TE Vwgh Erkenntnis 1996/4/23 95/11/0184

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Veröffentlicht am 23.04.1996
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

AVG §58 Abs2;
AVG §68 Abs1;
KFG 1967 §66 Abs1;
KFG 1967 §66 Abs2 lite;
KFG 1967 §74 Abs1;
StVO 1960 §20 Abs2;
StVO 1960 §5 Abs1;
StVO 1960 §99 Abs1 lita;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerde des M in N, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in F, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 5. April 1995, Zl. Ib-277-83/92, betreffend vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A und B vorübergehend für die Dauer von drei Monaten, gerechnet ab der vorläufigen Abnahme des Führerscheines am 1. August 1992, entzogen.

In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe am 1. August 1992 seinen PKW in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt. Er sei deshalb wegen der Übertretung des § 5 Abs. 1 in Verbindung mit § 99 Abs. 1 lit. a StVO 1960 rechtskräftig bestraft worden. Auf Grund der Bindung an das rechtskräftige Straferkenntnis sei davon auszugehen, daß der Beschwerdeführer diese Übertretung begangen habe.

Strittig sei, ob der Beschwerdeführer dabei einen Unfall verschuldet habe. Die belangte Behörde habe dazu umfangreiche Erhebungen getätigt. Nach der Verhandlungsschrift des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg über die mündliche Verhandlung vom 16. September 1992 habe der Beschwerdeführer zugegeben, daß der Verkehrsunfall durch überhöhte Geschwindigkeit beider Unfallfahrzeuge zustandegekommen sei. Die Vernehmung der Zeugen habe keine eindeutige Klarheit gebracht, ob der Beschwerdeführer zu schnell unterwegs gewesen sei. Die Straße sei im Unfallbereich ziemlich schmal und biete keinen Platz zum Vorbeifahren von zwei PKW"s. Die belangte Behörde habe ein verkehrstechnisches Gutachten ihres Amtssachverständigen eingeholt. Dieser habe die Unfallstelle am 14. Jänner 1994 besichtigt und vermessen. Er sei dann auf Grund des von ihm erhobenen Befundes zur Anschauung gekommen, daß dem Beschwerdeführer auf Grund einer geringfügig überhöhten Geschwindigkeit zumindest ein Mitverschulden am Unfall anzulasten sei, daß jedoch auch den Unfallgegner auf Grund der Nichtbenützung der bei der Unfallstelle bestehenden Ausweichmöglichkeit ein Mitverschulden treffe. Auf Grund der Angaben des Beschwerdeführers und der von der belangten Behörde aufgenommenen Beweise ergebe sich eindeutig, daß den Beschwerdeführer durch Einhaltung einer geringfügig überhöhten Geschwindigkeit, somit durch fahrlässiges Verhalten, ein Mitverschulden am Zustandekommen des Unfalles treffe. Von der Bestimmung des § 73 Abs. 3 KFG 1967 habe daher kein Gebrauch gemacht werden können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer tritt der zutreffenden Auffassung der belangten Behörde, sie habe auf Grund der Bindung an das rechtskräftige Straferkenntnis von der Begehung einer Übertretung nach § 5 Abs. 1 in Verbindung mit § 99 Abs. 1 lit. a StVO 1960 und damit vom Vorliegen einer bestimmten Tatsache gemäß § 66 Abs. 2 lit. e KFG 1967 auszugehen, nicht entgegen. Strittig ist hingegen, ob den Beschwerdeführer an dem Unfall ein Verschulden trifft. Diese Frage, die im erstinstanzlichen Verfahren überhaupt nicht geprüft worden war und hinsichtlich welcher keine bindende Entscheidung eines Gerichtes oder einer Verwaltungsbehörde vorliegt, hatte die belangte Behörde eigenständig zu beurteilen.

Um dem Beschwerdeführer ein Verschulden an dem Unfall anzulasten, hätte es konkreter, auf einer - auch die aus objektiven Unfallspuren gezogenen fachtechnischen Schlüsse eines Verkehrssachverständigen miteinbeziehenden - nachvollziehbaren Beweiswürdigung beruhender Sachverhaltsfeststellungen über die örtlichen Gegebenheiten an der Unfallstelle (insbesondere Breite und Beschaffenheit der Fahrbahn, Sichtverhältnisse etc.) und die Fahrweise des Beschwerdeführers sowie des Unfallgegners bedurft. Weiters hätte die belangte Behörde begründen müssen, welche Geschwindigkeit den gegebenen Umständen und Verhältnissen angepaßt gewesen wäre. Erst dann hätte beurteilt werden können, ob die vom Beschwerdeführer eingehaltene Geschwindigkeit überhöht gewesen ist oder ob ihm allenfalls ein anderes Fehlverhalten anzulasten ist.

Der angefochtene Bescheid enthält keine nachvollziehbare Begründung in diesem Sinn. Die Frage, ob dem Beschwerdeführer überhöhte Geschwindigkeit vorgeworfen werden kann, ist eine von der Behörde unter Zugrundelegung der von ihr zu treffenden Sachverhaltsfestellungen zu lösende Rechtsfrage und kann nicht der Beurteilung durch den Verkehrssachverständigen überlassen werden. Ebensowenig kann sich die belangte Behörde daher auf die vom Beschwerdeführer im Verwaltungsstrafverfahren in der mündlichen Verhandlung vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Vorarlberg am 16. September 1992 geäußerte Vermutung stützen, der Unfall dürfte auf eine relativ überhöhte Geschwindigkeit beider Unfallfahrzeuge zurückzuführen sein.

Auf Grund des dargestellten Verfahrensmangels war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren an Umsatzsteuer war abzuweisen, weil diese in den in der genannten Verordnung festgesetzten Pauschalbeträgen für Schriftsatzaufwand bereits enthalten ist. An Stempelgebührenersatz konnten nur S 390,-- (S 360,-- Eingabengebühr für die Beschwerde und S 30,-- Beilagengebühr für eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides) als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig zuerkannt werden.

Schlagworte

Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel Allgemein Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde Verhältnis zu anderen Normen und Materien KFG

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995110184.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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