TE Lvwg Erkenntnis 2022/3/1 LVwG-M-14/001-2022

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Veröffentlicht am 01.03.2022
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Entscheidungsdatum

01.03.2022

Norm

B-VG Art130 Abs1 Z2
SPG 1991 §38a

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch Mag. Dr. Goldstein als Einzelrichter über eine auf Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG gestützte Beschwerde von Herrn A im Zusammenhang mit der Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbotes durch Organe der Polizeiinspektion *** (zurechenbar der Bezirkshauptmannschaft Korneuburg) am 29.12.2021 in ***, ***, zu Recht:

1.   Der Beschwerde, der Beschwerdeführer sei durch das Unterlassen der gesetzlich gebotenen Überprüfung und die Aufrechterhaltung des ihm gegenüber angeordneten Betretungs- und Annäherungsverbotes in seinen Rechten verletzt worden, wird gemäß § 28 Abs. 6 VwGVG Folge gegeben. Die Aufrechterhaltung des Betretungs- und Annäherungsverbotes nach Ablauf des 01.01.2022 wird für rechtswidrig erklärt.

2.   Der Bund (Bundesminister für Inneres) hat dem Beschwerdeführer gemäß § 35 VwGVG iVm der VwG-Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 517/2013, den Schriftsatzaufwand in der Höhe von 737,60 € binnen zwei Monaten ab Zustellung bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

3.   Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Entscheidungsgründe:

1.   Zum Beschwerdevorbringen:

Mit Schriftsatz vom 09.02.2022 erhob der rechtskundige Beschwerdeführer eine auf Art 130 Abs. 1 Z 2 B-VG gestützte Beschwerde im Zusammenhang mit der Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbotes am 29.01.2022.

Die Beschwerde richtet sich ausdrücklich nicht gegen die Anordnung des Betretungs- und Annäherungsverbotes. Die belangte Behörde habe jedoch die gemäß § 38a Abs. 7 SPG zwingend binnen drei Tagen vorzunehmende Überprüfung der Anordnung nicht fristgerecht vorgenommen. Sie habe zudem umfangreiche, vom Beschwerdeführer vorgelegte Stellungnahmen nicht gewürdigt, keinerlei Ermittlungsschritte gesetzt und die Aufrechthaltung der Maßnahme nicht auf ihre Verhältnismäßigkeit geprüft. Die gemäß § 38a Abs. 6 SPG erstellte Dokumentation sei gravierend mangelhaft, unvollständig und inhaltlich widersprüchlich ausgeführt worden. Die belangte Behörde hätte daher die am 29.12.2021 angeordnete Maßnahme am 03.01.2022 oder in Hinblick auf die vorgelegten Unterlagen spätestens am 07.01.2022 aufheben müssen.

Der Beschwerdeführer beantragte, das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich möge

„1. erkennen, dass der Beschwerdeführer durch das Unterlassen der gesetzlich gebotenen Überprüfung im gesamten Verlauf der gesetzlichen Geltungsdauer und durch die Aufrechterhaltung des von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdiensts gegen ihn am 29.12.2021 verhängten Betretungs- und Annäherungsverbots gemäß § 38a (1) SPG über den 07.01.2022 hinaus in seinen Rechten gemäß §§ 38a iVm 29 SPG sowie in seinen Grundrechten auf Schutz des Privat- und Familienlebens (Art 8 (1) E-MRK und Art 9 StGG) und auf ein faires Verfahren (Art 6 E-MRK) verletzt wurde, und

2. die belangte Behörde schuldig erkennen, dem Beschwerdeführer die Kosten dieses Beschwerdeverfahrens im gesetzlichen Ausmaß zu bezahlen.“

2.   Zum durchgeführten Ermittlungsverfahren:

Mit Schreiben vom 15.02.2022 wurde die belangte Behörde eingeladen, binnen drei Wochen ab Zustellung hierzu eine Gegenschrift zu erstatten und dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich die bezughabenden Akten vorzulegen.

In ihrer Gegenschrift führte die belangte Behörde unter gleichzeitiger Vorlage der Akten aus, dass die Überprüfung des Betretungs- und Annäherungsverbotes durch die Sicherheitsbehörde am 03.01.2022 erfolgt sei. Die belangte Behörde habe im Zuge der ex ante Betrachtung des erhobenen Sachverhaltes durch die einschreitenden Polizisten und den umfangreichen Eingaben des Beschwerdeführers die Maßnahme des Betretungs- und Annäherungsverbotes aufrecht belassen, da durch eine Aufhebung der Maßnahme ein gefährlicher Angriff auf die gefährdete Person nicht auszuschließen gewesen wäre. Zudem wurde darauf verwiesen, dass das Bezirksgericht *** am 17.01.2022 eine einstweilige Verfügung gemäß § 382b EO über den Beschwerdeführer erlassen habe.

