TE Vfgh Erkenntnis 2022/2/28 E3589/2021

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Veröffentlicht am 28.02.2022
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3 Abs1
Genfer Flüchtlingskonvention Art1 Abschnitt A
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung Fremder untereinander durch Abweisung des Asylantrags eines aus Myanmar nach Bangladesch geflüchteten Angehörigen der Rohingya; Zuerkennung des Status des Asylberechtigten auf Grund der staatlichen Bedrohung wegen Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Rohingya geboten

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer stellte am 5. September 2019 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass seine Familie im Jahr 1992 von Myanmar nach Bangladesch geflohen sei und sie Rohingya seien.

2. Mit Bescheid vom 26. Februar 2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung nach Bangladesch zulässig sei, und setzte eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

3. Das Bundesverwaltungsgericht wies mit Erkenntnis vom 16. August 2021 die gegen den Bescheid erhobene Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten als unbegründet ab, erkannte dem Beschwerdeführer aber den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung. Die Rückkehrentscheidung und die daran anknüpfenden Spruchpunkte des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl behob das Bundesverwaltungsgericht ersatzlos.

Die Abweisung der Beschwerde hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten begründet das Bundesverwaltungsgericht damit, dass der Beschwerdeführer eine individuelle asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft machen habe können. Mit Verweis darauf, dass der Beschwerdeführer ein Angehöriger der Volksgruppe der Rohingya sei und deswegen nicht ausgeschlossen werden könne, dass diesem ein "real risk" einer Verletzung seiner Rechte im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat Bangladesch drohe, erkennt das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer aber den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu:

"Es konnte keine allgemein lebensbedrohliche Situation bzw landesweite (Bürger-)Kriegslage in Bangladesch, dem Herkunftsstaat des BF, festgestellt werden. Die Grundversorgung der Bevölkerung ist in […] Bangladesch zudem gewährleistet. Der BF erstattete in diesem Zusammenhang auch kein anderslautendes Vorbringen, weshalb eine Gewährung subsidiären Schutzes aufgrund der allgemeinen Sicherheits- bzw Versorgungslage in seinem Herkunftsstaat aus diesen Gründen nicht in Betracht kommt.

Der Beschwerdeführer ist jedoch seinen Angaben zu Folge, denen nicht substantiiert entgegengetreten werden konnte, Angehöriger der Volksgruppe der Rohingyas.

Dem BF ist [es] sohin im konkreten Einzelfall gelungen, im Entscheidungszeitpunkt ein 'real risk' einer Verletzung seiner Rechte im Falle einer Rückführung in seine[n] Herkunftsstaat Bangladesch aufzuzeigen, obwohl er innerhalb seines Familienverbandes integriert ist.

[…]

Dem Vorbringen des BF, in Bangladesch aufgrund seiner Zugehörigkeit zu den Rohingyas einer – faktischen - Verfolgung durch die Mehrheitsbevölkerung bzw durch Ignoranz der inländischen Behörden – außerhalb des eigenen Familienverbandes - einer Verfolgung ausgesetzt zu sein, kann unter Zugrundelegung der aktuellen Länderberichte nicht entgegengetreten werden."

Dieser Entscheidung legt das Bundesverwaltungsgericht auszugsweise folgende Sachverhaltsfeststellungen zugrunde:

"Festgestellt wird, dass der BF ein Rohingya ist.

[…]

Es wird auf Grund der aktuellen Länderberichte festgestellt, dass im Falle einer Rückkehr nach Bangladesch der BF einer unmittelbaren (staatlichen) Bedrohung ausgesetzt ist."

Beweiswürdigend führt das Bundesverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang auszugsweise aus:

"[…] Eine über die (allgemeine) Verachtung der durchschnittlichen Bevölkerung gegenüber den Rohingyas hinausgehende persönliche Verfolgung brachte der BF nicht vor. Vielmehr schilderte der BF eine Integration in die Familie seiner (späteren) Ehefrau, welche letztlich zur Heirat und Mitarbeit im Familienverband führte. Da auch die Kinder des BF die bengalische Staatsbürgerschaft besitzen und eine Schulausbildung erfahren, deutet alles darauf hin, dass auch die in den aktuellen Länderberichten geschilderten Benachteiligungen von Kindern von Rohinhyas im konkreten Einzelfall nicht gegeben ist.

