TE Vwgh Beschluss 2022/4/25 Ra 2022/20/0088

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Veröffentlicht am 25.04.2022
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Index

19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §8
AVG §37
MRK Art3
VwGVG 2014 §17

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann-Preschnofsky, in der Rechtssache der Revision des G S, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Februar 2022, W186 2239215-2/4E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein indischer Staatsangehöriger, der in Österreich unter weiteren sieben Alias-Identitäten verzeichnet ist, stellte erstmals am 14. Dezember 1999 einen Asylantrag (nach dem Asylgesetz 1997). Im Jänner 2001, Juni 2004 und November 2004 stellte er - jeweils kurz nach Abschluss des vorangegangenen Asylverfahrens - weitere Asylanträge. Im Februar 2005, April 2006, Oktober 2008 und September 2017 stellte der Revisionswerber Anträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Sämtliche Anträge blieben erfolglos. Zuletzt wurde gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung sowie ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen, wobei diese Entscheidungen am 4. Mai 2018 in Rechtskraft erwachsen sind.

2        Der Revisionswerber entzog sich mehrfach der zur Sicherung der Realisierung der Ausreiseverpflichtung verhängten Schubhaft durch Herbeiführung der Haftunfähigkeit infolge Hungerstreiks. Für die Behörde war er zudem zeitweilig wegen unbekannten Aufenthalts nicht greifbar.

3        Am 2. Jänner 2021 reiste der Revisionswerber via Flughafen Wien-Schwechat (mit einem für ihn in Indien im Jahr 2011 ausgestellten Reisepass) in das Bundesgebiet ein. Über den Revisionswerber wurde daraufhin die Schubhaft zur Sicherung seiner Abschiebung verhängt. Während der Anhaltung in Schubhaft stellte er am 10. Jänner 2021 den hier gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz (sohin insgesamt den neunten Antrag, mit dem er die Gewährung von Asyl begehrte).

4        Das Asylverfahren des Revisionswerbers wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zunächst nicht zugelassen. Am 29. Jänner 2021 wurde der Revisionswerber von dieser Behörde vernommen. Im Anschluss an diese Vernehmung wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Bescheid, mit dem der faktische Abschiebeschutz des Revisionswerbers gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 aufgehoben wurde, mündlich verkündet. Dieser Bescheid wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 9. Februar 2021 aufgehoben.

5        Mit Verfahrensanordnung vom 10. Februar 2021 wurde das Asylverfahren des Revisionswerbers vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zugelassen, jedoch darin auch festgehalten, dass ihm nach § 13 Abs. 1 und Abs. 2 AsylG 2005 kein Aufenthaltsrecht zukomme.

6        Am 14. Juni 2021 gab der Revisionswerber, der in seiner Vernehmung am 29. Jänner 2021 darauf hingewiesen hatte, an schon früher in Indien behandelter Diabetes zu leiden und deswegen Medikamente einzunehmen, im Rahmen seiner weiteren Vernehmung vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl über Befragen zu seinem aktuellen Gesundheitszustand an, dass er gesund sei und an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten leide. Dass er wegen seiner Diabetes-Erkrankung einen Bedarf an der Gewährung von internationalem Schutz hätte, wurde von ihm - auch in der von seinem rechtsfreundlichen Vertreter am 28. Juni 2021 eingebrachten Stellungnahme - nicht geltend gemacht.

7        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den vom Revisionswerber am 10. Jänner 2021 gestellten Antrag mit Bescheid vom 6. Oktober 2021 hinsichtlich der Begehren auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.) und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt IV.). Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht gewährt (Spruchpunkt V.). Weiters wurde einer Beschwerde gegen den Bescheid die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.).

8        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht, das keine Verhandlung durchgeführt hatte, mit Erkenntnis vom 8. Februar 2022 in Bezug auf die Spruchpunkte I., II., III. und VI. des Bescheides vom 6. Oktober 2021 als unbegründet ab. Die Spruchpunkte IV. und V. hob es ersatzlos auf. Weiters sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

9        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

11       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12       Der Revisionswerber wendet sich in der Begründung für die Zulässigkeit der Revision gegen den Entfall der Verhandlung und macht dazu geltend, er habe in der Beschwerde dargelegt, dass seine Familie unter ständiger Bedrohung durch die indische Armee leide und sein Vater festgenommen sowie nach dem Aufenthaltsort des Revisionswerbers befragt worden sei. Weiters habe er mit dem Vorbringen, er gehöre „zur Risikogruppe“, sodass er „während einer Pandemie nicht abgeschoben werden dürfe“, einen zusätzlichen für die Beurteilung relevanten Sachverhalt behauptet.

