TE OGH 2022/3/31 5Ob20/22k

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Veröffentlicht am 31.03.2022
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun-Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragsteller 1. V*, 2. N*, beide vertreten durch die Dr. Wolfgang Ulm Rechtsanwalt-GmbH, Wien, gegen die Antragsgegnerin W* AG *, vertreten durch Mag. Franz Podovsovnik, Rechtsanwalt in Wien, wegen § 16 Abs 2 iVm § 37 Abs 1 Z 8 MRG, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsteller gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 29. Dezember 2021, GZ 38 R 187/21p-20, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 37 Abs 3 Z 16 MRG iVm § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1]            1.1 Nach § 16 Abs 4 MRG ist ein Lagezuschlag zulässig, wenn die Liegenschaft, auf der sich die Wohnung befindet, eine Lage aufweist, die besser ist als die durchschnittliche Lage (§ 2 Abs 3 RichtWG), und die für den Lagezuschlag maßgebenden Umstände dem Mieter in Schriftform spätestens bei Zustandekommen des Mietvertrags bekanntgegeben worden sind.

[2]       1.2 Die Beurteilung, ob eine konkrete Lage (Wohnumgebung) aufgrund ihrer Eigenschaften als „besser als durchschnittlich“ zu qualifizieren ist, erfolgt nach der allgemeinen Verkehrsauffassung und der Erfahrung des täglichen Lebens (RIS-Justiz RS0111204 [T2]). Dazu bedarf es eines wertenden Vergleichs mit anderen Lagen (Wohnumgebungen). In Wien ist als Referenzgebiet für die Beurteilung der Durchschnittlichkeit der Lage eines Hauses nicht regelhaft maximal der jeweilige Gemeindebezirk heranzuziehen, sondern auf jene Teile des Wiener Stadtgebiets abzustellen, die einander nach der Verkehrsauffassung in ihren Bebauungsmerkmalen gleichen und (daher) ein einigermaßen einheitliches Wohngebiet bilden (RS0131812).

[3]            1.3 Bei der Beurteilung der Qualität einer Wohnumgebung ist eine Gesamtschau und Gewichtung der einzelnen Lagecharakteristika nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls geboten. Vorzunehmen ist eine Gesamtschau, weil die Lagequalität nur insgesamt erfasst werden kann. Die Auflistung und Bewertung einzelner Lagefaktoren kann nur ein Kontrollinstrument sein (5 Ob 158/18y; 5 Ob 100/21y; 5 Ob 104/21m). Den Gerichten ist dabei ein gewisser Wertungs- und Ermessensspielraum eingeräumt. Solange dieser nicht überschritten wird, liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor (etwa 5 Ob 104/21m; 5 Ob 143/21x je mwN).

[4]            2.1 Eine solche im Einzelfall aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung zeigen die Antragsteller in ihrem außerordentlichen Rechtsmittel, mit dem sie sich gegen die Zuerkennung eines Lagezuschlags wenden, nicht auf:

[5]       2.2 Diese Liegenschaft befindet sich im vierten Wiener Gemeindebezirk und bildet eine Eckparzelle in unmittelbarer Nähe zum Schloss Belvedere mit seinen Parkanlagen, von denen sie durch einen Straßenzug getrennt ist, durch den eine Straßenbahn fährt. An ihrer Nordseite grenzt sie an eine in Richtung Westen geführte Einbahn. Das Rekursgericht hob in seiner ausführlich begründeten Entscheidung als die seiner Auffassung nach die Überdurchschnittlichkeit der Lage rechtfertigenden Merkmale insbesondere die gute Verkehrsanbindung (öffentlicher Verkehr und Individualverkehr), das Bildungsangebot, die gute Erreichbarkeit kultureller Einrichtungen in den innerstädtischen Bezirken sowie in der näheren Umgebung der Liegenschaft, die Versorgung mit Geschäften des täglichen Bedarfs und sonstigen Konsumgütern, das Gastronomieangebot sowie die gute medizinische Versorgung hervor und nannte dafür zahlreiche Beispiele. Dem halten die Antragsteller entgegen, dass mit einer Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz sowie mit der guten Erreichbarkeit kultureller Einrichtungen im innerstädtischen Bereich typischerweise zu rechnen sei, sodass als „Alleinstellungsmerkmal“ lediglich die Nähe zum Schloss Belvedere verbleibe. Damit übergehen sie, dass die Einstufung einer Lage als überdurchschnittlich im Sinn des § 16 Abs 4 MRG keineswegs die Alleinstellung einer Liegenschaft mit einzelnen Lagefaktoren erfordert, sondern Ergebnis einer wertenden Gesamtschau und Gewichtung der festgestellten Charakteristika ist. Aus welchen Gründen allein der Umstand, dass einzelne der festgestellten Lagemerkmale auch in anderen innerstädtischen Lagen vorzufinden sind, einer solchen Einstufung entgegenstehen soll, begründen sie nicht näher.

[6]       3. Richtig ist, dass der Fachsenat in der von den Antragstellern zur Stützung ihres Standpunkts zitierten Entscheidung zu 5 Ob 104/21m ausgesprochen hat, dass eines der relevanten Lagekriterien für die Beurteilung der (Über-)Durchschnittlichkeit der Lage auch der Umstand ist, ob die zu beurteilende Liegenschaft – gemessen an vergleichbaren innerstädtischen Lagen – eine besondere (Grün-)Ruhelage aufweist oder im Gegenteil über das im innerstädtischen Gebiet zu erwartende Ausmaß von Verkehr, Abgasen und Lärm belastet wird. Das Rekursgericht hat die Belastung durch Straßenlärm in der die Liegenschaft nach Norden abgrenzenden Einbahn in seine Gesamtbetrachtung einbezogen und gegen die Vorzüge der Lage, insbesondere die unmittelbare Nähe zum Areal des Schlosses Belvedere, abgewogen. Soweit die Antragsteller in diesem Zusammenhang auf den im Vergleich zur Einbahn erhöhten Lärmpegel (ua) durch die Straßenbahn im anderen Straßenzug verweisen und sich dazu auf eine von einer öffentlichen Stelle errichtete Lärmkarte berufen, lassen sie unbeachtet, dass dieser Karte nach den Feststellungen nur Indizwirkung zukommt und die darin ausgewiesenen Werte nicht auf eine bestimmte Liegenschaft zutreffen müssen. Ob die konkrete Liegenschaft über das in vergleichbaren innerstädtischen Lagen zu erwartende Ausmaß mit Lärm belastet ist, steht damit nicht fest. Auch wenn das weitere Argument des Rekursgerichts, dass die konkrete Wohnung der Antragsteller von einer erhöhten Lärmbeeinträchtigung in dem Straßenzug mit der Straßenbahn nicht betroffen ist, weil sie zur Einbahn ausgerichtet ist, in einem Spannungsverhältnis zur Entscheidung zu 5 Ob 104/21m steht (vgl dazu auch Kothbauer, Kein Lagezuschlag wegen Verkehrslärms?, immolex 2022, 44), bieten die Argumente der Revisionsrekurswerber damit insgesamt keinen Anlass zur Annahme, dass das Rekursgericht – in der gebotenen Gesamtschau und Gewichtung der einzelnen Lagecharakteristika – den ihm bei der Beurteilung der Qualität der Lage (Wohnumgebung) grundsätzlich eingeräumten Wertungs- und Ermessensspielraum verlassen hätte (vgl 5 Ob 143/21x).

[7]       4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Textnummer

E134768

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:0050OB00020.22K.0331.000

Im RIS seit

17.05.2022

Zuletzt aktualisiert am

17.05.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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