TE Vwgh Erkenntnis 1996/4/25 95/06/0242

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Veröffentlicht am 25.04.1996
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Index

L37157 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Tirol;
L80007 Raumordnung Raumplanung Flächenwidmung Bebauungsplan Tirol;
L82000 Bauordnung;
L82007 Bauordnung Tirol;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
20/11 Grundbuch;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

ABGB §431;
AVG §56 Abs4;
AVG §56;
AVG §8;
BauO Tir 1989 §30 Abs4;
BauRallg;
GBG 1955 §4;
ROG Tir 1984 §12;
ROG Tir 1984 §14;
ROG Tir 1994 §109 Abs1;
VwGG §21 Abs1;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §41 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. König, über die Beschwerde des H in K, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in K, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 28. September 1995, Zl. Ve1-550-2333/1-1, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Parteien: 1. A, O, 2. Gemeinde X, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 13.220,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem am 9. August 1994 bei der Baubehörde eingelangten Ansuchen beantragte der Beschwerdeführer die (nachträgliche) Erteilung der Baubewilligung zur Errichtung eines Kleintierstalles mit einer Nutzfläche von 9,86 m2, überbaute Fläche 12,85 m2, auf der GP 307/7, EZ 1169, KG K. Über dieses Ansuchen wurde eine mündliche Verhandlung für den 30. August 1994 anberaumt, zu der die Erstmitbeteiligte als Nachbarin unter Hinweis auf die Präklusionsfolgen des § 42 AVG nachweislich geladen wurde. Die Erstmitbeteiligte nahm an der mündlichen Bauverhandlung nicht teil, brachte aber vorher schriftlich Einwendungen ein, wonach das zur Bebauung vorgesehene Grundstück als Wohngebiet im Sinne des Tiroler Raumordnungsgesetzes gewidmet sei. Da durch die Benützung des geplanten bzw. schon errichteten Kleintierstalles eine für das Wohngebiet unzumutbare Lärmbelästigung (Gekrähe und Gegacker) erfolge und auch unzumutbare Geruchsbelästigungen, insbesondere durch Mistablagerungen im unmittelbaren Nachbarschaftsbereich bzw. durch die Miststätte, auf der die Rückstände der Tiere abgelagert würden, gegeben seien, müsse sie gegen das Bauvorhaben Einwendungen erheben. Außerdem sei zu befürchten, daß durch die Mistablagerungen eine unzumutbare Insektenplage erfolgen werde. Fraglich sei auch, ob der zur Beurteilung stehende Kleintierstall überhaupt Fensteröffnungen aufweisen dürfe.

Aufgrund der Einwendungen der Erstmitbeteiligten wurde eine ärztliche Stellungnahme bezüglich eventueller gesundheitlich negativer Auswirkungen auf die Nachbarschaft sowie unzumutbarer Geruchs- und Lärmbelästigungen und einer vermehrten Insektenplage eingeholt. Der Sprengelarzt stellte nach einer Erhebung an Ort und Stelle fest, daß die endgültig geplante Stückzahl vom Bauwerber mit 12 Stück Hühnern, 6 Stück Fasanen, 4 Stück Enten, 5 Stück Wachteln und 6 Stück Hasen angegeben wurde, der Stall täglich ausgemistet werde und die Mistablagerung an der Nordecke des Grundstückes, an einem schattigen Platz erfolgen würde. Die Ablagerungen würden mit Kalk abgedeckt. Aufgrund dieser Fakten seien keine vermehrten gesundheitsschädigenden Auswirkungen auf die Nachbarschaft zu erwarten. Diese Stellungnahme wurde der Erstmitbeteiligten zur Kenntnis gebracht, die sich dazu ablehnend äußerte.

Mit Bescheid vom 21. Februar 1995 erteilte der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde dem Beschwerdeführer die beantragte Baubewilligung. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, sowohl das Grundstück der Erstmitbeteiligten als auch das zu bebauende Grundstück des Beschwerdeführers seien bebaute Grundstücke und wiesen beide nach dem derzeit gültigen Flächenwidmungsplan der mitbeteiligten Gemeinde die Widmung Freiland auf. Nach dieser Widmung und den technischen Bauvorschriften seien Nebengebäude im Freiland, welche dem Schutz von Tieren dienten, zulässig, wenn innerhalb der Mindestabstände von 3 m keine Öffnung ins Freie bestehe. Beim vorliegenden Bauvorhaben sei der Abstand zu den Nachbarparzellen mindestens 3,50 m; das Bauvorhaben sei daher zulässig.

Die gegen diesen Bescheid eingebrachte Berufung der Erstmitbeteiligten hat der Gemeindevorstand der mitbeteiligten Gemeinde mit Bescheid vom 22. Mai 1995 abgewiesen.

