RS Vfgh 2022/6/23 E710/2021

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Veröffentlicht am 23.06.2022
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Index

L7400 Fremdenverkehr, Tourismus

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gerichtsakt
StGG Art2
F-VG 1948 §8 Abs5
FAG 2017 §16 Abs1
Oö TourismusG 2018 §9, §47, §54, §55, §56, §57
Oö TourismusabgabeG 1991 §2
Gebäude- und WohnungsregisterG §2 Z4
VfGG §7 Abs1
  1. VfGG § 7 heute
  2. VfGG § 7 gültig ab 22.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 16/2020
  3. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 21.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 101/2014
  4. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 92/2014
  5. VfGG § 7 gültig von 01.03.2013 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  6. VfGG § 7 gültig von 01.07.2008 bis 28.02.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  7. VfGG § 7 gültig von 01.01.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. VfGG § 7 gültig von 01.10.2002 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 123/2002
  9. VfGG § 7 gültig von 01.01.1991 bis 30.09.2002 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 329/1990
  10. VfGG § 7 gültig von 01.07.1976 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 311/1976

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Vorschreibung einer – finanzverfassungsrechtlich als Fremdenverkehrsabgabe zu qualifizierenden – Freizeitwohnungspauschale nach dem Oö TourismusG 2018; keine Ermittlungen, ob die Wohnung eine Freizeitwohnung iSd Oö TourismusG 2018 ist; keine Abgabepflicht für eine "Freizeitwohnung", die auf Grund einer länger als 26 Wochen dauernden Sanierung nicht als Freizeitwohnsitz genutzt werden kann

Rechtssatz

Hinsichtlich einer Besteuerung von Ferien- oder Freizeitwohnsitzen kann sich der Landesgesetzgeber finanzverfassungsrechtlich bei der Regelung der Abgabepflicht auf die Kompetenz zur Erhebung von Fremdenverkehrsabgaben, alternativ aber auch auf jene zur Erhebung von Zweitwohnsitzabgaben stützen (vgl E v 07.03.2022, V54/2021). Die Belastung der Ferien- und Freizeitwohnsitze im Rahmen einer Fremdenverkehrsabgabe zielt darauf ab, durch die Einbeziehung von Inhabern von Ferienwohnungen eine Gleichstellung mit den Benützern gewerblicher oder privater Unterkünfte herbeizuführen, die eine Ortstaxe zu entrichten haben. Ortstaxen und Ferien- bzw Freizeitwohnsitzabgaben sind hiebei als Abgeltung des Nutzens aus nicht gebührenfähigen Fremdenverkehrseinrichtungen zu betrachten, jedenfalls aber als Beitrag zu den fremdenverkehrsbedingten Mehrkosten der Hoheitsverwaltung. Die Belastung im Rahmen einer Zweitwohnsitzabgabe zielt demgegenüber darauf ab, die in der Innehabung einer Zweitwohnung zum Ausdruck kommende Leistungsfähigkeit zu erfassen und den Gemeinden zu ermöglichen, jene Aufwendungen abzudecken, die durch Zweitwohnsitze in Gemeinden entstehen.

Für den VfGH besteht kein Zweifel, dass die im Oö TourismusG 2018 (Oö TG 2018) geregelte Freizeitwohnungspauschale eine Fremdenverkehrsabgabe iSd §16 Abs1 Z6 FAG 2017 ist. Diese Einordnung ergibt sich aus den mit der Ortstaxe im systematischen Zusammenhang stehenden Regelungen des Steuergegenstandes und der Bemessungsgrundlage, die mit einer pauschal angenommenen Nächtigungszahl festgelegt ist, und der Anwendung des Ortstaxensatzes auf diese Nächtigungszahl. Hinzu kommt, dass das Aufkommen aus den Pauschalen auf Freizeitwohnungen in Tourismusgemeinden dem jeweiligen Tourismusverband zu übermitteln ist. Auch der Umstand, dass das Oö TG 2018 eine Abgabepflicht nicht nur für Freizeitwohnungen in Tourismusgemeinden (Ortsklasse A, B und C), sondern auch für solche in Gemeinden vorsieht, die als Gemeinden der Ortsklasse D einzustufen sind, steht der Einordnung als Fremdenverkehrsabgabe nicht entgegen. Der Ortsklasse D sind Gemeinden zuzuordnen, deren "Nächtigungsintensität" weniger als den halben Wert der Landes-Nächtigungsintensität erreicht. Auch bei sehr geringem touristischen Angebot dient die Erhebung dem sachlichen Ziel der Förderung des Tourismus, kommt doch der Abgabenertrag der Landestourismusorganisation (LTO) zugute und dient dieser somit den von der LTO zu erfüllenden Aufgaben einer landesweiten Wahrnehmung touristischer Interessen.

Der Einordnung als Fremdenverkehrsabgabe steht ferner nicht entgegen, dass der Landesgesetzgeber die Gemeinden ermächtigt, zum Freizeitwohnungspauschale einen Zuschlag bis zu einem bestimmten Höchstbetrag auszuschreiben und zu erheben. Diese Ermächtigung beruht auf §8 Abs5 F-VG. Danach müssen Landesgesetze, die die Gemeinden ermächtigen, bestimmte Abgaben auf Grund eines Beschlusses der Gemeindevertretung zu erheben, die wesentlichen Merkmale dieser Abgabe, insbesondere auch ihr zulässiges Höchstausmaß bestimmen. Diesen Anforderungen wird die Regelung des §57 Oö TG 2018 gerecht, da sich die wesentlichen Merkmale der Abgabe bereits aus der Stammabgabe ergeben. Der Zuschlag knüpft dabei an das Vorliegen einer Freizeitwohnung iSd §54 Oö TG 2018 an. Innerhalb des Höchstsatzes steht die Entscheidung über die Höhe der Abgabenbelastung der Gemeinde unter Beachtung des Belastungsgrundes der Abgabe zu, ohne dass es einer weiteren landesgesetzlichen Konkretisierung bedarf.

