TE Vwgh Erkenntnis 2022/4/28 Ra 2019/06/0174

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Veröffentlicht am 28.04.2022
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
96/02 Sonstige Angelegenheiten des Straßenbaus

Norm

BStMG 2002 §19
BStMG 2002 §19 Abs4
BStMG 2002 §20 Abs2
BStMG 2002 §20 Abs5
BStMG 2002 §20 Abs5 idF 2013/I/099
BStMG 2002 §6
B-VG Art7 Abs1
VwGG §42 Abs2 Z1
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma und die Hofrätinnen Mag.a Merl und Mag. Liebhart-Mutzl als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des D S in L, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Salzburg vom 19. Dezember 2018, 405-4/2347/1/11-2018, betreffend Übertretung des Bundesstraßen-Mautgesetzes 2002 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung (belangte Behörde) vom 1. Oktober 2018 wurde über den Revisionswerber gemäß § 20 Abs. 1 iVm § 10 Abs. 1 und § 11 Abs. 1 Bundesstraßen-Mautgesetz 2002 (BStMG) eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 300,-- bzw. eine Ersatzfreiheitsstrafe von 72 Stunden verhängt, weil er am 12. März 2017 ein näher bezeichnetes Kraftfahrzeug auf dem mautpflichtigen Straßennetz gelenkt habe, ohne die zeitabhängige Maut ordnungsgemäß errichtet zu haben. Zudem wurde der Revisionsweber gemäß § 64 VStG zum Ersatz der Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens verpflichtet.

2        Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Landesverwaltungsgericht Salzburg (LVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab (I.). Gleichzeitig wurde der Revisionswerber zum Ersatz der Kosten des Beschwerdeverfahrens verpflichtet (II.) und eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof für nicht zulässig erklärt (III.).

3        Begründend führte das LVwG hierzu, soweit vorliegend relevant, aus, der Revisionswerber habe ein näher bezeichnetes Kraftfahrzeug zum Tatzeitpunkt auf einer näher genannten mautpflichtigen Straße gelenkt, ohne die vorgeschriebene zeitabhängige Maut entrichtet zu haben. Mit Schreiben vom 27. März 2017 habe die Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft (in der Folge: ASFINAG) den Revisionswerber zur Zahlung der Ersatzmaut gemäß § 19 Abs. 4 BStMG aufgefordert; dieses Schreiben sei an eine näher genannte Adresse in L. ergangen, an der der Revisionswerber von 15. April 2013 bis 2. Jänner 2018 mit Hauptwohnsitz gemeldet gewesen sei. Am 30. März 2017 sei das Schreiben mit dem Vermerk „verzogen“ retourniert worden. Laut näher bezeichnetem Einzahlungsbeleg habe der Revisionswerber am 7. Dezember 2018 € 120,-- an die ASFINAG überwiesen. Der Strafaufhebungsgrund des § 19 Abs. 4 letzter Satz BStMG werde jedoch nur verwirklicht, wenn die Ersatzmaut binnen vier Wochen ab Ausfertigung der Aufforderung dem angegebenen Konto gutgeschrieben werde und der Überweisungsauftrag die automatisationsunterstützt lesbare, vollständige und richtige Identifikationsnummer enthalte. Die vierwöchige Frist zur Zahlung der Ersatzmaut beginne dabei mit dem Zeitpunkt der „Ausfertigung“ und nicht mit dem Zeitpunkt der Zustellung der Ersatzmautaufforderung. Gegenständlich sei die Aufforderung zur Zahlung der Ersatzmaut von der ASFINAG am 27. März 2017 ausgefertigt worden, weshalb die Ersatzmaut bis spätestens 24. April 2017 auf dem Konto der ASFINAG gutgeschrieben hätte werden müssen. Die Zahlung der Ersatzmaut am 7. Dezember 2018 sei daher nicht rechtzeitig gewesen, weshalb der Strafaufhebungsgrund des § 20 Abs. 4 (gemeint wohl: Abs. 5) BStMG nicht vorliege. Soweit der Revisionswerber auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Oktober 2018, Ra 2016/06/0134, Bezug nehme, sei auszuführen, dass die Möglichkeit, die Ersatzmaut noch im Zuge des Strafverfahrens „fristgerecht“ zu bezahlen, nur bestehe, wenn die Aufforderung zur Bezahlung der Ersatzmaut völlig unterblieben sei. Im vorliegenden Fall sei jedoch eine Aufforderung zur Bezahlung der Ersatzmaut ausgefertigt worden; lediglich die Zustellung an die im Zentralen Melderegister eingetragene Hauptwohnsitzadresse des Revisionswerbers habe aus Gründen, die nicht der ASFINAG zuzurechnen seien, nicht erfolgen können.

