TE Vwgh Erkenntnis 1996/4/23 95/11/0331

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Veröffentlicht am 23.04.1996
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Index

90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

KFG 1967 §73 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerde des E in A, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in T, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 1. September 1995, Zl. I/7-St-J-952, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die - bis 14. Juni 1995 befristete - Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A, B, C, F und G (mit Wirkung vom 12. April 1994) entzogen. Gleichzeitig wurde gemäß § 73 Abs. 2 KFG 1967 ausgesprochen, daß ihm bis zur Feststellung der Wiedererlangung der körperlichen und geistigen Eignung eine neue Lenkerberechtigung nicht erteilt werden darf.

In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer der Sache nach Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend und beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde stützte ihre Annahme, der Beschwerdeführer sei zum Lenken von Kraftfahrzeugen gesundheitlich nicht geeignet, auf ein Gutachten ihres ärztlichen Amtssachverständigen vom 18. Juli 1995, welches seinerseits eine am 11. April 1995 stattgefundene Untersuchung des Beschwerdeführers und ein "Hilfsgutachten" der Psychiatrischen Universitätsklinik Wien vom 6. Juli 1995 verwertet. Letzteres lautet in seiner Wiedergabe im Amtssachverständigengutachten vom 18. Juli 1995 (es wurde dem Verwaltungsgerichtshof weder aus Anlaß der Aktenvorlage noch über fernmündliche Urgenz übermittelt) in seinen Schlußfolgerungen:

"Die Anamneseerhebung war aufgrund der hirnorganischen Beeinträchtigung der mnestischen Funktionen und der Tendenz zur sozial erwünschten Darstellung erschwert. Es finden sich Hinweise auf einen langjährigen, chronischen Alkoholismus vom Deltatyp. Aktuell bestanden psychopathologischerseits die beschriebenen noopsychischen Veränderung im Sinne eines hirnorganischen Psychosyndroms, die Einsichts- und Kritikfähigkeit hinsichtlich einer fraglichen Alkoholproblematik erschien reduziert.

Im somatisch-neurologischen Status fanden sich sowohl Zeichen eines Entzugssyndroms (Tremor manus bds., vermehrtes Schwitzen) als auch Hinweise auf eine fragliche alkoholtoxische Langzeitschädigung (Lebervergrößerung, Polyneuropathie- und Ataxiehinweise).

Die erhobenen blutchemischen Befunde zeigten mit einer Erhöhung der Werte für MCV, MCH und Gamma-GT eine auf das Fortbestehen einer klinisch relevanten Alkoholproblematik hindeutende Befundkonstellation.

Erwähnenswert sind auch die auf eine vaskuläre Risikokonstellation hindeutenden, deutlich erhöhten Werte für Cholesterin, Triglyzeride und Glucose.

Bezüglich der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit waren testpsychologischerseits grenzwertige bis reduzierte Leistungsscores erhebbar, die eine Beeinträchtigung der Reaktionssicherheit nicht ausschließen lassen.

Angesichts der beschriebenen Gesamtbefundlage erscheint der Untersuchte aus der Sicht unsereres Faches derzeit zum Lenken eines Kraftfahrzeuges nicht geeignet."

Der Amtssachverständige schloß sich in dem von ihm formulierten Schlußsatz seines Gutachtens dieser Einschätzung an.

Das Gutachten und das "Hilfsgutachten" der Psychiatrischen Universitätsklinik sind insofern nicht schlüssig und daher keine tauglichen Grundlagen für den angefochtenen Bescheid, als die darin aufgezeigten gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers zu seiner aktuellen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen der in Rede stehenden Gruppen in Bezug gesetzt werden. Den genannten Unterlagen lassen sich wohl Folgen eines Alkoholmißbrauches entnehmen, aus ihnen kann aber die entscheidende Frage, ob der Alkoholmißbrauch "Alkoholabhängigkeit oder chronischen Alkoholismus" im Sinne des § 34 Abs. 1 lit. d KDV 1967 nach sich zieht, welche auf Grund anhaltenden Alkoholgenusses die zum Lenken von Kraftfahrzeugen erforderlichen Fähigkeiten in relevanter Weise beeinträchtigen, nicht beantwortet werden. So ist insbesondere unklar, ob die konstatierten Entzugserscheinungen von einer längerfristen oder von einer nur im Zeitpunkt der ärztlichen Untersuchung gegebenen Enthaltsamkeit von Alkohol herrührten. Dazu kommt, daß die weiters entscheidende Frage, in welchem Ausmaß sich die Folgen des Alkoholmißbrauchs auf die kraftfahrspezifischen Leistungsfaktoren auswirken, nach Aussage der Gutachten mit grenzwertigen bis reduzierten Werten der Leistungsfähigkeit beantwortet wird, was mit anderen Worten dazu zu führen scheint, daß der Beschwerdeführer gerade noch die nötige kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit aufgewiesen hat. Dabei wird zur Beeinträchtigung der Reaktionssicherheit - einer der wesentlichen kraftfahrspezifischen Leistungskomponenten - nur ausgesagt, daß sie nicht ausgeschlossen werden könne; eine Feststellung, die eine zum (sofortigen) Erlöschen der Lenkerberechtigung führende Entziehung (z.U. von einer Befristung) nicht zu stützen vermag. Es hat somit den Anschein, als habe sich die kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers gegenüber dem im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten Befund des Kuratoriums für Verkehrssicherheit vom 13. Juni 1994 erheblich gebessert, was wiederum darauf schließen ließe, der Alkoholmißbrauch dauere nicht mehr an.

Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid auf mangelhafte Entscheidungsgrundlagen gestützt. Sie hat damit den Sachverhalt in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig belassen. Dies hat gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften zu führen.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Abgesehen von dem nicht angefallenen Verhandlungsaufwand betrifft die Abweisung des Kostenmehrbegehrens den Stempelgebührenersatz, welcher nur in Höhe von S 390,-- (S 360,-- für drei Beschwerdeausfertigungen und S 30,-- für eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides) zuzusprechen war.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995110331.X00

Im RIS seit

19.03.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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