TE Vwgh Beschluss 2022/5/11 Ra 2022/09/0040

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Veröffentlicht am 11.05.2022
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren
63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz

Norm

AVG §66 Abs4
BDG 1979 §112
BDG 1979 §112 Abs1
B-VG Art133 Abs4
MRK Art6 Abs1
MRK Art6 Abs2
MRK Art6 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §24
VwGVG 2014 §27
VwGVG 2014 §28 Abs1
VwGVG 2014 §28 Abs2 Z1
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Dr. Doblinger und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schörner, über die außerordentliche Revision des Prof. Mag. A B in C, vertreten durch Pallauf Meißnitzer Staindl & Partner, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Petersbrunnstraße 13, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Februar 2022, W208 2249093-1/9E, betreffend Suspendierung nach dem Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesdisziplinarbehörde), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der 1957 geborene Revisionswerber steht als Lehrer des Akademischen Gymnasium X in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund.

2        Mit Bescheid der Bildungsdirektion Salzburg (in der Folge: Dienstbehörde) vom 23. August 2021 wurde der Revisionswerber vorläufig vom Dienst suspendiert, nachdem mehrere Schüler und Schülerinnen einer ersten Klasse sich an ihre Klassenvorständin gewendet hatten, wonach der Revisionswerber Schülerinnen der ersten Klasse berührt und ihnen in den Ausschnitt bzw. auf das Gesäß geschaut haben soll.

3        Die Dienstbehörde teilte die vorläufige Suspendierung gemäß § 112 Abs. 2 BDG 1979 der Bundesdisziplinarbehörde mit. Mit Bescheid vom 22. September 2021 sprach die Bundesdisziplinarbehörde aus, dass die von der Dienstbehörde gegen den Revisionswerber verfügte vorläufige Suspendierung gemäß § 112 Abs. 5 BDG 1979 aufgehoben und der Revisionswerber nicht vom Dienst suspendiert werde.

4        Mit dem angefochtenen nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der dagegen erhobenen Beschwerde der Disziplinaranwältin gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG statt, behob den Bescheid und sprach aus, dass der Revisionswerber gemäß § 112 Abs. 1 Z 3 BDG 1979 vom Dienst suspendiert werde. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

5        Rechtlich erachtete das Bundesverwaltungsgericht zusammengefasst, dass im Hinblick auf die in wesentlichen Teilen übereinstimmenden Aussagen der Kinder und den Ausführungen der Klassenvorständin ausreichend Anhaltspunkte für das Vorliegen eines begründeten Verdachtes vorlägen. Von bloßen Gerüchten oder vagen Vermutungen könne keinesfalls gesprochen werden. Insgesamt seien die vorgeworfenen Tathandlungen geeignet, das Ansehen und das Vertrauen der Bevölkerung in die sachliche Wahrnehmung der dienstlichen Aufgaben massiv zu erschüttern bzw. besonderes Aufsehen in der Öffentlichkeit zu erregen. Es lägen keine offenkundigen Einstellungsgründe vor.

6        Mit Bescheid vom 6. Dezember 2021 erließ die Bundesdisziplinarbehörde wegen konkret angeführter Verhaltensweisen, die auch dem Suspendierungsverfahren zugrunde gelegen sind, einen Einleitungsbeschluss, welcher unbekämpft in Rechtskraft erwuchs.

7        Gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichts ist die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8        Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist der Verwaltungsgerichtshof an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9        Der Revisionswerber sieht seine Revision deshalb als zulässig an, weil nach der neueren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch im Verfahren über die Suspendierung die Verfahrensgarantien des Art. 6 EMRK zur Anwendung kämen und somit dem Beschuldigten auch das Recht zukomme, Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen. Der Revisionswerber habe nicht die Möglichkeit gehabt, Fragen an die (minderjährige) Belastungszeugin A B zu stellen, welche trotz Ladung zur Verhandlung nicht erschienen sei. Es liege damit auch ein Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz vor. Die Befragungen der Belastungszeuginnen A B und C D wären geeignet gewesen, den vom Bundesverwaltungsgericht angenommenen Verdacht zu entkräften. Weiters verstoße das Verwaltungsgericht gegen die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Verweis auf VwGH 20.12.2021, Ra 2018/08/0013), weil in der Nichteinvernahme durch das Verwaltungsgericht eine unzulässige antizipierende Beweiswürdigung liege.

