TE Vwgh Beschluss 2022/8/30 Ra 2022/11/0131

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Veröffentlicht am 30.08.2022
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Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und die Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision der E S, vertreten durch Mag. Christian Fauland, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Münzgrabenstraße 92a, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 7. Juni 2022, Zlen. LVwG 40.15-5577/2022-18 und LVwG 33.15-1117/2022-38, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist und Zurückweisung einer Beschwerde iA LSD-BG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeisterin der Landeshauptstadt Graz), den Beschluss

Spruch

gefasst:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Landesverwaltungsgericht Steiermark nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung den Antrag der Revisionswerberin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (wegen Versäumung der Beschwerdefrist) gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG ab (Spruchpunkt I.) und unter einem ihre Beschwerde gegen das Straferkenntnis der belangten Behörde vom 2. Dezember 2021 wegen Übertretungen des Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetzes als verspätet zurück (Spruchpunkt II.). Das Verwaltungsgericht sprach jeweils aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

2        Das Verwaltungsgericht stellte fest, in der Kanzlei des Rechtsvertreters der Revisionswerberin werde für die Fristberechnung ein bestimmtes, in Anwaltskreisen verbreitetes EDV-Programm verwendet. Bis dato habe es dabei noch nie ein technisches Problem im Zusammenhang mit der Berechnung von Fristen gegeben.

3        Das gegenständliche Straferkenntnis sei in der Kanzlei des Rechtsvertreters am 6. Dezember 2021 zugestellt und nach näher beschriebenen Vorgaben des Rechtsvertreters diesem vorgelegt worden. Der Rechtsvertreter habe für den Fristbeginn den 6. Dezember 2021 genannt und eine bestimmte Mitarbeiterin angewiesen, die vierwöchige Beschwerdefrist in das Fristberechnungsprogramm einzugeben. Das Computerprogramm habe als absolut letzten Tag der Frist den 4. Jänner 2022 berechnet. Ausgehend davon sei gemäß den internen Vorgaben des Rechtsvertreters sowohl im analogen als auch im digitalen Kalender der 3. Jänner 2022 als vorletzter Tag der Frist eingetragen worden, wobei die Fristberechnung weder von der Mitarbeiterin noch vom Rechtsvertreter nochmals auf Richtigkeit überprüft worden sei. Die gegenständliche Beschwerde sei vom Rechtsvertreter am 3. Jänner 2022 unterfertigt und mit diesem Datum auch als „erledigt“ im analogen Kalender durchgestrichen worden. Die tatsächliche Entfertigung sowohl per E-Mail als auch im Postweg sei jedoch erst am 4. Jänner 2022 erfolgt. Die Mitarbeiterin habe im Dezember 2021 sowohl bei der Entgegennahme von Schriftstücken als auch in anderen Belangen zusätzlich zu ihrem eigenen Aufgabenbereich auch eine erkrankte Kollegin vertreten müssen.

4        Beweiswürdigend führte das Verwaltungsgericht aus, der zunächst vom Rechtsvertreter vermutete technische Fehler des EDV-Programms habe durch Recherchen sowohl bei einem IT-Experten des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung als auch beim Hersteller des EDV-Programms „mit nahezu 100-prozentiger Sicherheit“ ausgeschlossen werden können. Dieser Sichtweise habe sich letztlich auch der Rechtsvertreter in der mündlichen Verhandlung „selbst angeschlossen“. Als mögliche Ursache bleibe nur, dass sich die Mitarbeiterin beim Eingeben der Frist „vertippt“ und statt 28 Tage 29 Tage eingegeben habe oder dass sie, wie von ihr in der mündlichen Verhandlung selbst vermutet, beim nochmaligen Nachkontrollieren der Frist am Computer versehentlich mit der Maustaste den 4. Jänner 2022 angeklickt habe. Beides laufe auf ein menschliches Versehen hinaus, verursacht allenfalls durch einen Konzentrationsfehler oder Stress auf Grund der Vertretung für die erkrankte Kollegin.