4        Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 11. Juni 2019, E 463/2019-5, ablehnte. Mit weiterem Beschluss vom 5. August 2019, E 463/2019-7, trat der Verfassungsgerichtshof dem Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde zur Entscheidung ab.

5        Nunmehr richtet sich gegen dieses Erkenntnis die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit u.a. ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes betreffend das Vorliegen eines Strafaufhebungsgrundes gemäß § 20 Abs. 5 BStMG geltend macht.

6        Die belangte Behörde erstattete im vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung; der Revisionswerber erstattete dazu eine Äußerung.

7        Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8        Die Revision ist aus dem genannten Zulassungsgrund zulässig und auch begründet.

9        § 19 und § 20 BStMG, jeweils in der hier anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 99/2013, lauten auszugsweise:

„Ersatzmaut

§ 19. (1) In der Mautordnung ist für den Fall der nicht ordnungsgemäßen Entrichtung der Maut eine Ersatzmaut festzusetzen, die den Betrag von 250 € einschließlich Umsatzsteuer nicht übersteigen darf.

[...]

(4) Kommt es bei einer Verwaltungsübertretung gemäß § 20 zu keiner Betretung, so ist die Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft ermächtigt, im Falle einer Verwaltungsübertretung gemäß § 20 Abs. 1 den Zulassungsbesitzer schriftlich zur Zahlung einer Ersatzmaut aufzufordern, sofern der Verdacht auf automatischer Überwachung beruht, im Falle einer Verwaltungsübertretung gemäß § 20 Abs. 2 und 3 den Zulassungsbesitzer schriftlich zur Zahlung einer Ersatzmaut aufzufordern, sofern der Verdacht auf automatischer Überwachung oder auf dienstlicher Wahrnehmung eines Organs der öffentlichen Aufsicht beruht. Die Aufforderung hat eine Identifikationsnummer und eine Kontonummer zu enthalten. Ihr wird entsprochen, wenn die Ersatzmaut binnen vier Wochen ab Ausfertigung der Aufforderung dem angegebenen Konto gutgeschrieben wird und der Überweisungsauftrag die automationsunterstützt lesbare, vollständige und richtige Identifikationsnummer enthält.

[...]“

„Mautprellerei

§ 20. (1) Kraftfahrzeuglenker, die Mautstrecken benützen, ohne die nach § 10 geschuldete zeitabhängige Maut ordnungsgemäß entrichtet zu haben, begehen eine Verwaltungsübertretung und sind mit Geldstrafe von 300 € bis zu 3000 € zu bestrafen.

[...]

(5) Taten gemäß Abs. 1 bis 3 werden straflos, wenn der Mautschuldner nach Maßgabe des § 19 Abs. 2 bis 5 der Aufforderung zur Zahlung der in der Mautordnung festgesetzten Ersatzmaut entspricht.“

10       Die Entrichtung der in der Mautordnung festgesetzten Ersatzmaut gemäß § 20 Abs. 5 BStMG stellt einen Strafaufhebungsgrund dar. Die Tat wird nach der hg. Rechtsprechung dann nicht straflos, wenn die in § 20 Abs. 5 BStMG angeführten Beträge nicht entrichtet werden, mag auch die Aufforderung aus welchen Gründen immer unterblieben sein. Das Unterbleiben einer Aufforderung gemäß § 19 BStMG hat die Folge, dass die Frist für die Bezahlung der Ersatzmaut nicht in Gang gesetzt wird, womit die Möglichkeit besteht, gegebenenfalls die Ersatzmaut noch im Zuge des Strafverfahrens „fristgerecht“ zu bezahlen, um damit die Straflosigkeit im Sinne des § 20 Abs. 5 BStMG zu bewirken (vgl. zuletzt etwa VwGH 15.12.2021, Ra 2020/06/0152 und 20.12.2021, Ra 2020/06/0134, sowie 12.10.2020, Ra 2018/06/0167, 25.1.2018, Ra 2016/06/0025 und auch bereits 28.11.2006, 2005/06/0156, jeweils mwN).

