TE Vwgh Erkenntnis 1996/4/18 95/20/0114

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Veröffentlicht am 18.04.1996
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des W in G, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 16. Dezember 1994, Zl. 4.344.729/2-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 16. Dezember 1994 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen des Irak, der am 26. Juni 1994 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 27. Juni 1994 den Asylantrag gestellt hat, gegen den den Asylantrag abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 11. Juli 1994 abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hatte anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme am 27. Juni 1994 zu seinen Fluchtgründen im wesentlichen angegeben:

Er sei chaldäisch-katholischen Glaubens und Angehöriger der arabischen Volksgruppe. Bis zum Ausbruch des iranisch-irakischen Krieges Ende 1980 habe er nie Schwierigkeiten mit den irakischen Behörden gehabt. Im Jahr 1981 sei sein Haus und Geschäft in Basra im Zuge der Kampfhandlungen beschädigt worden. 1983 sei seine Familie nach Bagdad übersiedelt und er habe ab diesem Jahr bis 1988 seinen Militärdienst geleistet. Als Christ sei er während seiner Dienstzeit allgemein benachteiligt worden. Er habe immer, wenn er dringend einen Urlaub benötigte, die dienstführenden Beamten bestechen müssen. Sämtliche Benachteiligungen hätten alle Christen in der Armee betroffen. 1989 habe er in Bagdad ein Geschäft für Autoersatzteile eröffnet. Er habe legal neue als auch gebrauchte Ersatzteile verkaufen und teilweise selbst Ersatzteile importieren dürfen. Sein Geschäft habe innerhalb kurzer Zeit floriert. Von Zeit zu Zeit seien Beamte gekommen und hätten kostenlos Ware von ihm beziehen wollen. Er sei den Beamten sehr oft entgegengekommen, als die Begehren jedoch immer umfangreicher geworden seien und dies für die Firma nicht mehr tragbar gewesen sei, habe er des öfteren abgelehnt und keine Ersatzteile mehr ausgefolgt. Aufgrund dieser Ablehnungen seien dann Geheimdienstbeamte erschienen, die die Geschäftsräumlichkeiten durchsucht hätten, um festzustellen, ob die Autoteile offiziell gekauft und legal importiert worden seien. Im August 1991 habe er bei einer neuerlichen Kontrolle die Nerven verloren und die Beamten über ihre Vorgangsweise zur Rede gestellt. Darauf hätten diese auf ihn eingeschlagen, er sei nicht verletzt worden, lediglich seine Brille sei beschädigt worden. Die Beamten hätten behauptet, daß er Ersatzteile illegal beschafft habe. Er sei festgenommen und nach der Einvernahme in einem Raum mit ungefähr 500 Häftlingen bis zum nächsten Tag festgehalten worden. Bei einem anschließenden Verhör habe man ihm vorgeworfen, daß er den Geheimdienstbeamten nicht immer die gewünschten Ersatzteile kostenlos zur Verfügung gestellt hätte. Er sei ins Gefängnis gebracht worden. Bei schlechten Haftbedingungen sei er weder mißhandelt noch gefoltert worden. In der Folge habe er sich gegenüber dem ersten Offizier bereit erklärt, 50.000 irakische Dinar als Schmiergeld zu bezahlen und sei nach fünf Tagen aus der Haft entlassen worden. Ca. vier Monate nach dieser Inhaftierung seien beinahe wöchentlich Geheimdienstbeamte gekommen und hätten Gratisersatzteile verlangt, welche der Beschwerdeführer auch ausgefolgt habe. Im Jänner 1992 sei das Geschäft neuerlich kontrolliert worden. Die überprüfenden Organe hätten beanstandet, daß die gebrauchten Ersatzteile aus gestohlenen Autos stammten. Dies sei unwahr gewesen, dennoch sei er festgenommen worden und bei schlechten Haftbedingungen 28 Tage festgehalten, verhört, und hiebei auch geschlagen worden. Sodann sei er zu einer Geldstrafe von 25.000,-- Dinar verurteilt worden. Wegen dieses Urteils und aufgrund der Haft habe er sich sowohl körperlich als auch seelisch in einem schlechten Zustand befunden und er habe erst nach zehn Tagen wieder sein Geschäft aufgesucht. Er habe festgestellt, daß in sein Geschäft eingebrochen und ca. die Hälfte der Ware gestohlen worden sei. Da die Gegend, in der er sein Geschäft gehabt habe, sogar in der Nacht bewacht worden sei, sei er sicher, daß den Einbruch Geheimdienstbeamte und nicht gewöhnliche Kriminelle durchgeführt hätten. Es sei auch bei benachbarten Geschäftsinhabern eingebrochen worden. Drei Monate später sei sein Auto gestohlen worden. Einige Zeit danach habe er es von der Polizei zurückerhalten, es sei jedoch nicht mehr fahrtauglich gewesen, da sehr viele Teile gefehlt hätten. Ihm sei der Verdacht nahe gelegen, daß der Geheimdienst diesen Diebstahl inszeniert habe, um ihn zu ärgern. Er habe Mitte 1992 beschlossen, das Land zu verlassen. Mitte 1992 habe er sein Geschäft und auch die Reste seines Autos verkauft und von diesem Geld gelebt. Die Lebenshaltungskosten im Irak seien immer höher geworden und alle Menschen seien in ihren Rechten eingeschränkt worden. Im Mai 1993 habe er seine Frau geheiratet. Er sei die letzten beiden Jahre keinen konkreten Verfolgungshandlungen seitens der irakischen Behörden ausgesetzt gewesen. Sein Onkel, zu welchem der Beschwerdeführer auswandern wolle, sei schon seit ca. 20 Jahren in Amerika aufhältig und habe ihm, mittels eines in den USA lebenden Irakers, im April 1994 10.000 US-$ überbringen lassen. Weil er nun endlich über Geldmittel verfügt habe, habe er am 6. Mai 1994 die Reise aus seiner Heimat angetreten. Im Falle der Rückkehr in den Irak habe er mit seiner sofortigen Hinrichtung zu rechnen, da er illegal ausgereist sei.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 11. Juli 1994 ab.