Aufgrund der gegen diesen Bescheid erhobenen Vorstellung der Erstmitbeteiligten hat die belangte Behörde mit Bescheid vom 28. September 1995 den Bescheid des Gemeindevorstandes aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeindevorstand verwiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Gemeindebehörden gingen davon aus, daß gemäß § 41 TROG 1994 Nebengebäude im Freiland zulässig seien und damit auch der verfahrensgegenständliche Kleintierstall genehmigt werden könne. Dem Nachbarn stehe gemäß § 30 Abs. 4 der Tiroler Bauordnung als subjektiv-öffentliches Recht die Einhaltung der widmungsgemäßen Verwendung von Grundstücken zu. In der Folge wurden die Erläuternden Bemerkungen zu den §§ 41 und 42 des Tiroler Raumordnungsgesetzes 1994 zitiert. Nach dem Zitat kam die belangte Behörde zu dem Schluß, daß die zulässigen Nebengebäude im Freiland mit dem Verwendungszweck des Hauptgebäudes in Zusammenhang zu bringen seien. Unbestritten sei, daß die GP 307/7 bereits mit einem Gebäude (Freizeitwohnsitz laut Auskunft der Gemeinde) bebaut sei, also einem Gebäude, das Wohnzwecken diene. Zulässige Nebengebäude im Sinne des Tiroler Raumordnungsgesetzes 1994 könnten nur solche sein, die mit dem Verwendungszweck des Gebäudes (Freizeitwohnsitz) im Zusammenhang stünden, wie beispielsweise Garagen, Gebäude für Gartengeräte etc.; keinesfalls jedoch Gebäude, die der Haltung landwirtschaftlicher Nutztiere dienten. Ein solches Gebäude wäre auf einer gewidmeten Sonderfläche zulässig.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in der Gegenschrift ebenso wie die erstmitbeteiligte Partei die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Das Mitspracherecht des Nachbarn ist im Baubewilligungsverfahren in zweifacher Hinsicht beschränkt: Es besteht einerseits nur insoweit, als dem Nachbarn nach den in Betracht kommenden baurechtlichen Vorschriften subjektiv-öffentliche Rechte zukommen und andererseits nur in dem Umfang, in dem der ordnungsgemäß und unter Hinweis auf die Präklusionsfolgen geladene Nachbar solche Rechte im Verfahren durch die rechtzeitige Erhebung entsprechender Einwendungen wirksam geltend gemacht hat (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Dezember 1980, Slg. Nr. 10317/A, u. v.a.). Sowohl die Berufungsbehörde, die Aufsichtsbehörde als auch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes sind durch eine gemäß § 42 AVG eingetretene Präklusion auf die Prüfung rechtzeitig erhobener Einwendungen beschränkt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. Oktober 1965, Slg. Nr. 6777/A, sowie vom 23. April 1991, Zl. 91/05/0060, u.v.a.).

Gemäß § 30 Abs. 4 der Tiroler Bauordnung (TBO) in der Fassung der Wiederverlautbarung LGBl. Nr. 33/1989 kommt den Nachbarn nur ein beschränktes Mitspracherecht zu, nämlich, wenn von ihnen die Verletzung eines Rechtes behauptet wird, das in einer Bestimmung begründet ist, die nicht nur der Wahrung öffentlicher Interessen, sondern auch dem Schutz des Nachbarn dient (subjektiv öffentlich-rechtliche Einwendung). Solche Einwendungen können nach dem letzten Satz der zitierten Gesetzesstelle auch auf Vorschriften über die widmungsgemäße Verwendung von Grundstücken, insbesondere auf die §§ 12 bis 16b des Tiroler Raumordnungsgesetzes 1984, LGBl. Nr. 4, in der Fassung des Landesgesetzes LGBl. Nr. 38/1984, gestützt werden. Da § 30 Abs. 4 TBO das Mitspracherecht der Nachbarn hinsichtlich der widmungsgemäßen Verwendung von Grundstücken normiert und sich hiebei insbesondere auf die §§ 12 bis 16b des TROG 1984 bezieht, bestehen wegen der Verwendung des Wortes "insbesondere" keine Bedenken dagegen, das Mitspracherecht auch in bezug auf jene Bestimmungen des Tiroler Raumordnungsgesetzes 1994, LGBl. Nr. 81/1993 (TROG 1994), anzunehmen, die den Bestimmungen der §§ 12 bis 16b des TROG 1984 entsprechen.