10       Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es für die - in Abänderung des die Suspendierung nicht aussprechenden Bescheides der Bundesdisziplinarbehörde - verfügten Suspendierung einer vom Bundesverwaltungsgericht zunächst ausgesprochenen Aufhebung des angefochtenen Bescheids nicht bedarf. Vielmehr tritt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts über die Sache des Verwaltungsverfahrens an die Stelle des Bescheids der belangten Behörde, der bereits damit aus dem Rechtsbestand beseitigt wird (vgl. VwGH 28.2.2022, Ra 2021/09/0251, mwN).

11       Voranzustellen ist weiters, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Suspendierung - ebenso wie die nach denselben inhaltlichen Vorschriften zu verfügende vorläufige Suspendierung - als sichernde, bei Zutreffen der gesetzlichen Voraussetzungen im Verdachtsbereich zu treffende Maßnahme keine endgültige Lösung darstellt; sie steht in engem Zusammenhang mit dem Verdacht gegen einen Beamten, eine gravierende Dienstpflichtverletzung begangen zu haben, und weist damit auch einen engen Nahebezug zum Disziplinarverfahren auf. Es braucht daher im Suspendierungsverfahren noch nicht nachgewiesen zu werden, dass der Beamte die ihm zur Last gelegte Dienstpflichtverletzung tatsächlich begangen hat. Diese Aufgabe kommt erst den Disziplinarbehörden im Disziplinarverfahren zu. Im Suspendierungsverfahren genügt es vielmehr zur Rechtfertigung des Ausspruchs einer Suspendierung, wenn gegen den Beschuldigten ein begründeter Verdacht einer Dienstpflichtverletzung besteht, die „ihrer Art nach“ geeignet ist, das Ansehen des Amtes oder wesentliche dienstliche Interessen zu gefährden. Ein „begründeter Verdacht“ liegt vor, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer Dienstpflichtverletzung rechtfertigen. Ein Verdacht kann nur auf Grund einer Schlussfolgerung aus Tatsachen entstehen. Die Berechtigung zur Verfügung der Suspendierung liegt allein in dem Bedürfnis, noch vor der endgültigen Klärung der Frage des Vorliegens einer Dienstpflichtverletzung in der das Disziplinarverfahren abschließenden Entscheidung eine den Verwaltungsaufgaben und dem Dienstbetrieb dienende, vorübergehende Sicherungsmaßnahme zu treffen.

12       In der Begründung der Suspendierung ist darzulegen, warum sich nach dem geschilderten Verhalten der Verdacht einer die Suspendierung rechtfertigenden Dienstpflichtverletzung ergibt. Bloße Gerüchte und vage Vermutungen reichen für eine Suspendierung nicht aus. Vielmehr müssen greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Dienstpflichtverletzung in ausreichender Schwere sowohl in Richtung auf die objektive wie die subjektive Tatseite gegeben sein. Allerdings ist eine Suspendierung unzulässig, wenn bereits im Zeitpunkt der Entscheidung über ihre Verfügung offenkundig ist, das heißt auf der Hand liegt, dass die Voraussetzungen für die Einstellung des Disziplinarverfahrens vorliegen. Dies wäre etwa bei inzwischen eingetretener Verjährung, bei bloßem Bagatellcharakter der zur Last gelegten Tat oder bereits diagnostizierter Schuldunfähigkeit des Beschuldigten der Fall. Ob diese Offenkundigkeit gegeben ist, kann jeweils nur im Einzelfall beurteilt werden.