In seiner Berufung brachte der Beschwerdeführer zu seiner behaupteten Flüchtlingseigenschaft ergänzend vor, daß die Vorwürfe, die man gegen ihn bis zu seiner Ausreise erhoben hätte, lediglich Vorwände gewesen seien, da er, als nicht regimetreu, zumindest suspekt gewesen sei. Es sei bekannt, daß es eine der Methoden in Unrechtsstaaten sei, Menschen wegen vermeintlich krimineller Handlungen vor Gericht zu stellen. Auch Überfälle seien als Druckmittel staatlicher Organe verwendet worden. Dies sei im Irak allgemein bekannt.

Die belangte Behörde begründete ihre abweisende Entscheidung damit, daß die allgemeinen Benachteiligungen während des Militärdienstes von 1983 bis 1988 keinen Grund für die Anerkennung als Flüchtling darstellten. Zudem sei festzuhalten, daß Umstände, die schon längere Zeit vor der Ausreise zurücklägen, im Fall des Beschwerdeführers Vorkommnisse der Militärdienstzeit bzw. seine Festnahmen in den Jahren 1991 und 1992, nicht mehr beachtlich seien, da die wohlbegründete Furcht bis zur Ausreise andauern müsse. In bezug auf die letzten beiden Jahre seines Verbleibens im Heimatland habe er konkrete Verfolgungshandlungen seitens der irakischen Behörden nicht behauptet. Außerdem beruhten die Festnahmen und Mißhandlungen lediglich auf Vorwürfen betreffend der Geschäftsgebarung des Beschwerdeführers. Der Diebstahl und die Beschädigung seines Autos sowie der Einbruch in sein Geschäft könnten nicht eindeutig dem Staat zugerechnet werden, da diese Delikte genausogut von Privaten gesetzt worden sein konnten. Solche Übergriffe seien von keinem Staat präventiv verhinderbar, somit auch nicht dem Heimatstaat als Verfolgung zurechenbar. Zur Befürchtung, daß der Beschwerdeführer bei seiner Rückkehr in seine Heimat wegen seiner illegalen Ausreise mit der Hinrichtung rechnen müsse, führt die belangte Behörde aus, daß nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Furcht wegen Übertretung paß- oder fremdenpolizeilicher oder sonstiger den Aufenthalt im Ausland regelnder Vorschriften bestraft zu werden, keinen Grund für eine Asylgewährung darstellt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Insofern der Beschwerdeführer mangelhafte Ermittlungen der belangten Behörde in bezug auf die Glaubwürdigkeit seiner Aussagen rügt, ist ihm zu entgegnen, daß die belangte Behörde seinen Angaben zu seinen Fluchtgründen die Glaubwürdigkeit ohnehin nicht versagt hat. Sollte der Beschwerdeführer damit allerdings die Glaubhaftmachung seiner Flüchtlingseigenschaft meinen, was aus seinen Angaben zur "Gruppenverfolgung" christlicher Araber im Irak (ausgeführt unter der behaupteten Rechtswidrigkeit des Inhaltes) denkbar erscheint, ist ihm zu entgegnen, daß selbst die Zugehörigkeit zu einer an sich verfolgten Gruppe nicht automatisch bedeutet, daß jedes Mitglied dieser Gruppe auch tatsächlich individuell verfolgt sein muß (vgl. zB mit den Verfolgern zusammenarbeitende und deshalb verschonte Gruppenmitglieder). Da die Behörde zu Recht davon ausgehen konnte - wie im folgenden gezeigt wird -, daß dem Beschwerdeführer keine individuell gegen ihn gerichtete asylrechtlich relevante Verfolgung drohte, erübrigte sich die Klärung der Frage, ob christliche Araber als Gruppe einer asylrechtlich relevanten Verfolgung im Irak unterliegen.

