TE Vfgh Beschluss 2022/2/28 E1670/2021

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Veröffentlicht am 28.02.2022
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

EMRK Art3
AsylG 2005 §3, §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
BFA-VG §20
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Ablehnung der Behandlung der Beschwerde gegen die Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz eines Staatsangehörigen des Iraks; hinreichende Prüfung des Refoulement-Verbotes im Hinblick auf die Anwendung des Neuerungsverbotes auf das Vorbringen

Spruch

Die Behandlung der Beschwerde wird abgelehnt.

Begründung

Begründung

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die vorliegende Beschwerde behauptet die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973), nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (Art3 EMRK) und auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK).

Der Verfassungsgerichtshof geht in Übereinstimmung mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (s etwa EGMR 7.7.1989, Fall Soering, EuGRZ 1989, 314 [319]; 30.10.1991, Fall Vilvarajah ua, ÖJZ 1992, 309 [309]; 6.3.2001, Fall Hilal, ÖJZ 2002, 436 [436 f.]) davon aus, dass die Entscheidung eines Vertragsstaates, einen Fremden in welcher Form immer außer Landes zu schaffen, unter dem Blickwinkel des Art3 EMRK erheblich werden und demnach die Verantwortlichkeit des Staates nach der EMRK begründen kann, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden sind, dass der Fremde konkret Gefahr liefe, in dem Land, in das er gebracht werden soll, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (vgl VfSlg 13.837/1994, 14.119/1995, 14.998/1997).

Das Bundesverwaltungsgericht hat weder eine grundrechtswidrige Gesetzesauslegung vorgenommen noch sind ihm grobe Verfahrensfehler unterlaufen, die eine vom Verfassungsgerichtshof aufzugreifende Verletzung des genannten Grundrechtes darstellen (vgl VfSlg 13.897/1994, 15.026/1997, 15.372/1998, 16.384/2001, 17.586/2005). Insbesondere vermag der Verfassungsgerichtshof keine Verletzung von Art3 EMRK durch die Anwendung des Neuerungsverbotes iSd §20 BFA-VG im vorliegenden Fall erkennen: Wie der Verwaltungsgerichtshof in Anlehnung an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH 9.9.2021, Rs. C-18/20XY/BFA) jüngst ausgesprochen hat, ist jenes Vorbringen, das der Beschwerdeführer nicht schon im hier in Rede stehenden Asylverfahren geltend machen konnte, in einem weiteren Asylverfahren nicht von vornherein der Überprüfung entzogen (vgl VwGH 19.1.2022, Ra 2021/20/0155; s. dazu auch VwGH 19.10.2021, Ro 2019/14/0006; VfGH 29.11.2021, E2979/2021). Damit ist sichergestellt, dass in der rechtsstaatlich gebotenen Weise eine Verletzung des Refoulement-Verbotes hintangehalten wird. Ob dem Bundesverwaltungsgericht sonstige Fehler bei der Rechtsanwendung unterlaufen sind, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu beurteilen.

Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg 17.340/2004 ausgeführt hat, darf eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nicht verfügt werden, wenn dadurch das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens des Betroffenen verletzt würde. Bei der Beurteilung nach Art8 EMRK ist eine Interessenabwägung vorzunehmen (vgl die in VfSlg 18.223/2007 und 18.224/2007 wiedergegebene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte).

Das Bundesverwaltungsgericht hat sich mit der Frage der Gefährdung der beschwerdeführenden Partei in ihren Rechten auseinandergesetzt. Ihm kann unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht entgegengetreten werden, wenn es auf Grund der Umstände des vorliegenden Falles davon ausgeht, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts von Fremden ohne Aufenthaltstitel das Interesse am Verbleib im Bundesgebiet aus Gründen des Art8 EMRK überwiegt (vgl VfSlg 19.086/2010).

Die im Übrigen gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob die Anwendung des Neuerungsverbotes iSd §20 BFA-VG in jeder Hinsicht rechtmäßig war, nicht anzustellen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG).

Schlagworte

Asylrecht, VfGH / Ablehnung, Entscheidungsbegründung, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:E1670.2021

Zuletzt aktualisiert am

19.05.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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