13       Die Suspendierung eines Beamten gehört demnach in die Reihe jener vorläufigen Maßnahmen, die in zahlreichen Verfahrensgesetzen vorgesehen sind, um einen Zustand vorübergehend zu ordnen, der endgültig erst aufgrund des in der Regel einen längeren Zeitraum beanspruchenden förmlichen Verfahrens geregelt wird, um dadurch Nachteile und Gefahren - insbesondere für das allgemeine Wohl - abzuwehren und zu verhindern. Da die Verfügung der Suspendierung den Verdacht einer Dienstpflichtverletzung voraussetzt, die wegen „ihrer Art“ das Ansehen des Amtes oder wesentliche Interessen des Dienstes gefährdet, können nur schwerwiegende, auf der Hand liegende Interessen der Verwaltung als sachbezogen anerkannt werden und die Suspendierung rechtfertigen. So kann eine Suspendierung zunächst in Betracht kommen, weil das verdächtige Verhalten noch nicht abzugrenzen, aber als schwerwiegend zu vermuten ist. Aber auch bei geringeren Verdachtsgründen kann aus der konkreten Situation das dienstliche Interesse an der Suspendierung begründet sein, z. B. bei denkbarer Verdunkelungsgefahr im Dienst oder schwerer Belastung des Betriebsklimas (vgl. zum Ganzen erneut VwGH 28.2.2022, Ra 2021/09/0251, mit zahlreichen Judikaturzitaten).

14       Dem Revisionswerber ist insofern zuzustimmen, als nach der jüngeren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor dem Hintergrund neuerer Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zum Art. 6 Abs. 1 EMRK dem Disziplinarbeschuldigten auch im Suspendierungsverfahren grundsätzlich ein Recht darauf zuzuerkennen ist, dass seine Angelegenheit in einer mündlichen Verhandlung von dem in der Sache entscheidenden Gericht erörtert wird (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/09/0156; dem folgend etwa VwGH 7.4.2020, Ra 2019/09/0135). Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof für das Disziplinarverfahren der Beamten die Auffassung vertreten, dass auch die nur für Verfahren über eine strafrechtliche Anklage geltenden Art. 6 Abs. 2 und 3 EMRK wegen der Ähnlichkeit des Disziplinarverfahrens mit einem Strafverfahren auch für die Anforderungen an ein faires Disziplinarverfahren von Bedeutung sind (vgl. VwGH 15.7.2015, Ro 2014/09/0064, mwN).

15       Im vorliegenden Fall hat das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Der Revisionswerber hatte somit die Möglichkeit seinen Standpunkt darzustellen und sich zu den Beweisergebnissen und Tatsachen zu äußern, die dem Verfahren zugrunde gelegt wurden. Mit dem pauschalen Verweis im Zulässigkeitsvorbringen auf die fehlende Möglichkeit, Fragen an zwei minderjährige Belastungszeuginnen zu stellen, wird - auch vor dem Hintergrund der Suspendierung als im Verdachtsbereich zu treffende vorläufige Maßnahme - nicht dargelegt, dass im konkreten Einzelfall das Verfahren nicht insgesamt fair war (vgl. dazu etwa die bei Muzak, B-VG(2020) unter Art. 6 MRK Rz 43 zitierte Judikatur des EGMR) und die Annahme eines die Suspendierung rechtfertigenden konkreten Tatverdachts als unvertretbar zu beurteilen wäre, zumal sich das Bundesverwaltungsgericht dabei nicht bloß auf die Aussagen der beiden minderjährigen Mädchen stützte.

16       Ein Abweichen des Bundesverwaltungsgerichts vom hg. Erkenntnis vom 20. Dezember 2021, Ra 2018/08/0013, liegt schon mangels eines vergleichbaren Sachverhalts nicht vor, ging es dort doch um die Vernehmung von Zeugen zu ihrer Dienstnehmereigenschaft in einem Verwaltungsstrafverfahren, auf welche sich die im behördlichen Straferkenntnis angeführten Verwaltungsübertretungen jeweils bezogen haben und wo auch die betreffenden Urkunden nicht bedenkenlos auf eine Beschäftigung im Tatzeitpunkt schließen haben lassen.

17       Soweit der Revisionswerber unter Hinweis auf die unterlassene Zeugeneinvernahme einen Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz rügt, macht er einen Verfahrensmangel geltend, ohne dessen Relevanz für den Verfahrensausgang darzutun. Eine derartige Relevanzdarstellung enthält die Zulässigkeitsbegründung allerdings nicht (vgl. zur erforderlichen Relevanzdarlegung von Verfahrensmängeln etwa VwGH 1.4.2022, Ra 2022/03/0065, mwN).

18       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 11. Mai 2022

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022090040.L00

Im RIS seit

02.06.2022

Zuletzt aktualisiert am

21.06.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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