TE Vfgh Beschluss 2022/2/28 E4497/2021

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Veröffentlicht am 28.02.2022
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Index

L1000 Gemeindeordnung

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
Nö GdO 1973 §35, §36
UVP-G 2000 §19
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Zurückweisung der Beschwerde einer Niederösterreichischen Gemeinden gegen die Genehmigung der Errichtung und des Betriebs einer Zitronensäureproduktionsanlage mangels Legitimation; fehlender rechtzeitiger Beschluss des nach der Nö GemeindeO zuständigen Stadtrates

Spruch

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Sachverhalt und Beschwerdevorbringen

1. Mit Bescheid vom 24. November 2020 erteilte die Niederösterreichische Landesregierung die Genehmigung nach dem UVP-G 2000 für die Errichtung und den Betrieb einer Zitronensäureproduktionsanlage am Standort Bergern im Bezirk Melk. Gegen diesen Bescheid erhob die beschwerdeführende Gemeinde – neben zahlreichen weiteren Parteien – Beschwerde.

2. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 2. November 2021 (zugestellt am 8. November 2021) wurde die Beschwerde der beschwerdeführenden Gemeinde ab- bzw zurückgewiesen.

3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein faires Verfahren (Art6 EMRK, Art47 GRC) und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 B-VG) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

4. Mit Schreiben vom 23. Dezember 2021 forderte der Verfassungsgerichtshof die beschwerdeführende Gemeinde auf, den Auszug aus dem Protokoll der Sitzung des nach den Organisationsvorschriften zuständigen Gemeindeorganes, in der die Erhebung der Beschwerde beschlossen wurde, innerhalb von zwei Wochen vorzulegen.

5. Innerhalb dieser Frist legte die beschwerdeführende Gemeinde das Protokoll der Gemeinderatssitzung vom 14. Dezember 2021 vor, aus dem hervorgeht, dass der Gemeinderat die Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gegen die genannte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes einstimmig beschlossen hat.

II. Rechtslage

1. §19 des Bundesgesetzes über die Prüfung der Umweltverträglichkeit (Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 – UVP-G 2000), BGBl 697/1993, idF BGBl I 80/2018 lautet auszugsweise:

"Partei- und Beteiligtenstellung sowie Rechtsmittelbefugnis

§19. (1) Parteistellung haben

1. Nachbarn/Nachbarinnen: Als Nachbarn/Nachbarinnen gelten Personen, die durch die Errichtung, den Betrieb oder den Bestand des Vorhabens gefährdet oder belästigt oder deren dingliche Rechte im In- oder Ausland gefährdet werden könnten, sowie die Inhaber/Inhaberinnen von Einrichtungen, in denen sich regelmäßig Personen vorübergehend aufhalten, hinsichtlich des Schutzes dieser Personen; als Nachbarn/Nachbarinnen gelten nicht Personen, die sich vorübergehend in der Nähe des Vorhabens aufhalten und nicht dinglich berechtigt sind; hinsichtlich Nachbarn/Nachbarinnen im Ausland gilt für Staaten, die nicht Vertragsparteien des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum sind, der Grundsatz der Gegenseitigkeit;

2. die nach den anzuwendenden Verwaltungsvorschriften vorgesehenen Parteien, soweit ihnen nicht bereits nach Z1 Parteistellung zukommt;

3. der Umweltanwalt gemäß Abs3;

4. das wasserwirtschaftliche Planungsorgan zur Wahrnehmung der wasserwirtschaftlichen Interessen gemäß §§55, 55g und 104a WRG 1959;

5. Gemeinden gemäß Abs3;

6. Bürgerinitiativen gemäß Abs4, ausgenommen im vereinfachten Verfahren (Abs2);

7. Umweltorganisationen, die gemäß Abs7 anerkannt wurden und

8. der Standortanwalt gemäß Abs12.

(2) Im vereinfachten Verfahren können Bürgerinitiativen gemäß Abs4 als Beteiligte mit dem Recht auf Akteneinsicht am Verfahren teilnehmen.

