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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des B in S, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 18. Jänner 1995, Zl. 4.331.416/7-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, reiste am 7. Februar 1992 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 12. Februar 1992 Asyl. In der am 15. Februar 1992 mit ihm aufgenommenen Niederschrift beschrieb er seine Fluchtgründe wie folgt:
"Die kurd. Partisanen kamen aus den Bergen in unser Dorf und verlangten Lebensmittel und Kleidung. Falls wir ihnen dies nicht gaben, drohten sie uns mit Waffengewalt oder mit der Erschießung. Ich gehöre der kurd. Minderheit in der Türkei an. Auf Grund dieser Minderheit haben wir in unserem Land keine Rechte sondern werden von der Regierung nur diktiert. Vor einigen Monaten-Nov. 91, kamen mehrere Militärorgane zu unserem Wohnhaus und wollten mich verhaften, weil ich plündernden Partisanen Lebensmittel und Kleidung gab. Das hatten sie von Nachbarn erfahren. Hätten sie mich zu Hause erwischt, wäre ich eingesperrt worden. Ich wurde vom Militär ständig verfolgt. Da mir die Sache zu gefährlich wurde, habe ich mich entschlossen aus der Türkei zu flüchten. Sollte ich zurückkehren, würde ich inhaftiert werden."
Mit Bescheid vom 6. März 1992 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich fest, der Beschwerdeführer sei nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes (1968). Die formularmäßige Begründung enthielt keine Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers.
Seine Berufung vom 23. März 1992 begründete der Beschwerdeführer wie folgt:
"Begründung: Die Gründe für meine Flucht sind in der Niederschrift meines Interviews schon dargelegt und ich habe dem nichts hinzuzufügen. Ich bitte Sie, meine Angaben nochmals zu prüfen und mir Asyl zu gewähren, da eine Rückkehr in meine Heimat eine Gefahr für meine Freiheit, vielleicht sogar für mein Leben zur Folge hat."
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde diese Berufung ab. Sie hielt fest, daß das Verfahren gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 Asylgesetz 1991 nach den Bestimmungen dieses Gesetzes zu Ende zu führen sei, und begründete ihre Rechtsmeinung, der Beschwerdeführer sei nicht Flüchtling im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991, im wesentlichen wie folgt:
"Ihr Vorbringen, "kurdische Partisanen" hätten Sie mit dem Erschießen bedroht und von Ihnen Lebensmittel und Bekleidung verlangt, kann nicht zur Gewährung von Asyl führen, da nur ausschließlich konkrete gegen Ihre Person gerichtete Verfolgungshandlungen, die vom Staate ausgehen von Relevanz sind. Auch ist diesem Vorbringen nicht zu entnehmen, daß Sie diese Beeinträchtigung bei der Polizei zur Anzeige hätten bringen wollen, diese aber die Anzeige nicht entgegengenommen habe oder gar das Vorgehen der "Partisanen" toleriert habe.
Ihre Ausführungen, das Militär habe Sie "ständig" verfolgt, sind unsubstantiiert und haben Sie diese ohne näher zu konkretisieren im Raum stehen lassen und können deshalb nicht zur Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft herangezogen werden. Unglaubwürdig erscheint Ihr Vorbringen, im November 1991 seien mehrere Militärorgane zu Ihnen nach Hause gekommen und hätten Sie, wenn Sie zu Hause gewesen wären, mitgenommen, da, wenn diese Militärorgane tatsächlich die Absicht verfolgt hätten Sie zu verhaften, diese, da Sie Ihren Wohnort Erzincan erst am 21.12.1991 verlassen haben, wohl noch genug Gelegenheit dazu gehabt hätten.
Erfahrungsgemäß gehorcht eine Verfolgung einem rationalen Kosten-Nutzen-Kalkül. Es muß für staatliche Organe Grund für die Annahme bestehen, der Asylwerber sei ein Gegner des herrschenden Systems und die Verfolgung würde dem begegnen. Für den Fall, daß der Asylwerber nur in untergeordneter Rolle politisch tätig war oder allgemein kein schlüssiges Motiv für den potentiellen Verfolgerstaat feststellbar ist, erscheint eine Verfolgung nicht glaubhaft.
Auch haben sich für die erkennende Behörde keine Umstände ergeben, daß sich die von Ihnen geltend gemachten Beeinträchtigungen auf das gesamte türkische Bundesgebiet erstrecken bzw. daß Sie solche auch in Istanbul zu gewärtigen gehabt hätten.