Die Stellung des BF auch innerhalb der Volksgruppe der Rohingyas war nicht herausragend, sodass auf Grund dieser Stellung eine besondere Verfolgung des BF hervorgekommen wäre. Die Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe ist jedoch für sich allein genommen noch kein Asylgrund (VwGH 23.05.1995, 94/20/0816), es bedarf einer individuellen Verfolgung. Eine derartige Verfolgung konnte der BF auch in der Verhandlung vor dem BVwG nicht darlegen, vielmehr konnte er von einer Anerkennung im Familienverband ausgehen.

Unter Berücksichtigung dieser Ausführungen vermochte der BF im Ergebnis vor dem BVwG nicht glaubhaft darlegen, dass der BF einer unmittelbaren Verfolgungsgefährdung – sei es durch die Polizei oder durch Privatpersonen – ausgesetzt gewesen sei."

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. Gemäß §3 Abs1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art1 Abschnitt A Z2 GFK droht. Die Gefahr einer Verfolgung iSd §3 Abs1 AsylG 2005 iVm Art1 Abschnitt A Z2 GFK muss nicht nur auf individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen beruhen, sondern kann auch darin begründet sein, dass die Verfolgung in zielgerichteten, regelmäßigen Maßnahmen gegen eine in Art1 Abschnitt A Z2 GFK genannte Gruppe liegt und sohin auch der Fremde, der dieser Personengruppe angehört, Grund hat, eine individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes "genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe" (VwGH 25.9.2020, Ra 2019/19/0407; 12.3.2021, Ra 2020/19/0315).

Vor dem Hintergrund der Länderberichte zur Situation von (aus Myanmar geflüchteten) Angehörigen der Volksgruppe der Rohingya in Bangladesch hatte sich das Bundesverwaltungsgericht nicht nur mit der Frage zu befassen, inwieweit dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Bangladesch eine individuelle Verfolgung im Zusammenhang mit einer etwaigen Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Rohingya droht, sondern auch zu prüfen, ob die Zugehörigkeit zur Volksgruppe für sich genommen bereits Asylrelevanz hat (vgl schon VfGH 23.2.2021, E3215/2020; 25.2.2021, E2687/2020).

3.2. Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest, dass der Beschwerdeführer der Volksgruppe der Rohingya angehört und auf Grund der Länderberichte im Falle einer Rückkehr nach Bangladesch einer "unmittelbaren (staatlichen) Bedrohung" ausgesetzt ist. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung zur Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten kommt das Bundesverwaltungsgericht zu dem Schluss, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers, im Falle seiner Rückkehr nach Bangladesch "aufgrund seiner Zugehörigkeit zu den Rohingyas einer – faktischen - Verfolgung durch die Mehrheitsbevölkerung bzw durch Ignoranz der inländischen Behörden – außerhalb des eigenen Familienverbandes - einer Verfolgung ausgesetzt zu sein, […] nicht entgegengetreten werden [kann]".

Wenn das Bundesverwaltungsgericht ungeachtet dieser Ausführungen dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten (und nicht den Status des Asylberechtigten) zuerkennt, verkennt es, dass eine Person, deren Leben oder Freiheit von staatlichen Behörden wegen der Zugehörigkeit zu einer in Art1 Abschnitt A Z2 GFK genannten Gruppe bedroht wird, als Flüchtling anzuerkennen und ihr gemäß §3 Abs1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen ist. Indem das Bundesverwaltungsgericht daher den Beschwerdeführer, der nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Rohingya staatlicher Bedrohung ausgesetzt ist, nicht als Flüchtling iSd Art1 Abschnitt A Z2 GFK anerkannt hat, hat es im Hinblick auf §3 Abs1 AsylG 2005 die Rechtslage grob verkannt. Das Erkenntnis ist daher bereits aus diesem Grund aufzuheben (vgl bereits VfGH 16.12.2021, E1999/2021, vom selben Tag, E1853/2021).

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher schon aus diesem Grund aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Völkerrecht, Auslegung völkerrechtlicher Verträge

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:E3589.2021

Zuletzt aktualisiert am

06.05.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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