(3) Der Umweltanwalt, die Standortgemeinde und die an diese unmittelbar angrenzenden österreichischen Gemeinden, die von wesentlichen Auswirkungen des Vorhabens auf die Umwelt betroffen sein können, haben im Genehmigungsverfahren und im Verfahren nach §20 Parteistellung. Der Umweltanwalt ist berechtigt, die Einhaltung von Rechtsvorschriften, die dem Schutz der Umwelt dienen, als subjektives Recht im Verfahren geltend zu machen und Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht sowie Revision an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben. Gemeinden im Sinne des ersten Satzes sind berechtigt, die Einhaltung von Rechtsvorschriften, die dem Schutz der Umwelt oder der von ihnen wahrzunehmenden öffentlichen Interessen dienen, als subjektives Recht im Verfahren geltend zu machen und Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht sowie Revision an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben.

[…]."

2. Die maßgeblichen Bestimmungen der NÖ Gemeindeordnung 1973 – NÖ GO 1973, LGBl 1000-0 (WV), idF LGBl 18/2021, lauten auszugsweise:

"§35

Gemeinderat

Dem Gemeinderat sind, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt wird, folgende Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde zur selbständigen Erledigung vorbehalten:

[…]

6. die Beschlußfassung von Stellungnahmen grundsätzlicher Art (z. B. zu Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren);

[…]

16. die Einleitung oder Fortsetzung eines Rechtsstreites, der Abschluß aller Arten von Vergleichen, Verzichten und Anerkenntnissen, sofern es sich nicht um Rechtsmittel in verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten handelt; […].

§36

Gemeindevorstand (Stadtrat)

(1) Dem Gemeindevorstand (Stadtrat) obliegen alle in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fallenden Angelegenheiten, soweit durch Gesetz nicht anderes bestimmt wird.

(2) Dem Gemeindevorstand sind insbesondere vorbehalten:

[…]

6. Beschwerden, Klagen, Revisionen oder Anträge, ausgenommenen jene nach §110 Abs3, an den Verfassungsgerichtshof, den Verwaltungsgerichtshof und die Verwaltungsgerichte; […].

(3) Ist der Gemeindevorstand in zwei aufeinanderfolgenden Sitzungen in einem bestimmten Gegenstand beschlußunfähig, so geht die Zuständigkeit für diesen Gegenstand auf den Gemeinderat über."

III. Zulässigkeit

1. Die Beschwerde ist nicht zulässig.

2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes hat der Beschwerde nach Art144 B-VG ein innerhalb der Beschwerdefrist gefasster Beschluss des dafür zuständigen Gemeindeorganes zugrunde zu liegen (vgl VfSlg 10.646/1985, 13.792/1994, 14.583/1996, 15.563/1999, 17.664/2005, 19.114/2010; VfGH 24.11.2017, E1041/2016; 15.12.2021, E4122/2021).

3. Gemäß §36 Abs2 Z6 NÖ GO 1973 ist der Gemeindevorstand bzw – wie hier – der Stadtrat zuständig, die Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof zu beschließen. §36 Abs2 Z6 NÖ GO 1973 geht insofern §35 Z16 NÖ GO 1973 vor, der nur allgemein die Zuständigkeit des Gemeinderates für die Einleitung oder Fortsetzung eines Rechtsstreites regelt und Rechtsmittel in verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten explizit davon ausnimmt (vgl VfGH 21.9.2017, G68/2017). Im vorliegenden Fall hat aber nicht der Stadtrat, sondern der Gemeinderat der beschwerdeführenden Gemeinde am 14. Dezember 2021 den Beschluss gefasst, die vorliegende Beschwerde gemäß Art144 B-VG an den Verfassungsgerichtshof zu erheben.

4. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Stadtrat innerhalb der Beschwerdefrist beschlussunfähig gewesen und die Zuständigkeit daher gemäß §36 Abs3 NÖ GO 1973 auf den Gemeinderat übergegangen wäre.

5. Da der namens der beschwerdeführenden Gemeinde erhobenen Beschwerde nach Art144 B-VG somit kein entsprechender (rechtzeitiger) Beschluss des Stadtrates als dem zuständigen Gemeindeorgan zugrunde liegt, ist die Beschwerde schon aus diesem Grund als unzulässig zurückzuweisen.

IV. Ergebnis

1. Die Beschwerde ist mangels Legitimation der beschwerdeführenden Gemeinde zurückzuweisen, ohne dass das Vorliegen der übrigen Prozessvoraussetzungen näher zu prüfen ist.

2. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Legitimation, Gemeinderecht Organe, Vertretung nach außen, Umweltverträglichkeitsprüfung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:E4497.2021

Zuletzt aktualisiert am

25.05.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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