Da Ihr gesamtes Vorbringen keine Angaben über asylrelevante Verfolgungen Ihrer Person durch die türkischen Behörden vor Ihrer Ausreise enthält, ist nicht davon auszugehen, daß Sie im Falle einer Rückkehr in Ihr Heimatland Verfolgungshandlungen im Sinne der Genfer Konvention zu befürchten hätten."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
In seinen Ausführungen zur inhaltlichen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides behauptet der Beschwerdeführer, der türkische Staat sei nicht gewillt gewesen, ihn vor den kurdischen Partisanen zu schützen. Als Mitglied der kurdischen Bevölkerungsgruppe hätte der Beschwerdeführer keine Möglichkeit gehabt, sich mit der Bitte um Schutz vor den kurdischen Partisanen an die türkischen Behörden zu wenden. Die Polizei hätte eine Anzeige nicht einmal entgegengenommen. Im Heimatland des Beschwerdeführers sei bekannt, daß die Polizei in dieser Weise vorgehe, sodaß eine Anzeige sinnlos gewesen wäre. Als Verletzung von Verfahrensvorschriften rügt der Beschwerdeführer allgemein, die Behörde sei auf sein Vorbringen nicht ausreichend eingegangen, und im Zusammenhang mit der behaupteten Verfolgung durch kurdische Partisanen, es sei nicht festgestellt worden, ob der Beschwerdeführer ausreichend Schutz durch seinen Heimatstaat genossen hätte.
Tatsachen, die erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren neu vorgebracht werden, hat der Verwaltungsgerichtshof nicht zu berücksichtigen (vgl. dazu Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 3. Aufl., Seite 51 f und Seite 552). Das dargestellte Beschwerdevorbringen ist aber insoweit beachtlich, als es sich unter dem Gesichtspunkt, die belangte Behörde sei auf das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht ausreichend eingegangen, gegen die Behauptung wendet, diesem Vorbringen sei "nicht zu entnehmen" gewesen, er habe die Beeinträchtigung durch kurdische Partisanen zur Anzeige bringen wollen, es sei aber die Anzeige nicht entgegengenommen "oder gar das Vorgehen der Partisanen toleriert" worden.
Der Beschwerdeführer hatte das Vorgehen der kurdischen Partisanen in der Darstellung seiner Fluchtgründe an erster Stelle genannt und hinzugefügt, (auch) er gehöre der kurdischen Minderheit an, die in der Türkei "keine Rechte" habe und von der Regierung "nur diktiert" werde. Daß er aus dem zuletzt genannten Grund mit den kurdischen Partisanen sympathisiere und diese (vom Beschwerdeführer als "plündernd" bezeichneten) Partisanen es gar nicht nötig gehabt hätten, mit Waffengewalt oder mit der Erschießung zu drohen, um von ihm Lebensmittel und Kleidung zu erhalten, kam in seiner Darstellung nirgends zum Ausdruck. Wenn der Beschwerdeführer von der Beschreibung seiner Bedrohung durch kurdische Partisanen zur Darstellung seiner Verfolgung durch türkisches Militär wegen der erzwungenen Unterstützung dieser Partisanen mit der Behauptung überleitete, als Angehöriger der kurdischen Minderheit habe er in der Türkei "keine Rechte", so konnte dies daher bedeuten, der Heimatstaat des Beschwerdeführers habe ihm auch das Recht auf staatlichen Schutz seines Eigentums und seiner persönlichen Sicherheit vor der Bedrohung durch "plündernde Partisanen" wegen seiner Zugehörigkeit zur kurdischen Minderheit und somit in diskriminierender Weise vorenthalten.
Es kann dahingestellt bleiben, inwieweit dies eine asylrelevante Verfolgung bedeutet hätte. Die belangte Behörde hat ihre Entscheidung nämlich auch darauf gestützt, daß das Verfahren nicht ergeben habe, inwiefern sich die geltend gemachten Beeinträchtigungen auf das gesamte Gebiet der Türkei erstreckten "bzw." daß der Beschwerdeführer solche Beeinträchtigungen auch in Istanbul - wo er sich nach dem Verlassen seines Heimatortes vier Tage lang aufhielt - zu gewärtigen gehabt habe. Dieser Vorhalt liegt in bezug auf die Beeinträchtigungen durch kurdische Partisanen nahe, doch wurde dem Beschwerdeführer dazu im Verwaltungsverfahren kein Gehör gewährt. Der Beschwerdeführer rügt dies aber nicht und sieht eine Verletzung von Verfahrensvorschriften nur im Fehlen von Feststellungen darüber, "inwieweit" er außerhalb des kurdischen Gebietes vor Verfolgung sicher gewesen wäre. Er legt nicht dar, welche Feststellungen zu treffen gewesen wären, und trägt keine Behauptungen darüber nach, weshalb er wegen der von ihm beschriebenen Beeinträchtigung durch kurdische Partisanen nicht nur sein Heimatdorf, sondern auch seinen Heimatstaat verlassen mußte. Die Wesentlichkeit der die Ermittlung dieses Asylgrundes betreffenden Verfahrensfehler vermag die Beschwerde daher im Ergebnis nicht darzutun.