3.   Feststellungen:

3.1 Am 29.12.2021 gegen 23:00 Uhr haben Organe der Polizeiinspektion *** gegenüber dem Beschwerdeführer ein Betretungsverbot hinsichtlich der Wohnung in ***, ***, verbunden mit dem Verbot der Annäherung an die Gefährdete Person B im Umkreis von hundert Metern angeordnet.

3.2 Mit E-Mail vom 30.12.2021 um 00:42 wurde dies der belangten Behörde unter Vorlage einer Dokumentation der Amtshandlung bekanntgegeben.

3.3 Die belangte Behörde überprüfte die Anordnung des Betretungs- und Annäherungsverbots am 03.01.2022 um 14:20 Uhr. Das Betretungsverbot wurde nicht aufgehoben.

3.4 Bis zum 12.01.2022 wurde die belangte Behörde vom Bezirksgericht *** nicht darüber informiert, dass ein Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach §§ 382b und 382c EO eingebracht worden ist.

3.5 Am 17.01.2022 erließ das Bezirksgericht *** gegenüber dem Beschwerdeführer eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b und 382c EO.

4.   Beweiswürdigung:

Die Feststellung zu Punkt 3.1 ergibt sich aus der im Verwaltungsakt der belangten Behörde enthaltenen Dokumentation der Polizeiinspektion *** vom 30.12.2021 mit der Geschäftszahl ***.

Die Feststellung zu Punkt 3.2 ergibt sich aus dem im Verwaltungsakt der belangten Behörde enthaltenen E-Mail der Polizeiinspektion *** an die belangte Behörde vom 30.12.2021 um 00:42 Uhr.

Die Feststellung zu Punkt 3.3 ergibt sich aus dem Aktenvermerk der belangten Behörde vom 03.01.2022 mit der Geschäftszahl *** und wurde auch in der Gegenschrift der belangten Behörde bestätigt.

Die Feststellung zu Punkt 3.4 ergibt sich aus der vollständig vorgelegten Aktendokumentation der belangten Behörde und ergibt sich implizit auch aus dem Schreiben der belangten Behörde an den Beschwerdeführer vom 13.01.2022 mit der Geschäftszahl ***, in welchem auf den zwischenzeitlichen Ablauf der gesetzlichen Dauer des Betretungsverbotes hingewiesen wird.

Die Feststellung zu Punkt 3.5 ergibt sich aus der im Verwaltungsakt der belangten Behörde enthaltenen einstweiligen Verfügung des Bezirksgerichtes *** vom 17.01.2022 mit der Geschäftszahl ***.

5.   Rechtslage und Erwägungen:

Die gegenständliche, auf Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG gestützte Beschwerde richtet sich ausdrücklich nicht gegen die Anordnung des Betretungs- und Annäherungsverbotes, sondern gegen das Unterlassen der gesetzlich vorgesehenen Überprüfung durch die Sicherheitsbehörde bzw. die Aufrechterhaltung des Betretungs- und Annäherungsverbotes durch die Sicherheitsbehörde.

Bei der Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbotes handelt es sich um eine Angelegenheit der Sicherheitsverwaltung im Sinne des § 2 Abs. 2 SPG. Dem Beschwerdeführer steht daher unabhängig vom „Maßnahmencharakter“ der angefochtenen Amtshandlung eine Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht offen. Es erübrigt sich daher insoweit eine nähere Prüfung der Rechtsnatur der Überprüfung durch die Sicherheitsbehörde bzw. der Aufrechterhaltung des Betretungs- und Annäherungsverbotes (vgl. VwGH 19.04.2016, Ra 2015/01/0232; 30.01.2001, 2000/01/0018). Das vom Beschwerdeführer gerügte Unterlassen einer Überprüfung nach § 38a Abs. 7 SPG bzw. die unverhältnismäßig lange Dauer des Betretungs- und Annäherungsverbotes ist jedenfalls im Wege des § 88 Abs. 2 SPG bekämpfbar (VwGH 24.02.2004, 2002/01/0280; 24.05.2005, 2004/01/0579).