11       Weiters bezieht sich nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Wortfolge „binnen vier Wochen ab Ausfertigung der Aufforderung“ in § 19 Abs. 4 BStMG nur auf die Dauer der Zahlungsfrist, sie bedeutet aber nicht, dass eine nicht rechtswirksame Zustellung keinen Fall des Unterbleibens der Aufforderung zur Bezahlung der Ersatzmaut darstellen würde. Die bloße Kenntnisnahme der Aufforderung kann dabei nicht mit deren rechtswirksamer Zustellung gleichgesetzt werden. Der Ansicht, es sei im Hinblick auf den Beginn des Fristenlaufes nach § 19 Abs. 4 leg.cit. auf die „Ausfertigung“ der Aufforderung abzustellen, ist nicht beizupflichten, da es auf eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung der Fälle hinausliefe, in denen einem Fahrzeuglenker keine Aufforderung zur Entrichtung der Ersatzmaut wirksam zugestellt wird, würde jenen Lenkern, bei denen immerhin der Versuch der Zustellung unternommen wurde, das Recht abgesprochen, in gleicher Weise wie die anderen Lenker bis zum Abschluss des Verfahrens die Ersatzmaut zu entrichten (vgl. zum Ganzen nochmals VwGH 20.12.2021, Ra 2020/06/0134, mit Verweis auf VwGH 12.10.2020, Ra 2018/06/0167).

12       Darauf, dass eine nicht rechtswirksame Zustellung eines Aufforderungsschreibens nach § 19 Abs. 4 BStMG ein Unterbleiben der Aufforderung zur Bezahlung der Ersatzmaut darstellen würde, sodass die Frist für die Bezahlung der Ersatzmaut nicht in Gang gesetzt würde, hat der Verwaltungsgerichtshof ebenfalls zuletzt in seinen Erkenntnissen vom 15. Dezember 2021, Ra 2020/06/0152 und vom 20. Dezember 2021, Ra 2020/06/0134, jeweils unter Hinweis auf das Erkenntnis vom 25. Mai 2021, Ra 2021/06/0039, hingewiesen; die Frage der ordnungsgemäßen Zustellung eines Aufforderungsschreibens zur Zahlung der Ersatzmaut ist daher entscheidungsrelevant.

13       Im Revisionsfall brachte der Revisionswerber nach den unbestritten gebliebenen Ausführungen im angefochtenen Erkenntnis bereits in seiner Beschwerde an das LVwG (sowie ebenso nochmals in einer Stellungnahme im Verfahren vor dem LVwG vom 14. Dezember 2018) vor, er habe die Aufforderung der ASFINAG zur Zahlung der Ersatzmaut nie erhalten, diese sei mit dem Postvermerk „Empfänger verzogen“ an die ASFINAG retourniert worden, und weitere Zustellversuche seien nicht erfolgt.

14       Das LVwG legte dem angefochtenen Erkenntnis diese Feststellung (nämlich dass dem Revisionswerber das Aufforderungsschreiben der ASFINAG nicht zugestellt, sondern mit dem Postvermerk „verzogen“ an die diese rückübermittelt worden sei), sowie weiters die Feststellung zugrunde, dass der Revisionswerber noch im Zuge des Strafverfahrens die Ersatzmaut überwiesen habe; rechtlich kam es jedoch zu dem Schluss, die vierwöchige Frist zur Zahlung der Ersatzmaut beginne mit dem Zeitpunkt der „Ausfertigung“ und nicht mit dem Zeitpunkt der Zustellung der Ersatzmautaufforderung, weshalb die am 7. Dezember 2018 erfolgte Zahlung der Ersatzmaut nicht rechtzeitig gewesen sei.

15       Damit verkannte es jedoch die Rechtslage. Die Auskunft aus dem Melderegister stellt nur ein Indiz für den tatsächlichen Aufenthalt dar, reicht aber keinesfalls für den Nachweis einer ordnungsgemäßen Zustellung aus. Nach der bereits referierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt eine nicht rechtswirksame Zustellung eines Aufforderungsschreibens nach § 19 Abs. 4 BStMG ein Unterbleiben der Aufforderung zur Bezahlung der Ersatzmaut dar (vgl. oben Rz 12), sodass die Frist für die Bezahlung der Ersatzmaut nicht in Gang gesetzt wird und die Möglichkeit besteht, gegebenenfalls die Ersatzmaut noch im Zuge des Strafverfahrens „fristgerecht“ zu bezahlen, um damit die Straflosigkeit im Sinne des § 20 Abs. 5 BStMG zu bewirken (vgl. oben Rz 10). Das mit voller Kognitionsbefugnis ausgestattete LVwG hätte den Strafaufhebungsgrund des § 20 Abs. 5 BStMG daher fallbezogen zu beachten gehabt.

16       Das angefochtene Erkenntnis war somit bereits aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben (vgl. nochmals etwa VwGH 12.10.2020, Ra 2018/06/0167, 25.5.2021, Ra 2021/06/0039 und 15.12.2021, Ra 2020/06/0152), weshalb es sich erübrigt, auf das weitere Revisionsvorbringen einzugehen.

17       Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 28. April 2022

Schlagworte

Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2019060174.L00

Im RIS seit

27.05.2022

Zuletzt aktualisiert am

09.06.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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