bruder zu verschwinden") gegen ihn der Charakter einer Verfolgung aus Konventionsgründen (insbesondere aus dem der politischen Gesinnung) jedenfalls genommen wäre. Davon könnte nur gesprochen werden, wenn die Durchführung eines Strafverfahrens nach rechtsstaatlichen Gründen gewährleistet wäre. Darüber bzw. über die tatsächlichen Verhältnisse im Heimatland des Beschwerdeführers hat die belangte Behörde vor Erlassung des erstangefochtenen Bescheides keine entsprechenden Erhebungsergebnisse gepflogen. Allein durch Weglassung einzelner Passagen der Begründung des zuvor bekämpften Bescheides der belangten Behörde ändert sich an der mangelhaften Entscheidungsgrundlage nichts. Die belangte Behörde hätte im Sinne des Vorerkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes im Rahmen einer Gesamtschau der herrschenden Verhältnisse bezogen auf die konkrete Situation des Beschwerdeführers ein ergänzendes Ermittlungsverfahren durchzuführen gehabt. Geradezu zynisch erscheint die Bemerkung der belangten Behörde, auch die Drohung der polizeilichen Organe des Heimatlandes des Beschwerdeführers, ihn wie seinen Bruder verschwinden zu lassen, stelle kein von der Genfer Flüchtlingskonvention inkriminiertes staatliches Handeln BZW. AUCH KEINE ILLEGITIME VERFOLGUNGSHANDLUNG IM SINNE der zitierten Konvention dar, sodaß sie nicht zur Gewährung von Asyl führen könne.
Die belangte Behörde wird daher vor neuerlicher Entscheidung ein ergänzendes Ermittlungsverfahren im aufgezeigten Sinne durchzuführen haben.
Aus diesem Grunde war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995200245.X00Im RIS seit
20.11.2000