Gemäß § 38a Abs. 7 SPG ist die Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbots der Sicherheitsbehörde unverzüglich bekanntzugeben und von dieser binnen drei Tagen zu überprüfen. Stellt die Sicherheitsbehörde fest, dass das Betretungs- und Annäherungsverbot nicht hätte angeordnet werden dürfen, so hat sie unverzüglich den Gefährdeten über die beabsichtigte Aufhebung zu informieren und das Verbot gegenüber dem Gefährder aufzuheben.

Gemäß § 38 Abs. 12 SPG richtet sich die Berechnung von Fristen nach dieser Bestimmung nach §§ 32 und 33 Abs. 1 AVG. Dies bedeutet, dass bei der Berechnung von Fristen, die nach Tagen bestimmt sind, der Tag nicht mitgerechnet wird, in den der Zeitpunkt oder das Ereignis fällt, wonach sich der Anfang der Frist richten soll. Außerdem werden der Beginn und Lauf einer Frist durch Samstage, Sonntage oder gesetzliche Feiertage nicht behindert.

Es wird jedoch keine Anwendung des § 32 Abs. 2 AVG angeordnet, sodass der Fristablauf auch nicht gehemmt wird, wenn das Ende der Frist auf einen Samstag, Sonntag, gesetzlichen Feiertag, Karfreitag oder 24. Dezember fällt, sodass etwa die die Überprüfung gemäß § 38a Abs. 7 SPG in jedem Fall binnen drei Tagen zu erfolgen hat (IA 970/A, 26. GP, 28).

Das gegenständliche Betretungs- und Annäherungsverbot wurde gegenüber dem Beschwerdeführer am 29.12.2021 um ca. 23:00 Uhr angeordnet und war mangels Aufhebung durch die Sicherheitsbehörde oder Information über die Einbringung eines Antrages auf einstweilige Verfügung gemäß § 38a Abs. 10 SPG bis zum Ablauf des 12.01.2022 aufrecht.

Die dreitätige Frist zur Überprüfung des Betretungs- und Annäherungsverbotes durch die Sicherheitsbehörde endete gemäß § 38a Abs. 7 SPG iVm § 32 Abs. 1 und § 33 Abs. 1 AVG mit Ablauf des 01.01.2022. Diese Überprüfung erfolgte aber unstrittig erst am 03.01.2022, somit jedenfalls nach Ablauf der gesetzlich vorgesehenen Frist von drei Tagen.

Dies hatte zur Folge, dass das Betretungsverbot nach Ablauf der gesetzlich normierten Frist mit Rechtswidrigkeit behaftet war. Die Aufrechterhaltung des Betretungs- und Annäherungsverbotes erwies sich daher bereits mit Ablauf des 01.01.2022 als rechtswidrig, sodass der Beschwerde spruchgemäß Folge zu geben war (VwGH 24.02.2004, 2002/01/0280; 24.05.2005, 2004/01/0579 unter Verweis auf den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für Kärnten vom 27. Mai 2004, Zl. KUVS-437/5/2004).

Somit erübrigt sich eine Beurteilung, ob die belangte Behörde zu einem späteren Zeitpunkt verpflichtet gewesen wäre, das Betretungs- und Annäherungsverbot in Hinblick auf die Stellungnahmen des Beschwerdeführers aufzuheben.

6.   Zur Nichtdurchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung:

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG unterbleiben, da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären ist. Überdies wurde eine Verhandlung auch von keiner Partei beantragt und war der entscheidungsrelevante Sachverhalt unstrittig.

7.   Zum Ausspruch über den Aufwandsersatz

Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die obsiegende Partei im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt Anspruch auf den Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist der Beschwerdeführer gemäß § 35 Abs. 2 VwGVG die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei.

Im konkreten Fall ergibt sich, dass der Beschwerdeführer als obsiegende Partei zu betrachten ist, sodass ihm antragsgemäß der Schriftsatzaufwand in tarifmäßiger Höhe zuzuerkennen war.

8.   Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da im gegenständlichen Verfahren keine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Vielmehr ist die rechtliche Konsequenz einer nicht fristgerechten Überprüfung eines Betretungs- und Annäherungsverbotes durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinreichend beantwortet (siehe auch VwGH 10.07.2017, Ra 2017/01/0178).

Schlagworte

Maßnahmenbeschwerde; Betretungsverbot; Annäherungsverbot; Überprüfung; Frist;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2022:LVwG.M.14.001.2022

Zuletzt aktualisiert am

06.05.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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