Zur Behauptung des Beschwerdeführers, das türkische Militär habe ihn "ständig verfolgt", führt die belangte Behörde aus, diese Behauptung sei "unsubstantiiert" und der Beschwerdeführer habe sie "ohne näher zu konkretisieren im Raum stehen lassen", weshalb sie nicht verwertbar sei. Die Beschwerde setzt sich mit diesem Teil der Bescheidbegründung nicht auseinander und stellt im besonderen nicht dar, in welcher Form der Beschwerdeführer auch über den nach seinen Angaben im November 1991 unternommenen Versuch, ihn zu verhaften, hinaus "ständig verfolgt" worden sei, inwieweit sich die Situation nach dem mißlungenen Festnahmeversuch noch weiter zugespitzt habe und was er daher angegeben hätte, wenn er - wie es dem Gesetz entsprochen hätte - im Verwaltungsverfahren zur Konkretisierung seiner Angaben über eine "ständige Verfolgung" und eine "zu gefährlich" werdende Lage aufgefordert worden wäre.
Zu beurteilen bleiben daher nur die Angaben des Beschwerdeführers über den Versuch des türkischen Militärs, ihn zu verhaften. Der Beschwerdeführer beschrieb dies als Folge seiner unfreiwilligen Versorgung "plündernder Partisanen" mit Lebensmitteln und Kleidung und gab an, er wäre "eingesperrt" worden, wenn man ihn erwischt hätte. Mit Recht wendet er sich in diesem Zusammenhang in der Beschwerde gegen das Beweiswürdigungsargument der belangten Behörde, eine Verfolgung sei nicht glaubwürdig, wenn der Asylwerber, "nur in untergeordneter Rolle politisch tätig" gewesen oder "allgemein kein schlüssiges Motiv für den potentiellen Verfolgerstaat feststellbar" sei, denn "erfahrungsgemäß" gehorche eine Verfolgung "einem rationalen Kosten-Nutzen-Kalkül". Diese in den Bescheiden der belangten Behörde immer wiederkehrende Argumentation ist nicht schlüssig (vgl. dazu das Erkenntnis vom 23. Mai 1995, Zl. 94/20/0806, auf das gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird). Im vorliegenden Fall ist auch gar nicht versucht worden, zwischen dem verwendeten Textbaustein und dem Fall des Beschwerdeführers eine inhaltliche Beziehung herzustellen.
Die belangte Behörde hat den behaupteten Verhaftungsversuch aber auch deshalb als unglaubwürdig eingestuft, weil der Beschwerdeführer seine Heimatregion erst mehrere Wochen später verlassen habe, ohne in der Zwischenzeit verhaftet worden zu sein. Dieser Argumentation wird die Beschwerde nicht gerecht, wenn sie ihr lediglich entgegenhält, es sei nicht notwendig, daß bereits Verfolgungshandlungen (Verhaftungen) vorgenommen wurden, es reiche aus, daß hinreichend Indizien dafür vorliegen, daß der Staat solche Handlungen setzen wollte, und der Beschwerdeführer habe solche Indizien "glaubhaft vorgebracht". Diese Ausführungen enthalten keine Erklärung dafür, warum der Beschwerdeführer nicht verhaftet wurde, obwohl er noch wochenlang in seiner Heimatregion verblieb. Daß auch in dieser Hinsicht nicht weiter ermittelt, im besonderen der Beschwerdeführer nicht näher befragt wurde, führt mangels ausreichender Beschwerdebehauptungen daher ebenfalls nicht zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
Der Beschwerdeführer rügt schließlich noch, die belangte Behörde habe keine Feststellungen über seine "aktuelle Verfolgungssituation" in der Türkei getroffen. Sie habe sich "darauf beschränkt", das vom Beschwerdeführer 1992 erstattete Vorbringen "aufzulisten und zu beurteilen", ohne "über die derzeitige Situation der Kurden in der Türkei, insbesondere in Kurdistan" Feststellungen zu treffen. Diese Kritik läßt außer acht, daß der Berufungsentscheidung im vorliegenden Verfahren, das am 1. Juni 1992 bei der belangten Behörde anhängig war (§ 25 Abs. 2 Satz 1 Asylgesetz 1991) das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrundezulegen war (§ 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991). Daß und in welcher Weise sich der entscheidungserhebliche Sachverhalt im nachhinein geändert habe (§ 20 Abs. 2 dritter Fall Asylgesetz 1991), legt die Beschwerde nicht dar.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995200111.X00Im RIS seit
20.11.2000