Freizeitwohnungen sind nach der Bestimmung des §54 Abs2 Oö TG 2018 Wohnungen iSd §2 Z4 Gebäude- und WohnungsregisterG (GWR-Gesetz), die in dieses Register eingetragen sind, im Kalenderjahr länger als 26 Wochen keinen Hauptwohnsitz darstellen und gemäß Z3 nicht überwiegend als Gästeunterkunft iSd §47 Abs2 Oö TG 2018, zur Absolvierung der Schulpflicht oder einer Lehre, zur Ableistung des Wehr- oder Zivildienstes, zur Berufsausübung oder zur Unterbringung von Dienstnehmern dienen.

Mit der Definition der Freizeitwohnung in §54 Abs2 Oö TG 2018 soll nach den Materialien gewährleistet werden, dass "[d]ie tatsächliche zumindest zeitweilige Benutzung der die Abgabepflicht auslösenden Wohnung [...] künftig keine Rolle mehr spielen [soll]", knüpfte doch die Vorgängerregelung des §2 Abs1 Oö Tourismusabgabe-Gesetz 1991 an Personen an, die in einer Ferienwohnung nächtigen. Mit der Neuregelung sollte einerseits ein großes Vollzugsproblem für die Verwaltung beseitigt und andererseits "auch der Leerstandsproblematik entsprechend Rechnung getragen werden".

Nach Auffassung des VfGH kann aus §54 Abs2 Oö TG 2018 nicht ohne weiteres der Schluss gezogen werden, dass eine Wohnung allein auf Grund des Umstandes, dass sie länger als 26 Wochen keinen Hauptwohnsitz darstellt und nicht überwiegend zu einem der in §54 Abs2 Z3 leg cit genannten Zwecke benötigt wird, als Freizeitwohnung im Sinne der genannten Bestimmung zu qualifizieren ist:

Wenn der Landesgesetzgeber in §54 Oö TG 2018 im Rahmen seiner finanzverfassungsrechtlichen Kompetenz zur Regelung einer Fremdenverkehrsabgabe eine Abgabepflicht für "Freizeitwohnungen" vorsieht, regelt er eine Abgabepflicht für Wohnungen, die Aufenthalte während der Freizeit, des Wochenendes, des Urlaubs, der Ferien oder sonstiger Freizeitgestaltung außerhalb beruflicher Zwecke ermöglichen. Aus dieser Belastungskonzeption der Abgabe folgt aber, dass für eine Wohnung eine Abgabepflicht nach §54 Abs1 und 2 Oö TG 2018 nicht entstehen kann, wenn keine Umstände ersichtlich sind, die eine Freizeitwohnsitznutzung indizieren, und somit nach der Lage des Falles eine solche auszuschließen ist.

Nach dem System des §54 Oö TG 2018 kann somit die Abgabenbehörde bzw das LVwG für eine Wohnung, die länger als 26 Wochen keinen Hauptwohnsitz darstellt und nicht überwiegend zu einem der in §54 Abs2 Z3 leg cit genannten Zwecke benötigt wird, zwar zunächst vom Bestehen einer Abgabepflicht ausgehen. Eine Abgabepflicht kann aber in verfassungskonformer Auslegung des §54 Abs1 und 2 leg cit nicht für den Zeitraum der Sanierung einer Wohnung eintreten, die bis zur Sanierung vermietet war und nach Abschluss der Sanierung zur weiteren Vermietung bestimmt ist, da in einem solchen Fall keine Umstände ersichtlich sind, die eine Freizeitwohnsitznutzung indizieren, und somit eine solche auszuschließen ist. Eine Abgabepflicht führte nämlich zur Verletzung des Gleichheitssatzes, würde doch dieser Fall - ohne dass eine sachliche Rechtfertigung erkennbar wäre - mit jenem der Möglichkeit der Nutzung als Freizeitwohnung gleichbehandelt, obwohl sich die Fälle vor dem Hintergrund der Erhebung einer Fremdenverkehrsabgabe wesentlich unterscheiden.

Der VfGH übersieht in diesem Zusammenhang nicht, dass der Landesgesetzgeber im Rahmen des ihm finanzverfassungsrechtlich zustehenden Abgabenerfindungsrechtes außerhalb seiner Kompetenz zur Regelung von Fremdenverkehrsabgaben auch eine Abgabe auf leerstehenden Wohnraum vorsehen kann, sofern eine solche Regelung nicht als Missbrauch der Abgabenform zu qualifizieren ist. Die Regelung des §54 Abs1 und 2 Oö TG 2018 lässt allerdings nicht erkennen, dass der Gesetzgeber diese Kompetenz zur Schaffung einer umfassenden Leerstandsabgabe im Rahmen des Oö TG 2018 wahrgenommen hätte. Auch den Materialien kann ein solches Anliegen nicht entnommen werden, zumal sich der Hinweis auf die "Leerstandsproblematik" in Anbetracht der Vorgängerregelung offenbar darauf bezieht, dass diese die Abgabepflicht für Ferienwohnungen an den Sachverhalt der (tatsächlichen) Nächtigung geknüpft hat.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Fremdenverkehr, Abgaben, Wohnsitz Freizeit-, Entscheidungsbegründung, Auslegung verfassungskonforme, Finanzverfassung, Abgabenwesen, Abgabenerfindungsrecht der Gemeinden und Länder, Finanzausgleich

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:E710.2021

Zuletzt aktualisiert am

27.09.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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