Der belangten Behörde ist zuzustimmen, daß die im Asylverfahren glaubhaft zu machende Gefahr einer Verfolgung aus einem der in § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 genannten Gründen bis zur Ausreise andauern muß und Vorgänge, die bereits längere Zeit zurückliegen, in der Regel keine ausreichende Asylrelevanz mehr aufweisen; solche Umstände können bloß zur Abrundung des Gesamtbildes bei Prüfung der Frage einer nach wie vor gegebenen begründeten Furcht vor Verfolgung herangezogen werden. Daher ist zunächst zu prüfen, inwieweit die begründete Furcht des Beschwerdeführers vor Verfolgung auch im Zeitpunkt der Flucht (Ausreise nach dem 6. Mai 1994) vorlag.

Der Beschwerdeführer behauptet für die Zeit nach der Schließung seines Geschäftes Mitte 1992 bis zu seiner Ausreise überhaupt keine Einschränkungen oder Verfolgungen durch staatliche Behörden seiner Heimat. Weder anläßlich seiner Vernehmung noch in seinen Berufungsausführungen noch auch in der Beschwerde gibt der Beschwerdeführer eine schlüssige Erklärung dafür, aus welchen Gründen ihm ein früheres Verlassen seines Heimatlandes angesichts der letzten behaupteten Verfolgungshandlung Mitte 1994 unmöglich oder unzumutbar gewesen wäre.

Angesichts des Umstandes, daß der Beschwerdeführer bereits Mitte 1992 den Entschluß gefaßt hatte, auszuwandern, und es ihm möglich war, vom Erlös des Verkaufs seines Geschäftes und seines Autos noch nahezu zwei weitere Jahre in seiner Heimat zu verbringen und in dieser Zeit sogar zu heiraten, ist sein weiterer Verbleib nicht damit erklärbar, daß er auf die vom Onkel im April 1994 gesendeten Mittel zur Ausreise hätte warten müssen. Dem Beschwerdeführer ist es somit nicht gelungen, glaubhaft zu machen, daß für ihn nach einem Zeitraum von annähernd zwei verfolgungsfreien Jahren eine wohlbegründete Furcht vor ihn individuell treffender aktueller Verfolgungsgefahr bestanden haben solle (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 28. März 1996, Zl. 95/20/0220, ua).

Auch die Vermutung des Beschwerdeführers, daß er bei weiterer selbständiger Geschäftstätigkeit neuerlich Schikanen ausgesetzt wäre, begründet seine Flüchtlingseigenschaft nicht. Denn aus der Genfer Flüchtlingskonvention ist ein Schutz der selbständigen Erwerbstätigkeit nicht abzuleiten. Eine asylrechtlich relevante Verfolgung droht nur dann, wenn die wirtschaftliche Überlebensmöglichkeit an sich durch Verfolgungshandlungen verloren geht. Dies hat der Beschwerdeführer nicht behauptet, insbesondere hat er nicht vorgebracht, an der Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit gehindert gewesen zu sein. Letztlich kann der belangten Behörde auch insofern nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, daß sie die befürchtete Hinrichtung aufgrund der illegalen Ausreise nicht als Grund für eine Asylgewährung ansah. Denn selbst die Bedrohung mit der Todesstrafe begründet keinen Anspruch auf Asylgewährung, wenn kein Zusammenhang mit Konventionsgründen besteht. Im Falle einer solchen Bedrohung (oder mit einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe) kommt bei Zutreffen der dort angeführten Voraussetzungen das Ab- und Zurückschiebungsverbot des § 37 Fremdengesetz, BGBl. Nr. 838/1992, in Betracht.

Im Ergebnis kann daher der belangten Behörde nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie davon ausging, daß unter Zugrundelegung der Darstellung des Beschwerdeführers diesem die Glaubhaftmachung begründeter Furcht vor konkret ihn betreffender AKTUELLER Verfolgung nicht gelungen sei (vgl. zum notwendigen zeitlichen Konnex aus vielen das hg. Erkenntnis vom 17. Juni 1993, Zl. 92/01/1081).

Die Beschwerde war daher bereits aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995200114.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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