TE Vwgh Erkenntnis 1996/5/9 95/20/0349

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Veröffentlicht am 09.05.1996
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 26. April 1995, Zl. 4.320.543/4-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste am 6. August 1991 in das Bundesgebiet ein und stellte am 8. August 1991 schriftlich den Antrag, ihm Asyl zu gewähren. Dabei schilderte er seine Fluchtgründe dahingehend, er sei Kurde und in Kayseri geboren. Nach der Grundschule habe er eine Fachschule für Wirtschaft in Ankara besucht, wo er von den türkischen Lehrern und auch Mitschülern schikaniert worden sei. Schließlich habe er die Schule verlassen müssen, weil er durch den Gebrauch der kurdischen Sprache gegen die Schuldisziplin verstoßen habe. Die Rechtlosigkeit und der Druck, denen er als Kurde und Alevite ausgesetzt gewesen sei, habe ihn veranlaßt, nach einer politischen Gruppierung zu suchen, die imstande sei, die Rechte der Kurden und die Religionsfreiheit durchzusetzen. Er habe sich aus diesem Grunde für die Ziele der TDKP, später der legalen Halkin Emek-Partei (HEP) eingesetzt. Aufgrund seiner politischen Betätigung sei er festgenommen und zwei Wochen mit Elektroschocks "behandelt" worden. Danach sei er ohne Gerichtsverhandlung freigelassen, bald darauf jedoch, nämlich am 20. Februar 1991 abermals festgenommen und für 20 Tage gefoltert worden. Am 15. Juli 1991 sei in Diyarbakir der Führer der HEP zu Tode gefoltert worden. Anläßlich seines Begräbnisses seien zwei der Cousins des Beschwerdeführers erschossen, insgesamt etwa 30 Menschen umgebracht und 240 verhaftet worden. Er selbst habe diesem Massaker entkommen können. Danach sei ihm nur die Wahl geblieben, entweder bewaffneten Widerstand zu leisten oder zu flüchten. Da er die türkischen Gefängnisse kennengelernt habe, habe er dorthin nicht mehr zurückkehren wollen. Obwohl er seinen gesamten Besitz verkauft habe, habe das Geld nicht gereicht, um auch seiner Frau und seinem Kind die Flucht zu ermöglichen.

Anläßlich seiner am 3. Oktober 1991 vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich durchgeführten niederschriftlichen Befragung bekräftigte er diese Angaben und präzisierte, er habe für die HEP freiwillig und unentgeltlich Flugblätter verteilt und Zeitungen verkauft. Seine Festnahme Anfang 1991 sei unter dem Vorwurf erfolgt, er arbeite für eine illegale Organisation. Während der Haft sei er sehr oft geschlagen und mit Elektroschocks "behandelt" worden, wobei diese Maßnahmen derart "fachmännisch" durchgeführt worden seien, daß keine sichtbaren Spuren zurückgeblieben seien.

Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 19. Oktober 1991 wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Zuerkennung seiner Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle.

In seiner fristgerecht dagegen erhobenen Berufung verwies der Beschwerdeführer auf die Medienberichte, wonach Kurden in Syrien, im Irak und in der Türkei unterdrückt seien. Die Kurden seien eines der Großvölker der Welt, die keinen eigenen Staat hätten. Die Regierung der genannten Länder antworteten auf das Selbstbestimmungsrecht der Kurden immer mit Gewalt. Der Inhalt des erstinstanzlichen Bescheides scheine dies zu bestreiten, diese Antwort finde er erschütternd und als "Schande für die österreichische Demokratie". Die Aleviten seien eine religiöse Gruppe, die "schon in der Geschichte mit Gewalt aufgezogen worden" seien. Dieser Glaube werde vom Staat anerkannt, die Aleviten würden jedoch ständig verfolgt. Besonders die Zivilfaschisten (sog. "Graue Wölfe") übten grausame Gewalt gegen sie aus (unter Hinweis auf die Ermordung hunderter Aleviten, darunter Frauen und Kinder, am 24. Dezember 1978 in Kahramanmaras). Er habe auch seine eigene Situation geschildert, sowie dargetan, daß seine beiden Cousins Y und H aus politischen Gründen ermordet worden seien.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG im wesentlichen mit der Begründung ab, ausgehend von den Ermittlungsergebnissen des Verfahrens erster Instanz (§ 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991) sei zu bemerken, daß sich die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 auf Umstände beziehen müsse, die im zeitlichen Naheverhältnis zur Ausreise aus dem Heimatland lägen. Da der Beschwerdeführer am 6. August 1991 aus der Türkei ausgereist sei, liege diese Voraussetzung für die nach seinen Angaben bis zum Februar 1991 erfolgten Verhaftungen, Anhaltungen und Mißhandlungen nicht vor, weshalb sie schon aus diesem Grunde nicht geeignet seien, seine Flüchtlingseigenschaft zu begründen. Er habe auch nicht behauptet, daß nach diesen Maßnahmen von seiten der türkischen Behörden konkret gegen ihn vorgegangen worden sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, die Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht und über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Einzig tragende Begründung der belangten Behörde für die Abweisung der Berufung des Beschwerdeführers und damit Versagung von Asyl war die Annahme des mangelnden zeitlichen Konnexes zwischen den von ihm geschilderten Verhaftungen, Mißhandlungen und Folterungen einerseits und der am 6. August 1991 erfolgten Flucht aus seinem Heimatland andererseits, ohne in Abrede zu stellen, daß die vom Beschwerdeführer geschilderten Festnahmen, Haft und Folter an sich geeignet wären, Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 zu begründen. Geht man aber davon aus, daß die letzte Verhaftung des Beschwerdeführers am 20. Februar 1991 erfolgt war und 20 Tage andauerte, ergibt sich, daß seine Freilassung etwa Mitte März 1991 erfolgt sein muß. Seine Ausreise erfolgte daher etwa 4 3/4 Monate nach seiner Haftentlassung. In Anbetracht des Umstandes, daß der Beschwerdeführer darüber hinaus angegeben hat, dem am 15. Juli 1991 stattgefundenen Massaker in Diyarbakir, anläßlich dessen auch zwei seiner Cousins ums Leben gekommen seien, nur durch Zufall entkommen zu sein, kann nicht davon ausgegangen werden, die von ihm behauptete Verfolgungsgefahr sei keine "aktuelle". Aus diesem Grunde erweist sich der angefochtene, auf einer anderen rechtlichen Beurteilung basierende Bescheid der belangten Behörde als inhaltlich rechtswidrig, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995200349.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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