5        Rechtlich führte das Verwaltungsgericht aus, der Fehler der Mitarbeiterin beim Eingeben der Frist in das EDV-Programm könne für sich genommen allenfalls noch als ein „Ereignis“ iSd. § 33 Abs. 1 VwGVG gewertet werden. Dieser Fehler sei jedoch nicht allein ursächlich für die Versäumung der Beschwerdefrist gewesen. Es habe nämlich weder durch den Rechtsvertreter der Revisionswerberin noch durch dessen Mitarbeiterin eine Kontrolle der richtigen Berechnung des Fristendes gegeben, weshalb der Fehler nicht erkannt worden sei. Der Rechtsvertreter habe nicht einmal behauptet, die Richtigkeit der Fristberechnungen stichprobenartig zu überprüfen. Auch die als „Sicherheitspolster“ gedachte Vorgabe des Rechtsvertreters, den jeweils vorletzten Tag der Frist in den analogen und digitalen Kalender einzutragen, sei nicht geeignet, einen solchen Fehler aufzudecken, weil ausgehend von einem unrichtigen letzten Tag der Frist auch der (vermeintlich) vorletzte Tag falsch sei. In der Kanzlei bestehe zwar die Vorgabe, dass fristgebundene Erledigungen am vorletzten Tag der Frist unterschriftsreif vorbereitet sein müssten, jedoch keine Vorgabe, dass diese Erledigungen auch am vorletzten Tag abgefertigt werden müssten. Bei einer solchen Vorgabe wäre es nicht zur Fristversäumung gekommen. Zusammenfassend ergebe sich, dass es in der gegenständlichen Kanzlei de facto kein Kontrollsystem gebe, welches in der Lage wäre, eine - aus welchen Gründen auch immer - zustande gekommene unrichtige Fristberechnung rechtzeitig zu erkennen.

6        Nach (näher genannter) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes seien an einen Rechtsvertreter bei fristgebundenen Prozesshandlungen „strenge Maßstäbe“ anzulegen. Diesen Maßstäben genügten die festgestellten Fehler und Kontrolldefizite nicht annähernd. Es sei daher nicht von einem nur minderen Grad des Versehens auszugehen, wobei sich die Revisionswerberin die Versäumnisse ihres Vertreters zurechnen lassen müsse.

7        Ausgehend von der Zustellung des angefochtenen Erkenntnisses am 6. Dezember 2021 habe die Beschwerdefrist am 3. Jänner 2022 geendet. Die am 4. Jänner 2022 eingebrachte Beschwerde sei daher verspätet gewesen.

8        Gegen diese Beschlüsse richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision.

9        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

10       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

11       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof ausschließlich im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12       Die Revision wendet sich zu ihrer Zulässigkeit gegen die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass ein technischer Fehler der verwendeten Kanzleisoftware „mit nahezu 100-prozentiger Sicherheit“ ausgeschlossen werden könne. Diese Feststellung stehe in Widerspruch zu einer Stellungnahme des betreffenden Software-Unternehmens, nach welcher das Fristversäumnis „wohl“ keinem Programmfehler zuzuordnen sei, ein technischer Fehler jedoch nie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen sei. Darin liege eine relevante Aktenwidrigkeit, weil infolge eines technischen Fehlers die rechtzeitige Einbringung der Beschwerde durch ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis verwehrt gewesen sei. Auch sei die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts unvertretbar, dass sich der Rechtsvertreter der Revisionswerberin in der mündlichen Verhandlung selbst der Sichtweise, es habe sich um einen Anwendungs- und nicht um einen Programmfehler gehandelt, angeschlossen habe.

13       Damit zeigt die Revision eine Rechtsfrage iSd. Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht auf:

14       Die Beurteilung, ob ein im Sinn des § 71 Abs. 1 Z 1 AVG bzw. des § 33 Abs. 1 VwGVG unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne grobes Verschulden zur Versäumnis geführt hat, also die Qualifikation des Verschuldensgrades, unterliegt - als Ergebnis einer alle maßgeblichen Umstände des Einzelfalls berücksichtigenden Abwägung - grundsätzlich der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichts. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (vgl. VwGH 11.11.2021, Ra 2019/11/0197, mwN).

15       Eine derartige Fehlbeurteilung zeigt die Revision schon deswegen nicht auf, weil das Verwaltungsgericht die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages tragend darauf stützte, dass in der Kanzlei des Rechtsvertreters der Revisionswerberin kein Kontrollsystem betreffend die Fristberechnung bestehe, welches es ermöglichen würde, einen allenfalls auftretenden Fehler zu erkennen, und dass auch im vorliegenden Fall die von der Kanzleimitarbeiterin des Rechtsanwaltes berechnete Frist von diesem nicht kontrolliert worden sei. Dem tritt die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung nicht entgegen (vgl. zur Aufsichts- und Kontrollpflicht des Rechtsanwaltes in Bezug auf Fristvormerkungen VwGH 6.10.2021, Ra 2021/02/0208, mwN).

16       Vor diesem Hintergrund kommt es aber auf die in der Revision angesprochene Frage, ob der Fehler bei der Fristberechnung durch ein Versehen der Kanzleimitarbeiterin oder durch einen Softwarefehler verursacht wurde, nicht an. Die Entscheidung über die Revision hängt daher von der zu ihrer Zulässigkeit geltend gemachten Rechtsfrage nicht ab.

17       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 30. August 2022

Schlagworte

Auswertung in Arbeit!

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022110131.L00

Im RIS seit

03.10.2022

Zuletzt aktualisiert am

03.10.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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