13       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Absehen von der mündlichen Verhandlung gemäß dem - hier maßgeblichen - ersten Tatbestand des ersten Satzes des § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG („wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“) dann gerechtfertigt, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018; sowie aus der weiteren dem folgenden Rechtsprechung etwa VwGH 8.9.2021, Ra 2021/20/0147, mwN).

14       Soweit nun der Revisionswerber auf seine Ausführungen in der Beschwerde verweist, ist nicht zu sehen, dass ein hinreichend substantiiertes Vorbringen vorgelegen wäre, sodass die Abstandnahme von der Durchführung einer Verhandlung nach den soeben dargelegten Kriterien nicht gerechtfertigt gewesen wäre.

15       Zudem ist auf Folgendes hinzuweisen:

16       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK - auf eine solche bezieht sich der Revisionswerber im Zusammenhang mit dem Hinweis auf seine Diabetes-Erkrankung - eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. etwa VwGH 23.9.2020, Ra 2020/14/0175, mwN).

17       Soweit es Erkrankungen betrifft, hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. auch dazu VwGH 23.9.2020, Ra 2020/14/0175, mwN).

18       Zum Erkrankungen betreffenden Aspekt hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) jüngst im Urteil (der Großen Kammer) vom 7. Dezember 2021, Savran/Dänemark, 57467/15 (auszugsweise in deutscher Sprache wiedergegeben in NLMR 6/2021, 508 ff), neuerlich (unter Hinweis auf EGMR [Große Kammer] 13.12.2016, Paposhvili/Belgien, 41738/10) betont, dass es Sache des Fremden ist, Beweise vorzulegen, die zeigen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, er würde im Fall der Durchführung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme einem realen Risiko einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung unterzogen. Erst wenn solche Beweise erbracht werden, ist es Sache der Behörden des ausweisenden Staats, im Zuge der innerstaatlichen Verfahren jeden dadurch aufgeworfenen Zweifel zu zerstreuen und die behauptete Gefahr einer genauen Prüfung zu unterziehen, im Zuge derer die Behörden im ausweisenden Staat die vorhersehbaren Konsequenzen der Ausweisung auf die betroffene Person im Empfangsstaat im Lichte der dort herrschenden allgemeinen Lage und der persönlichen Umstände des Betroffenen erwägen müssen (Rn. 130). Die Verpflichtungen des ausweisenden Staats zur näheren Prüfung werden somit erst dann ausgelöst, wenn die oben genannte (hohe) Schwelle überwunden wurde und infolge dessen der Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK eröffnet ist (Rn. 135; vom EGMR in der Rn. 140 auch als „Schwellentest“ [„threshold test“] bezeichnet, der bestanden werden muss, damit die weiteren Fragen, wie etwa nach der Verfügbarkeit und Zugänglichkeit einer angemessenen Behandlung, Relevanz erlangen [„As noted in paragraph 135 above, it is only after that test is met that any other questions, such as the availability and accessibility of appropriate treatment, become of relevance.“]; vgl. dazu auch VwGH 25.4.2022, Ra 2021/20/0448).

19       Dass Derartiges gegeben wäre, wurde vom Revisionswerber in der von ihm erhobenen Beschwerde nicht ansatzweise behauptet (im Übrigen auch nicht während des Verfahrens zuvor). Es ist daher nicht zu sehen, dass mit dem Hinweis auf seine Diabetes-Erkrankung das Vorliegen eines für die Entscheidung wesentlichen Sachverhalts geltend gemacht worden wäre, dessen Klärung eine Verhandlung erforderlich gemacht hätte. Es bedarf nämlich immer dann, wenn selbst im Fall der hypothetischen Richtigkeit des Vorbringens zum Sachverhalt aus den geltend gemachten Tatsachen - allenfalls in Verbindung mit bereits feststehenden Sachverhaltselementen - der behauptete Rechtsanspruch nicht begründet werden kann, keiner Ermittlungen und Feststellungen zur Richtigkeit des - allenfalls: übrigen, noch keinen Feststellungen unterworfenen - sachverhaltsbezogenen Vorbringens, weil sich die behaupteten tatsächlichen Vorgänge aus rechtlichen Gründen nicht (mehr) als im Sinn des § 37 AVG maßgeblich darstellen (vgl. dazu - unter anderem auch unter dem Aspekt der Zulässigkeit des Entfalls einer Verhandlung - ausführlich VwGH 12.11.2014, Ra 2014/20/0069).

20       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 25. April 2022

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022200088.L00

Im RIS seit

03.06.2022

Zuletzt aktualisiert am

21.06.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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