Dem Nachbarn kommt somit im Bereich der Tiroler Bauordnung ein Mitspracherecht in bezug auf die Einhaltung der Widmung zu, ein Recht auf Immissionsschutz jedoch nur insoweit, als die gesetzlichen Bestimmungen über die betreffende Widmung dies vorsehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Jänner 1986, Zl. 84/06/0117, BauSlg. Nr. 610, mit weiteren Judikaturhinweisen). Soweit ein derartiger Immissionsschutz durch die Widmungsart nicht gewährleistet ist, besteht kein Nachbarrecht in subjektiv öffentlich-rechtlicher Hinsicht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 4. Juli 1985, Slg. Nr. 11821/A). In seinem Erkenntnis vom 28. Jänner 1992, Zl. 92/06/0004, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, daß mit der Widmung "Freiland" ein Immissionsschutz, wie er etwa für die Grundflächen im Wohngebiet (§ 12 TROG 1984), aber auch im Mischgebiet (§ 14 TROG 1984) vorgesehen ist, nicht verbunden ist.

Gemäß § 109 Abs. 1 des Tiroler Raumordnungsgesetzes 1994 (TROG 1994) ist für die Auslegung des Inhaltes der hier vorliegenden Flächenwidmung "Freiland" das TROG 1994 heranzuziehen (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 28. März 1996, Zl. 95/06/0134).

Auch das TROG 1994 sieht für das Freiland (§ 41 leg. cit.) keinen Immissionsschutz vor. Die maßgebliche Bestimmung lautet:

"§ 41

Freiland

(1) Als Freiland gelten alle Grundflächen des Gemeindegebietes, die nicht als Bauland, Sonderflächen oder Vorbehaltsflächen gewidmet sind und die nicht Verkehrsflächen nach § 54 Abs. 3 erster Satz sind.

(2) Im Freiland dürfen nur ortsübliche Städel in Holzbauweise, die land- und forstwirtschaftlichen Zwecken dienen, wie Heupillen, Hainzenhütten, Harpfen, Stanggerhütten und dergleichen, Bienenhäuser in Holzbauweise mit höchstens zehn Quadratmeter Nutzfläche, der Wildhege und der Jagdausübung dienende bauliche Anlagen mit Ausnahme von Gebäuden, kleinflächige Anlagen, die Bestandteil öffentlicher Versorgungs- oder Entsorgungsleitungen sind, Wartehäuschen im Zusammenhang mit dem Betrieb von Kraftfahrlinien, Telefonzellen, Meßstellen und Trafostationen errichtet werden.

(3) Im Freiland dürfen weiters Nebengebäude, die nicht Wohnzwecken dienen, und sonstige Nebenanlagen zu Gebäuden errichtet werden."

Für die Frage des Vorliegens eines Immissionsschutzes ist die Widmung des zu bebauenden Grundstückes maßgebend, nicht aber jene des diesem Grundstück benachbarten Grundstückes der Erstmitbeteiligten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. November 1991, Zl. 91/05/0132, u.v.a.); im übrigen liegt aber auch die Liegenschaft der Erstmitbeteiligten im Freiland. Aus den obigen Ausführungen zur Frage des Immissionsschutzes im Freiland ergibt sich, daß der Erstmitbeteiligten als Nachbarin kein Mitspracherecht in bezug auf jene Immissionen zukommt, die mit einem nach der Widmungsart "Freiland" zulässigen Gebäude verbunden sind.

Die Erstmitbeteiligte, aufgrund deren Vorstellung die belangte Behörde den Bescheid des Gemeindevorstandes aufgehoben hat, hat vor der mündlichen Bauverhandlung, zu der sie nachweislich unter Hinweis auf die Präklusionsfolgen des § 42 AVG geladen wurde, lediglich die Unzulässigkeit von Immissionen geltend gemacht, nicht aber ein Recht auf Einhaltung der Widmung. Hinsichtlich der Frage, ob die Widmung "Freiland" eingehalten wurde, war die Erstmitbeteiligte somit präkludiert. Die Aufsichtsbehörde, die ebenso wie die Gemeindebehörden und die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes die Präklusionsfolgen zu beachten hatte, durfte daher nicht aufgrund der Vorstellung der Erstmitbeteiligten in die Prüfung der Frage eingehen, ob die Widmung eingehalten werde. Schon dadurch, daß die Aufsichtsbehörde dies verkannt hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet und den beschwerdeführenden Bauwerber in seinen Rechten verletzt. Schon deshalb war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Entgegen der Ansicht der Erstmitbeteiligten kann der Bauwerber auch dann Partei des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens sein, wenn er zum Zeitpunkt der Einbringung der Beschwerde nicht mehr bücherlicher Eigentümer der zu bebauenden Liegenschaft ist.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Baurecht Grundeigentümer Rechtsnachfolger Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Rechtslage Rechtsgrundlage Rechtsquellen Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995060242.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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